Urteil des BGH vom 07.11.2006

BGH (interesse, zpo, behauptung, wert, einfluss, exkremente, begründung, treppe, hamburg, ermessen)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VI ZB 44/06
vom
7. November 2006
in dem Rechtsstreit
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. November 2006 durch die
Vizepräsidentin Dr. Müller, den Richter Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen
und die Richter Pauge und Zoll
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts
Hamburg, Zivilkammer 18, vom 28. April 2006 wird auf Kosten der
Beklagten verworfen.
Gegenstandswert der Beschwerde: 500 €.
Gründe:
I.
Die Beklagten haben von der Klägerin ein Wohnhaus gegen Zahlung von
15.000 DM und einer monatlichen Leibrente von 1.500 DM erworben. Die Klä-
gerin hat an der hinteren Wohnung des Hauses, in der sie lebt, ein lebenslan-
ges unentgeltliches Nießbrauchsrecht. Sie muss eine Treppe in dem den Be-
klagten zustehenden Teil des Hauses benutzen, um in den Dachraum über den
von ihr bewohnten Räumen zu gelangen.
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Nach Erwerb des Hauses kam es zwischen den Parteien zu mehrfachen
Rechtsstreitigkeiten um den Umfang der Altenteilswohnung der Klägerin. In ei-
nem dieser Verfahren haben die Beklagten vorgetragen, es hätten sich auf der
Treppe ihres Hauses von der Klägerin stammende Exkremente gefunden.
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Das Amtsgericht hat die Beklagten im vorliegenden Rechtsstreit verur-
teilt, diese Behauptung zu unterlassen, und die Beklagten als Gesamtschuldner
weiter verurteilt, an die Klägerin eine Entschädigung von 250 € zu bezahlen.
Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Landgericht mit der
angefochtenen Entscheidung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es
im Wesentlichen ausgeführt, der Wert des Beschwerdegegenstandes überstei-
ge entgegen der gesetzlichen Vorschrift des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO 600 €
nicht. Zwar betrage der auf den Zahlungsanspruch des amtsgerichtlichen Ur-
teils entfallende Teil 250 €. Auch der Unterlassungsanspruch sei aber nur mit
250 € zu bewerten. Entscheidend für diese Bewertung sei nicht - wie im ersten
Rechtszug - das Interesse der Klägerin an Unterlassung und immaterieller Ent-
schädigung. Im Berufungsverfahren gehe es allein um das Interesse der Be-
klagten an der Behauptung, auf der Treppe des Hauses befänden sich von der
Klägerin stammende Exkremente. Um eine Krankheitsgefährdung der Beklag-
ten gehe es bei der Abwehr des Unterlassungsanspruchs der Klägerin nicht.
Der Wert des Hausgrundstücks und seine Beeinflussung durch die behaupteten
Exkremente habe keinen Einfluss auf das Interesse der Beklagten an der weite-
ren Behauptung. Das Interesse der Beklagten, die beanstandete Behauptung in
einem engen Umfang gegenüber einer zuständigen Behörde oder in gerichtli-
chen Verfahren zu erheben, sei mit 250 € angemessen bewertet. Auch ein
erstmals in der Berufung hilfs- und einredeweise geltend gemachter Unterlas-
sungsanspruch der Beklagten bleibe ohne Einfluss auf die Einschätzung des
Wertes des Beschwerdegegenstandes und sei nicht Gegenstand des angefoch-
tenen Urteils. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.
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II.
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1. Die statthafte (§§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO), form- und
fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde der Beklagten
(§ 575 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 und 3 ZPO) ist nicht zulässig. Die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung erfordert keine Entscheidung des Rechtsbe-
schwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).
2. Zutreffend geht die Rechtsbeschwerde allerdings davon aus, dass die
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ein Eingreifen des Bundesge-
richtshofs dann erfordert, wenn die angefochtene Entscheidung Verfahrens-
grundrechte einer Partei - etwa auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103
Abs. 1 GG) oder wirkungsvollem Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem
Rechtsstaatsprinzip) - verletzt und darauf beruht. Der Zulassungsgrund ist zum
anderen dann gegeben, wenn einem Gericht bei der Anwendung von Rechts-
normen Fehler unterlaufen sind, die die Wiederholung durch dasselbe Gericht
oder die Nachahmung durch andere Gerichte abwarten lassen, und wenn da-
durch so schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung zu entstehen
oder fortzubestehen drohen, dass eine höchstrichterliche Leitentscheidung not-
wendig ist (vgl. BGHZ 154, 288, 296; 159, 135, 139 f.).
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Ein solcher Zulassungsgrund liegt hier jedoch nicht vor.
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a) Die Rechtsbeschwerde hat die erforderliche Wiederholungs- oder
Nachahmungsgefahr nicht dargelegt. Sie ergibt sich auch nicht unabhängig von
den Darlegungen in der Rechtsbeschwerde aus der rechtlichen Begründung
des angefochtenen Beschlusses.
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b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das Berufungs-
gericht keine Verfahrensgrundrechte der Beklagten, namentlich nicht die Grund-
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rechte auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder auf ein
objektiv willkürfreies Verfahren (Art. 3 Abs. 1 GG) verletzt; es gilt auch nicht, der
Entwicklung einer uneinheitlichen Rechtsprechung schon in den Anfängen
durch eine höchstrichterliche Leitentscheidung entgegenzutreten (vgl. BGH,
Beschluss vom 31. Oktober 2002 - V ZR 100/02 - VersR 2003, 1141, 1142).
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aa) Das Berufungsgericht hat nicht etwa ausgeführt - wie die Rechtsbe-
schwerde fälschlich annimmt -, die Beklagten könnten sich nicht darauf berufen,
dass ihr Hausgrundstück nunmehr erheblich im Wert gemindert sei, weil sie bei
einem Verkauf des Anwesens Kaufinteressenten mitteilen müssten, dass die im
Haus verbleibende Klägerin sowohl im Haus selbst wie auch außerhalb ständig
Exkremente "verliere". Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung vielmehr
zugrunde gelegt, dass die Wertminderung des Hausgrundstücks ohne Einfluss
auf das Interesse der Beklagten sei, die beanstandete Behauptung weiterhin zu
verbreiten. Es hat die Wertminderung des Grundstücks durch die Anwesenheit
der (inkontinenten) Klägerin mithin als wahr unterstellt, dem aber keinen Ein-
fluss auf den Wert des Beschwerdegegenstandes beigemessen. Das ist aus
Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
bb) Soweit die Zulässigkeit einer Berufung vom Wert des Beschwerde-
gegenstandes abhängt (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) und das Berufungsgericht die-
sen zulässigerweise nach freiem Ermessen (§ 3 ZPO) festgesetzt hat, be-
schränkt sich die Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts darauf, ob das Be-
rufungsgericht von seinem Ermessen einen ungesetzlichen Gebrauch gemacht
hat, etwa indem es maßgebliche Tatsachen nicht berücksichtigt oder unter Ver-
stoß gegen die Fragepflicht des § 139 ZPO nicht festgestellt hat (st. Rspr.; vgl.
BGH, Urteil vom 1. Juli 1999 - I ZR 11/97 - GRUR 1999, 1132 m. w. N.). Diese
Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
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(1) Für die Festsetzung der Beschwer ist das wirtschaftliche Interesse
des Rechtsmittelklägers an dem Erfolg seines Rechtsmittels maßgebend. Dabei
ist grundsätzlich auf den unmittelbaren Gegenstand der Entscheidung abzustel-
len. Der tatsächliche oder rechtliche Einfluss der Entscheidung auf andere
Rechtsverhältnisse bleibt außer Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 1999
- I ZR 11/97 - aaO). Maßgebend für den Wert des Beschwerdegegenstandes ist
daher bei Unterliegen mit einer Unterlassungsklage im hier zu entscheidenden
Fall ausschließlich das Interesse der Beklagten an der Aufhebung der Verurtei-
lung es zu unterlassen, die beanstandete Behauptung zu wiederholen.
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(2) Das gegen die Beklagten ergangene Unterlassungsurteil hat über den
beschränkten Urteilsgegenstand hinaus für andere Rechtsverhältnisse keine
Rechtskraftwirkung. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde kommt es
deshalb für den Wert des Beschwerdegegenstandes nicht darauf an, ob der
Wert ihres mit einem Nießbrauchsrecht der Klägerin belasteten Hausgrund-
stücks durch die Anwesenheit der - angeblich inkontinenten - Klägerin beein-
flusst wird oder ob den Beklagten bei Verschweigen dieses Umstandes gegen-
über einem Kaufinteressenten in einem - bislang nicht näher konkretisierten -
Verkaufsfall Schadensersatzansprüche drohen. Das Interesse der Beklagten
daran, die beanstandete Behauptung gegenüber zuständigen Stellen (insbe-
sondere gegenüber der Gesundheitspolizei oder Fürsorgeverwaltung) zu wie-
derholen, hat das Berufungsgericht ausreichend berücksichtigt. Eine Verletzung
des Anspruchs der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103
Abs. 1 GG) oder gar des Willkürverbots (Art. 3 Abs. 1 GG) ist nicht ersichtlich;
Willkür könnte nicht schon bei rechtsfehlerhaften, sondern erst bei nur durch
sachfremde Erwägungen erklärbaren Entscheidungen angenommen werden
(vgl. BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2004 - V ZR 328/03 - NJW 2005, 153 [un-
ter II 1 b]).
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c) Sind nach allem Ermessensfehler des Berufungsgerichts bei der Be-
messung des Wertes des Beschwerdegegenstandes nicht ersichtlich, kann es
dahinstehen, ob die zusätzliche Begründung des angefochtenen Urteils, die
Aufrechterhaltung der beanstandeten Behauptung fördere eine Minderung des
Wertes des Hausgrundstücks, den Angriffen der Rechtsbeschwerde standhal-
ten könnte.
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3. Die Rechtsbeschwerde der Beklagten ist deshalb mit der Kostenfolge
aus § 97 Abs. 1 ZPO zu verwerfen.
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Müller Greiner Diederichsen
Pauge Zoll
Vorinstanzen:
AG Hamburg-Wandsbeck, Entscheidung vom 15.12.2005 - 711 C 402/05 -
LG Hamburg, Entscheidung vom 28.04.2006 - 318 S 11/06 -