Urteil des BGH vom 19.12.2001

BGH (zustellung, rechtliches gehör, öffentliche bekanntmachung, unterbrechung der verjährung, zpo, wiedereinsetzung in den vorigen stand, klageschrift, wiedereinsetzung, einspruch, aufenthalt)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 282/00
Verkündet am:
19. Dezember 2001
Kirchgeßner,
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
ZPO § 203
Die öffentliche Zustellung nach §§ 203 ff ZPO ist unwirksam, wenn die Vorausset-
zungen für eine öffentliche Bekanntmachung (§ 203 Abs. 1 ZPO) nicht vorgelegen
haben und das die öffentliche Zustellung bewilligende Gericht dies hätte erkennen
können (Abweichung von BGHZ 57, 108 und BGHZ 64, 5).
BGH, Urteil vom 19. Dezember 2001 - VIII ZR 282/00 - OLG Nürnberg
LG Nürnberg-Fürth
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 4. Juli 2001 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die Richter
Dr. Hübsch, Dr. Beyer, Ball und Dr. Frellesen
für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Nürnberg vom 26. September 2000 wird auf
seine Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger macht als Konkursverwalter an die Gemeinschuldnerin ab-
getretene Ansprüche aus einem Leasingvertrag über einen gebrauchten Pkw
der Marke BMW Typ 525i geltend. Er begehrt die Zahlung offener Leasingraten
für die Zeit von Juli 1993 bis Mai 1995 sowie des vereinbarten Restwertes und
aufgewendeter Schätzkosten abzüglich des aus der Verwertung des Leasing-
fahrzeugs erzielten Erlöses, insgesamt 21.899,95 DM.
In der am 12. Dezember 1997 bei Gericht eingegangenen Klageschrift
hat der Kläger deren öffentliche Zustellung mit der Begründung beantragt, der
Aufenthaltsort des Beklagten sei unbekannt. Zum Nachweis seiner ergebnislo-
sen Nachforschungen hat der Kläger Unterlagen aus den Jahren 1995 und
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1996 sowie den Bericht eines nicht näher bezeichneten "Hamburger Recher-
cheunternehmens" vom 19. November 1997 vorgelegt.
Das Landgericht hat mit Beschluß vom 22. Dezember 1997 die öffentli-
che Zustellung der Klage bewilligt und die Durchführung des schriftlichen Vor-
verfahrens angeordnet. Die öffentliche Bekanntmachung der Klage ist am
7. Januar 1998 erfolgt. Am 9. März 1998 ist gegen den Beklagten ohne mündli-
che Verhandlung Versäumnisurteil ergangen, das am 3. April 1998 ebenfalls
öffentlich zugestellt worden ist.
Der Beklagte hatte bereits seit dem 15. Februar 1996 in der L.
Straße 22 a in B. eine Wohnung gemietet, die er am 28. Februar 1996 beim
Landeseinwohnermeldeamt als Zweitwohnsitz gemeldet hatte. Dort erhielt er
Post verschiedener Absender. Am 4. August 1998 meldete er eine neue Woh-
nung in der H. straße in B. an. Unter dieser Anschrift erreichte ihn
Anfang Juni 1999 eine Zahlungsaufforderung der vom Kläger beauftragten In-
kassogesellschaft. Der Beklagte wandte sich an seinen Prozeßbevollmächtig-
ten. Diesem ging von der Gegenseite am 10. Juni 1999 eine Kopie der voll-
streckbaren Ausfertigung des Versäumnisurteils vom 9. März 1998 zu.
Der Beklagte hat, nachdem seinem Prozeßbevollmächtigten am 22. Juni
1999 auf dessen Antrag vom 15. Juni 1999 Akteneinsicht gewährt worden war,
am 6. Juli 1999 Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt und Wieder-
einsetzung gegen die Versäumung der Einspruchsfrist beantragt. In der Sache
hat der Beklagte die Klageforderung dem Grunde und der Höhe nach bestritten
und die Einrede der Verjährung erhoben.
Das Landgericht hat die Klageschrift daraufhin dem Beklagten am
14. Juli 1999 nochmals zugestellt. Durch Urteil vom 8. März 2000 hat das
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Landgericht das Versäumnisurteil vom 9. März 1998 aufgehoben und die Klage
wegen Verjährung abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers
hat keinen Erfolg gehabt. Mit seiner - zugelassenen - Revision begehrt der
Kläger weiterhin, den Einspruch des Beklagten als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise, das Versäumnisurteil vom 9. März 1998 aufrechtzuerhalten.
Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Kläger könne die Forderung
der Gemeinschuldnerin aus dem Leasingvertrag nicht mehr geltend machen,
weil die Forderung verjährt sei. Dieser Sachentscheidung stehe das vom Land-
gericht erlassene Versäumnisurteil vom 9. März 1998 nicht entgegen, da es
nicht wirksam zugestellt worden sei und infolgedessen die Einspruchsfrist ge-
gen dieses Versäumnisurteil nicht zu laufen begonnen habe. Der am 6. Juli
1999 eingegangene Einspruch des Beklagten sei deshalb noch rechtzeitig ge-
wesen, ohne daß es einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bedurft ha-
be.
Die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung des Versäumnisur-
teils vom 9. März 1998 nach § 203 Abs. 1 ZPO seien nicht gegeben gewesen,
weil der Beklagte an seinem gemeldeten Zweitwohnsitz in der L. Stra-
ße 22 a in B. postalisch zu erreichen gewesen sei. Davon abgesehen hät-
ten bei der Zustellung der Klageschrift und des Versäumnisurteils nicht die für
die Feststellung der Voraussetzungen des § 203 Abs. 1 ZPO erforderlichen
Nachweise vorgelegen. Dieser Mangel führe nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts dazu, daß die öffentliche Bekanntmachung die in
der vorgenannten Vorschrift enthaltene Zustellungsfiktion nicht auslösen kön-
ne, da andernfalls der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG)
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verletzt würde. Dies habe die Unwirksamkeit der öffentlichen Zustellung des
Versäumnisurteils zur Folge.
II. Die dagegen gerichtete Revision des Klägers hat keinen Erfolg.
Das Berufungsgericht hat zu Recht eine Sachentscheidung über die mit
dem Einspruch erhobenen Einwände des Beklagten getroffen. Einer Wieder-
einsetzung des Beklagten gegen die Versäumung der Einspruchsfrist bedurfte
es dazu nicht. Denn das am 3. April 1998 öffentlich zugestellte Versäumnisur-
teil vom 9. März 1998, gegen das der Beklagte erst am 6. Juli 1999 Einspruch
eingelegt hat, war nicht rechtskräftig geworden. Die öffentliche Zustellung des
Versäumnisurteils vermochte den Lauf der auf vier Wochen festgesetzten Ein-
spruchsfrist (§ 339 Abs. 2 ZPO) nicht in Gang zu setzen, weil die gesetzlichen
Voraussetzungen (§ 203 Abs. 1 ZPO) für eine öffentliche Zustellung des Ver-
säumnisurteils - für das die Zustellung bewilligende Gericht erkennbar - eben-
sowenig vorlagen wie für die zuvor erfolgte öffentliche Zustellung der Klage-
schrift.
Durch die gleichwohl erfolgte öffentliche Zustellung der Klageschrift, das
hierauf ergangene Versäumnisurteil und die wiederum öffentliche Zustellung
des Versäumnisurteils wurde der Beklagte in seinem Anspruch auf Gewährung
rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt. Der darin liegende Verfas-
sungsverstoß konnte nur durch eine von den Voraussetzungen der Wiederein-
setzung unabhängige Sachentscheidung über die mit dem Einspruch geltend
gemachte Rechtsverteidigung des Beklagten geheilt werden, so daß sich die
Klageabweisung wegen Verjährung als gerechtfertigt erweist.
1. Das Berufungsgericht hat zutreffend festgestellt, daß die Vorausset-
zungen für eine öffentliche Zustellung sowohl der Klageschrift als auch des
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Versäumnisurteils nicht vorlagen, weil der Aufenthalt des Beklagten nicht un-
bekannt war (§ 203 Abs. 1 ZPO).
a) Mit Recht geht das Berufungsgericht davon aus, daß der Aufenthalt
einer Partei, der ein Schriftstück zugestellt werden soll, nur dann unbekannt im
Sinne des § 203 Abs. 1 ZPO ist, wenn er nicht nur dem Gegner und dem Ge-
richt, sondern allgemein unbekannt ist (RGZ 59, 259, 265).
Diese Voraussetzung war nicht erfüllt. Denn der Beklagte war nach den
tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts zur Zeit der öffentlichen
Zustellung der Klageschrift und des Versäumnisurteils ordnungsgemäß mit ei-
ner Zweitwohnung in der L. Straße 22 a in B. gemeldet und dort
auch postalisch zu erreichen.
b) Ohne Erfolg rügt die Revision, das Berufungsgericht habe bei dieser
Feststellung wesentlichen Prozeßstoff außer Acht gelassen (§ 286 ZPO), ins-
besondere keine Erklärung dafür gegeben, wie der Kläger oder das Gericht
aufgrund der von den Parteien vorgelegten Nachweise eine Anschrift des Be-
klagten für die Zustellung der Klageschrift und des Versäumnisurteils hätten
ermitteln können.
aa) Die Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts sind nicht feh-
lerhaft getroffen worden. Sie beruhen auf dem durch Nachweise belegten und
vom Kläger auch nicht bestrittenen Vorbringen des Beklagten über dessen
ordnungsgemäße Anmeldung seiner Zweitwohnung in der L. Stra-
ße 22 a in B. und den Empfang verschiedener Postsendungen unter dieser
Anschrift. Sowohl der Kläger als auch das Landgericht, das die Klage von Amts
wegen zuzustellen hatte (§ 270 Abs. 1 ZPO), hätten aufgrund der Mitteilung
des Einwohnermeldeamts W. vom 21. November 1996 über die Ne-
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benwohnung des Beklagten in der L. Straße in B. - unbeschadet der
falsch mitgeteilten Hausnummer (22 statt 22 a) - die zutreffende Anschrift des
Beklagten ohne weiteres durch Nachfrage beim Landeseinwohnermeldeamt in
B. in Erfahrung bringen können, so daß eine andere als die öffentliche Zu-
stellung der Klageschrift ohne größeren Aufwand möglich war. Die gebotene
Nachfrage beim Landeseinwohnermeldeamt in B. wurde jedoch versäumt.
bb) Unabhängig davon durfte sich das Landgericht, wie es später selbst
erkannt und im erstinstanzlichen Urteil zutreffend ausgeführt hat, für die An-
ordnung der öffentlichen Zustellung nicht mit den vom Kläger vorgelegten Un-
terlagen begnügen. Denn die darin dokumentierten Nachforschungen des Klä-
gers lagen, soweit sie zu amtlichen Auskünften geführt hatten, bei der Einrei-
chung der Klage bereits mehr als ein Jahr zurück und taugten schon deshalb
nicht mehr als zeitnaher Nachweis für einen unbekannten Aufenthalt des Be-
klagten. Aktuell war nur die Kopie eines nicht unterzeichneten Berichts eines
vom Kläger nicht näher bezeichneten "Hamburger Rechercheunternehmens"
vom 19. November 1997, der als anonymer Bericht jedenfalls nicht ausreichen
konnte, um den Aufenthalt des Beklagten als unbekannt festzustellen und eine
öffentliche Zustellung der Klage zu rechtfertigen.
2. Ohne Erfolg wendet sich die Revision auch gegen die aus dem Be-
schluß des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Oktober 1987 (1 BvR 198/87,
NJW 1988, 2361) hergeleitete Auffassung des Berufungsgerichts, daß die un-
ter Verstoß gegen § 203 Abs. 1 ZPO angeordnete öffentliche Bekanntmachung
sowohl der Klageschrift als auch des Versäumnisurteils nicht die in dieser
Norm geregelte Zustellungsfiktion auslösen konnte, weil der Beklagte ande-
renfalls durch das dann rechtskräftige Versäumnisurteil in seinem Anspruch auf
rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt würde.
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Soweit die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur un-
eingeschränkten Wirksamkeit öffentlicher Zustellungen, deren Voraussetzun-
gen (§ 203 Abs. 1 ZPO) nicht vorliegen, dem Beschluß des Bundesverfas-
sungsgerichts entgegensteht, kann an ihr nicht festgehalten werden.
a) Im Anschluß an die Rechtsprechung des Reichsgerichts (RGZ 59,
259, 263) entspricht es bislang ständiger Rechtsprechung des Bundesge-
richtshofes, daß eine öffentliche Zustellung, bei der das in §§ 203 ff ZPO vor-
geschriebene Verfahren eingehalten ist, nicht deshalb unwirksam ist, weil die
vom Gericht angenommenen Voraussetzungen der Bewilligung in Wirklichkeit
nicht gegeben waren. Denn die Bewilligung der öffentlichen Zustellung sei eine
gerichtliche Entscheidung, und gerichtliche Entscheidungen seien als Staats-
hoheitsakte grundsätzlich so lange wirksam, bis sie auf ein Rechtsmittel der
Beteiligten hin aufgehoben würden. Gegen die Bewilligung der öffentlichen Zu-
stellung gebe es jedoch keinen Rechtsbehelf (BGHZ 57, 108, 110; BGHZ 64, 5,
8). Zudem erfordere es die Rechtssicherheit, daß die Wirksamkeit einer öffent-
lichen Zustellung nicht noch nach Jahren mit dem Versuch des Nachweises in
Frage gestellt werden könne, daß ihre Voraussetzungen nicht vorgelegen hät-
ten (BGHZ 64, 5, 8). Dem Zustellungsadressaten stehe es offen, die durch eine
erschlichene öffentliche Zustellung erlangte Rechtsposition mit dem Einwand
der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) zu bekämpfen (BGHZ 57, 108,
111; BGHZ 64, 5, 10). Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung kommt bei
einem erschlichenen Titel darüber hinaus ein Schadensersatzanspruch aus
§ 826 BGB in Betracht (vgl. BGHZ 26, 391, 396).
b) Das Bundesverfassungsgericht hat demgegenüber entschieden, daß
eine öffentliche Bekanntmachung im Zivilprozeß zuzustellender Schriftstücke
die in § 203 Abs. 1 ZPO geregelte Zustellungsfiktion nicht auslösen könne,
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wenn die Voraussetzung dieser Norm, ein unbekannter Aufenthalt der Partei,
nicht vorliege. Die Zustellungsfiktion der öffentlichen Bekanntmachung sei im
Hinblick auf die Anforderungen des Art. 103 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich
nur zu rechtfertigen, wenn eine andere Art der Zustellung aus sachlichen
Gründen nicht oder nur schwer durchführbar sei, sei es wegen des unbekann-
ten Aufenthalts des Zustellungsempfängers, sei es wegen der Vielzahl oder der
Unüberschaubarkeit des Kreises der Betroffenen. Die Anforderungen des
Art. 103 Abs. 1 GG würden zumindest dann nicht gewahrt, wenn eine öffentli-
che Bekanntmachung erfolge, obwohl eine andere Form der Zustellung ohne
weiteres möglich gewesen wäre. Um dem Anspruch aus Art. 103 Abs. 1 GG
Rechnung zu tragen, müsse (späteres) Verteidigungsvorbringen - auf welche
Weise auch immer - einer gerichtlichen Entscheidung zugeführt werden
(BVerfG, aaO).
c) Ob die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Wirk-
samkeit einer nach § 203 Abs. 1 ZPO unzulässigen öffentlichen Zustellung im
Hinblick auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts aufrechterhalten
werden kann, ist bereits vom II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs bezweifelt
worden (BGHZ 118, 45, 47; kritisch dazu MünchKomm-Wenzel, ZPO, 2. Aufl.,
2000, § 203 Rdnr. 3), wurde aber von ihm nicht abschließend entschieden, weil
dem Anspruch des Adressaten auf rechtliches Gehör durch Gewährung von
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte Einspruchsfrist
Rechnung getragen werden konnte (BGHZ 118, 45, 47; ebenfalls offengelas-
sen in BGH, Urteil vom 3. November 1993 - XII ZR 135/92, NJW 1994, 589
unter III 4b, sowie BGH, Beschluß vom 12. März 2001 - AnwZ (B) 22/00, nicht
veröffentlicht).
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Im Streitfall kann dagegen die Frage, ob die unter Verstoß gegen § 203
Abs. 1 ZPO angeordnete öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils vom
9. März 1998 wirkungslos war mit der Folge, daß es bereits an einer fristauslö-
senden Zustellung des Versäumnisurteils fehlte, nicht offenbleiben. Denn Wie-
dereinsetzung gegen die Versäumung der Einspruchsfrist konnte dem Beklag-
ten, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, nicht gewährt werden.
Wiedereinsetzung kann nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der
versäumten Frist an gerechnet, nicht mehr beantragt werden (§ 234 Abs. 3
ZPO). Diese Ausschlußfrist war im Streitfall bereits abgelaufen, als der Be-
klagte Kenntnis von der öffentlichen Zustellung des Versäumnisurteils erlangte,
Einspruch einlegte und Wiedereinsetzung beantragte. Zwar könnte erwogen
werden, die einjährige Ausschlußfrist dann nicht anzuwenden, wenn durch eine
unzulässige öffentliche Zustellung der verfassungsrechtliche Anspruch auf
rechtliches Gehör verletzt wurde (zur Nichtanwendung dieser Frist, wenn nach
einem rechtzeitig gestellten Antrag Prozeßkostenhilfe für ein befristetes
Rechtsmittel erst nach Ablauf der Jahresfrist bewilligt wurde, vgl. BGH, Be-
schluß vom 12. Juni 1973 - VI ZR 121/73, NJW 1973, 1373). Dies würde aber
an einer abschlägigen Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag des
Beklagten nichts ändern. Das Berufungsgericht hat zutreffend festgestellt, daß
auch die zweiwöchige Antragsfrist nach § 234 Abs. 1 und 2 ZPO bereits abge-
laufen war, als der Beklagte Wiedereinsetzung beantragte.
Bei Versäumung eines Einspruchs infolge unverschuldeter Unkenntnis
von der öffentlichen Zustellung eines Versäumnisurteils beginnt die Antragsfrist
für eine Wiedereinsetzung (§ 234 Abs.1 und 2 ZPO) bereits mit dem Wegfall
des Hindernisses - der Unkenntnis von der öffentlichen Zustellung - und nicht
erst mit der Akteneinsicht, durch die weitere Einzelheiten über die der öffentli-
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chen Zustellung zugrunde liegenden Umstände in Erfahrung gebracht werden
sollen (BGH, Urteil vom 15. März 1977 - VI ZR 104/76, VersR 1977, 643).
Kenntnis von der öffentlichen Zustellung hatte der Prozeßbevollmächtigte des
Beklagten nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts
bereits am 10. Juni 1999 erlangt, als ihm eine Kopie der vollstreckbaren Aus-
fertigung des Versäumnisurteils zuging, spätestens aber am 15. Juni 1999, als
der Prozeßbevollmächtigte in seinem Antrag auf Akteneinsicht selbst die öf-
fentliche Zustellung ausdrücklich ansprach und dennoch einen Antrag auf
Wiedereinsetzung (noch) nicht stellte. In jedem Fall war der erst am 6. Juli
1999 eingegangene Wiedereinsetzungsantrag - gemessen an § 234 Abs. 1
und 2 ZPO - verspätet. Dies wird auch von der Revision nicht in Frage gestellt.
d) Grundlage für die Beantwortung der Frage nach den Auswirkungen
des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts auf die bisherige Rechtspre-
chung des Bundesgerichtshofes zur Wirksamkeit unzulässiger öffentlicher Zu-
stellungen im Zivilprozeß ist der grundrechtliche Anspruch der Partei auf Ge-
währung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Im Hinblick auf diese Ver-
fassungsgarantie ist es bei einem (wegen unzulässiger öffentlicher Zustellung
der Anspruchsbegründung) unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ergange-
nen Versäumnisurteil, das seinerseits wiederum unter Verstoß gegen § 203
Abs. 1 ZPO öffentlich zugestellt worden ist, "jedenfalls geboten (...), den vor
Erlaß dieses Urteils geschehenen Gehörsverstoß durch eine Sachentschei-
dung über die mit dem Einspruch erhobenen Einwendungen zu heilen"
(BVerfG, aaO).
e) Die in der Diskussion über den Beschluß des Bundesverfassungsge-
richts vertretene Auffassung, an der Wirksamkeit unzulässig bewilligter Zu-
stellungen müsse im Interesse der Rechtssicherheit festgehalten werden und
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eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 103 Abs. 1 GG sei zivilprozessual
nur im Verfahren über eine Wiedereinsetzung - unter den dafür bestehenden
Voraussetzungen - zu beseitigen (MünchKomm-Wenzel, ZPO, 2. Aufl., § 203
Rdnr. 3; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 21. Aufl., § 204 Rdnr. 7), vermag der Senat
nicht zu teilen. Sie findet auch im Beschluß des Bundesverfassungsgerichts
keine Stütze. Die Entscheidung enthält keinen Hinweis darauf, daß es eines
Antrags auf Wiedereinsetzung bedurft hätte, um das unter Verstoß gegen
Art. 103 Abs. 1 GG ergangene und unter Verstoß gegen § 203 ZPO öffentlich
zugestellte Versäumnisurteil zu beseitigen und zu einer Sachentscheidung zu
gelangen.
Die Unbedingtheit des vom Bundesverfassungsgericht formulierten Ge-
bots einer Sachentscheidung verbietet eine Einschränkung dahin, daß es in
einem solchen Fall zu einer Sachentscheidung nur unter den engen Voraus-
setzungen der Wiedereinsetzung kommen solle. Zwar dient auch das Wieder-
einsetzungsverfahren - bei unverschuldeter Fristversäumung - der Verwirkli-
chung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (BVerfGE 67, 208, 212). Dieses
Verfahren bietet aber - wie am Streitfall besonders deutlich wird - aufgrund der
restriktiven Voraussetzungen, unter denen Wiedereinsetzung nur gewährt wer-
den kann, keine hinreichende Gewähr dafür, Verletzungen des Anspruchs auf
rechtliches Gehör aufgrund unzulässig bewilligter öffentlicher Zustellungen ge-
rade in besonders schwerwiegenden Fällen zu heilen.
Bei öffentlichen Zustellungen ist die Wahrscheinlichkeit, daß der Zu-
stellungsadressat von der öffentlichen Zustellung tatsächlich Kenntnis erlangt,
gering. Deshalb ist hier die Gefahr, daß die betroffene Partei - wie im Streitfall -
erst nach Ablauf der gesetzlichen Ausschlußfrist des § 234 Abs. 3 ZPO Kennt-
nis von dem Verfahren (öffentliche Zustellung der Klageschrift) und der gegen
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sie ergangenen Entscheidung (öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils)
erlangt, besonders groß. Es würde den verfassungsrechtlichen Anforderungen
nicht gerecht, wenn eine Sachentscheidung in solchen Fällen, in denen der
Grundrechtsverstoß besonders gravierend ist, von vornherein am Ablauf der
für eine Wiedereinsetzung geltenden Ausschlußfrist des § 234 Abs. 3 ZPO,
gegen die das Bundesverfassungsgericht keine verfassungsrechtlichen Be-
denken erhoben hat (Beschluß vom 18.Dezember 1972 - 2 BvR 756/71, nicht
veröffentlicht), scheiterte.
Selbst wenn mit den oben unter c) dargelegten Erwägungen eine
Nichtanwendung der gesetzlichen Ausschlußfrist in Fällen der vorliegenden Art
aus verfassungsrechtlichen Gründen zu rechtfertigen wäre, bietet das Wieder-
einsetzungsverfahren bei unzulässiger öffentlicher Zustellung eines Versäum-
nisurteils wegen seiner weiteren Voraussetzungen, unter denen Wiedereinset-
zung nur gewährt werden kann, keine ausreichende Möglichkeit, um zu der
vom Bundesverfassungsgericht geforderten Sachentscheidung über die mit
dem Einspruch erhobenen Einwendungen zu gelangen.
Das Wiedereinsetzungsverfahren dient der Folgenbeseitigung unver-
schuldeter Fristversäumungen innerhalb eines als ordnungsgemäß vorausge-
setzten Verfahrens. Durch die Versagung von Wiedereinsetzung soll eine
Nachlässigkeit in der Prozeßführung bei fristwahrenden Prozeßhandlungen
"bestraft" werden (MünchKomm-Feiber, ZPO, 2. Aufl., § 230 Rdn. 2). Darin liegt
der Grund sowohl für das Erfordernis fehlenden Verschuldens bei der Fristver-
säumung (§ 233 ZPO) als auch für die zweiwöchige Antragsfrist (§ 234 Abs. 1
und 2 ZPO). Diese starre Frist ist zu knapp bemessen, um bei einer - wie hier
nur geringen - Überschreitung die Sanktion zu rechtfertigen, daß eine Verlet-
zung des rechtlichen Gehörs durch die unzulässige öffentliche Zustellung ei-
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nes Versäumnisurteils aufrechterhalten bleibt und nicht mehr geheilt werden
kann.
Die Bestimmungen über das Wiedereinsetzungsverfahren gehen davon
aus und setzen voraus, daß das gerichtliche Verfahren, innerhalb dessen eine
Frist im Sinne des § 233 ZPO von einer Partei (unverschuldet) versäumt wur-
de, prozeßordnungsgemäß - erst recht verfassungsgemäß - war. Daran fehlt es
hier. Die Fristversäumung bezüglich des Einspruchs gegen ein unzulässiger-
weise öffentlich zugestelltes Versäumnisurteil beruht weder auf einer nachläs-
sigen Prozeßführung der Partei noch auf sonstigen Umständen, die außerhalb
des Gerichtsverfahrens liegen. Die entscheidende Ursache der Fristversäu-
mung liegt vielmehr in der Fehlerhaftigkeit des Gerichtsverfahrens selbst, die
dazu geführt hat, daß der Zustellungsadressat keine Kenntnis von dem Ver-
säumnisurteil erlangte und folglich auch keinen Einspruch dagegen einlegen
konnte. Auf eine solche Fallgestaltung, in der die Fristversäumung auf einer
Verletzung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör be-
ruht, ist das Wiedereinsetzungsverfahren mit seinen engen Voraussetzungen
nicht zugeschnitten.
f) Der Senat hält deshalb die vom II. Zivilsenat geäußerten Zweifel, ob
die bisherige Rechtsprechung zur Wirksamkeit unzulässiger öffentlicher Zu-
stellungen aufrechterhalten werden kann, für durchgreifend und ist in Überein-
stimmung mit den Vorinstanzen der Auffassung, daß dem Gebot des Bundes-
verfassungsgerichts, in der Sache über das Vorbringen der Partei, die in ihrem
Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt wurde, zu entscheiden,
zivilprozessual dadurch Rechnung zu tragen ist, daß die unzulässig bewilligte
öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils keine Einspruchsfrist in Lauf setzt,
in dieser Hinsicht also unwirksam - "wirkungslos" - ist. Dies gilt jedenfalls dann,
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wenn die Anordnung der öffentlichen Zustellung - wie in der vom Bundesver-
fassungsgericht beurteilten Fallgestaltung - auf einem Fehler des Gerichts be-
ruht, die Voraussetzungen des § 203 Abs. 1 ZPO also für das Gericht erkenn-
bar nicht vorliegen. Soweit diese vom Senat bei erkennbar unzulässigen öf-
fentlichen Zustellungen nunmehr vertretene Rechtsauffassung der bisherigen
Rechtsprechung des IV. Zivilsenats (BGHZ 64, 5, 8) entgegensteht, hält dieser,
wie er auf Anfrage mitgeteilt hat, an seiner Rechtsauffassung mit Rücksicht auf
das Gebot rechtlichen Gehörs nicht fest.
Für den somit noch zulässigen Einspruch bedarf es keiner Wiederein-
setzung. Durch ihn wird der Weg zu der vom Bundesverfassungsgericht gefor-
derten Sachentscheidung eröffnet (§ 342 ZPO). Dies steht im Einklang mit der
Formulierung des Bundesverfassungsgerichts, daß die unter Verstoß gegen
§ 203 Abs. 1 ZPO bewilligte öffentliche Zustellung die in dieser Norm geregelte
Zustellungsfiktion nicht auslösen könne (BVerfG, aaO), und auch mit der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesfinanzhofs.
Beide Gerichte haben für Zustellungen im Verwaltungsverfahren unter Bezug-
nahme auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts ebenfalls entschie-
den, daß öffentliche Zustellungen nach § 15 VerwZG unwirksam sind, wenn die
- § 203 Abs. 1 ZPO weitgehend entsprechenden - Voraussetzungen dafür nicht
vorliegen, insbesondere die Behörde ihre Ermittlungspflicht über den Aufent-
halt des Empfängers verletzt hat (BVerwGE 104, 301; BFHE 192, 200).
g) Ebenso wie bereits das Bundesverfassungsgericht offengelassen hat,
ob jeder Zustellungsmangel zur Verfehlung des verfassungsrechtlich gebote-
nen Zwecks der Zustellung - Verwirklichung des Anspruchs auf Gewährung
rechtlichen Gehörs - führt, kann hier offenbleiben, ob eine unter Verstoß gegen
§ 203 Abs. 1 ZPO angeordnete und durchgeführte öffentliche Zustellung nur
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dann wirkungslos ist, wenn das Fehlen der Voraussetzungen des § 203 Abs. 1
ZPO für das die Zustellung anordnende Gericht erkennbar war (BayObLGZ
2000, 14 = NJW-RR 2000, 1452; OLG Köln, NJW-RR 1993, 446; OLG Hamm,
NJW-RR 1998, 497; OLG Bremen, OLG-Report 1998, 171; zustimmend Fi-
scher, ZZP 107 (1994), 163, 175; Musielak/Wolst, ZPO, 2. Aufl., § 203 Rdnr. 4;
ablehnend MünchKomm-Wenzel, ZPO, 2. Aufl., § 203 Rdnr. 3), oder hiervon
unabhängig immer dann, wenn die Voraussetzungen des § 203 Abs. 1 ZPO
objektiv nicht vorlagen (OLG Zweibrücken, OLG-Report, 2001, 389). Denn im
Streitfall geht es - ebenso wie in der dem Beschluß des Bundesverfassungsge-
richts zugrundeliegenden Fallgestaltung - um eine unzulässige öffentliche Zu-
stellung, die bei sorgfältiger Prüfung der vom Kläger vorgelegten Unterlagen
nicht hätte angeordnet werden dürfen, deren Fehlerhaftigkeit also für das Ge-
richt selbst von vornherein erkennbar war.
h) Der Senat verkennt nicht, daß die Rechtssicherheit, der im Rahmen
des Rechtsstaatsprinzips ebenfalls Verfassungsrang zukommt, in gewissem
Umfang zurückgedrängt wird, wenn sich der Empfänger einer erkennbar unzu-
lässig bewilligten öffentlichen Zustellung auf deren Unwirksamkeit berufen
kann, ohne Wiedereinsetzung beantragen und die in § 234 ZPO geregelten
Fristen einhalten zu müssen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsge-
richts zugunsten des Grundrechts auf rechtliches Gehör ist aber für den Zivil-
prozeß verbindlich. Dies hindert allerdings nicht, einer rechtsmißbräuchlichen
Berufung auf die Unwirksamkeit einer öffentlichen Zustellung im Einzelfall ent-
gegenzuwirken. Jede Rechtsausübung - auch im Zivilprozeß - unterliegt dem
Mißbrauchsverbot. Auch der Einspruch gegen ein Versäumnisurteil kann ver-
wirkt sein. Anlaß zur Prüfung der Zulässigkeit eines Einspruchs unter diesem
Gesichtspunkt kann etwa dann bestehen, wenn der Zustellungsadressat mit
dem Einspruch - ohne sachlichen Grund - bewußt zuwartet und dadurch den
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Eindruck erweckt, er wolle sich gegen das Versäumnisurteil nicht zur Wehr
setzen.
3. In der Sache haben die Vorinstanzen zu Recht das Versäumnisurteil
vom 9. März 1998 aufgehoben und die Klage aufgrund der vom Beklagten mit
seinem Einspruch erhobenen Einrede wegen Verjährung abgewiesen.
a) Die den überwiegenden Teil der Klageforderung bildenden Ansprüche
auf Zahlung rückständiger Leasingraten aus den Jahren 1993 und 1994 waren
bereits mit Ablauf der Jahre 1995 bzw. 1996 verjährt (§§ 196 Abs. 1 Nr. 6, 201
BGB), so daß bei Einreichung der Klageschrift im Dezember 1997 die Verjäh-
rung dieser Ansprüche nicht mehr nach § 209 BGB unterbrochen werden
konnte. Auf die Wirksamkeit der öffentlichen Zustellung der Klageschrift kommt
es insoweit nicht an. Dagegen bringt die Revision auch nichts vor.
b) Aber auch die erst im Jahr 1995 fällig gewordenen Ansprüche sind
verjährt. Insoweit ist die Verjährung durch die am 7. Januar 1998 erfolgte öf-
fentliche Bekanntmachung der Klageschrift nicht unterbrochen worden, weil die
öffentliche Zustellung der Klageschrift aus den gleichen Gründen wirkungslos
war wie die spätere öffentliche Zustellung des Versäumnisurteils. Die erst am
14. Juli 1999 erfolgte wirksame Zustellung der Klageschrift konnte die Verjäh-
rung nicht mehr unterbrechen, weil diese Zustellung nicht mehr "demnächst"
erfolgte (§ 270 Abs. 3 ZPO).
aa) Die Zustellung der die Anspruchsbegründung enthaltenden Klage-
schrift dient, wie die Zustellung einer gerichtlichen Entscheidung, ebenfalls der
Verwirklichung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Der be-
klagten Partei soll dadurch Gelegenheit gegeben werden, sich zu dem der ge-
richtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt - wie es Art. 103
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Abs. 1 GG grundsätzlich fordert - bereits vor deren Erlaß zu äußern (BVerfG,
aaO). Diese Äußerungsmöglichkeit hatte der Beklagte im Streitfall nicht. Für
die öffentliche Bekanntmachung der Klageschrift gilt deshalb das gleiche wie
für die öffentliche Bekanntmachung des Versäumnisurteils. Sie konnte die in
§ 203 Abs. 1 ZPO geregelte Zustellungsfiktion nicht auslösen, weil der Aufent-
halt des Beklagten - für das die öffentliche Zustellung anordnende Gericht er-
kennbar - nicht unbekannt war. Damit ist im Streitfall auch die unzulässige öf-
fentliche Zustellung der Klageschrift wirkungslos.
bb) Allerdings erschöpfen sich Funktion und Wirkungen der Zustellung
einer Klageschrift nicht in der Verwirklichung des Anspruchs auf rechtliches
Gehör. Die durch eine wirksame Zustellung der Klageschrift erfolgende Klage-
erhebung hat prozessuale und materiell-rechtliche Wirkungen, die mit der
Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs nicht im Zusammenhang stehen,
nämlich die Rechtshängigkeit der Streitsache (§ 261 ZPO) und insbesondere
die Unterbrechung der Verjährung (§ 209 BGB). Im Hinblick auf die Unterbre-
chung der Verjährung dient die Zustellung der Klageschrift auch nicht dem
Schutz des beklagten Schuldners, sondern dem Interesse des klagenden
Gläubigers an einer weiteren Durchsetzbarkeit seines Anspruchs.
Berechtigte Interessen des klagenden Gläubigers erfordern es jedoch
nicht, einer erkennbar unzulässigen öffentlichen Zustellung der Klageschrift
verjährungsunterbrechende Wirkung beizulegen. Es obliegt dem Gläubiger, die
Voraussetzungen für eine wirksame Zustellung der Klageschrift zu schaffen,
d.h. die ("ladungsfähige") Anschrift des Beklagten beizubringen (§§ 253 Abs. 4
in Verbindung mit 130 Nr. 1 ZPO) oder - für eine öffentliche Zustellung (§ 203
Abs. 1 ZPO) - den unbekannten Aufenthalt des Beklagten zu belegen (BGHZ
102, 332, 335). Daß die Klageschrift von Amts wegen zuzustellen ist (§ 270
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Abs. 1 ZPO), ändert daran nichts und bedeutet insbesondere nicht, daß das
Gericht von sich aus die Anschrift des Beklagten zu ermitteln oder Nachfor-
schungen nach dessen Aufenthalt anzustellen hätte. Die Zustellung von Amts
wegen entbindet die Partei nicht von der eigenen Darlegungslast; allenfalls
solche Ermittlungen sind bei der Amtszustellung von Amts wegen geboten, die
dem Kläger nicht möglich oder nicht zuzumuten sind (MünchKomm-Wenzel,
ZPO, 2. Aufl., 2000, § 203 Rdnr. 8).
Aus diesem Grunde liegt es auch hinsichtlich der Unterbrechung der
Verjährung (§ 209 BGB) im Risikobereich des Klägers, wenn er nicht oder nicht
rechtzeitig in einer den Anforderungen des § 203 Abs. 1 ZPO entsprechenden
Weise hinreichend darlegt, daß der Aufenthalt des Beklagten unbekannt ist,
wenn sein Vorbringen also die Anordnung der öffentlichen Zustellung der Kla-
geschrift nicht rechtfertigt und sich später herausstellt, daß der Aufenthalt des
Beklagten tatsächlich nicht unbekannt war. Wenn das Risiko, daß die ange-
strebte Unterbrechung der Verjährung scheitern könnte, den Kläger veranlaßt,
eine öffentliche Zustellung der Klageschrift nicht voreilig, sondern vernünfti-
gerweise nur nach umfassenden und sorgfältigen Ermittlungen zu beantragen,
so trägt dies gerade dem Wesen der öffentlichen Zustellung als einer Zustel-
lungsfiktion Rechnung, von der wegen des verfassungsmäßigen Rechts des
Zustellungsadressaten aus Art. 103 Abs. 1 GG nur äußerst zurückhaltend Ge-
brauch zu machen ist.
Auch im Streitfall wird der Kläger dadurch, daß die unzulässige öffentli-
che Zustellung der Klageschrift keine verjährungsunterbrechende Wirkung
entfaltet, nicht in einem schutzwürdigen Vertrauen auf die Wirksamkeit der öf-
fentlichen Zustellung verletzt. Denn daß die von ihm vorgelegten Unterlagen
nicht ausreichen konnten, die öffentliche Zustellung der Klageschrift zu recht-
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fertigen, war für den Kläger bei Einreichung der Klage ebenso erkennbar wie
für das Gericht, das die öffentliche Zustellung auf dieser unzureichenden
Grundlage fehlerhaft angeordnet hat.
c) Die Verjährung ist auch nicht gehemmt. Beruht die Unwirksamkeit ei-
ner Zustellung auf unrichtiger Sachbehandlung durch das Gericht und ist die
Unwirksamkeit für den Gläubiger nicht erkennbar, kommt zwar eine Hemmung
der Verjährung wegen höherer Gewalt in Betracht (§ 203 Abs. 2 BGB; BGH,
Urteil vom 29. Juni 1989 - III ZR 92/87, NJW 1990, 176 unter I 2 a
m.w.Nachw.). Eine Hemmung aus diesem Gesichtspunkt scheidet im Streitfall
aber aus. Sie greift nur ein, wenn die verjährungsunterbrechende Wirkung ei-
ner Zustellung infolge eines - für den Gläubiger unabwendbaren - gerichtlichen
Fehlers nicht eintritt (BGH, aaO). Hier aber lag es nicht außerhalb des Einfluß-
bereichs des Klägers, daß die öffentliche Zustellung der Klageschrift nicht zu
einer Unterbrechung der Verjährung (§ 209 BGB) führte. Vielmehr hat der Klä-
ger die Wirkungslosigkeit der öffentlichen Zustellung der Klageschrift selbst mit
zu verantworten; er hat - wie dargelegt - die öffentliche Zustellung der Klage-
schrift beantragt, ohne aussagekräftig darzulegen, daß der Aufenthalt des Be-
klagten unbekannt war. Damit war auch für ihn erkennbar, daß die öffentliche
Zustellung der Klageschrift nach § 203 Abs. 1 ZPO unzulässig war.
Dr. Deppert
Dr. Hübsch
Dr. Beyer
Ball
Dr. Frellesen