Urteil des BGH vom 12.12.2005

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
II ZB 33/04
vom
12. Dezember 2005
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 233 Fd
Ein anwaltliches Organisationsverschulden liegt vor, wenn ein Rechtsanwalt
einen EDV-gestützten Fristenkalender verwendet, aber nicht anordnet, dass die
Eingaben in diesen Kalender jeweils durch Ausgabe der eingegebenen Einzel-
vorgänge über einen Drucker kontrolliert werden.
BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2005 - II ZB 33/04 - LG Berlin
AG
Schöneberg
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Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 12. Dezember 2005
durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und die Richter Dr. Kurzwelly,
Münke, Prof. Dr. Gehrlein und Dr. Reichart
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der Zivilkammer 24
des Landgerichts Berlin vom 8. Oktober 2004 wird auf Kosten des
Beklagten verworfen.
Streitwert: 2.094,31 €
Gründe:
I. Das Amtsgericht Schöneberg hat den Beklagten durch Urteil vom
15. März 2004, mit dem ein am 14. Januar 2004 ergangenes Versäumnisurteil
aufrecht erhalten wurde, verurteilt, an die Klägerin 2.094,31 € Schadensersatz
nebst Zinsen zu zahlen, weil er als Geschäftsführer der P. GmbH die Arbeit-
nehmeranteile zur Gesamtsozialversicherung der bei der Klägerin krankenver-
sicherten Arbeitnehmer der GmbH für die Monate Oktober und November 2002
nicht an die Klägerin abgeführt hatte. Gegen das ihm am 14. April 2004 zuge-
stellte Urteil hat der Beklagte am 28. Mai 2004 Berufung eingelegt und wegen
der Versäumung der Berufungsfrist um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
gebeten. Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen
und die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen. Mit seiner Rechtsbe-
schwerde will der Beklagte die Aufhebung der landgerichtlichen Entscheidung
und seine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erreichen.
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II. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 577 Abs. 1 ZPO unzulässig, weil
die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Entgegen der An-
sicht des Beklagten hat die Sache weder grundsätzliche Bedeutung noch erfor-
dert die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdege-
richts.
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1. Die Beschwerde wirft die Frage auf, ob ein anwaltliches Organisa-
tionsverschulden anzunehmen ist, wenn ein Rechtsanwalt einen EDV-gestütz-
ten Fristenkalender verwendet und die dort vorgenommenen Eintragungen nicht
durch Ausgabe der eingegebenen Einzelvorgänge über den Drucker kontrolliert
werden, sondern durch Schließen und Wiederaufrufen des Datenverarbei-
tungsprogramms.
Diese Frage hat keine Grundsatzbedeutung, weil sie in der Rechtspre-
chung des Bundesgerichtshofs bereits geklärt ist. Ein anwaltliches Organisa-
tionsverschulden ist danach darin zu sehen, dass Eingaben in den EDV-
Kalender nicht durch Ausgabe der eingegebenen Einzelvorgänge über den
Drucker kontrolliert werden (Beschl. v. 12. Oktober 1998 - II ZB 11/98, BB 1998,
2603 m.w.Nachw.; vgl. auch BFH, Beschl. v. 6. August 2001 - II R 77/99,
BFH/NV 2002, 44). Die Fertigung eines Kontrollausdrucks ist nach der Senats-
rechtsprechung erforderlich, um nicht nur Datenverarbeitungsfehler des EDV-
Programms, sondern auch Eingabefehler oder -versäumnisse mit geringem
Aufwand zu erkennen und zu beseitigen, zumal der Ausdruck dem Schriftstück,
das dem Anwalt vorzulegen ist, beigeheftet werden kann. Dass das Vorgehen
des Prozessbevollmächtigten des Beklagten, lediglich das Programm zu schlie-
ßen und sofort wieder aufzurufen, diesen Anforderungen nicht genügt, muss
danach nicht ausdrücklich ausgesprochen werden.
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2. Entgegen der Auffassung der Beschwerde liegt auch der Zulassungs-
grund des § 574 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt. ZPO nicht vor. Er setzte voraus, dass der
Fall Veranlassung gäbe, Leitsätze für die Gesetzesauslegung aufzuzeigen, Ge-
setzeslücken zu schließen, oder dass die Fortentwicklung der Rechtspraxis
eine Leitentscheidung geboten erscheinen ließe. Das ist ersichtlich nicht der
Fall. Die Sache gibt - anders als die Beschwerde meint - auch keinen Anlass für
eine Konkretisierung der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, die
eindeutig ist und als Kontrollergebnis stets ein Schriftstück verlangt hat, nämlich
entweder einen Ausdruck der Einzelvorgänge oder die Ausgabe eines Fehler-
protokolls durch das Programm (vgl. BGH, Beschl. v. 20. Februar 1997
- IX ZB 111/96, NJW-RR 1997, 698; v. 23. März 1995 - VII ZB 3/95, WM 1995,
1448, 1449).
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Goette Kurzwelly Münke
Gehrlein
Reichart
Vorinstanzen:
AG Berlin-Schöneberg, Entscheidung vom 15.03.2004 - 6 C 483/03 -
LG Berlin, Entscheidung vom 08.10.2004 - 24 S 9/04 -