Urteil des BGH vom 27.04.2004
BGH (wirkung, tatsächliche sachherrschaft, besitz, stpo, ordnungswidrigkeit, tatidentität, oldenburg, konsum, sache, transport)
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 466/03
vom
27. April 2004
in der Bußgeldsache
gegen
wegen  Führens eines Kraftfahrzeuges unter der Wirkung von berauschenden
Mitteln
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs als Senat für Bußgeldsachen hat auf
Vorlagebeschluß des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 29. September 2003 –
2 Ss 356/2003 – am 27. April 2004 beschlossen:
Zwischen  dem  unerlaubten  Besitz  von  Betäubungsmitteln  (§  29
Abs.  1  Satz  1  Nr.  3  BtMG)  und  der  zeitgleich  begangenen  Ord-
nungswidrigkeit des Führens eines Kraftfahrzeuges unter der Wir-
kung von berauschenden Mitteln (§ 24a Abs. 2 StVG) besteht ver-
fahrensrechtlich  keine  Tatidentität  im  Sinne  des  §  264  StPO,
wenn das Mitsichführen der Betäubungsmittel im Kraftfahrzeug in
keinem inneren Beziehungs- bzw. Bedingungszusammenhang mit
dem Fahrvorgang steht.
Gründe:
I.
1.  Gegenstand  der  Vorlegungsfrage  ist  die  Tatidentität  zwischen  dem
Führen  eines  Kraftfahrzeuges  unter  der  Wirkung  von  berauschenden  Mitteln
und gleichzeitigem unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln.
Als der Betroffene im Mai 2002 einen Pkw führte, wurde er von der Poli-
zei  kontrolliert. Er stand unter der Wirkung des berauschenden Mittels Kokain
bzw. kokainhaltiger Präparate und führte Kokain bei sich.
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Am  30.  September  2002  erging  gegen  ihn  ein  Strafbefehl  wegen  uner-
laubten  Besitzes  von Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BtMG), der
rechtskräftig  wurde.  Am  3.  April  2003  verurteilte  ihn  das  Amtsgericht  Ulm  we-
gen  des  fahrlässigen  Fahrens  unter  der  Wirkung  von  berauschenden  Mitteln
(§ 24a Abs. 2 StVG) zu einer Geldbuße. Gegen dieses Urteil legte der Betrof-
fene  Rechtsbeschwerde  ein,  mit  der  er  geltend  machte,  die  Strafklage  sei
durch  den  rechtskräftigen  Strafbefehl  wegen  des  Betäubungsmitteldelikts  ver-
braucht.
2.  Das  Oberlandesgericht  Stuttgart  beabsichtigt, die Rechtsbeschwerde
als  unbegründet  zu  verwerfen,  sieht  sich  aber  daran  durch  den  Beschluß  des
Oberlandesgerichts  Oldenburg  vom  14.  August  2001  -  Ss  196/01,  StV  2002,
240,  241  gehindert.  In  dem  vom  Oberlandesgericht  Oldenburg  entschiedenen
Fall war ein Betroffener als Führer eines Personenkraftwagens einer Verkehrs-
kontrolle  unterzogen  worden.  Eine  Blutprobe  ergab  den  Nachweis,  daß  er  im
Zeitpunkt der Fahrt unter dem Einfluß von Cannabioiden stand; bei der Durch-
suchung seines Kraftfahrzeuges wurden zudem in einer Reisetasche im Koffer-
raum  ca.  3,5  Gramm  Haschisch  aufgefunden.  Das  strafrechtliche  Ermittlungs-
verfahren wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz wurde von
der  Staatsanwaltschaft  nach  Zahlung  einer  Geldbuße  gemäß  §  153a  Abs.  1
StPO endgültig eingestellt.
Wegen  der  Ordnungswidrigkeit  gemäß  §  24a  Abs.  2  StVG  setzte  das
Amtsgericht Wildeshausen eine Geldbuße in Höhe von 500 DM fest und ordne-
te  ein  Fahrverbot  von  einem  Monat  an.  Die  hiergegen  gerichtete  Rechtsbe-
schwerde  führte  zur  Verfahrenseinstellung  durch  das  Oberlandesgericht
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Oldenburg. Zur Begründung führte dieses aus, daß mit der endgültigen Einstel-
lung  des  strafrechtlichen  Ermittlungsverfahrens  hinsichtlich  der  Verhängung
einer Geldbuße wegen einer Rauschfahrt im Sinne von § 24a Abs. 2 StVG das
Verfahrenshindernis  des  (beschränkten)  Strafklageverbrauchs  nach  §  153a
Abs. 1 Satz 5 StPO eingetreten sei. Dem Betroffenen könne lediglich der uner-
laubte  Besitz  von  Betäubungsmitteln  im  Sinne  des  §  29  Abs.  1  Satz  1  Nr.  3
BtMG  nachgewiesen  werden,  zu  dem  die  "Rauschfahrt"  hinzugetreten  sei. Mit
der Fahrt werde die Verfügungsmacht über das Rauschgift im Kofferraum auf-
rechterhalten, diese stelle (stets) einen tatbestandserheblichen Tatbeitrag zum
Betäubungsmitteldelikt  dar.  Da  bereits  materiell-rechtlich  Tateinheit  zwischen
beiden  Delikten  bestehe,  liege  auch  prozessual  nur  eine  Tat  im  Sinne  von
§ 264 StPO vor.
Das  Oberlandesgericht  Stuttgart  teilt  diese  Auffassung  nicht.  Es  ist  der
Ansicht,  daß  im  Vorlegungsfall  die  Verurteilung  wegen  der  Straftat  des  uner-
laubten  Besitzes  von  Betäubungsmitteln  einer  späteren  Verfolgung  einer  Ord-
nungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG nicht entgegenstehe.
Zwischen  beiden  Dauerdelikten  bestehe  materiell-rechtlich  Realkonkur-
renz.  Der  Besitz  von  Betäubungsmitteln  setze  einerseits  weder  den  Konsum
derselben  noch  das  Führen  eines  Kraftfahrzeuges  im  berauschten  Zustand
voraus.  Die  Ordnungswidrigkeit  des  §  24a  Abs.  2  StVG  knüpfe  andererseits
nicht  an  den  Besitz  von  Betäubungsmitteln,  sondern  lediglich  an  deren  -  für
sich genommen straflosen - Konsum und die anschließende Teilnahme am öf-
fentlichen  Straßenverkehr  an.  Eine  isolierte  Wertung  beider  Delikte  sei  daher
möglich,  ohne  daß  hinsichtlich  des  jeweils  anderen  Delikts  ein  tatbestandser-
heblicher  Beitrag  fehlen  würde.  Beide  Delikte  seien  lediglich  gleichzeitig,  nur
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bei Gelegenheit des jeweils anderen Delikts begangen worden. Im Vorlegungs-
fall  bestehe  auch  keine  verfahrensrechtliche  Tatidentität  im  Sinne  von  §  264
StPO.  Beide  Verhaltensweisen  seien  hier  innerlich  nicht  derart  miteinander
verknüpft, daß ihre getrennte Würdigung und Aburteilung als eine unnatürliche
Aufspaltung  eines  einheitlichen  Lebensvorgangs  empfunden  würde.  Die  Auf-
rechterhaltung  des  Betäubungsmittelbesitzes  stehe  -  von  der  zufälligen  zeitli-
chen  Koinzidenz  abgesehen  -  in  keinem  erkennbaren  inneren  Bedingungszu-
sammenhang mit dem Fahrvorgang. Beide Handlungen beruhten auf einem für
sich  genommen  völlig  selbständigen  Tatentschluß.  Der  Fahrvorgang  sei  aus
subjektiver Sicht des Betroffenen zweckneutral und habe nicht der Aufrechter-
haltung des Betäubungsmittelbesitzes gedient. Der Umstand, daß der Betroffe-
ne aus tatsächlichen Gründen nur aufgrund des Auffangtatbestandes des uner-
laubten Besitzes von Betäubungsmitteln während der "Rauschfahrt", nicht aber
wegen des vorangegangenen Erwerbs derselben, einer zweifelsfrei eigenstän-
digen Tat, verurteilt werden könne, dürfe nicht dazu führen, daß er hinsichtlich
der Reichweite des Strafklageverbrauchs "zusätzlich" privilegiert werde. Im üb-
rigen gebiete die Bedeutung und Eigenständigkeit des betroffenen Schutzgutes
der  Verkehrssicherheit,  daß  die  Ordnungswidrigkeit  des  §  24a  Abs.  2  StVG
einer  eigenständigen  Aburteilung  zugänglich  bleibe.  Das  Prinzip  des
Vertrauensschutzes stehe dem nicht entgegen.
3. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat deshalb die Sache gemäß § 121
Abs. 2 GVG in Verbindung mit § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG dem Bundesgerichts-
hof zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt:
"Besteht  zwischen  dem  Besitz  eines  Kraftfahrzeugführers  an
Betäubungsmitteln,  die  im  Kraftfahrzeug  aufbewahrt  werden
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(§ 29  Abs.  1  Satz  1  Nr.  3  BtMG),  und  der  zeitgleich  begange-
nen  Ordnungswidrigkeit  des  Fahrens  dieses  Kraftfahrzeuges
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unter  der  Wirkung  von  berauschenden  Mitteln  gemäß  §  24a
Abs.  2  StVG  verfahrensrechtlich  Tatidentität  im  Sinne  des
§ 264 StPO?"
II.
Die  Vorlegungsvoraussetzungen  gemäß  §  121  Abs.  2  GVG  in  Verbin-
dung mit § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG sind erfüllt.
1. Das vorlegende Oberlandesgericht Stuttgart kann nicht wie beabsich-
tigt  entscheiden,  ohne  hierbei  von  den  tragenden  Gründen  der  Entscheidung
des Oberlandesgerichts Oldenburg abzuweichen.
2.  Die  Vorlegungsfrage  erfaßt  aber  nach  ihrem  Wortlaut  über  die  Ent-
scheidungserheblichkeit  für  das  Ausgangsverfahren  hinaus  auch  solche  Fall-
konstellationen, wie etwa die Fälle der Transport- oder Fluchtfahrten, in denen
eine  verfahrensrechtliche  Tatidentität  eher  in  Betracht  kommen  könnte.  Der
Senat hat deshalb – entsprechend dem des Generalbundesanwalts - die Frage
wie folgt präzisiert:
„Besteht zwischen dem unerlaubten Besitz von Betäubungsmit-
teln (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BtMG) und der zeitgleich began-
genen  Ordnungswidrigkeit  des  Führens  eines  Kraftfahrzeuges
unter  der  Wirkung  von  berauschenden  Mitteln  (§  24a  Abs.  2
StVG)  verfahrensrechtlich  Tatidentität  im  Sinne  des  §  264
StPO,  wenn  das  Mitsichführen  der  Betäubungsmittel  im  Kraft-
fahrzeug  in  keinem  inneren  Beziehungs-  bzw.  Bedingungszu-
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sammenhang mit dem Fahrvorgang steht?“
III.
Der Senat tritt – dem Generalbundesanwalt folgend - der Rechtsauffas-
sung des Oberlandesgerichts Stuttgart bei.
Zwischen  beiden  Taten  –  der  Rauschtat  und  dem  unerlaubten  Besitz
von  Betäubungsmitteln  –  besteht  schon  keine  Tateinheit.  Die  objektiven  tat-
bestandlichen Ausführungshandlungen dieser beiden Delikte decken sich nicht
einmal teilweise; sie stellen bei natürlicher Betrachtungsweise - ungeachtet der
zeitlichen  Überschneidung  bei  der  Tatbegehung  -  zwei  selbständige,  auf  ge-
sondert  gefaßten  Tatentschlüssen  beruhende  körperliche  Willensbetätigungs-
akte dar. Der Täter würde die tatsächliche Sachherrschaft über das Rauschgift
auch  dann  nicht  verlieren,  wenn  er  nicht  am  öffentlichen  Straßenverkehr  teil-
nähme.
Sachlich-rechtlich  selbständige  Taten  sind  grundsätzlich  auch  prozes-
sual  selbständig.  Eine  unlösbare  innere  Verknüpfung  zweier  Handlungen,  die
über die bloße Gleichzeitigkeit ihrer Ausführung hinausginge, liegt demgegen-
über nicht vor, wenn der Täter - wie im Vorlegungsfall - mit einem Kraftfahrzeug
unter  der  Wirkung  berauschender  Mittel  fährt  und  hierbei  Betäubungsmittel
ohne einen erkennbaren Beziehungs- bzw. Bedingungszusammenhang als Teil
seines  persönlichen  Gewahrsams  mit  sich  führt.  Beide  Tatbestände  knüpfen
zwar an die Existenz eines Betäubungsmittels (im Blut bzw. als körperliche Sa-
che) an, greifen aber in ihrer Struktur nicht ineinander. Die Fahrt verfolgt in ei-
nem  solchen  Fall  -  anders  als  in  den  Transport-  oder  Fluchtfällen  -  nicht  den
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Zweck,  den  Drogenbesitz  aufrechtzuerhalten  bzw. abzusichern; die Begehung
der  Verkehrsordnungswidrigkeit  dient  nicht  dazu,  die  Betäubungsmittel  zu
transportieren, zu finanzieren, an einen sicheren Ort zu bringen, sie zu verste-
cken oder dem staatlichen Zugriff zu entziehen. Die Verlagerung des Besitzes
ist  lediglich  ein  notwendiger  Reflex  bzw.  eine  zwangsläufige  Begleitfolge  der
mit dem Kraftfahrzeug bewirkten und bezweckten Ortsveränderung des Täters.
Die  Mitnahme  der  Betäubungsmittel  bezieht  sich  andererseits  auch  nicht  auf
die Fahrtätigkeit als solche; sie dient dem Fahrer insbesondere nicht dazu, sich
durch  den  Konsum  der  Drogen  als  Genuß-  oder  Aufputschmittel  die  Fahrt  zu
erleichtern.
Herr Richter am BGH
Hebenstreit ist erkrankt
und deshalb an der
Unterschrift gehindert.
Nack                                            Boetticher                                  Nack
Elf                                                     Graf