Urteil des BGH vom 19.05.2004

BGH (wiedereinsetzung in den vorigen stand, entwurf, berufungsschrift, zpo, begründung, bewilligung, wiedereinsetzung, erklärung, berufungsfrist, durchführung)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 25/04
vom
19. Mai 2004
in der Familiensache
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Mai 2004 durch die Vor-
sitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Weber-Monecke, Prof.
Dr. Wagenitz und Dose
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluß des
20. Familiensenats des Oberlandesgerichts Dresden vom
22. Januar 2004 aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit
Ausnahme der Gerichtskosten, von deren Erhebung abgesehen
wird (§ 8 GKG).
Beschwerdewert: 940 €
Gründe:
I.
Die Abänderungsklage, mit der der Kläger den Wegfall seiner Verpflich-
tung zur Zahlung von Kindesunterhalt ab August 2002 begehrte, wurde durch
Urteil des Familiengerichts vom 4. Juli 2003, dem Kläger zugestellt am 10. Juli
2003, zurückgewiesen.
Mit am 8. August 2003 bei Gericht eingegangenen Schriftsätzen legte
der Kläger hiergegen "Berufung" ein mit dem Zusatz, die Durchführung werde
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von der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe abhängig gemacht, beantragte Pro-
zeßkostenhilfe für das Berufungsverfahren und legte einen mit der Unterschrift
seines beim Berufungsgericht zugelassenen Prozeßbevollmächtigten versehe-
nen Entwurf einer Berufungsbegründung vor.
Mit Beschluß vom 27. November 2003, dem Kläger zugegangen am
4. Dezember 2003, bewilligte das Berufungsgericht Prozeßkostenhilfe für ein-
geschränkte Berufungsanträge.
Daraufhin beantragte der Kläger mit einem als Berufung bezeichneten
Schriftsatz, der am 19. Dezember 2003 (Freitag) per Fax bei Gericht einging,
Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist und begründete
die Berufung zugleich unter Beschränkung seiner Berufungsanträge nach Maß-
gabe der Prozeßkostenhilfebewilligung.
Auf einen dem Kläger am 2. Januar 2004 zugestellten Hinweis des Ge-
richts, die Wiedereinsetzungsfrist des § 234 ZPO sei durch das am 19. De-
zember 2003 eingegangene Wiedereinsetzungsgesuch nicht gewahrt,
beantragte der Kläger mit am 15. Januar 2004 eingegangenem Schriftsatz vor-
sorglich Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist
und machte durch eidesstattliche Versicherung seiner Büroangestellten glaub-
haft, diese habe versäumt, die Weisung des Prozeßbevollmächtigten zu befol-
gen, das Wiedereinsetzungsgesuch vom 18. Dezember 2003 noch am gleichen
Tage per Fax an das Berufungsgericht zu senden.
Das Berufungsgericht sah die am 8. August 2003 eingegangene Beru-
fungsschrift als unbedingt eingelegt an und verwarf die Berufung mangels
rechtzeitiger Begründung mit Beschluß vom 22. Januar 2004. Zugleich verwei-
gerte es die vom Kläger beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.
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II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1
Satz 4 ZPO statthaft und gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig, weil die Si-
cherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbe-
schwerdegerichts erfordert.
2. Sie ist auch begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen
Verwerfungsbeschlusses mit der Folge, daß das Berufungsverfahren fortzuset-
zen ist.
Der Kläger hat weder die Berufungsfrist noch die Berufungsbegrün-
dungsfrist versäumt, so daß es einer Wiedereinsetzung nicht bedarf.
a) Das Berufungsgericht hat den am 8. August 2003 eingegangenen
Schriftsatz als unbedingt eingelegte Berufung ausgelegt. Diese Auslegung, die
das Gericht der Rechtsbeschwerde uneingeschränkt nachprüfen kann, läßt
Rechtsfehler nicht erkennen.
Der Berufungsschriftsatz ist innerhalb der Berufungsfrist eingegangen
und wahrt die erforderlichen Förmlichkeiten. In ihm wird erklärt, daß gegen das
näher bezeichnete Urteil des Amtsgerichts namens und in Vollmacht des Klä-
gers Berufung eingelegt werde. Die Einlegung des Rechtsmittels ist zulässiger-
weise mit einem Prozeßkostenhilfegesuch verbunden worden. In einem solchen
Fall muß der Rechtsmittelführer zwar alles vermeiden, was den Eindruck er-
weckt, er wolle eine (künftige) Prozeßhandlung nur ankündigen und sie von der
Gewährung der Prozeßkostenhilfe abhängig machen (vgl. Senatsbeschluß vom
9. Juli 1986 - IVb ZB 55/86 - FamRZ 1986, 1987). Wenn aber - wie hier - die
gesetzlichen Anforderungen an eine Berufungsschrift erfüllt sind, kommt die
Deutung, daß der Schriftsatz nicht als unbedingte Berufung bestimmt war, nur
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in Betracht, wenn sich dies aus den Begleitumständen mit einer jeden vernünf-
tigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt (vgl. Senatsbeschluß vom
10. Januar 1990 - XII ZB 134/89 - FamRZ 1990, 995). Mit Rücksicht auf die
schwerwiegenden Folgen einer bedingten und damit unzulässigen Berufungs-
einlegung ist für die Annahme einer derartigen Bedingung eine ausdrückliche
zweifelsfreie Erklärung erforderlich, die beispielsweise darin gesehen werden
kann, daß der Schriftsatz als "Entwurf einer Berufungsschrift" bezeichnet wird,
oder von einer "beabsichtigten Berufung" die Rede ist oder angekündigt wird,
daß "nach Gewährung der Prozeßkostenhilfe" Berufung eingelegt werde (vgl.
BGH, Urteil vom 31. Mai 1995 - VIII ZR 267/94 - BGHR ZPO § 518 Abs. 1 Ein-
legung 5).
Demgegenüber ist der hier zu beurteilenden Berufungsschrift eine solche
eindeutige, jeden vernünftigen Zweifel ausschließende Bedingung nicht zu ent-
nehmen. Er ist mit "Berufung" überschrieben und enthält zunächst die aus-
drückliche und einschränkungslose Erklärung, es werde Berufung eingelegt.
Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß die Einlegung der Berufung, der Antrag
auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe und die darin in Bezug genommene, als
"Entwurf der Berufungsbegründungsschrift" bezeichnete Begründung jeweils in
gesonderten Schriftsätzen eingereicht wurden und die Begründungsschrift mit
der Überschrift "Entwurf" versehen wurde, die Berufungsschrift im Gegensatz
dazu aber nicht.
Wenn sodann in der Berufungsschrift nach der Erklärung, daß Berufung
eingelegt werde, der Absatz folgt
"Die Durchführung des Berufungsverfahrens wird von der Bewilli-
gung von Prozeßkostenhilfe abhängig gemacht“,
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so ist dies nicht eindeutig, da diese Erklärung auch dahin verstanden werden
kann, daß nur die Entscheidung darüber, ob und in welchem Umfang die (weite-
re) Durchführung des Rechtsmittelverfahrens - die die Einlegung des Rechts-
mittels voraussetzt - von der Bewilligung der Prozeßkostenhilfe abhängig ge-
macht wird, nicht aber die Einlegung selbst, und daß der Kläger sich für den
Fall vollständiger Versagung der Prozeßkostenhilfe die Zurücknahme der Beru-
fung vorbehält (vgl. BGH, Urteil vom 31. Mai 1995 aaO.).
b) Zu Unrecht hat aber das Berufungsgericht den dem Berufungsschrift-
satz beigefügten Entwurf einer Berufungsbegründungsschrift nicht als solche
genügen lassen.
Entgegen der im angefochtenen Beschluß vertretenen Auffassung kann
auch die - hier: in der Berufungsschrift ausdrücklich erklärte - Bezugnahme auf
ein eingereichtes Prozeßkostenhilfegesuch zugleich als Berufungsbegründung
ausreichen. Dies gilt erst recht, wenn sich die Bezugnahme - wie hier - auf ei-
nen zugleich beigefügten gesonderten Entwurf einer Berufungsbegründung er-
streckt, der von dem beim Berufungsgericht zugelassenen Rechtsanwalt unter-
schrieben ist und auch sonst allen Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO ent-
spricht. Da nämlich im allgemeinen keine Partei die mit der Versäumung einer
Rechtsmittelfrist verbundenen Nachteile in Kauf nehmen will, muß im Zweifel
angenommen werden, daß ein inhaltlich den Anforderungen des § 520 Abs. 3
ZPO entsprechendes, von dem beim Berufungsgericht zugelassenen Rechts-
anwalt unterzeichnetes Prozeßkostenhilfegesuch auch als Berufungsbegrün-
dung dienen soll, sofern nicht ein anderer Wille des Rechtsmittelführers er-
kennbar ist (st. Rspr., vgl. Senatsbeschluß vom 16. August 2000 - XII ZB
65/00 - NJW-RR 2001, 789 m.N.).
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So liegt der Fall auch hier, zumal dem Umstand, daß der gesondert bei-
gefügte "Entwurf" im Prozeßkostenhilfegesuch als "Entwurf der Berufungsbe-
gründungsschrift“ bezeichnet wird, zu entnehmen ist, daß er nicht nur der Be-
gründung des Prozeßkostenhilfegesuchs, sondern zugleich auch der Begrün-
dung der bereits eingelegten Berufung dienen soll.
Der Bezeichnung als "Entwurf" ist jedenfalls nicht mit hinreichender Deut-
lichkeit zu entnehmen, daß dieser Schriftsatz nicht schon als Berufungsbegrün-
dung dienen, sondern diese erst ankündigen soll. Dagegen spricht bereits die
Unterzeichnung des Schriftsatzes, die, wenn der Entwurf nur der Begründung
des Prozeßkostenhilfegesuchs dienen soll, nicht erforderlich ist und üblicher-
weise unterbleibt. Die Bezeichnung als "Entwurf" kann auch bedeuten, daß im
Falle einer noch innerhalb der Begründungsfrist ergehenden, die Prozeßko-
stenhilfe nur teilweise bewilligenden Entscheidung eine Modifizierung der Beru-
fungsanträge und/oder eine weitere Auseinandersetzung mit der Begründung
der teilweise ablehnenden Prozeßkostenhilfeentscheidung vorbehalten bleiben
soll.
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Dem steht auch nicht entgegen, daß der Kläger hier nach der Bewilligung
der Prozeßkostenhilfe Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Beru-
fungsfrist beantragt hat. Dieser Antrag ist als nur vorsorglich gestellt anzuse-
hen, da in ihm zugleich ausgeführt wird, daß die Berufung (fristgerecht) am
6. August 2003 eingelegt und ihr "gleichzeitig eine Begründungsschrift beige-
fügt“ worden sei.
Hahne Sprick Weber-Monecke
Wagenitz Dose