Urteil des BGH vom 13.06.2006

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 15/04
Verkündet
am:
13. Juni 2006
Preuß
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
InsO §§ 55, 178 Abs. 3, §§ 181, 183 Abs. 1;
ZPO § 322
a) Ein Anspruch, der aufgrund eines rechtskräftigen Feststellungsurteils nach § 180
InsO als Insolvenzforderung zur Tabelle festgestellt worden ist, kann gleichwohl un-
ter Berufung auf § 55 InsO gegen die Masse eingeklagt werden.
b) Wird der Anspruch als Masseforderung klageweise geltend gemacht, so kann der
Insolvenzverwalter trotz des rechtskräftigen Feststellungsurteils Grund und Höhe
des Anspruchs bestreiten. Der Entscheidung über das Nichtbestehen einer zur Auf-
rechnung gestellten Gegenforderung im rechtskräftig abgeschlossenen Feststel-
lungsverfahren kommt im Verhältnis zwischen Massegläubiger und Insolvenzver-
walter gleichfalls keine Bindungswirkung zu.
BGH, Urteil vom 13. Juni 2006 - IX ZR 15/04 - OLG Schleswig
LG Kiel
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 2. März 2006 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gero Fischer, die Richter
Dr. Ganter und Vill, die Richterin Lohmann und den Richter Dr. Detlev Fischer
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats
des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig
vom 19. Dezember 2003 dahin geändert, dass das Landgericht
nach der Zurückverweisung über die Begründetheit der über den
Betrag von 14.699, 64 € [28.750 DM] hinausgehenden Mietzins-
forderungen sowie gegebenenfalls über die vom Beklagten in Hö-
he von 255.424,53 € [499.566,96 DM] zur Aufrechnung gestellten
Gegenforderungen sachlich neu zu entscheiden hat.
Die weitergehende Revision wird zurückgewiesen.
Dem Landgericht wird auch die Entscheidung über die Kosten des
Revisionsverfahrens übertragen.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Der Kläger ist Eigentümer eines Gewerbeobjektes, das er an die S.
GmbH (fortan: Schuldnerin) vermietete. Im vorliegenden
Verfahren begehrt er Mietzins für die Monate Februar bis September 1999.
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Am 1. April 1999 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insol-
venzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Mit
Schreiben vom 1. April 1999 kündigte er das mit dem Kläger bestehende Miet-
verhältnis zum 30. September 1999. Daraufhin meldete der - damals bereits
anwaltlich vertretene - Kläger die verfahrensgegenständlichen Mietzinsforde-
rungen sowie weitere Forderungen zur Insolvenztabelle an. Nachdem der Be-
klagte die angemeldeten Forderungen im Prüfungstermin bestritten hatte, erhob
der Kläger Feststellungsklage gemäß § 180 InsO. Hinsichtlich der hier in Rede
stehenden Ansprüche hat das Landgericht [Verfahren LG Kiel 17 O 193/00] der
Feststellungsklage mit rechtskräftigem Urteil vom 28. Februar 2001 stattgege-
ben und in der Urteilsformel ausgesprochen, dem Kläger stehe in dem ange-
führten Insolvenzverfahren eine nicht nachrangige Insolvenzforderung in der
geltend gemachten Höhe zu. Der Beklagte erkannte die angemeldete Forde-
rung mit Schreiben vom 20. April 2001 an. Mit Schreiben vom 29. Juni 2001
nahm der Kläger die Anmeldung zur Tabelle hinsichtlich der Mietzinsforderun-
gen zurück, worauf die Tabelle am 12. November 2001 um diesen Betrag be-
richtigt wurde.
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Mit der vorliegenden Klage auf Zahlung von insgesamt 114.026,84 DM
begehrt der Kläger den vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens von der Schuld-
nerin nicht entrichteten Mietzins für die Monate Februar und März 1999 in Höhe
von 28.750 DM sowie den Mietzins für die anschließenden Monate April bis
September 1999. Wegen des Mietzinses für Februar und März 1999 beruft er
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sich auf ein Absonderungsrecht an Gegenständen, die der Beklagte zwischen-
zeitlich verwertet hat. Im Übrigen erhebt er eine Masseforderung nach § 55
Abs. 1 Nr. 2 InsO. Der Beklagte macht geltend, der Kläger könne wegen des
rechtskräftigen Insolvenzfeststellungsurteils die Forderung nicht mehr als Mas-
seschuld beanspruchen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klä-
gers hat das Berufungsgericht das Urteil aufgehoben und die Klageforderungen
für begründet erklärt. Hinsichtlich der vom Beklagten zur Aufrechnung gestellten
Gegenansprüche hat das Berufungsgericht den Rechtsstreit für nicht entschei-
dungsreif angesehen und das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Ent-
scheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Mit der zugelassenen Revision
begehrt der Beklagte die teilweise Aufhebung des Berufungsurteils und die Zu-
rückweisung der Berufung, soweit der Kläger mehr als 28.750 DM nebst Zinsen
hieraus geltend macht.
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Entscheidungsgründe:
Die zulässige Revision hat in der Sache teilweise Erfolg.
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Das angefochtene Urteil hat im Ergebnis zutreffend auf Zurückverwei-
sung der Sache an das Landgericht erkannt; dieses hat jedoch in einem we-
sentlich weiteren Umfang, als vom Berufungsgericht angenommen, eine erneu-
te Sachprüfung der Klageforderung sowie der zur Aufrechnung gestellten Ge-
genforderung vorzunehmen.
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I.
Das Berufungsgericht, dessen Urteil in ZInsO 2004, 687 ff veröffentlicht
ist, hat die Klage als zulässig angesehen und ausgeführt, soweit der Kläger
Mietzins für die Monate Februar und März 1999 in Höhe von 28.750 DM geltend
mache, stehe die rechtskräftige Entscheidung des Vorprozesses nicht entge-
gen, weil dort über die Höhe des zu Grunde liegenden Mietzinsanspruchs nur
als Vorfrage entschieden worden sei. Das rechtskräftige Urteil habe auch nicht
zur Folge, dass die Masseforderung des Klägers betreffend den Mietzins von
April bis September 1999 als Insolvenzforderung anzusehen sei. Gegen-stand
des Vorprozesses sei nicht die Qualifikation der Forderung als Insolvenzforde-
rung, sondern allein das Bestehen der Mietforderungen und Schadensersatz-
ansprüche des Klägers gewesen, gegenüber denen der Beklagte die Aufrech-
nung mit streitigen Forderungen erklärt habe. Das Bestehen eines Mietzinsan-
spruchs des Klägers für Februar und März 1999 in Höhe des Betrages, hinsicht-
lich dessen abgesonderte Befriedigung begehrt werde, sei zwischen den Par-
teien unstreitig. Für die Zeit ab April 1999 sei durch das angeführte Urteil
rechtskräftig festgestellt, dass dem Kläger ein Mietzinsanspruch in Höhe des
geltend gemachten Betrages zustehe. Von der zur Aufrechnung gestellten Ge-
genforderung des Beklagten in Höhe von nunmehr 499.566,96 DM sei im Vor-
prozess ein Betrag von 460.627,65 DM aberkannt worden. Da die Sache wegen
weitergehender Gegenansprüche in Höhe von 38.939,31 DM noch nicht ent-
scheidungsreif sei, bedürfe es hinsichtlich des vom Landgericht als unzulässig
wie auch des als unbegründet abgewiesenen Teils der Klage der Zurückverwei-
sung.
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II.
Die Revision ist zulässig.
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1. Das gegen ein kassatorisches Urteil gerichtete Rechtsmittel ist im Hin-
blick auf das Erfordernis einer ordnungsgemäßen Verfahrensrüge nach § 551
Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b) ZPO noch als zulässig anzusehen. Der Revisi-
onsbegründung ist die Rüge zu entnehmen, das Berufungsgericht hätte bei
richtiger Bestimmung des Streitgegenstands des Feststellungsurteils im Verfah-
ren nach § 179 ff InsO den über 28.750 DM nebst Zinsen hinausgehenden Teil
der Klage als unbegründet ansehen und die Berufung zurückweisen müssen.
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2. Der auf Teilaufhebung des Berufungsurteils und Zurückweisung der
Berufung insoweit, als der Kläger mehr als 28.750 DM nebst Zinsen hieraus
geltend macht, gerichtete Revisionsantrag ist zulässig.
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a) In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass
ein Rechtsmittel auf einen tatsächlich und rechtlich selbständigen und abtrenn-
baren Teil des Gesamtstreitstoffs beschränkt werden kann (BGHZ 53, 152,
155). Dies gilt nicht nur für verschiedene selbständige Klageansprüche oder
quantitativ abgrenzbare Teile von Ansprüchen, sondern auch für Verteidi-
gungsmittel, sofern es sich hierbei um einen tatsächlich und rechtlich selbstän-
digen und abtrennbaren Teil des Gesamtstreitstoffs handelt (BGHZ 45, 287,
289). So ist eine Beschränkung des Rechtsmittels eines zur Zahlung verurteil-
ten Beklagten auf eine zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung zulässig
(BGHZ 53, 152, 155; 109, 179, 189; BGH, Urt. v. 30. November 1995 - III ZR
240/94, NJW 1996, 527; v. 21. Juni 1999 - II ZR 47/98, NJW 1999, 2817, 2818).
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Unzulässig ist dagegen eine Beschränkung auf bloße Urteilselemente, bei de-
nen diese Voraussetzung nicht erfüllt ist (BGH, Urt. v. 13. Juni 2001 - VIII ZR
294/99, WM 2001, 2023, 2024).
b) Soweit die Klage auf ein Absonderungsrecht des Klägers wegen des
Mietzinses für Februar und März 1999 in Höhe von 28.750 DM gestützt wird,
handelt es sich um einen abgrenzbaren Teil der Klageforderung, der auch in
einem gesonderten Verfahren hätte geltend gemacht werden können. Die Revi-
sionserwiderung erwähnt selbst die Zusammensetzung des Klageanspruchs
aus mehreren Einzelforderungen. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die
Klage sei hinsichtlich dieses Betrages zulässig, weil dem Kläger insoweit ein
Absonderungsrecht zustehe. Weiter hat es im Rahmen der Begründetheit der
Klage festgestellt, zwischen den Parteien sei unstreitig, dass ein Mietzinsan-
spruch in Höhe dieses Betrages bestanden habe. Auch wenn das Berufungsge-
richt aufgehoben und zurückverwiesen hat, besteht kein anerkennenswertes
Bedürfnis, einen vom rechtsmittelführenden Beklagten nicht angegriffenen Teil
der Klageforderung vor dem Revisionsgericht zu verhandeln (vgl. BGHZ 45,
287, 289). Die von der Revisionserwiderung eingewandte Gefahr widerspre-
chender Entscheidungen ist nicht größer, als wenn die Klageforderung in zuläs-
siger Weise mit mehreren Teilklagen erhoben worden wäre. Solange über die
Gegenforderung keine der Rechtskraft fähige Entscheidung (§ 322 Abs. 2 ZPO)
ergangen ist, bleibt dem Beklagten zudem die Möglichkeit, sowohl gegenüber
der Teilforderung in Höhe von 28.500 DM als auch gegenüber der sonstigen
Forderung des Klägers die (Hilfs-)Aufrechnung zu erklären.
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III.
Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht die Klage als zulässig
angesehen; ihr steht die Rechtskraft des Feststellungsurteils im Vorprozess
nicht entgegen.
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1. An der Geltendmachung der Klageforderung ist der Kläger nicht auf
Grund der nach dem rechtskräftigen Feststellungsurteil im Vorprozess erfolgten
Eintragung in die Insolvenztabelle gehindert.
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a) Nach ganz herrschender Auffassung in Rechtsprechung und Schrift-
tum werden Masseforderungen auch durch Anmeldung, Anerkennung und
Feststellung nicht zu Insolvenzforderungen. Die Rechtskraftwirkung gemäß
§ 178 Abs. 3, § 183 InsO schließt die spätere Geltendmachung desselben An-
spruchs als Masseforderung nicht aus (BAGE 62, 88, 92 f; 104, 94, 97; 105,
345, 349; BAG ZIP 1987, 1266, 1267; BSG ZIP 1982, 191, 192; KG LZ 1907,
679, 680; OLGE 19 (1909), 214, 215; OLG München OLGE 21 (1910), 170,
172; OLG Düsseldorf NJW 1974, 1517, 1518; Kuhn/Uhlenbruck, KO 11. Aufl.,
§ 145 Rn. 3c, 7a; Uhlenbruck, InsO 12. Aufl., § 178 Rn. 17; HK-InsO/Irschlinger,
4. Aufl., § 179 Rn. 6; Kübler/Prütting/Pape, InsO, § 178 Rn. 11; Weis in
Hess/Weis/Wienberg, InsO 2. Aufl., § 178 Rn. 42; FK-InsO/Kießner, 4. Aufl.,
§ 174 Rn. 35).
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b) Eine andere Auffassung differenziert für die Rechtskraftwirkung der
Eintragung von Masseforderungen danach, ob der unanmeldbare Anspruch als
solcher oder als gewöhnliche Insolvenzforderung zur Tabelle festgestellt wurde.
Nur im ersten Fall soll keine Urteilswirkung eintreten. Dagegen könne es bei
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Eintragung der unanmeldbaren Forderung als gewöhnliche Insolvenzforderung
keinen Unterschied machen, ob die ordnungsgemäß angemeldete und festge-
stellte Forderung gar nicht bestehe oder ob sie zwar bestehe, aber nicht als
Insolvenzforderung zu qualifizieren sei. Die Feststellung einer Forderung als
Insolvenzforderung hindere jedoch einen Massegläubiger nicht daran, von dem
Insolvenzverwalter Erfüllung der Forderung aus der Masse zu verlangen und
notfalls in die Masse zu vollstrecken (Eckardt, ZIP 1993, 1765, 1768 ff, ders. in
Kölner Schrift, 2. Aufl., 743 Rn. 46; zustimmend Kilger/K. Schmidt, KO 17. Aufl.,
§ 145 Anm. 4). Der Gläubiger müsse allerdings vor der Durchsetzung seiner
Forderung nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) auf seine Rechte aus der Fest-
stellung verzichten (Eckardt, aaO 1773
f, 1774 Fn.
66; MünchKomm-
InsO/Schumacher, § 178 Rn. 66).
c) Die herrschende Auffassung ist zutreffend. Die Bestimmungen über
die Feststellung der Forderungen (§ 174 ff InsO) beziehen sich nach Wortlaut
und Systematik des Gesetzes nur auf Insolvenzforderungen. Nach § 174 Abs. 1
InsO haben die Insolvenzgläubiger ihre Forderungen schriftlich beim Insolvenz-
verwalter anzumelden. Damit dient das besondere Feststellungsverfahren nicht
zur Klärung der rechtlichen Einordnung eines Anspruchs als Insolvenzforde-
rung, sondern setzt die Anmeldung einer Insolvenzforderung voraus. Auch nach
der Gesetzesbegründung betreffen die Vorschriften lediglich Insolvenzgläubiger
(BT-Drucks. 12/2443, S. 183 f). Führte die Feststellung einer Forderung zur Ta-
belle als Insolvenzforderung allgemein zum Ausschluss als Masseforderung, so
könnte ein Insolvenzverwalter unter Umständen durch entsprechendes Verhal-
ten gegenüber rechtsunkundigen Massegläubigern deren Forderungen gleich-
sam in Insolvenzforderungen umwandeln. Ein anerkennenswertes Interesse,
den Gläubiger an einer irrtümlichen Feststellung als Insolvenzforderung zur Ta-
belle festzuhalten, besteht nicht. Die fehlerhafte Eintragung in die Tabelle kann
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berichtigt werden. Sollten auf Grund der Feststellung zur Tabelle bereits Zah-
lungen erfolgt sein, so können diese grundsätzlich nach § 812 BGB kondiziert
werden. Ob der Gläubiger unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Be-
reicherung auch verpflichtet ist, auf die Feststellung als Insolvenzforderung zu
verzichten, bedarf keiner Entscheidung. Gegenüber einem Gläubiger, der nach
irrtümlicher Anmeldung und Eintragung seines unanmeldbaren Anspruchs kraft
seines besseren Rechts von dem Verwalter Erfüllung begehrt, ohne die Lö-
schung der Eintragung zu bewilligen, kann der Verwalter die Erfüllung wegen
widersprüchlichen Verhaltens verweigern (vgl.
Jaeger/Weber, KO 8. Aufl., § 145 Anm. 7).
2. Entgegen der Ansicht der Revision ändert sich daran auch dann
nichts, wenn die Masseforderung im Verfahren der Feststellungsklage nach
§ 179, § 181, § 183 Abs. 1 InsO durch rechtskräftiges Urteil festgestellt und
gemäß § 183 Abs. 2 InsO in die Tabelle eingetragen worden ist.
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a) Die Forderungen der Massegläubiger unterliegen von vorneherein
nicht den Vorschriften über Geltendmachung und Prüfung von Insolvenzforde-
rungen; sie sind außerhalb des Feststellungsverfahrens gegen den Insolvenz-
verwalter zu verfolgen und von diesem zu befriedigen (RG JW 1905, 389, 390;
BSGE 50, 262, 264). Der Rechtskraft nach § 178 Abs. 3 InsO fähig sind daher
nur Insolvenzforderungen (BAGE 62, 89, 92 zur gleichlautenden Bestimmung
des § 145 Abs. 2 KO; 104, 94, 97; 105, 345, 349). Die von der Revision ange-
führte Rechtsprechung zur Erstreckung der materiellen Rechtskraft auf das Be-
stehen der Forderung bezieht sich denn auch nur auf Insolvenzforderungen
(vgl. RGZ 55, 157, 159; OLG Frankfurt KTS 1983, 602, 606; BGH, Beschl. v.
12. April 1984 - III ZR 113/83, KTS 1984, 427; vgl. auch RG JW 1921, 1363).
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Für die Rechtskraftfähigkeit und den Rechtskraftumfang bedeutet es kei-
nen Unterschied, ob die Forderung widerspruchslos eingetragen worden ist o-
der ob der Insolvenzverwalter oder ein anderer Insolvenzgläubiger sie bestritten
und der anmeldende Gläubiger gegen den Bestreitenden die Feststellung ge-
mäß § 179 Abs. 1 InsO betrieben hat. Während im ersten Fall die Forderung
nach § 178 Abs. 1 Satz 1 InsO kraft Gesetzes als festgestellt gilt, erfolgt bei der
zweiten Fallgruppe nach § 180 Abs. 1 InsO die Feststellung durch das Urteil im
ordentlichen Verfahren und die anschließende Berichtigung der Tabelle gemäß
§ 183 Abs. 2 InsO. Die Wirkung des Feststellungsurteils liegt mithin in der Be-
seitigung des Widerspruchs. Die Sachlage ist dann dieselbe geworden, als wä-
re im Prüfungstermin gar kein Widerspruch erhoben und die Forderung als un-
streitig festgestellt worden (Hahn, Die gesammten Materialien zu den Reichs-
Justizgesetzen, 4. Bd., Motive II 368 [zu § 135 KO-E]). In beiden Fallgruppen
wirkt erst die Eintragung durch das Insolvenzgericht in die Tabelle gemäß § 178
Abs. 3 InsO für die festgestellte Forderung nach Betrag und Rang wie ein
rechtskräftiges Urteil gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenz-
gläubigern. Bei dieser Wirkung einer an sich rein beurkundenden Tätigkeit des
Insolvenzgerichts handelt es sich um eine durch Zweckmäßigkeitserwägungen
gerechtfertigte, auf §
178 Abs.
3 InsO beruhende Besonderheit (vgl.
Jaeger/Weber, aaO, § 145 Anm. 3 a). Die Rechtskraftwirkung von Feststellung
und Eintragung ist deswegen auf Insolvenzforderungen zu begrenzen (vgl. dazu
W. Lüke, Anm. AP BetrVG 1972 § 113 Nr. 19 unter 1.), was durch den Bezug
auf alle Insolvenzgläubiger in § 178 Abs. 3 InsO zum Ausdruck kommt. Gegen-
über Massegläubigern setzt das Gesetz den Feststellungseintrag nicht einem
rechtskräftigen Urteil gleich, weil sich diese nicht in einer Konkurrenzsituation
mit den Insolvenzgläubigern befinden, sondern gemäß § 53 InsO vorweg Be-
friedigung erfahren (Nerlich/Römermann/Becker, InsO, § 178 Rn. 29).
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b) Eine Entscheidung, mit der eine Forderung gemäß § 183 Abs. 1,
§ 181, § 179 Abs. 1 InsO rechtskräftig festgestellt wird, umfasst auch nicht, wie
die Revision meint, nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen deren Ein-
ordnung als Insolvenzforderung. Ungenau ist die - wohl auf RGZ 55, 157, 159 f
beruhende - Auffassung der Revision, Streitgegenstand der Feststellungsklage
nach § 179 f InsO sei die Forderung selbst. In Übereinstimmung mit dem für
den allgemeinen Zivilprozess in der Rechtsprechung anerkannten zweigliedri-
gen Streitgegenstandsbegriff (BGHZ 117, 1, 5; 153, 173, 175) ist der Gegen-
stand der hier in Rede stehenden Feststellungsklage ebenfalls nach Antrag und
Grund zu bestimmen. Im Forderungsfeststellungsrechtsstreit lautet der Antrag
auf Feststellung der angemeldeten Forderung zur Insolvenztabelle (BGH, Urt. v.
21. November 1953 - VI ZR 203/52, LM Nr. 4 zu § 146 KO; v. 19. September
1957 - II ZR 1/56, WM 1957, 1334, 1335; Weis, aaO § 179 Rn. 28; Ner-
lich/Römermann/Becker, aaO, § 179 Rn. 7) nach Grund, Betrag und Rang
(§ 181 InsO). "Grund" des erhobenen Anspruchs ist der in der Anmeldung
angegebene Sachverhalt (BGH, Urt. v. 27. September 2001 - IX ZR 71/00, ZIP
2001, 2099). Gegenstand der Insolvenzfeststellungsklage nach §§ 179 ff InsO
ist entgegen der Auffassung der Revision mithin nicht die rechtliche Qualifikati-
on der angemeldeten Forderung als Insolvenzforderung. Letzteres kann im
Streitfall durch eine (allgemeine) Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO geklärt
werden (vgl. BGH, Urt. v. 25. Juni 1957 - VIII ZR 251/56, WM 1957, 1225,
1226), die durch §§ 179 ff InsO nicht ausgeschlossen ist (vgl. zu § 146 KO RGZ
116, 368, 372; 139, 83, 87; RG JW 1900, 393, 394).
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c) Da der Antrag auf Feststellung zur Tabelle gerichtet ist, vermag ein
Feststellungsurteil keine Rechtskraftwirkung für die auf Zahlung als Masse-
schuld gerichtete Klage zu entfalten. Enthält die Entscheidungsformel im Ver-
fahren nach § 179 ff InsO - wie hier im Vorprozess - nicht die Feststellung der
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angemeldeten Forderung zur Insolvenztabelle, sondern die Feststellung, dass
dem Kläger eine nicht nachrangige Insolvenzforderung und ein Zinsanspruch in
bestimmter Höhe zustehen, darf nicht an dem buchstäblichen Sinne des Aus-
drucks gehaftet werden. Vielmehr ist der Urteilsausspruch durch die Urteils-
gründe auszulegen (vgl. BGH, Urt. v. 10. Juni 1963 - II ZR 137/62, WM 1963,
749, 750). Im Vorprozess wurde, wie sich aus dem Urteil vom 28. Februar 2001
ergibt, nur über das Bestehen der Forderung als Voraussetzung der Beteiligung
des Gläubigers an der Verteilung der haftenden Masse gestritten, nicht aber um
die Eigenschaft der Forderung als Masseschuldanspruch (vgl. KG OLGE 19
(1909), 214, 215; Jaeger/Henckel, InsO, § 53 Rn. 28). Im Übrigen hat der Klä-
ger im Vorprozess in der Klageschrift Mietzinsforderungen in Höhe von
114.257,72 DM - im Wesentlichen die jetzige Klageforderung - im Rahmen der
Ausführungen zum Streitwert unwidersprochen als Masseforderungen qualifi-
ziert.
3. Deshalb ist auch für die Annahme eines Verzichts des Klägers auf die
Geltendmachung als Masseforderung kein Raum. Allein in der Anmeldung einer
Forderung als Insolvenzforderung liegt kein Verzicht auf die Masseschuld (RGZ
98, 136, 137).
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IV.
Nicht gefolgt werden kann jedoch den Ausführungen des Berufungsge-
richts zum Mietzins für April bis September 1999 und zur Aberkennung des
überwiegenden Teils der vom Beklagten zur Aufrechnung gestellten Gegenfor-
derung durch das Feststellungsurteil im Vorprozess.
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1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sind die Mietforde-
rungen des Klägers für den Zeitraum von April bis September 1999 gegenüber
dem Insolvenzverwalter und den übrigen Insolvenzgläubigern nicht rechtskräftig
festgestellt. Die Masseschuld unterliegt nicht den Bindungswirkungen des § 178
Abs. 3 InsO, weil es sich um einen privilegierten Anspruch im Insolvenzverfah-
ren handelt, der nur gegen den Insolvenzverwalter gerichtet werden kann. Ist
die Forderung selbst ihrer Existenz und Höhe nach mit Wirkung gegenüber al-
len Insolvenzgläubigern - wie in RGZ 55, 157, 159 f - rechtskräftig festgestellt
gewesen, so hat sich das nur auf die angemeldete und zur Prüfung gestellte
Insolvenzforderung, nicht auf den erhobenen oder vorbehaltenen Massean-
spruch bezogen (RG JW 1905, 389, 390).
25
Ebenso wie die schutzwerten Interessen des Gläubigers eine Weiterver-
folgung des Anspruchs als Masseforderung im gesonderten Klageverfahren
eröffnen, hat Entsprechendes zu Gunsten der Masse zu gelten: Der Verwalter
ist berechtigt, den als Masseforderung weiterverfolgten Anspruch nach Grund
und Höhe zu bestreiten. Abgesehen von Wortlaut und systematischem Zusam-
menhang der Bestimmungen über die Feststellung von Insolvenzforderungen
besteht an einer sich auf Grund und Höhe der Masseforderung beziehenden
Bindungswirkung der fehlerhaften Anmeldung, Feststellung und Eintragung kein
schutzwürdiges Interesse des Gläubigers. Gerade bei voraussichtlich geringen
Insolvenzquoten wird es vielfach unwirtschaftlich sein, im Feststellungsrechts-
streit mit erheblichen Kosten über Grund und Höhe einer Insolvenzforderung zu
streiten, die lediglich ein Rechnungsposten für die Bestimmung der Quote ist,
welche den Gläubigern bei der Verteilung der Haftungsmasse zukommt. Haben
der Insolvenzverwalter und die übrigen Insolvenzgläubiger als weitere Beteiligte
mangels eines hinreichenden wirtschaftlichen Interesses die Forderung nicht
bestritten, so können sie nicht an deren Feststellung zur Tabelle gebunden
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- 15 -
werden, wenn der Gläubiger die Forderung nachträglich als Masseschuld gel-
tend macht und damit der Masse einen Wert entziehen würde, welcher den der
Insolvenzforderung bei weitem überstiege (vgl. Henckel, Festschrift für K. Mi-
chaelis 1972, 151, 160) oder sogar zur Masseunzulänglichkeit (§ 208 Abs. 1
InsO) führte. Die Feststellung und Eintragung entbehrt aber auch dann einer
Bindungswirkung, wenn die Forderung - wie in der Klageschrift im Vorprozess -
von vorneherein als Masseforderung bezeichnet worden ist. Wenn die Feststel-
lung nach Grund und Betrag für die Geltendmachung der Masseschuld als ver-
bindlich angesehen werden müsste, so würde das Feststellungsverfahren mit
allen denkbaren Einwendungen von Insolvenzverwalter und den Insolvenzgläu-
bigern - die übrigen Massegläubiger sind kraft Gesetzes an dem Verfahren
nach § 178 ff InsO nicht beteiligt - zu Grund und Höhe ohne Rücksicht auf die
hinsichtlich der angemeldeten Forderung zu erwartende Quote belastet werden
(vgl. Henckel, aaO, 160 f).
Im Übrigen hat der Kläger die Anmeldung zur Tabelle in Höhe der jetzi-
gen Klageforderung zurückgenommen, woraufhin die Tabelle um diesen Betrag
berichtigt wurde.
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2. Da der Feststellung zur Insolvenztabelle somit für die Masseforderung
keine Bindungswirkung zukommt, wurde entgegen der Ansicht des Berufungs-
gerichts auch über das Nichtbestehen der Gegenforderung durch das Feststel-
lungsurteil nicht in Höhe von 460.627,65 DM rechtskräftig entschieden.
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V.
Gleichwohl stellt sich die Zurückverweisung der Sache durch das Beru-
fungsgericht zur weiteren Verhandlung an das Gericht des ersten Rechtszuges
im Ergebnis als richtig dar.
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1. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen und ausgeführt, sie sei
zum überwiegenden Teil nicht begründet, weil dem Kläger ein Anspruch nur in
Höhe der Insolvenzquote zustehe; in Bezug auf diese Quote sei die Klage je-
doch unzulässig, weil die Forderungen in die Insolvenztabelle einzutragen sei-
en, aus der Tabelle vollstreckt werden könne und es für eine Leistungsklage an
einem Rechtsschutzbedürfnis fehle. Damit hat der Erstrichter nicht nur über die
Zulässigkeit der Klage, sondern wegen eines freilich nicht näher bezeichneten
Teils der Forderung zugleich über die Begründetheit entschieden. Insofern das
Landgericht die Klage als unzulässig abgewiesen hat, greift § 538 Abs. 1 Nr. 2
ZPO a.F. unmittelbar ein. Entsprechende Anwendung findet die Vorschrift, so-
weit die Klage wegen entgegen stehender Rechtskraft als unbegründet abge-
wiesen worden ist (BGH, Urt. v. 11. März 1983 - V ZR 287/81, NJW 1984, 126,
128). Die Zurückverweisung ist im Übrigen deswegen gerechtfertigt, weil das
erstinstanzliche Urteil nicht erkennen lässt, in welchem Umfange die Klage je-
weils für unzulässig bzw. für unbegründet erachtet worden ist. Mithin kann die
Rechtskraftwirkung des Urteils nicht bestimmt werden, was einen wesentlichen
Verfahrensmangel im Sinne des § 539 ZPO a.F. darstellt (BGHZ 45, 287; OLG
Rn. 29). Wegen der Mietzinsansprüche für die Zeit von April bis September
1999 und der vom Beklagten zur Aufrechnung gestellten streitigen Gegenforde-
rung in Höhe von 499.566,96 DM ist der Rechtsstreit nicht zur Sachentschei-
dung reif. Die Erwägungen des Berufungsgerichts zur Zurückverweisung statt
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eigener Sachentscheidung nach § 540 ZPO a.F. - die sich von seinem Stand-
punkt aus folgerichtig nur auf einen Teilbetrag der Gegenforderung von
38.939,31 DM beziehen - werden von der Revision nicht angegriffen und ent-
halten keine Rechtsfehler.
2. Das Landgericht wird nunmehr dem in der Berufungserwiderung erho-
benen Einwand nachzugehen haben, das Mietverhältnis sei auf Grund der mit
Mieteinnahmen in Höhe von insgesamt 5.730 DM verbundenen Weitervermie-
tung aufgelöst worden; gegebenenfalls wird der Kläger den Masseanspruch neu
zu berechnen haben. Für eine Verrechnung mit Zinsen gemäß § 169 InsO, wie
er sie im Vorprozess vorgenommen hat, bleibt dabei kein Raum, weil diese Re-
gelung lediglich die Verwertung von Gegenständen betrifft, an denen ein Ab-
sonderungsrecht besteht (vgl. BGHZ 154, 72, 77 f; Urt. v. 16. Februar 2006
- IX ZR 26/05, WM 2006, 818, 819 z.V.b. in BGHZ). Schließlich wird das Land-
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gericht die von dem Beklagten zur Aufrechnung gestellte, auf insgesamt
499.566,96 DM bezifferte Gegenforderung prüfen müssen.
Dr.
Gero
Fischer
Dr.
Ganter
Vill
Lohmann
Dr.
Detlev
Fischer
Vorinstanzen:
LG Kiel, Entscheidung vom 31.10.2001 - 4 O 182/01 -
OLG Schleswig, Entscheidung vom 19.12.2003 - 4 U 181/01 -