Urteil des BGH vom 23.01.2013

BGH: treu und glauben, recht der europäischen union, eugh, reduktion, vertragsschluss, ausgangspreis, verbraucher, rückzahlung, härte, bereicherung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 345/11
Verkündet am:
23. Januar 2013
Ring,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 14. November 2012 durch den Vorsitzenden Richter Ball, die Richterin
Dr. Hessel, den Richter Dr. Achilles, die Richterin Dr. Fetzer und den Richter
Dr. Bünger
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 5. Zivilkammer
des Landgerichts Bonn vom 9. November 2011 im Kostenpunkt
und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt
worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger verlangt von der Beklagten, einem regionalen Gasversor-
gungsunternehmen, welches den Kläger leitungsgebunden mit Erdgas versorg-
te, die Rückzahlung eines Betrages in Höhe von 3.002,10
€ nebst Zinsen auf-
grund unwirksamer Gaspreisanpassungen im Zeitraum vom 6. April 2006 bis
zum 31. März 2009.
Die Parteien schlossen im Juli 1979 einen vorformulierten Erdgasliefer-
vertrag (Sondervertrag). Als Arbeitspreis waren 2,90 Pf/kWh (1,48 ct/kWh) netto
vereinbart. Der Vertrag enthält eine Bestimmung, wonach sich der Gaspreis
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ändert, wenn eine Änderung der allgemeinen Tarife der Beklagten eintritt. Zu-
dem sieht der Vertrag vor, dass er erstmals nach Ablauf von 24 Monaten und
danach jeweils mit einer Frist von drei Monaten zum Ende eines Abrechnungs-
jahres schriftlich gekündigt werden kann. Die Beklagte änderte aufgrund der
Preisanpassungsklausel wiederholt ihre Preise. Der Kläger widersprach den
Preisänderungen nicht, wandte sich auch nicht gegen die Jahresabrechnungen
und leistete die Abschlagszahlungen.
Der Kläger verlangt unter Berufung auf das die Beklagte betreffende Se-
natsurteil vom 17. Dezember 2008 (VIII ZR 274/06) die gezahlten Erhöhungs-
beträge zurück. Er hat, ausgehend von einem Arbeitspreis in Höhe von
2,90 Pf/kWh (1,48 ct/kWh),
den Rückforderungsanspruch mit 3.002,10 € bezif-
fert. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat auf
die Berufung der Beklagten das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Ver-
urteilung der Beklagten auf 2.565,04 € nebst Zinsen ermäßigt. Mit der vom Be-
rufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Ab-
weisung der Klage.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im We-
sentlichen ausgeführt:
Dem Kläger stehe ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung
gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zu. Er habe in der Zeit von April 2006 bis
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März 2009 Zahlungen in Höhe von 3.002,10 € ohne Rechtsgrund geleistet, in
Höhe eines Teilbetrages von 437,06 € könne sich die Beklagte aber mit Erfolg
auf Verjährung berufen.
Das vertragliche Preisänderungsrecht in dem Sondervertrag sei - was die
Beklagte nicht in Abrede stelle - gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam. Ein ein-
seitiges Preisanpassungsrecht der Beklagten ergebe sich auch weder aus ei-
nem Rückgriff auf die AVBGasV beziehungsweise die GasGVV noch aus einer
konkludenten vertraglichen Änderung des Gaspreises.
Ein Recht der Beklagten zur einseitigen Preisänderung lasse sich nicht
aus einer ergänzenden Vertragsauslegung gemäß §§ 133, 157 BGB herleiten.
Sie scheitere jedenfalls daran, dass sich nicht feststellen lasse, welche Preis-
anpassungsregelung die Vertragsparteien vereinbart hätten, wenn sie bei Ver-
tragsabschluss bedacht hätten, dass die von der Beklagten vorgegebene Preis-
anpassungsklausel unwirksam sei. Könne aber eine Regelungslücke auf ver-
schiedene Weise geschlossen werden und bestünden keine Anhaltspunkte da-
für, für welche Alternative sich die Parteien entschieden hätten, sei eine ergän-
zende Vertragsauslegung ausgeschlossen.
Der Vertrag sei auch nicht nach § 306 Abs. 3 BGB insgesamt unwirksam,
da dies erfordere, dass das Festhalten am Vertrag für eine der Parteien eine
unzumutbare Härte darstelle. Hiervon könne nicht ausgegangen werden, da die
Beklagte das Recht habe, sich nach Ablauf der Mindestvertragsdauer mit einer
Kündigungsfrist von drei Monaten zum Ende der Abrechnungsperiode vom Ver-
trag zu lösen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass das wirtschaftliche Gesamt-
risiko der Beklagten auf die verjährungsfreie Zeit begrenzt sei und ihr für die
bereits verjährten Zeiträume die Vorteile der unwirksamen Preisanpassungs-
klausel verblieben.
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Der Kläger dürfe der Berechnung seines Rückforderungsanspruchs den
ursprünglich vereinbarten Arbeitspreis von 2,90 Pf/kWh (1,48 ct/kWh) netto zu-
grunde legen.
Die Beklagte könne sich nicht auf den Wegfall der Bereicherung
(§ 818 Abs. 3 BGB) berufen. Bei der Leistungskondiktion sei zu berücksichti-
gen, wer nach den Vorschriften des fehlgeschlagenen Geschäfts das Entreiche-
rungsrisiko zu tragen habe. Das Beschaffungsrisiko liege bei der Beklagten als
Lieferantin und könne nicht über § 818 Abs. 3 BGB auf den Kunden verlagert
werden.
Der Rückzahlungsanspruch sei auch nicht verwirkt. Es fehle jedenfalls an
einem schutzwürdigen Vertrauen der Beklagten. Soweit der Gläubiger seinen
Anspruch wegen einer vom Schuldner pflichtwidrig verwendeten unwirksamen
Allgemeinen Geschäftsbedingung nicht geltend mache, sei das Vertrauen des
Verwenders in dieses Verhalten nicht schutzwürdig.
Die Beklagte könne sich aber mit Erfolg auf die Verjährung des Rückzah-
lungsanspruchs für die im Zeitraum vom 6. April 2006 bis zum 31. Dezember
2006 vereinnahmten Überzahlungen in Höhe von 437,06 € berufen.
II.
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung in einem entscheidenden
Punkt nicht stand. Frei von Rechtsfehlern ist zwar die Annahme des Berufungs-
gerichts, dass dem Kläger dem Grunde nach ein Anspruch aus § 812 Abs. 1
Satz 1 Alt. 1 BGB auf Rückzahlung der aufgrund der unwirksamen Gaspreiser-
höhungen gezahlten Erhöhungsbeträge zusteht. Das Berufungsgericht hat aber
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der Berechnung des Rückforderungsanspruchs rechtsfehlerhaft den im Jahre
1979 vereinbarten Ausgangspreis von 1,48 ct/kWh netto zugrunde gelegt.
1. Das Berufungsgericht hat im Anschluss an das Senatsurteil vom
17. Dezember 2008 (VIII ZR 274/06, BGHZ 179, 186 ff.) das Vorliegen eines
(Norm-)Sonderkundenvertrages ebenso wie die Unwirksamkeit der in diesem
Vertrag enthaltenen Preisänderungsklausel der Beklagten rechtsfehlerfrei be-
jaht. Gegen diese rechtliche Bewertung wendet sich die Revision nicht.
2. Mit Recht - und von der Revision ebenfalls unbeanstandet - hat das
Berufungsgericht auch angenommen, dass weder in der Zahlung der abge-
rechneten Beträge noch in dem Weiterbezug von Gas nach Ankündigung der
Preiserhöhungen eine konkludente Zustimmung des Klägers zur Erhöhung der
Gaspreise liegt (Senatsurteile vom 14. März 2012 - VIII ZR 113/11, NJW 2012,
1865 Rn. 16 ff., zur Veröffentlichung in BGHZ 192, 372 bestimmt, und VIII ZR
93/11, ZNER 2012, 265 Rn. 22 f.; vom 9. Februar 2011 - VIII ZR 295/09, NJW
2011, 1342 Rn. 40 ff.; vom 14. Juli 2010 - VIII ZR 246/08, BGHZ 186, 180
Rn. 57 ff.).
3. Da die Preisänderungsklausel unwirksam ist, hat der Kläger dem
Grunde nach einen Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB auf Rückzah-
lung der aufgrund der unwirksamen Gaspreiserhöhungen für die Jahre 2006 bis
2009 gezahlten Erhöhungsbeträge.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der Berechnung des
Anspruchs jedoch nicht der bei Vertragsschluss geschuldete Anfangspreis zu-
grunde zu legen. Dies ergibt sich aus einer ergänzenden Vertragsauslegung
(§§ 157, 133 BGB) des Versorgungsvertrages, deren Voraussetzungen das
Berufungsgericht zu Unrecht verneint hat und die dazu führt, dass sich der Klä-
ger nicht darauf berufen kann, dass es für alle in dem klagegegenständlichen
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Zeitraum über den ursprünglich vereinbarten Anfangspreis hinausgehenden
Zahlungen an einem Rechtsgrund fehlt.
a) Beide Parteien waren sich bei Vertragsschluss einig, dass der verein-
barte (Anfangs-)Preis nur zu Beginn des Versorgungsverhältnisses gelten und
bei späteren Änderungen der allgemeinen Tarife ein anderer Preis geschuldet
sein sollte. Denn die Aufnahme eines Preisänderungsrechts zeigt den Willen
der Parteien, dass der Kunde - und nicht das Versorgungsunternehmen - Preis-
änderungen tragen soll, die etwa auf Veränderungen der Brennstoffbezugskos-
ten oder der Lohn- und Materialkosten zurückgehen. Aus der Aufnahme einer
Preisänderungsklausel bei Vertragsschluss wird deutlich, dass sich die Parteien
von dem lebensnahen Bewusstsein haben leiten lassen, dass Preisänderungen
im Laufe des auf unbestimmte Zeit angelegten Bezugsverhältnisses zu erwar-
ten sind und deshalb der Gefahr einer zukünftigen Äquivalenzstörung in ange-
messener Weise zu begegnen ist. Da die von den Parteien vereinbarte Preis-
änderungsklausel der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB (Art. 229 § 5 Satz 2
EGBGB) nicht standhält, ist daher im Regelungsplan der Parteien eine Lücke
eingetreten (vgl. Senatsurteile vom 14. März 2012 - VIII ZR 113/11, aaO Rn. 20,
und VIII ZR 93/11, aaO Rn. 25; jeweils mwN).
Wie der Senat - nach Erlass des Berufungsurteils - entschieden hat, ist
diese Lücke im Vertrag im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung gemäß
§§ 157, 133 BGB in der Weise zu schließen, dass der Kunde die Unwirksamkeit
derjenigen Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis
übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht in-
nerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresab-
rechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, bean-
standet hat (vgl. Senatsurteile vom 14. März 2012 - VIII ZR 113/11, aaO
Rn. 21 ff., und VIII ZR 93/11, aaO Rn. 26 ff.; jeweils mwN).
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b) Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung steht dieser Lösung
nicht das - nach den vorgenannten Senatsentscheidungen ergangene - Urteil
des Gerichtshofs der Europäischen Union (fortan: Gerichtshof) vom 14. Juni
2012 (Rs. C-618/10, NJW 2012, 2257 - Banco Español de Crédito) entgegen.
aa) Nach dem Urteil des Gerichtshofs ist mit Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie
93/13/EWG eine mitgliedstaatliche Regelung unvereinbar, die es dem nationa-
len Gericht gestattet, "wenn es eine missbräuchliche Klausel in einem Vertrag
zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher entdeckt, den In-
halt dieser Klausel abzuändern, anstatt schlicht deren Anwendung gegenüber
dem Verbraucher auszuschließen" (EuGH, aaO Rn. 71). Eine Regelung dieses
Inhalts kennt das innerstaatliche deutsche Recht nicht. Nach § 306 Abs. 1, 2
BGB bleibt der Vertrag vielmehr unter Wegfall der unwirksamen Klausel im Üb-
rigen bestehen, wobei an die Stelle der unwirksamen Klausel die dispositiven
gesetzlichen Bestimmungen treten. Auch nach der ständigen Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs ist dem nationalen Gericht die inhaltliche Abänderung
einer wegen unangemessener Benachteiligung unwirksamen Klausel, die dazu
führen würde, der Klausel mit einem (noch) zulässigen Inhalt Geltung zu ver-
schaffen (geltungserhaltende Reduktion), verboten (vgl. grundlegend BGH, Ur-
teile vom 17. Mai 1982 - VII ZR 316/81, BGHZ 84, 109, 116 f.; vom 19. Sep-
tember 1983 - VIII ZR 84/82, NJW 1984, 48 unter II 1 a bb).
Von der geltungserhaltenden Reduktion unangemessener Klauseln zu
unterscheiden ist die ergänzende Vertragsauslegung. Bei ihr geht es nicht da-
rum, einer unangemessenen Klausel im Wege der Auslegung einen anderen,
noch angemessenen Inhalt beizulegen, sondern um die Ausfüllung einer Lücke
im Vertragsgefüge, die durch den Wegfall der unwirksamen Klausel entsteht.
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bb) Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat (BGH, Urteil vom
12. Oktober 2005 - IV ZR 162/03, BGHZ 164, 297, 318), bestehen gegen eine
ergänzende Vertragsauslegung - wie sie auch in verschiedenen anderen euro-
päischen Rechtsordnungen vorgesehen ist (vgl. Grabitz/Hilf/Pfeiffer, Das Recht
der Europäischen Union, Stand Mai 1999, Band IV, A 5 Rn. 8) - keine europa-
rechtlichen Bedenken, da in der Richtlinie 93/13/EWG nicht geregelt ist, unter
welchen Voraussetzungen der Vertrag ohne die unwirksame Klausel fortgilt.
Dem ist auch die Literatur einhellig gefolgt (Grabitz/Hilf/Pfeiffer, aaO; Münch-
KommBGB/Basedow, 6. Aufl., § 306 Rn. 4; H. Schmidt in Ulmer/Brandner/
Hensen, AGB-Recht, 11. Aufl., § 306 BGB Rn. 4c; Wolf in Wolf/Lindacher/
Pfeiffer, AGB-Recht, 5. Aufl., Art. 6 RL Rn. 7; vgl. auch Erman/Roloff, BGB,
13. Aufl., § 306 Rn. 3). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der genannten
Entscheidung des Gerichtshofs. Denn nach dieser Entscheidung ist mit Art. 6
der Richtlinie 93/13/EWG nur eine geltungserhaltende Reduktion unvereinbar,
nicht aber eine ergänzende Vertragsauslegung.
Nach dem Urteil des Gerichtshofs ist es den Gerichten verboten, "durch
Abänderung des Inhalts" der missbräuchlichen Klausel den Vertrag anzupassen
(EuGH, aaO Rn. 65, 69, 71, 73). Eine solche Abänderung des Inhalts der Klau-
sel entspricht im deutschen Recht einer geltungserhaltenden Reduktion.
Zudem betont der Gerichtshof, dass ohne eine strikte Nichtanwendung
der unwirksamen Klausel Gewerbetreibende versucht sein könnten, diese Klau-
seln gleichwohl zu verwenden, wenn sie wüssten, dass der Vertrag durch die
Gerichte im erforderlichen Umfang angepasst werde. Hierdurch würde das Ziel
der Richtlinie, der Verwendung missbräuchlicher Klauseln "ein Ende zu setzen",
unterlaufen (EuGH, aaO Rn. 68 f.). Dies ist auch die Begründung für das Verbot
der geltungserhaltenden Reduktion im deutschen Recht (vgl. BGH, Urteile vom
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17. Mai 1982 - VII ZR 316/81, aaO; vom 19. September 1983 - VIII ZR 84/82,
aaO).
cc) Um eine solche verbotene Klauselanpassung im Wege der geltungs-
erhaltenden Reduktion handelt es sich bei der vom Senat vorgenommenen er-
gänzenden Vertragsauslegung indes nicht. Während die Klauselanpassung die
Preisänderungsregelung als solche - nur mit einem veränderten, gesetzeskon-
formen Inhalt - aufrechterhalten will, setzt die ergänzende Vertragsauslegung
die unabänderliche Unwirksamkeit der den Verbraucher benachteiligenden
Klausel voraus. Denn nur dann besteht eine dem Regelungsplan der Parteien
widersprechende Lücke im Vertrag, die durch Auslegung geschlossen werden
kann.
Der Senat hat ausdrücklich klargestellt, dass es nicht in Betracht kommt,
an die Stelle der unwirksamen - den Vertragspartner des Klauselverwenders im
Sinne des § 307 BGB unangemessen benachteiligenden - Preisänderungsklau-
sel im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung eine (wirksame) Bestimmung
gleichen Inhalts zu setzen. Dem entsprechend hat der Senat in den bereits ent-
schiedenen Fällen die wegen der Unwirksamkeit der Preisanpassungsklauseln
lückenhaften Verträge nicht um eine Preisanpassungsregelung mit abweichen-
dem - angemessenem - Inhalt ergänzt, sondern unter Zugrundelegung des voll-
ständigen Wegfalls der unangemessenen Preisanpassungsklauseln darauf ab-
gestellt, was die Parteien bei einer angemessenen, objektiv-generalisierenden
Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben redlicherweise vereinbart
hätten, wenn sie bedacht hätten, dass die Wirksamkeit der verwendeten Preis-
änderungsklausel jedenfalls unsicher war (Senatsurteil vom 14. März 2012
- VIII ZR 113/11, aaO Rn. 24). Das hierbei gewonnene Ergebnis der ergänzen-
den Vertragsauslegung lässt den Inhalt der unangemessenen Preisanpas-
sungsklauseln und deren Unwirksamkeit unberührt; es ergänzt den Vertragsin-
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halt vielmehr auf der Rechtsfolgenseite um eine Regelung, die gerade deswe-
gen erforderlich ist, weil das unangemessen ausgestaltete einseitige Preisan-
passungsrecht vollständig entfällt und dadurch im Vertragsgefüge eine Lücke
entsteht, die zu einem nach dem ursprünglichen Regelungsplan der Parteien
untragbaren Ergebnis führen würde.
dd) Im Übrigen entspricht die vom Senat vorgenommene ergänzende
Vertragsauslegung der Zielsetzung der Richtlinie 93/13/EWG.
Ziel der Richtlinie ist es, die nach dem Vertrag bestehende formale Aus-
gewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien durch eine materiel-
le Ausgewogenheit zu ersetzen und so deren Gleichheit wiederherzustellen
(EuGH, aaO Rn. 63). Dabei sind die Interessen beider Vertragsparteien in den
Blick zu nehmen, um die angestrebte Ausgewogenheit der Interessen der Ver-
tragsparteien zu gewährleisten (EuGH, Urteil vom 15. März 2012 - Rs. C-
453/10, NJW 2012, 1781 Rn. 31 f. -
Pereničová und Perenič, unter Bezugnah-
me auf den Schlussantrag der Generalanwältin vom 29. November 2011 - C-
453/10, BeckRS 2011, 81770 Rn. 63).
(1) Die von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG geforderte materielle
Ausgewogenheit kann in der vorliegenden Konstellation nicht alleine durch den
Wegfall der unwirksamen Bestimmung über das Preisanpassungsrecht auch für
die Vergangenheit wiederhergestellt werden. Denn da die Parteien durch die
Vereinbarung der Preisanpassungsklausel nicht von einer dispositiven Norm
abgewichen sind, steht dispositives Gesetzesrecht im Sinne konkreter materiell-
rechtlicher Regelungen eines Preisanpassungsrechts nicht zur Verfügung. Zu
den gemäß § 306 Abs. 2 BGB im Falle einer unwirksamen Vertragsbestimmung
den Inhalt des Vertrages regelnden "gesetzlichen Vorschriften" des insoweit
maßgeblichen nationalen deutschen Rechts (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Juni
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2012 - Rs. C-618/10, aaO Rn. 72; ferner EuGH, Urteil vom 1. April 2004 - Rs.
C-237/02, NJW 2004, 1647 Rn. 21 - Freiburger Kommunalbauten) gehört aber
auch die ergänzende Vertragsauslegung (Senatsurteil vom 1. Februar 1984
- VIII ZR 54/83, BGHZ 90, 69, 75), die ebenfalls eine materielle Ausgewogen-
heit der Vertragsbeziehungen sicherstellt und es zugleich ermöglicht, grund-
sätzlich die Wirksamkeit des Vertrages in seiner Gesamtheit aufrechtzuerhalten
(vgl. EuGH, Urteil vom 15. März 2012 - Rs. C-453/10, aaO Rn. 31). Denn die
ergänzende Vertragsauslegung orientiert sich nicht nur an dem hypothetischen
Parteiwillen, sondern auch an dem objektiven Maßstab von Treu und Glauben
und führt zu einer die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigen-
den Regelung (Senatsurteil vom 14. März 2012 - VIII ZR 113/11, aaO mwN).
(2) Nach der vom Bundesverfassungsgericht gebilligten Rechtsprechung
des Senats (vgl. BVerfG, NJW 2011, 1339, 1341) findet die ergänzende Ver-
tragsauslegung nicht in jedem Fall einer unwirksamen Preisanpassungsklausel
in einem Energielieferungsvertrag, sondern nur in eng umgrenzten Ausnahme-
fällen Anwendung. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn sich die mit dem
Wegfall einer unwirksamen Klausel entstehende Lücke nicht durch dispositives
Gesetzesrecht füllen lässt und dies zu einem Ergebnis führt, das den beidersei-
tigen Interessen nicht mehr in vertretbarer Weise Rechnung trägt, sondern das
Vertragsgefüge völlig einseitig zugunsten des Kunden verschiebt (Senatsurteil
vom 14. Juli 2010 - VIII ZR 246/08, BGHZ 186, 180 Rn. 50 mwN). Diese Vor-
aussetzungen hat der Senat in einer Reihe von Fällen verneint, die dadurch
gekennzeichnet waren, dass das Energieversorgungsunternehmen es selbst in
der Hand hatte, einer nach Widerspruch oder Vorbehaltszahlung des Kunden
zukünftig drohenden unbefriedigenden Erlössituation durch Ausübung des ihm
vertraglich eingeräumten Kündigungsrechts in zumutbarer Weise zu begegnen
(vgl. Senatsurteil vom 14. März 2012 - VIII ZR 113/11, aaO Rn. 22 mwN).
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Der Senat nimmt jedoch - unter Berücksichtigung der weiteren Umstände
des Einzelfalls (vgl. BVerfG, aaO) - eine nicht mehr hinnehmbare Störung des
Vertragsgefüges dann an, wenn es sich um ein langjähriges Gasversorgungs-
verhältnis handelt, der betroffene Kunde den Preiserhöhungen und den darauf
basierenden Jahresabrechnungen über einen längeren Zeitraum nicht wider-
sprochen hat und nunmehr auch für länger zurück liegende Zeitabschnitte die
Unwirksamkeit der Preiserhöhungen geltend macht (vgl. Senatsurteil vom
14. März 2012 - VIII ZR 113/11, aaO Rn. 23). In diesen Fällen vermag die ver-
traglich vorgesehene, nur in die Zukunft wirkende Kündigungsmöglichkeit des
Energieversorgungsunternehmens die Regelungslücke im Vertrag nicht in einer
für beide Seiten zumutbaren Weise zu schließen (Senatsurteil vom 14. März
2012 - VIII ZR 113/11, aaO), so dass nur die ergänzende Vertragsauslegung zu
einer die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigenden Regelung
führt und das von der Richtlinie verfolgte Ziel gewährleistet, Ausgewogenheit
zwischen den Parteien herzustellen und dabei grundsätzlich die Wirksamkeit
des Vertrages in seiner Gesamtheit aufrechtzuerhalten (vgl. EuGH, Urteile vom
15. März 2012 - Rs. C-453/10, aaO Rn. 28, 31; vom 14. Juni 2012 - Rs. C-
618/10, aaO Rn. 40; jeweils mwN).
(3) Ohne die vom Senat vorgenommene ergänzende Vertragsauslegung
in derartig gelagerten Fällen könnte sich der Energieversorger - auch in Anse-
hung seiner verfassungsrechtlich geschützten Berufsfreiheit (vgl. BVerfG, aaO)
- darauf berufen, dass die Versorgung des Kunden zu dem Ausgangspreis für
ihn eine unzumutbare Härte darstelle, wenn der bei dem lange Zeit zurücklie-
genden Vertragsabschluss vereinbarte Preis seit vielen Jahren nicht mehr kos-
tendeckend ist. Dies hätte gemäß § 306 Abs. 3 BGB die Unwirksamkeit des
Liefervertrages zur Folge, so dass das Vertragsverhältnis für die Vergangenheit
nach Bereicherungsrecht rückabzuwickeln wäre. Hierbei wäre die materielle
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Ausgewogenheit der beiderseitigen Leistungen indes nicht in dem gleichen Ma-
ße sichergestellt wie bei der ergänzenden Vertragsauslegung.
c) In Anwendung vorstehender Grundsätze ergibt sich für den Streitfall
Folgendes:
Der Kläger kann der Berechnung des Rückforderungsanspruchs nicht
den im Jahre 1979 vereinbarten Ausgangspreis zugrunde legen und somit auch
nicht die Unwirksamkeit sämtlicher Preiserhöhungen seit Vertragsbeginn gel-
tend machen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Kläger
den Preiserhöhungen nicht widersprochen, sondern die Preiserhöhungen und
Jahresabrechnungen über die gesamte Vertragslaufzeit ohne Beanstandungen
hingenommen und damit der Beklagten keine Veranlassung gegeben, eine Be-
endigung des (Norm-)Sonderkundenverhältnisses - etwa mit dem Ziel eines
Übergangs in das Grundversorgungsverhältnis (vgl. dazu Senatsurteile vom
14. März 2012 - VIII ZR 113/11, aaO Rn. 37, und VIII ZR 93/11, aaO Rn. 32;
vom 9. Februar 2011 - VIII ZR 295/09, aaO Rn. 39; Senatsbeschluss vom
7. Juni 2011 - VIII ZR 333/10, juris Rn. 8; jeweils mwN) - in Erwägung zu zie-
hen. Soweit die Revisionserwiderung meint, dass die Beklagte bereits durch
Widersprüche anderer Kunden Veranlassung gehabt hätte, auch den mit dem
Kläger geschlossenen (Norm-)Sonderkundenvertrag zu kündigen, verkennt sie,
dass Anlass zur Kündigung des individuellen Gasliefervertrages für den Versor-
ger erst besteht, wenn er wegen eines Widerspruchs im konkreten Vertragsver-
hältnis Anlass hat, das bis dahin praktizierte Gleichgewicht von Leistung und
Gegenleistung in Frage gestellt zu sehen (Senatsurteile vom 14. März 2012
- VIII ZR 113/11, aaO Rn. 23, und VIII ZR 93/11, aaO Rn. 28).
Die Beklagte kann somit nicht an dem bei Vertragsschluss vereinbarten
Preis festgehalten werden. Welchen Arbeitspreis der Kläger seinem Rückforde-
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rungsanspruch zugrunde legen kann, hängt davon ab, wann dem Kläger die
einzelnen Jahresabrechnungen der Beklagten zugegangen sind und gegen
welche der darin enthaltenen Preiserhöhungen der jedenfalls in der Klageerhe-
bung liegende Widerspruch des Klägers noch rechtzeitig vor Ablauf von drei
Jahren erfolgt ist. Hierzu hat das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt
aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen.
4. Soweit dem Kläger in Anwendung der vorstehenden Grundsätze ein
Rückzahlungsanspruch zusteht, ist die Verpflichtung der Beklagten zur Heraus-
gabe der an sie gezahlten Erhöhungsbeträge nicht gemäß § 818 Abs. 3 BGB
ausgeschlossen. Denn sie trägt insoweit das Kalkulations- und das Kostenstei-
gerungsrisiko.
Die Frage, inwieweit der Bereicherungsschuldner Aufwendungen, die
ihm im Zusammenhang mit der Erlangung des Bereicherungsgegenstandes
entstanden sind, bereicherungsmindernd geltend machen kann, kann nicht für
alle Fälle einheitlich beantwortet werden (Senatsurteil vom 25. Oktober 1989
- VIII ZR 105/88, BGHZ 109, 139, 145). Es ist im Einzelfall zu prüfen, inwieweit
das (jeweilige) Entreicherungsrisiko gemäß § 818 Abs. 3 BGB der einen oder
der anderen Partei zuzuweisen ist (Senatsurteil vom 25. Oktober 1989 - VIII ZR
105/88, aaO; BGH, Urteile vom 6. Dezember 1991 - V ZR 311/89, BGHZ 116,
251, 256; vom 26. September 1995 - XI ZR 159/94, NJW 1995, 3315 unter
II 2 c; vom 11. Juni 2010 - V ZR 85/09, NJW 2010, 2873 Rn. 21). Im vorliegen-
den Fall trägt dieses Risiko der Energieversorger.
Das dispositive Recht geht grundsätzlich von einer bindenden Preisver-
einbarung der Parteien aus (Senatsurteile vom 16. Januar 1985 - VIII ZR
153/83, BGHZ 93, 252, 255; vom 12. Juli 1989 - VIII ZR 297/88, NJW 1990, 115
unter II 2 a; BGH, Urteil vom 19. November 2002 - X ZR 243/01, NJW 2003,
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507 unter II 2 a). Es ist die Sache des Verkäufers, wie er den Preis kalkuliert.
Dabei trägt er das Risiko einer auskömmlichen Kalkulation und auch das Risiko,
dass sich die verwendete Berechnungsgrundlage als unzutreffend erweist (vgl.
BGH, Urteile vom 10. September 2009 - VII ZR 82/08, BGHZ 182, 218 Rn. 25
mwN; vom 7. Juli 1998 - X ZR 17/97, BGHZ 139, 177, 180 f.; vom 20. Mai 1985
- VII ZR 198/84, BGHZ 94, 335, 339; MünchKommBGB/Finkenauer, BGB,
6. Aufl., § 313 Rn. 207 f.; Erman/Hohloch, BGB, 13. Aufl., § 313 BGB Rn. 68).
Zwar können die Parteien durch Preisanpassungsklauseln eine andere
Risikoverteilung vereinbaren. Ist die verwendete Preisanpassungsklausel je-
doch - wie hier - unwirksam, verbleiben das Kalkulations- und damit auch das
Kostensteigerungsrisiko beim Verkäufer, soweit die im Vertrag entstandene
Lücke nicht im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen ist
(vgl. Senatsurteil vom 25. Oktober 1989 - VIII ZR 105/88, aaO).
III.
Nach alledem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben, so-
weit das Berufungsgericht zum Nachteil der Beklagten erkannt hat. Es ist inso-
weit aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist, da der Rechtsstreit nicht
zur Endentscheidung reif ist, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da-
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mit die erforderlichen Feststellungen zum Zugang der Jahresabrechnungen ge-
troffen werden können (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Ball
Dr. Hessel
Dr. Achilles
Dr. Fetzer
Dr. Bünger
Vorinstanzen:
AG Euskirchen, Entscheidung vom 15.04.2011 - 17 C 1330/10 -
LG Bonn, Entscheidung vom 09.11.2011 - 5 S 111/11 -