Urteil des BGH vom 14.03.2017

DOBERLUG Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 78/09 Verkündet
am:
20. September 2010
Vondrasek
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
DOBERLUG
GmbHG § 52; AktG §§ 116, 93 Abs. 1, 2
Die Mitglieder eines fakultativen Aufsichtsrats einer GmbH sind bei einer Verletzung
ihrer Überwachungspflicht hinsichtlich der Beachtung des Zahlungsverbots aus § 64
Satz 1 GmbHG nur dann der GmbH gegenüber nach § 93 Abs. 2, § 116 AktG, § 52
GmbHG ersatzpflichtig, wenn die Gesellschaft durch die regelwidrigen Zahlungen in
ihrem Vermögen i.S. der §§ 249 ff. BGB geschädigt worden ist. Die Aufsichtsratsmit-
glieder haften dagegen nicht, wenn die Zahlung - wie im Regelfall - nur zu einer Ver-
minderung der Insolvenzmasse und damit zu einem Schaden allein der Insolvenz-
gläubiger geführt hat.
BGH, Urteil vom 20. September 2010 - II ZR 78/09 - OLG Brandenburg
LG Cottbus
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Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 12. Juli 2010 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette
und die Richter Dr. Strohn, Caliebe, Dr. Reichart und Dr. Löffler
für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Beklagten wird das Urteil des Branden-
burgischen Oberlandesgerichts vom 17. Februar 2009 im Kos-
tenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Be-
klagten entschieden worden ist.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 4. Zivilkammer
des Landgerichts Cottbus vom 26. Juni 2007 wird zurückge-
wiesen.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren hat der Kläger zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Stadtwerke
Doberlug-Kirchhain GmbH i.L. (im Folgenden: Schuldnerin). Er macht gegen die
Beklagten, die in unterschiedlichen Zeiträumen Mitglieder des fakultativen Auf-
sichtsrats der Schuldnerin waren, einen Ersatzanspruch geltend mit der Be-
gründung, sie hätten es pflichtwidrig und schuldhaft zugelassen, dass der Ge-
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schäftsführer nach Eintritt der Insolvenzreife der Schuldnerin noch "Zahlungen"
im Sinne des § 64 Abs. 2 GmbHG aF bewirkt habe.
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Die Schuldnerin war in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, weil sie
von ihrer Alleingesellschafterin, der Stadt Doberlug-Kirchhain, 35 Arbeitnehmer
übernommen hatte und die dafür als Ausgleich gedachte Bezahlung von Arbei-
ten für die Stadt und den Zweckverband Trink- und Abwasser Doberlug-
Kirchhain und Umland nur schleppend bzw. - seitens des Zweckverbandes - gar
nicht erhielt. In den Aufsichtsratssitzungen wurden dieser Sachverhalt und die
daraus für die Schuldnerin entstandene finanzielle Situation seit Mai 2000
mehrfach erörtert. Am 28. Oktober 2002 stellte der Geschäftsführer Insolvenz-
antrag.
Der Kläger hat behauptet, die Schuldnerin sei seit Anfang 2002 über-
schuldet und zahlungsunfähig gewesen. Mit der Klage hat er die Beklagten ge-
samtschuldnerisch auf Ersatz von im Einzelnen aufgeschlüsselten Zahlungen in
Anspruch genommen, die der Geschäftsführer in der Zeit ab dem 5. März 2002
veranlasst hat oder die in dieser Zeit auf ein debitorisch geführtes Konto der
Schuldnerin geflossen sind. Dabei hat der Kläger dem Umstand Rechnung ge-
tragen, dass während des maßgeblichen Zeitraums nur die Beklagten zu 1-5
ständig, die Beklagten zu 6 und 7 aber nur zeitweise Mitglieder des Aufsichts-
rats gewesen sind.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klä-
gers hat das Berufungsgericht die Beklagten zu 1 bis 5 zur Zahlung von
901.794,65 €, den Beklagten zu 6 zur Zahlung von 169.390,61 € und den Be-
klagten zu 7 zur Zahlung von 21.216,49 €, jeweils als Gesamtschuldner, verur-
teilt und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen. Mit ihren vom Berufungsge-
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richt zugelassenen Revisionen verfolgen die Beklagten ihre Klageabweisungs-
anträge weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revisionen haben Erfolg und führen zur Wiederherstellung des
klageabweisenden landgerichtlichen Urteils.
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I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausge-
führt:
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Die Ersatzpflicht der Beklagten ergebe sich aus § 52 Abs. 1 GmbHG,
§ 116 AktG in Verbindung mit § 93 Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 6 AktG. Weder aus
der Satzung noch aus dem Umstand, dass sie nur Mitglieder eines fakultativen
Aufsichtsrats gewesen seien und nur eine geringfügige Vergütung für ihre Tä-
tigkeit erhalten hätten, ergebe sich, dass sie für ein Überwachungsverschulden
nicht einzutreten hätten.
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Die Pflichtverletzung der Beklagten hat das Berufungsgericht darin ge-
sehen, dass sie den Geschäftsführer der Schuldnerin nach Eintritt der Insol-
venzreife nicht auf dessen Pflicht zur Stellung des Insolvenzantrags hingewie-
sen hätten. Es sei angesichts der Machtverhältnisse in der Schuldnerin davon
auszugehen, dass der Geschäftsführer bei einem solchen Hinweis den Insol-
venzantrag deutlich früher als geschehen gestellt hätte. Dann wären nicht unter
Verstoß gegen § 64 Abs. 2 GmbHG aF Zahlungen aus kreditorisch geführten
Geschäftskonten geleistet worden, und auf debitorisch geführten Konten wären
keine Gutschriften verbucht worden.
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Zahlungsunfähig sei die Schuldnerin jedenfalls seit dem 1. Januar 2002
gewesen. Sie habe spätestens zu diesem Zeitpunkt ihre Zahlungen eingestellt.
Den Beklagten sei das - zu im Einzelnen dargelegten Zeitpunkten, beginnend
mit dem 5. März 2002 - bekannt gewesen.
II. Diese Ausführungen halten revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand.
Die Klage ist unbegründet.
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Dabei kann offen bleiben, ob der Geschäftsführer der Schuldnerin gegen
das Zahlungsverbot aus § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG aF (= § 64 Satz 1 GmbHG
in der nach Inkrafttreten des MoMiG geltenden Fassung) verstoßen hat und ob
die Beklagten ihre Überwachungspflicht verletzt haben. Denn jedenfalls kommt
eine Haftung der Beklagten als Mitglieder des fakultativen Aufsichtsrats einer
GmbH nach § 93 Abs. 2, § 116 Satz 1 AktG, § 52 Abs. 1 GmbHG nur dann in
Betracht, wenn der Gesellschaft ein Schaden i.S. der §§ 249 ff. BGB entstan-
den ist. Daran fehlt es. Bezieht sich die Überwachungspflicht nämlich - wie
hier - auf die Einhaltung des Zahlungsverbots aus § 64 Satz 1 GmbHG, schei-
det eine Ersatzpflicht regelmäßig aus, weil nicht die Gesellschaft, sondern die
Insolvenzgläubiger durch die Zahlungen geschädigt sind.
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1. Der Senat hat allerdings für die Aktiengesellschaft entschieden, dass
sich die Beratungs- und Überwachungspflicht des Aufsichtsrats im Stadium der
Insolvenzreife der Gesellschaft auch auf die in dieser Situation bestehenden
besonderen Pflichten des Vorstands bezieht und dass sich bei einer Verletzung
dieser Beratungs- und Überwachungspflicht Ersatzansprüche gegen die Mit-
glieder des Aufsichtsrats ergeben können. Eine solche Ersatzpflicht hat er in
einem Fall angenommen, in dem eine verbotswidrige Zahlung an ein Aufsichts-
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ratsmitglied geleistet worden war (BGH, Urteil vom 16.
März 2009
- II ZR 280/07, ZIP 2009, 860 Rn. 14 f., 24).
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a) Nach § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG ist der Vorstand einer Aktiengesell-
schaft verpflichtet, nach Eintritt der Insolvenzreife keine Zahlungen mehr zu
leisten, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäfts-
leiters nicht vereinbar sind. Diese Pflicht richtet sich zwar ausschließlich an den
Vorstand. Ihr entspricht aber eine Beratungs- und Überwachungspflicht des
Aufsichtsrats. Erkennt der Aufsichtsrat oder muss er erkennen, dass die Gesell-
schaft insolvenzreif ist, und bestehen für ihn Anhaltspunkte für die Annahme,
dass der Vorstand entgegen dem Verbot des § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG Zahlun-
gen leisten wird, hat der Aufsichtsrat darauf hinzuwirken, dass der Vorstand die
verbotswidrigen Zahlungen unterlässt. Ein solcher Anhaltspunkt eines Versto-
ßes gegen § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG besteht etwa dann, wenn die Gesellschaft
Arbeitnehmer beschäftigt und der Vorstand das Unternehmen nach Eintritt der
Insolvenzreife fortführt. Dann liegt es nahe, dass der Vorstand zumindest die
Zahlung der Löhne und Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung veranlassen
und dadurch gegen § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG verstoßen wird (vgl. BGH, Urteil
vom 8. Juni 2009 - II ZR 147/08, ZIP 2009, 1468 Rn. 6).
Verletzt der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft schuldhaft diese Über-
wachungspflicht, sind seine Mitglieder zum Schadensersatz verpflichtet. Das
ergibt sich allerdings nicht schon aus der allgemeinen Schadensersatznorm des
§ 93 Abs. 2 in Verbindung mit § 116 Satz 1 AktG. Die Ersatzpflicht folgt viel-
mehr aus § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG, auf den § 116 AktG ebenfalls verweist. Denn
durch den Verstoß des Vorstands gegen das Zahlungsverbot des § 92 Abs. 2
Satz 1 AktG wie durch die Verletzung der entsprechenden Überwachungspflicht
des Aufsichtsrats entsteht nach der Rechtsprechung des Senats im Regelfall
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kein Schaden der Gesellschaft i.S. des § 93 Abs. 2 AktG. Die verbotswidrigen
Zahlungen dienen in der Regel der Erfüllung von Verbindlichkeiten der Gesell-
schaft und führen bei dieser nur zur Verkürzung der Bilanzsumme, nicht aber zu
einem Vermögensschaden i.S. der §§ 249 ff. BGB (Habersack/Schürnbrand,
WM 2005, 957, 959; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl., § 64
Rn. 4). Verringert wird nur die Insolvenzmasse in dem nachfolgenden Insol-
venzverfahren, was zu einem Schaden allein der Insolvenzgläubiger führt. Die-
sen Drittschaden stellt das Gesetz - geleitet von dem Ziel, die Gesamtheit der
Gläubiger der Aktiengesellschaft durch Wahrung von Neutralität bei der Bewir-
kung von Zahlungen in der Krise vor Schäden in Gestalt einer Verminderung
ihrer Quote durch masseschmälernde Leistungen zu schützen - in § 93 Abs. 3
Nr. 6 AktG einem Schaden der Gesellschaft gleich (Mertens/Cahn in Kölner
Komm.z.AktG, 3. Aufl., § 93 Rn. 134; MünchKommAktG/Spindler, 3. Aufl., § 93
Rn. 192 f.; Hüffer, AktG, 9. Aufl., § 93 Rn. 22). Damit in Übereinstimmung
spricht der Senat im Zusammenhang mit § 64 Satz 1 GmbHG, § 130a Abs. 2
HGB von einem "Ersatzanspruch eigener Art" (BGH, Urteil vom 8. Januar 2001
- II ZR 88/99, BGHZ 146, 264, 278 für § 64 Abs. 2 GmbHG aF und Urteil vom
26. März 2007 - II ZR 310/05, ZIP 2007, 1006, Rn. 7 für § 130a Abs. 3 HGB
aF). Ansätzen im Schrifttum, eine schadensrechtliche Gesamtsaldierung vorzu-
nehmen (K. Schmidt, ZHR 168 [2004], 637, 650 ff.; ders. in Scholz, GmbHG,
10. Aufl., § 64 Rn. 8 ff.; Altmeppen/Wilhelm, NJW 1999, 673, 678 ff.;
Altmeppen, ZIP 2001, 2201, 2205 ff.), ist er nicht gefolgt.
Da § 116 Satz 1 AktG auch auf § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG verweist, gilt die
Gleichstellung des Schadens der Insolvenzgläubiger mit einem Schaden der
Gesellschaft auch für den Aufsichtsrat, der seine Überwachungspflicht in Bezug
auf die Einhaltung des Verbots des § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG durch den Vor-
stand verletzt (MünchKommAktG/Semler, 2. Aufl., § 116 Rn. 524). Auch er ist
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damit, wenn er seine Überwachungspflicht schuldhaft verletzt hat, zum Ersatz
der verbotswidrig geleisteten Zahlungen verpflichtet.
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b) Diese Haftungserstreckung auf den Aufsichtsrat entspricht nicht nur
dem Wortlaut der Normen, sondern auch der Entstehungsgeschichte des Ge-
setzes.
In den Vorgängernormen zu § 93 Abs. 3 AktG und § 116 AktG gab es
zunächst keinen Gleichlauf der Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat in der
Aktiengesellschaft. Zwar regelte der Gesetzgeber in Art. 225b des Allgemeinen
Deutschen Handelsgesetzbuchs (ADHGB) in der Fassung vom 11. Juni 1870
und nachfolgend in Art. 226 ADHGB in der Fassung vom 18. Juli 1884 die Haf-
tung des Aufsichtsrats von Aktiengesellschaften ausführlich und verwies in
Art. 241 Abs. 3 ADHGB 1884 für die Haftung des Vorstands auf Art. 226
ADHGB. Nur für den Vorstand ordnete er aber in beiden Fassungen eine Er-
satzpflicht für solche Zahlungen an, die nach Zahlungsunfähigkeit oder Über-
schuldung der Gesellschaft geleistet wurden (Art. 241 ADHGB 1870, Bundes-
gesetzblatt des Norddeutschen Bundes 1869, S. 379, 452; Art. 241 Abs. 3
Satz 2 ADHGB 1884, RGBl. 1884, S. 123, 163).
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Die Haftung des Aufsichtsrats für Zahlungen nach Konkursreife regelte
der Gesetzgeber erstmals im Handelsgesetzbuch in der Fassung vom 10. Mai
1897 (HGB aF). § 249 HGB aF verwies für die Verantwortlichkeit des Aufsichts-
rats auf die nunmehr für den Vorstand in § 241 HGB aF im Detail geregelten
Haftungstatbestände, damit auch auf die in § 241 Abs. 3 Nr. 6 HGB aF ange-
ordnete Ersatzpflicht für Zahlungen nach Konkursreife. Die in Bezug genomme-
ne Vorschrift des § 241 Abs. 3 Nr. 6 HGB aF entspricht dem heutigen § 93
Abs. 3 Nr. 6 AktG.
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Dass die Ersatzpflicht der Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der bis da-
hin geltenden Rechtslage auf die Überwachungspflicht hinsichtlich der Wahrung
des Massesicherungsgebots ausgedehnt wurde, war beabsichtigt, wie sich aus
der Entwurfsbegründung ergibt: "Im Uebrigen ist die Verantwortlichkeit der Auf-
sichtsrathsmitglieder für Pflichtwidrigkeiten sachlich in der gleichen Weise wie in
dem bisherigen Art. 226 geregelt, nur wird dieselbe … insofern erweitert, als
nunmehr die verschärfte Ersatzpflicht, welche einen besonderen Schadens-
nachweis nicht voraussetzt und von den Gesellschaftsgläubigern geltend ge-
macht werden kann, auch in dem Falle eintritt, daß mit Wissen und ohne Ein-
schreiten des Aufsichtsraths Zahlungen geleistet sind, nachdem die Zahlungs-
unfähigkeit der Gesellschaft eingetreten ist oder ihre Ueberschuldung sich er-
geben hat. Ein Grund, diesen Fall anders als die übrigen im Art. 226 Abs. 2 be-
zeichneten Fälle zu behandeln, liegt nicht vor" (Begründung zu dem Entwurf
eines Handelsgesetzbuchs für das Deutsche Reich von 1895, abgedruckt bei
Schubert/Schmiedel/Krampe, Quellen zum HGB von 1897, S. 127).
2. Auf den fakultativen Aufsichtsrat einer GmbH lassen sich diese
Grundsätze nicht uneingeschränkt übertragen.
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a) Zwar hat auch der fakultative Aufsichtsrat einer GmbH die Pflicht, die
Rechtmäßigkeit des Handelns der Geschäftsleitung (Giedinghagen in Michalski,
GmbHG, 2. Aufl., § 52 Rn. 219; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG
19. Aufl., § 52 Rn. 100; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 6. Aufl., § 52
Rn. 25) und damit auch die Einhaltung des mit dem Eintritt der Insolvenzreife
entstehenden Zahlungsverbots aus § 64 Satz 1 GmbHG - insoweit inhaltsgleich
mit § 92 Abs. 2 Satz 1 AktG - zu überwachen (RGZ 161, 129, 133). Die Rechts-
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folgen eines Verstoßes gegen diese Überwachungspflicht sind jedoch im
GmbH-Recht anders geregelt als im Aktienrecht. So verweist § 52 Abs. 1
GmbHG auf die Schadensersatznorm des § 116 AktG nur mit der ausdrückli-
chen Einschränkung "in Verbindung mit § 93 Abs. 1 und 2 Satz 1 und 2". Damit
wird § 93 Abs. 3 AktG für den fakultativen Aufsichtsrat über die nur partielle
Verweisung in § 52 GmbHG gerade nicht in Bezug genommen, anders als in
den entsprechenden Vorschriften über den obligatorischen Aufsichtsrat einer
GmbH (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG, § 25 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG, § 3 Abs. 2
MontanMitbestG, § 3 Abs. 1 Satz 2 MontanMitbestGErgG, § 6 Abs. 2 InvG). Für
eine Ersatzpflicht der Mitglieder des fakultativen Aufsichtsrats, die ihre Überwa-
chungspflicht hinsichtlich der Einhaltung des Zahlungsverbots aus § 64 Satz 1
GmbHG verletzt haben, fehlt die in § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG angeordnete Gleich-
stellung des Zahlungsabflusses mit einem Schaden der Gesellschaft i.S. der
§§ 249 ff. BGB. Es bleibt vielmehr dabei, dass die Mitglieder des fakultativen
Aufsichtsrats der Gesellschaft nur dann ersatzpflichtig sind, wenn durch die
Zahlung ausnahmsweise ein eigener Schaden der Gesellschaft entstanden ist,
im Übrigen aber - und damit im Regelfall - mangels eines ihr entstandenen
Schadens nicht haften.
b) Diese Auslegung entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers.
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Während die Vorschrift über den fakultativen Aufsichtsrat im ersten Ent-
wurf eines Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung
von 1891 noch pauschal alle Normen des Aktienrechts in Bezug nahm (Entwurf
eines Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung nebst
Begründung und Anlagen, Amtliche Ausgabe 1891, S. 15, 101), verwies der
tatsächlich erlassene § 53 GmbHG in der Fassung vom 20. April 1892 nur auf
Art. 226 Abs. 1 ADHGB 1884. Nicht entsprechend anwendbar waren damit die
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besonderen Haftungstatbestände für Aufsichtsräte von Aktiengesellschaften,
die in Art. 226 Abs. 2 ADHGB enthalten waren (RGBl. 1892, S. 477, 491).
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In § 52 GmbHG in der Fassung vom 1. Januar 1900 fehlt in der Aufzäh-
lung der Normen aus dem Aktienrecht, auf die für die Haftung des fakultativen
Aufsichtsrats der GmbH verwiesen wird, § 249 Abs. 3 HGB aF, der auf § 241
Abs. 3 HGB aF und damit auf die Vorgängernorm des § 93 Abs. 3 AktG verwies
(RGBl. 1898, S. 846, 859). Das ist schon vom Reichsgericht nicht als redaktio-
nelles Versehen, sondern als bewusste Entscheidung des Gesetzgebers ge-
würdigt worden: "Ist danach ein Aufsichtsrat zu bestellen, so finden auf ihn al-
lerdings zum großen Teile die für den Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft gel-
tenden Vorschriften entsprechende Anwendung. Hierbei sind aber doch gerade
wieder die Bestimmungen ausgenommen, die zum Schutze der Aktionäre und
der Gläubiger erlassen worden sind, insbesondere der § 249 Abs. 3 HGB in
Verbindung mit § 241 Abs. 3 und 4 HGB" (RGZ 161, 129, 139).
c) Die Auslegung des § 52 GmbHG dahingehend, dass die Mitglieder ei-
nes fakultativen Aufsichtsrats einer GmbH bei einer Verletzung ihrer Überwa-
chungspflicht hinsichtlich der Beachtung des Zahlungsverbots aus § 64 Satz 1
GmbHG im Regelfall nicht ersatzpflichtig sind, entspricht nicht nur dem Wortlaut
und der Entstehungsgeschichte, sondern auch dem Sinn und Zweck des Ge-
setzes.
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Wenn die Gesellschafter einer GmbH freiwillig einen Aufsichtsrat bilden,
wollen sie damit - soweit sie von ihrer in § 52 Abs. 1 GmbHG eröffneten Rege-
lungsbefugnis keinen Gebrauch machen - nicht von der dualistischen Struktur
der GmbH abweichen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. März 1997 - II ZB 4/96,
BGHZ 135, 48, 53 ff.), sondern lediglich ein Gremium schaffen, das für die Ge-
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sellschafterversammlung als dem maßgeblichen Willensbildungs- und Kontroll-
organ der Gesellschaft Teilaufgaben der Überwachung der Geschäftsführer
übernimmt und sicherstellt, dass diese die Geschäfte so führen, wie es dem
wohlverstandenen Interesse der Gesellschafter entspricht. Anders als der obli-
gatorische Aufsichtsrat ist der fakultative Aufsichtsrat deswegen nicht im Inte-
resse der Allgemeinheit in die Pflicht genommen und hat keine über seine ihm
von der Gesellschafterversammlung übertragenen Aufgaben hinausgehenden
öffentlichen Belange zu wahren (RGZ 161, 129, 138 f.). Er hat demgemäß
grundsätzlich nur für solche Schäden i.S. der §§ 249 ff. BGB einzustehen, die
bei der Gesellschaft - und nicht bei gesellschaftsfremden Dritten - entstanden
sind (RGZ 73, 392, 393).
3. Da die Beklagten nur Mitglieder eines fakultativen Aufsichtsrats waren,
die Schuldnerin von § 52 GmbHG abweichende Haftungstatbestände nicht ge-
schaffen hat und Anhaltspunkte für die Verursachung eines eigenen Schadens
der Schuldnerin durch die Zahlungen des Geschäftsführers weder vorgetragen
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noch sonst ersichtlich sind, besteht somit kein Ersatzanspruch aus §§ 93, 116
AktG, 52 GmbHG, was der Senat nach § 563 Abs. 3 ZPO selbst entscheiden
kann.
Goette Strohn Caliebe
Reichart Löffler
Vorinstanzen:
LG Cottbus, Entscheidung vom 26.06.2007 - 4 O 344/05 -
OLG Brandenburg, Entscheidung vom 17.02.2009 - 6 U 102/07 -