Urteil des BGH vom 29.10.2013

Bergbaumaschine Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X ZB 17/12
vom
29. Oktober 2013
in dem Rechtsbeschwerdeverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
Bergbaumaschine
PatG § 123 Abs. 1 Satz 1
a) Ein Anwalt muss durch allgemeine Anweisungen sicherstellen, dass sein Bü-
ropersonal nicht eigenmächtig im Fristenkalender eingetragene Fristen än-
dert oder löscht. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine außergewöhnliche
Verfahrensgestaltung Anlass zur Prüfung gibt, ob die bereits eingetragenen
Fristen maßgeblich bleiben oder nicht (Bestätigung von BGH, Beschluss vom
20. September 2007 - I ZB 108/05, AnwBl 2007, 869 Rn. 5).
b) Diese Grundsätze sind auch für die Überwachung von Validierungsfristen für
ein Patent heranzuziehen.
c) Eine an die mit der Fristüberwachung betrauten Mitarbeiter der Kanzlei ge-
richtete Anweisung, alle erkennbaren Probleme und Fragen mit dem verant-
wortlichen Anwalt zu klären, reicht zur Erfüllung der sich daraus ergebenden
Pflichten nicht aus.
BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2013 - X ZB 17/12 - Bundespatentgericht
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. Oktober 2013 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Dr. Grabinski und
Hoffmann und die Richterinnen Schuster und Dr. Kober-Dehm
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 10. Senats (Juris-
tischen Beschwerdesenats und Nichtigkeitssenats) des Bundespa-
tentgerichts vom 17. September 2012 wird auf Kosten der Patentin-
haberin zurückgewiesen.
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Gründe:
I.
Die Rechtsbeschwerdeführerin ist Inhaberin des in der Verfahrens-
sprache Englisch erteilten europäischen Patents 1 276 969 (Streitpatents), das
eine Bergbaumaschine und ein Abbauverfahren betrifft. Der Hinweis auf die
Patenterteilung wurde am 20. Dezember 2006 veröffentlicht. Mit Schreiben vom
gleichen Tag wies das Deutsche Patent- und Markenamt die Patentinhaberin
darauf hin, dass binnen drei Monaten eine deutsche Übersetzung einzureichen
und eine Gebühr in Höhe von 150,00 € für deren Veröffentlichung zu entrichten
ist. Mit Bescheid vom 19. September 2007 stellte das Patentamt fest, dass die
Wirkungen des europäischen Patents für die Bundesrepublik Deutschland als
von Anfang an nicht eingetreten gelten, weil die genannten Erfordernisse nicht
erfüllt worden seien.
Am 26. November 2007 reichte die Patentinhaberin beim Patentamt eine
deutsche Übersetzung der Patentschrift ein und entrichtete die Gebühr für die
Veröffentlichung. Zugleich beantragte sie die Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand. Das Patentamt hat diesen Antrag zurückgewiesen. Die Beschwerde der
Patentinhaberin ist erfolglos geblieben. Dagegen wendet sich die Patentinhabe-
rin mit ihrer vom Patentgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige
Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
1.
Das Patentgericht hat seine Entscheidung, die im Leitsatz in
Mitt 2013, 98 und im Volltext unter anderem in juris veröffentlicht ist, im Wesent-
lichen wie folgt begründet:
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Die Patentinhaberin habe nicht glaubhaft gemacht, dass die Frist zur Ein-
reichung der Übersetzung und zur Zahlung der Gebühr ohne Verschulden ihrer
inländischen Vertreter versäumt worden sei. Zwar sei die Versäumung der Frist
in erster Linie dadurch verursacht worden, dass eine in der Kanzlei beschäftigte
Fachangestellte ein Schreiben der australischen Anwälte der Patentinhaberin
mit dem Hinweis "the applicant has decided not to pursue a German Utility Mo-
del as a branch off of this patent application" missverstanden und deshalb die
eingetragene Frist zur Validierung des Streitpatents zu Unrecht wieder gelöscht
habe. Die inländischen Vertreter hätten aber schuldhaft zu dem Versäumnis
beigetragen.
Ein Anwalt müsse organisatorische Maßnahmen dagegen treffen, dass
sein Büropersonal eingetragene Rechtsmittelfristen eigenmächtig ändere oder
lösche. Entsprechendes müsse auch für die hier in Rede stehende Frist gelten.
Zwar sei die Pflicht des Anwalts, eine ihm vorgelegte Handakte auf die korrekte
Berechnung und Notierung von Fristen zu überprüfen, in patentrechtlichen Ver-
fahren wegen der Vielzahl der zu beachtenden Fristen eingeschränkt. Im Streit-
fall gehe es aber nicht lediglich um die Prüfung einer eingetragenen Frist.
Die nach dem Vortrag der Patentinhaberin in der Kanzlei bestehende An-
weisung, bei Unklarheiten den zuständigen Patentanwalt einzuschalten, werde
den genannten Anforderungen nicht gerecht. Nach dieser Anweisung bleibe es
der Einschätzung der Mitarbeiter überlassen, ob ein Vorgang vorzulegen sei
oder nicht. Die Anweisung umfasse zudem nicht alle Fälle, in denen eine Frist
vor ihrer eigentlichen Erledigung gelöscht werde. Erforderlich gewesen sei eine
unmissverständliche Anordnung, wonach in solchen Fällen stets eine Vorlage
an den Anwalt zu erfolgen habe. Für den Erlass einer solchen Anordnung sei
nichts vorgetragen. Der Umstand, dass es in der Kanzlei trotz einer großen Zahl
von Validierungsfällen zuvor noch nie zu einem Fristversäumnis gekommen sei,
vermöge das Fehlen eines Verschuldens nicht ausreichend glaubhaft zu ma-
chen.
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2.
Dies hält der rechtlichen Überprüfung stand.
a)
Zutreffend ist das Patentgericht davon ausgegangen, dass ein An-
walt durch organisatorische Maßnahmen sicherstellen muss, dass die bei ihm
beschäftigten Personen eingetragene Fristen nicht eigenmächtig ändern oder
löschen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf ein
Rechts- oder Patentanwalt die Berechnung einfacher und in seinem Büro geläu-
figer Fristen zwar einem gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorg-
fältig überwachten Mitarbeiter überlassen. Er hat jedoch durch geeignete orga-
nisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festge-
halten und kontrolliert werden. Unverzichtbar sind insoweit eindeutige Anwei-
sungen an das Büropersonal, die Festlegung klarer Zuständigkeiten und die
zumindest stichprobenartige Kontrolle des Angestellten (BGH, Beschluss vom
28. September 2010 - X ZR 57/10, GRUR 2011, 357 Rn. 7 - Geänderte Beru-
fungsbegründungsfrist mwN).
Zu den daraus resultierenden Pflichten gehört unter anderem die Pflicht,
durch geeignete Organisation der Fristenkontrolle sicherzustellen, dass eine im
Fristenkalender vermerkte Frist erst dann gestrichen oder in anderer Weise als
erledigt gekennzeichnet wird, wenn die fristgebundene Maßnahme durchge-
führt, der fristwahrende Schriftsatz also rechtzeitig vor Ablauf der Frist postfertig
gemacht und nötigenfalls vorab per Telefax übermittelt worden ist (BGH, Be-
schluss vom 23. Januar 2013 - XII ZB 559/12, NJW-RR 2013, 572 Rn. 6 mwN).
Der Anwalt muss darüber hinaus durch allgemeine Anweisungen sicherstellen,
dass sein Büropersonal nicht eigenmächtig im Fristenkalender eingetragene
Fristen ändert oder löscht. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine außer-
gewöhnliche Verfahrensgestaltung Anlass zur Prüfung gibt, ob die bereits ein-
getragenen Fristen maßgeblich bleiben oder nicht (BGH, Beschluss vom
20. September 2007 - I ZB 108/05, AnwBl 2007, 869 Rn. 5 mwN).
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b)
Zu Recht hat das Patentgericht entschieden, dass diese vor allem für
Rechtsmittelfristen entwickelten Maßstäbe auch für eine Frist zur Validierung
eines Patents gelten.
An die Überwachung einer Rechtsmittelfrist werden relativ hohe Anforde-
rungen gestellt, weil die schuldhafte Versäumung einer solchen Frist in aller
Regel dazu führt, dass der Mandant in einem anhängigen Verfahren schon aus
formellen Gründen unterliegt. Eine Frist zur Validierung eines Patents entfaltet
vergleichbare Wirkungen. Wenn sie schuldhaft versäumt wird, hat dies den Ver-
lust des Schutzrechts zur Folge. Für die anwaltliche Überwachung solcher Fris-
ten gelten deshalb grundsätzlich dieselben Sorgfaltsanforderungen.
Dass es in patentrechtlichen Verfahren eine Vielzahl solcher Fristen ge-
ben kann und ein Patentanwalt häufig mit der Fristüberwachung für eine große
Zahl von Patenten betraut ist, führt im vorliegenden Zusammenhang nicht zu
einer anderen Beurteilung. Diese Umstände mögen es, wie das Patentgericht
ausgeführt hat, rechtfertigen, dass der Anwalt davon absieht, bei jeder Vorlage
der Akte die Berechnung und Notierung aller für das Patent relevanten Fristen
zu überprüfen. Für die im Streitfall in Rede stehende Pflicht, durch organisatori-
sche Maßnahmen sicherzustellen, dass eine zutreffend berechnete und einge-
tragene Frist nicht unberechtigt geändert oder gelöscht wird, kommt eine Ab-
milderung der Sorgfaltsanforderungen hingegen nicht in Betracht. Gerade der
Umstand, dass eine Vielzahl von Fristen zu beachten ist und der Anwalt die
Tätigkeit seiner damit betrauten Mitarbeiter nicht ständig hinsichtlich jedes De-
tails überwachen und nachprüfen kann, erfordert eine Kanzleiorganisation, die
sicherstellt, dass ein Mitarbeiter nicht eigenmächtig die Entscheidung trifft, eine
eingetragene Frist sei nicht mehr zu beachten.
c)
Zutreffend hat das Patentgericht die von der Patentinhaberin vorge-
tragenen organisatorischen Maßnahmen in der Kanzlei ihrer inländischen Ver-
treter als unzureichend beurteilt.
Nach dem Vorbringen der Patentinhaberin besteht für die mit der Frist-
überwachung betrauten Mitarbeiter der Kanzlei die strikte Anweisung, alle er-
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kennbaren Probleme und Fragen mit dem verantwortlichen Anwalt zu klären.
Dieser Anweisung lässt sich, wie das Patentgericht zutreffend dargelegt hat,
nicht hinreichend deutlich entnehmen, unter welchen Voraussetzungen eine
Vorlage an den Anwalt zwingend erforderlich ist. Dem mit der Fristüberwachung
betrauten Mitarbeiter wird damit die Möglichkeit eröffnet, eine Frist ohne Rück-
sprache mit dem Anwalt zu löschen, ohne dass hierfür klare und im Einzelfall
zweifelsfrei zu beurteilende Kriterien vorgegeben werden. Dies ist angesichts
der weitreichenden Folgen, die die unberechtigte Streichung einer Frist mit sich
bringt, nicht ausreichend.
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das Patentgericht in
diesem Zusammenhang das Vorbringen der Patentinhaberin weder übergangen
noch widersprüchlich gewürdigt. Das Patentgericht ist davon ausgegangen,
dass die im Streitfall vorgenommene Löschung der Frist bei zutreffender Ausle-
gung der vorgetragenen Anweisung nicht ohne Rücksprache mit dem zuständi-
gen Patentanwalt hätte erfolgen dürfen. Es hat die Anweisung dennoch als un-
zureichend angesehen, weil sie nicht hinreichend konkret formuliert ist und
deshalb die Gefahr hervorruft, dass die mit der Fristüberwachung betrauten
Mitarbeiter ihre Relevanz für die hier zu beurteilende Konstellation nicht erken-
nen. Diese Beurteilung ist widerspruchsfrei und in der Sache zutreffend.
Vor diesem Hintergrund hat das Patentgericht die Löschung der Frist
durch die Fachangestellte zu Recht nicht als "ausbrechenden" Akt angesehen,
sondern als Folge der nicht hinreichenden Kanzleiorganisation.
d)
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist die Ursächlich-
keit des Organisationsfehlers nicht deshalb zu verneinen, weil die Fachange-
stellte die Löschung der Frist in der irrigen Vorstellung vorgenommen hat, ein
eventueller Validierungsauftrag sei erledigt, weil er nicht erteilt worden sei.
Hätten die inländischen Vertreter der Patentinhaberin die vom Patent-
gericht zutreffend für erforderlich gehaltene Maßnahme ergriffen, also die Vo-
raussetzungen, unter denen eine Frist gelöscht werden darf, klar und zweifels-
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frei geregelt, so hätte es zu dem von der Patentinhaberin geschilderten Ge-
schehensablauf nicht kommen können.
Die Annahme, ein bereits als erteilt angesehener Validierungsauftrag sei
zurückgenommen oder in Wahrheit nicht erteilt worden, kommt nur unter be-
sonderen Umständen in Betracht. Deshalb hat der Anwalt durch organisatori-
sche Maßnahmen sicherzustellen, dass eine Frist aus diesem Anlass grund-
sätzlich nicht ohne vorherige Rücksprache mit ihm gelöscht wird. Im Streitfall
eröffnete die von der Patentinhaberin vorgetragene Anweisung hingegen auch
für diese Konstellation einen eigenen Beurteilungsspielraum für die mit der
Fristüberwachung betrauten Mitarbeiter. Dieser Organisationsmangel war mit-
ursächlich dafür, dass die bereits eingetragene Frist aufgrund der Fehlvorstel-
lung der Fachangestellten gelöscht wurde.
e)
Zu Recht hat das Patentgericht entschieden, dass ein Verschulden
nicht deshalb verneint werden kann, weil es in der Kanzlei trotz langjähriger und
umfangreicher Tätigkeit in der Vergangenheit noch nie zu einem Fristversäum-
nis gekommen ist. Wenn in einer Kanzlei vermehrt Fehler derselben Art auftre-
ten, mag im Einzelfall schon daraus die Schlussfolgerung zu ziehen sein, dass
es an einer hinreichenden Organisation fehlt. Der Umstand, dass es über länge-
re Zeit nicht zu Fehlern gekommen ist, bildet für sich gesehen aber keinen hin-
reichenden Beleg für eine hinreichende Kanzleiorganisation. Besondere Um-
stände, die im Streitfall eine abweichende Beurteilung rechtfertigen könnten,
liegen, wie das Patentgericht ebenfalls zutreffend entschieden hat, nicht vor.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 109 Abs. 1 Satz 2 PatG.
IV. Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für erforderlich ge-
halten (§ 107 Abs. 1 Halbsatz 2 PatG).
Meier-Beck
Grabinski
Hoffmann
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Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 17.09.2012 - 10 W (pat) 22/09 -