Urteil des BGH vom 06.02.2006

BGH (unerlaubte handlung, befangenheit, gutachten, unparteilichkeit, partei, zweifel, gesuch, ablehnung, zpo, bundespatentgericht)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X ZR 148/03
vom
6. Februar 2006
in der Patentnichtigkeitssache
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Dr. Melullis, den Richter Scharen, die Richterin Mühlens und die Richter
Prof. Dr. Meier-Beck und Dr. Kirchhoff
am 6. Februar 2006
beschlossen:
Das Gesuch der Beklagten, den gerichtlichen Sachverständigen
Prof. Dr. H. F. S. wegen Besorgnis der Befangenheit
abzulehnen, wird zurückgewiesen.
Gründe:
I. Die Beklagte ist Inhaberin des deutschen Patents 199 58 638 (Streitpa-
tents), das Vorrichtung und Verfahren zum individuellen Filtern von über ein
Netzwerk übertragenen Informationen betrifft. Auf die Nichtigkeitsklage der Klä-
gerin hat das Bundespatentgericht das Streitpatent für nichtig erklärt.
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Im Berufungsverfahren hat der Senat die Einholung eines Sachverstän-
digengutachtens angeordnet und Prof. Dr. H. F. S. ,
, zum gerichtlichen Sachverständigen be-
stellt. Der Sachverständige hat sein schriftliches Gutachten am 19. Juli 2005
vorgelegt. Mit Schriftsätzen vom 17. August, 26. Oktober und 8. Dezember
2005 hat die Beklagte beantragt, den gerichtlichen Sachverständigen wegen
Besorgnis der Befangenheit abzulehnen.
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Die Klägerin tritt den Ablehnungsgesuchen entgegen.
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II. Es kann dahinstehen, ob die Ablehnungsgesuche vom 26. Oktober
und 8. Dezember 2005 bereits unzulässig sind, weil sie nicht gemäß § 406
Abs. 2 ZPO binnen zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses über die
Ernennung des gerichtlichen Sachverständigen gestellt worden sind und die
Beklagte insoweit nicht glaubhaft gemacht hat, dass sie die geltend gemachten
Ablehnungsgründe unverzüglich vorgebracht hat, nachdem sie dazu in der La-
ge war. Denn die Ablehnungsgesuche der Beklagten sind jedenfalls unbegrün-
det, weil ein Grund zur Besorgnis der Befangenheit nicht vorliegt.
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1. Nach § 406 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann ein Sachverständiger aus den-
selben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt wer-
den. Für die Besorgnis der Befangenheit ist es nicht erforderlich, dass der vom
Gericht beauftragte Sachverständige parteiisch ist oder das Gericht Zweifel an
seiner Unparteilichkeit hat. Vielmehr rechtfertigt bereits der bei der ablehnenden
Partei erweckte Anschein der Parteilichkeit die Ablehnung wegen Besorgnis der
Befangenheit. Es muss sich dabei um Tatsachen oder Umstände handeln, die
vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Be-
fürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvor-
eingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (Sen.Urt. v. 15.5.1975
- X ZR 52/73, GRUR 1975, 507 - Schulterpolster; Sen.Beschl. v. 13.1.1987
- X ZR 29/96, GRUR 1987, 350 - Werkzeughalterung; Sen.Beschl. v. 4.12.2001
- X ZR 199/00, GRUR 2002, 369 - Sachverständigenablehnung; Sen.Beschl. v.
28.10.2003 - X ZR 274/02, Mitt. 2004, 234; BGH, Beschl. v. 15.3.2005 - VI ZB
74/04, NJW 2005, 1869).
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2. Hiernach ausreichende Gründe hat die Beklagte nicht vorgetragen.
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a) An dem Ablehnungsgesuch vom 17. August 2005, das die Beklagte
mit der Vermutung begründet hat, der Sachverständige oder einer seiner Mitar-
beiter habe das gerichtliche Gutachten dem Förderverein für Freie Informatio-
nelle Infrastruktur e.V. (FFII) zugänglich gemacht, welcher im Internet hieraus
zitiert hat, hat die Beklagte nicht festgehalten, nachdem der Sachverständige
dem entgegengetreten ist und die Klägerin erklärt hat, ihrerseits den FFII infor-
miert zu haben. Jedenfalls ergeben sich aus der Internetveröffentlichung hier-
nach keine Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen.
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b) Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen vermag aus der
Sicht einer verständigen Partei auch nicht der Umstand zu erregen, dass der
Sachverständige die Klägerin und/oder den FFII wegen der Internetveröffentli-
chung nicht gerichtlich oder außergerichtlich auf Unterlassung in Anspruch ge-
nommen hat. Dabei kann dahinstehen, ob dem Sachverständigen, wie die Be-
klagte meint, urheberrechtliche Unterlassungsansprüche zustehen. Denn es
muss dem Sachverständigen, aus dessen Gutachten lediglich zwei Seiten wie-
dergegeben worden sind und der vom FFII nicht namentlich genannt worden ist,
überlassen bleiben, ob er Veranlassung sieht, seine Rechte zu verfolgen. Eine
vernünftige Partei in der Situation der Beklagten wird deswegen nicht an seiner
Unparteilichkeit zweifeln. Soweit die Beklagte in dem Verhalten der Klägerin
und des FFII eine ihr gegenüber begangene unerlaubte Handlung sieht, bleibt
es ihr unbenommen, selbst die ihr geboten erscheinenden Maßnahmen gegen
weitere Rechtsverletzungen zu ergreifen.
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c) Aus diesem Grunde muss auch das Ablehnungsgesuch vom 8. De-
zember 2005 ohne Erfolg bleiben. Soweit in diesem Gesuch ein weiterer
Ablehnungsgrund darin gesehen wird, dass der Sachverständige in seiner Stel-
lungnahme vom 15. November 2005 zu der Bemerkung in seinem Gutachten,
der Patentanspruch enthalte "Banalitäten, die den neutralen Fachmann in Er-
staunen versetzen", zur "Klarstellung … auf die Übersetzung des Wortes 'Bana-
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lität’ verwiesen" hat, die nach einem Fremdwörterbuch "Plattheit,
, Gewöhnlichkeit, Fadheit" laute, hat er durch die Hervorhebung
des Wortes "Selbstverständlichkeit" deutlich gemacht, dass es ihm nicht um
eine Herabsetzung der Erfindung zu tun war. Die in der Qualifikation als "banal"
oder "selbstverständlich" liegende kritische sachliche Wertung muss die Beklag-
te hinnehmen.
Melullis
Scharen
Mühlens
Meier-Beck Kirchhoff
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 10.09.2003 - 4 Ni 41/02 -