Urteil des BGH vom 14.03.2017

BGH (zpo, sache, bezeichnung, inhalt, mandat, rüge, erheblichkeit, fehlerhaftigkeit, rechtsanwendung, vorschrift)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 196/04
vom
9. Februar 2006
in dem Rechtsstreit
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Gero Fischer, die Richter Dr. Ganter, Cierniak, die Richterin Lohmann und
den Richter Dr. Detlev Fischer
am 9. Februar 2006
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der
23. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 2. Juni 2004
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zu-
rückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf
2.156,66 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Kläger verlangen von der Beklagten die Zahlung von Anwaltshonorar
wegen deren Vertretung in einem vorausgegangenen Rechtsstreit vor dem
Landgericht Duisburg. Das Amtsgericht hat ein klagezusprechendes Versäum-
nisurteil aufrechterhalten. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat
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das Landgericht als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich die Beklagte
mit der Rechtsbeschwerde.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2, § 575
ZPO).
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2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Berufungsgericht hat die
Berufung der Beklagten zu Unrecht nach § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig ver-
worfen.
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a) Das Landgericht hat gemeint, die Berufung der Beklagten sei unzuläs-
sig, weil die Berufungsbegründung nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3
Satz 2 ZPO genüge. Sie erschöpfe sich in Ziffer 1 darin, sich den Sachvortrag
der Kläger in erster Instanz zu Eigen zu machen und im Einzelnen zu dem
Gang verschiedener anderer Verfahren vorzutragen. Worin die Mängel des an-
gefochtenen Urteils liegen sollten, werde nicht ausgeführt. Soweit in der Beru-
fungsbegründung neue Verteidigungsmittel vorgetragen würden, fehle die er-
forderliche Darlegung der Zulassungstatsachen. Auch die Rüge einer Verlet-
zung der Hinweispflicht durch das Amtsgericht werde nicht ausreichend ausge-
führt.
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b) Es bedarf keiner Entscheidung, ob, wie die Beklagte vorab rügt, der
angefochtene Beschluss bereits wegen des Fehlens einer Sachverhaltsdarstel-
lung aufgehoben werden muss (vgl. BGH, Beschl. v. 20.
Juni 2002
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- IX ZB 56/01, NJW 2002, 2648 f; v. 12. Januar 2006 - IX ZB 140/04, z.V.b.),
oder ob sich hier der Sach- und Streitstand aus den Entscheidungsgründen in
einem für die Beurteilung der aufgeworfenen Rechtsfrage ausreichenden Um-
fang ergibt (vgl. BGH, Urt. v. 25. April 1991 - I ZR 232/89, NJW 1991, 3038,
3039).
c) Das Landgericht hat, wie die Beklagte zu Recht beanstandet, die An-
forderungen an den Inhalt der Berufungsbegründung nach § 520 Abs. 3 Satz 2
ZPO überspannt.
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aa) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO hat die Berufungsbegründung
die Bezeichnung der Umstände zu enthalten, aus denen sich nach Ansicht des
Rechtsmittelführers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die ange-
fochtene Entscheidung ergibt. Da die Berufungsbegründung erkennen lassen
soll, aus welchen tatsächlichen und rechtlichen Gründen der Berufungskläger
das angefochtene Urteil für unrichtig hält, hat dieser diejenigen Punkte rechtli-
cher Art darzulegen, die er als unzutreffend ansieht, und dazu die Gründe an-
zugeben, aus denen er die Fehlerhaftigkeit jener Punkte und deren Erheblich-
keit für die angefochtene Entscheidung herleitet. Zur Darlegung der Fehlerhaf-
tigkeit ist somit lediglich die Mitteilung der Umstände erforderlich, die das Urteil
aus der Sicht des Berufungsklägers in Frage stellen. Besondere formale Anfor-
derungen werden nicht gestellt; für die Zulässigkeit der Berufung ist insbeson-
dere ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder auch nur ver-
tretbar sind. Damit wird weitgehend an den Rechtszustand vor Inkrafttreten des
Zivilprozessreformgesetzes vom 27. Juli 2001 (§ 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO a.F.)
angeknüpft; nach dem Willen des Reformgesetzgebers sollten dabei die Anfor-
derungen an den Inhalt der Rüge falscher Rechtsanwendung gesenkt werden
(Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 14/4722 S. 95; vgl. BGH,
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Beschl. v. 21. Mai 2003 - VIII ZB 133/02, NJW-RR 2003, 1580; v. 28. Mai 2003
- XII ZB 165/02, NJW 2003, 2531, 2532; v. 26. Juni 2003 - III ZB 71/02, NJW
2003, 2532, 2533). Dies kommt auch im unterschiedlichen Wortlaut der alten
und der neuen Fassung der Vorschrift über die Berufungsbegründung zum
Ausdruck, weil § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO auf die "bestimmte" Bezeichnung
der Gründe verzichtet.
bb) Entgegen der Ansicht des Landgerichts genügt die Berufungsbe-
gründung der Beklagten vom 28. April 2004 diesen Anforderungen. Die Beklag-
te hat ihren Rechtsausführungen unter Ziffer 1 der Berufungsbegründung eine
Bezugnahme auf Seite 3 des amtsgerichtlichen Urteils vorangestellt. Dort wer-
den zunächst die näheren Umstände der Mandatsübernahme als unstreitig
festgestellt. Hierauf aufbauend meint das Amtsgericht, es sei den Klägern we-
gen der Kürze der zwischen der Mandatserteilung und dem Termin zur mündli-
chen Verhandlung liegenden Zeit nicht nur nicht zuzumuten, sondern auch
praktisch unmöglich gewesen, Akteneinsicht zu nehmen oder gar dem Gericht
schriftsätzlich vorzutragen. Daran knüpft die Beklagte in ihrer Berufungsbe-
gründung an ("Also"), indem sie den Klägern vorwirft, sie hätten das Mandat
nicht übernehmen dürfen, sondern sie, die Beklagte, darauf hinweisen müssen,
dass sie in der verbleibenden Zeit nichts mehr für sie würden tun können. Die
Kläger hätten ihr empfehlen müssen, es bei dem Mandatsverhältnis mit dem
bisherigen Anwalt zu belassen, "anstatt unnütze weitere Gebühren einzuset-
zen." Damit hat die Beklagte geltend gemacht, die Kläger hätten das Mandat
pflichtwidrig übernommen, ihr Schaden - von dem sie, wie ihr Berufungsantrag
belegt, befreit zu werden wünscht - bestehe in der Belastung mit der eingeklag-
ten Gebührenforderung. Das erfüllt die formellen Anforderungen an eine Beru-
fungsbegründung gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO; um ein neues Vertei-
digungsmittel im Sinne des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 ZPO handelt es sich nicht.
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Möglicherweise meinte das Berufungsgericht, diese Ausführungen der Beklag-
ten lägen tatsächlich oder rechtlich neben der Sache. Darauf kommt es jedoch
nicht an; denn dies würde nicht zur Unzulässigkeit der Berufung führen (vgl.
BGH, Urt. v. 27. Mai 1964 - VIII ZR 174/63, VersR 1964, 949; Beschl. v. 28. Mai
2003, aaO; Zöller/Gummer/Heßler, ZPO 25. Aufl. § 520 Rn. 34).
d) Der Berufungsangriff ist gegen die Klageforderung insgesamt gerich-
tet.
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e) Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Die
Sache war an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1
ZPO).
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Dr. Gero Fischer Dr. Ganter Cierniak
Lohmann Dr. Detlev Fischer
Vorinstanzen:
AG Düsseldorf, Entscheidung vom 23.01.2004 - 30 C 9221/03 -
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 02.06.2004 - 23 S 100/04 -