Urteil des BGH vom 08.07.2014

BGH: beleidigung, schuldfähigkeit, fass, misshandlung, verminderung, angriff, zusammenwirken, strafmilderungsgrund, urlaub, affekt

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 S t R 2 2 8 / 1 4
vom
8. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u.a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerde-
führers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 8. Juli
2014 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Mönchengladbach vom 19. Dezember 2013 im Straf-
ausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückver-
wiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags und vorsätzli-
chen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu der Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jah-
ren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen
Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungs-
formel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von
§ 349 Abs. 2 StPO.
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1. Nach den Feststellungen des Landgerichts lernten sich der Angeklag-
te und das spätere Opfer, S. , vor Pfingsten 2011 kennen und ver-
liebten sich ineinander. Die Beziehung war jedoch alsbald von Streitigkeiten
geprägt, da der Angeklagte sehr eifersüchtig war und versuchte,
S. Vorschriften hinsichtlich ihrer Lebensführung zu machen, was die be-
rufstätige, selbstbewusste und durchsetzungsfähige Frau nicht ohne Weiteres
hinnahm. Im Rahmen der Streitigkeiten, in deren Verlauf sie den Angeklagten
manchmal auch mit Ohrfeigen "zurechtwies", setzte sich S. meist
durch, während sich der Angeklagte, der sich ihr wegen seiner Arbeitslosigkeit
und seines steten Geldmangels ohnehin unterlegen fühlte, fügte. Das Tat-
wochenende wollten der Angeklagte und S. gemeinsam verbrin-
gen. Um dieses Zusammensein großzügig zu finanzieren, hatte der Angeklagte
u.a. ihren Bruder ersucht, ihm Geld zu leihen, was am Freitagabend zu erneu-
tem Streit führte, bei dem S. ihn wieder ohrfeigte. Als sie am fol-
genden Morgen zum Einkaufen aufbrach, übergab ihr der Angeklagte, um sich
an der Finanzierung der gemeinsamen Haushaltsführung zu beteiligen, zwei
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€-Scheine, die sie indes zerriss. Seinen Versuch, über "Smalltalk" und eine
Umarmung eine Annäherung zu erreichen, wies sie mit dem Bemerken zurück,
dass sie keinen Respekt mehr vor ihm habe und sie nicht mehr zusammen-
passten. Dabei versetzte sie ihm erneut eine Ohrfeige. Nun packte er
S. , so dass beide zu Boden fielen. Spätestens jetzt fasste der Angeklag-
te den Entschluss, S. zu töten. Er griff noch liegend in eine
Küchenschublade, entnahm ihr ein Messer und fügte seinem Opfer damit sie-
ben Stich- und vier Schnittverletzungen zu, von denen die gefährlichsten einen
Lungenlappen verletzten und den Herzbeutel öffneten, was binnen einer Minute
zum Tod der S. führte. Der Angeklagte war bei dieser Tat auf-
grund eines Affektes nicht ausschließbar in seiner Steuerungsfähigkeit im Sin-
ne von § 21 StGB erheblich eingeschränkt. Danach fuhr der Angeklagte, ohne
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im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein, nach Jülich und von dort zu seinem Bru-
der nach Baden-Baden.
Das Landgericht hat die Einzelfreiheitsstrafe von neun Jahren für den
Totschlag dem oberen Bereich des Rahmens des § 213 StGB entnommen.
Einen minder schweren Fall nach § 213 1. Alt. StGB hat es verneint, weil der
Angeklagte auch früher Ohrfeigen hingenommen habe, ohne sich zu wehren,
und insbesondere die andauernde Ablehnung des Angeklagten durch die spä-
ter Getötete während des Wochenendes, ihr geäußerter Respektverlust und
das endgültige Beziehungsaus tatauslösend waren. Die Würdigung der Ge-
samtumstände einschließlich des vertypten Strafmilderungsgrundes nach § 21
StGB führe jedoch zur Annahme eines sonstigen minder schweren Falles nach
§ 213 2. Alt. StGB.
2. Die Begründung, mit der die Strafkammer einen minder schweren Fall
des Totschlags nach § 213 1. Alt. StGB abgelehnt hat, hält sachlichrechtlicher
Nachprüfung nicht stand.
Den Anforderungen an eine Misshandlung oder schwere Beleidigung im
Sinne des § 213 1. Alt. StGB genügen zwar grundsätzlich nur solche Provokati-
onen, die auf der Grundlage aller dafür maßgebenden Umstände unter objekti-
ver Betrachtung und nicht nur aus der Sicht des Täters als schwer zu beurteilen
sind; denn der hohe Rang des durch § 212 StGB geschützten Rechtsguts und
die unter den Voraussetzungen des § 213 StGB mildere Beurteilung der Ver-
nichtung menschlichen Lebens gebieten es, die Anforderungen an die Schwere
der Misshandlung oder Beleidigung und auch der auf die tatauslösende Situati-
on zulaufenden Entwicklung der Täter-Opfer-Beziehung nicht zu niedrig anzu-
setzen. Mit dieser Maßgabe kann jedoch auch eine für sich gesehen nicht als
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gravierend einzustufende Provokation dann als schwer zu bewerten sein, wenn
sie nach einer Reihe von Kränkungen oder ehrverletzenden Situationen der
"Tropfen" war, der "das Fass zum Überlaufen" brachte (st. Rspr.; vgl. etwa
BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2010 - 3 StR 454/10, NStZ 2011, 339, 340
mwN). Erforderlich ist deshalb stets eine Gesamtbetrachtung aller für die Beur-
teilung maßgeblichen Umstände (BGH, Urteil vom 10. Oktober 1989 - 1 StR
239/89, BGHR StGB § 213 1. Alt. Beleidigung 5).
Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Das
Landgericht hat lediglich den durch die später Getötete bekundeten Respekt-
verlust und das endgültige Beziehungsaus als tatauslösend bewertet. Dage-
gen misst es offensichtlich der Ohrfeige kein wesentliches tatbestimmendes
Gewicht bei. Indes hätte es die gesamte Entwicklung der Beziehung zwischen
der später Getöteten und dem Angeklagten in den Blick nehmen und prüfen
müssen, ob die dem Angriff des Angeklagten auf sein Opfer unmittelbar
vorausgehende Ohrfeige im Zusammenwirken mit dem geäußerten Respekt-
verlust vor dem Hintergrund früherer - auch tätlicher - "Zurechtweisungen" des
sich immer wieder fügenden Angeklagten nicht "das Fass zum Überlaufen
brachte", weshalb bei einer sachgerechten Bewertung aller maßgebenden
Umstände, die immerhin beim Angeklagten so starke Affekte auslösten, dass
eine Verminderung der Schuldfähigkeit nicht ausgeschlossen werden konnte,
die Voraussetzungen des § 213 1. Alt. StGB möglicherweise gegeben waren.
3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Höhe der Strafe, auf
die das Landgericht erkannt hat, auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht.
Das Landgericht hat zwar die Voraussetzungen eines minder schweren Falles
des Totschlags nach § 213 2. Alt. StGB angenommen. Dabei hat es jedoch
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den vertypten Strafmilderungsgrund des § 21 StGB in die Beurteilung einbe-
zogen, der somit gemäß § 50 StGB für eine weitere Strafrahmenmilderung
nach § 49 Abs. 1 StGB nicht mehr zur Verfügung stand. Es erscheint indes
möglich, dass die Strafkammer, hätte sie die Voraussetzungen des § 213
1. Alt. StGB bejaht, den Strafrahmen des § 213 StGB erneut nach den §§ 21,
49 Abs. 1 StGB gemildert und eine geringere Strafe verhängt hätte. Eine sol-
che weitere Milderung des Strafrahmens ist hier auch nicht grundsätzlich aus-
geschlossen; denn der über den Erregungszustand im Sinne des § 213 1. Alt.
StGB hinausgehende Affekt, der zu einer von dieser Bestimmung nicht
vorausgesetzten erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit führt, kann
eine zusätzliche Strafrahmenverschiebung rechtfertigen, ohne dass dem § 50
StGB entgegensteht (BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2010 - 3 StR
454/10, NStZ 2011, 339, 340 mwN).
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4. Der Senat hebt den Strafausspruch insgesamt auf, um dem neuen
Tatgericht eine insgesamt stimmige Rechtsfolgenentscheidung zu ermögli-
chen.
Becker Schäfer Mayer
RiBGH Gericke befindet sich Spaniol
im Urlaub und ist daher
gehindert zu unterschreiben.
Becker
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