Urteil des BGH vom 10.07.2007

BGH (dolus eventualis, stgb, strafkammer, vorsatz, gewaltanwendung, alkohol, gefährlichkeit, schwere, motiv, beweggrund)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 233/07
vom
10. Juli 2007
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u. a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundes-
anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 10. Juli 2007 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Hannover vom 21. Februar 2007 mit den Feststellungen
aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren
Tatgeschehen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückver-
wiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben
Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeord-
net. Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verlet-
zung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat teilweise Erfolg.
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Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt:
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"Die Feststellung des Landgerichts, der Angeklagte habe mit direktem
Tötungsvorsatz gehandelt, ist nicht frei von Rechtsfehlern. Die Straf-
kammer hat auf das Vorliegen eines direkten Tötungsvorsatzes allein
aufgrund der besonders gefährlichen Gewaltanwendung geschlossen
(UA S. 10). Damit wird das Gericht den Darlegungserfordernissen nicht
gerecht. Es kann dahinstehen, ob die Annahme eines direkten Tötungs-
vorsatzes schon rechtsfehlerhaft ist, da die Erwägungen des Gerichts
auch einen dolus eventualis nicht tragen. Zwar liegt es nach der ständi-
gen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei gefährlichen Gewalt-
handlungen nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit, das Opfer könne
dabei zu Tode kommen, rechnet und, weil er gleichwohl sein gefährliches
Handeln fortsetzt, auch einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt.
Deshalb ist in derartigen Fällen ein Schluss von der objektiven Gefähr-
lichkeit der Handlungen des Täters auf bedingten Tötungsvorsatz grund-
sätzlich möglich, jedoch nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter in
seine Erwägungen alle die Umstände einbezogen hat, die ein solches
Ergebnis in Frage stellen. Dass dies geschehen ist, müssen die Urteils-
gründe erkennen lassen (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, beding-
ter 1, 2, 5, 7). Daran fehlt es vorliegend. Da vor dem Tötungsvorsatz eine
viel höhere Hemmschwelle steht als vor dem Gefährdungs- oder Verlet-
zungsvorsatz, kann es auch so liegen, dass der Täter den Tötungserfolg
als möglich vorausgesehen und dennoch ernsthaft darauf vertraut hat, er
werde nicht eintreten. Für den Tatrichter ergeben sich daraus besondere
Anforderungen an die Feststellungen zur inneren Tatseite und zu ihrer
Darlegung in den Urteilsgründen. Dies gilt insbesondere dann, wenn ein
einsichtiger Beweggrund für eine so schwere Tat wie die Tötung eines
Menschen fehlt (BGH NStZ 2005, 304, 305; BGHR StGB § 212 Abs. 1
Vorsatz, bedingter 8 m.w.N., 11), wovon nach den Feststellungen auszu-
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gehen ist. Der Angeklagte kannte den Zeugen
S. nicht, ein Streit war dem unvermittelt geführten Messerstich nicht
vorausgegangen; ein Motiv für die Gewaltanwendung konnte nicht fest-
gestellt werden (UA S. 4, 10, 13). Ein Erörterungsmangel liegt ferner
deshalb vor, weil sich die Strafkammer mit der erheblichen Alkoholisie-
rung des Angeklagten im Tatzeitpunkt (3,51 o/oo) bei der Beurteilung der
Vorsatzfrage nicht auseinandergesetzt hat, obschon dies sich aufdräng-
te. Das Gericht hat, dem Sachverständigen folgend, eine erheblich ver-
minderte Schuldfähigkeit nach § 21 StGB aufgrund Alkoholintoxikation
angenommen (UA S. 10f.). Bei dieser Sachlage versteht es sich nicht
von selbst, dass der Angeklagte trotz erheblicher Alkoholisierung erkannt
hatte, dass seine Gewalthandlung zum Tod des Opfers führen könnte
und diese Folge auch wollte (BGH NStZ 2004, 51, 52; BGHR StGB § 212
Abs. 1 Vorsatz, bedingter 26). Wenn ein Täter durch Alkohol oder andere
Rauschmittel in seiner Wahrnehmungsfähigkeit beeinträchtigt war, oblie-
gen dem Tatrichter besondere Begründungsanforderungen, wenn er das
Wissenselement des Vorsatzes aus der objektiven Gefährlichkeit der
Handlung des Täters herleiten will (BGH NStZ 2004, 51, 52; NStZ-RR
2004, 204, 205; Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl., § 212 Rdnr. 7b). Dem
wird die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht gerecht, Erwägungen
hierzu fehlen gänzlich."
Dem schließt sich der Senat an. Die Feststellungen zum äußeren Tatge-
schehen sind von dem Rechtsfehler nicht berührt und können bestehen bleiben.
Dazu nicht im Widerspruch stehende ergänzende Feststellungen sind zulässig.
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Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin: Vor-
aussetzung für ein Absehen von der Strafrahmenmilderung nach §§ 21, 49 Abs.
1 StGB ist, dass dem Angeklagten sein Alkoholkonsum zum Vorwurf gemacht
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werden kann. Dies ist nicht der Fall, wenn er den Alkohol aufgrund eines unwi-
derstehlichen oder ihn weitgehend beherrschenden Hanges trinkt, der seine
Fähigkeit einschränkt, der Versuchung zum übermäßigen Alkoholkonsum zu
widerstehen (st. Rspr.; vgl. Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 21 Rdn. 26 m. w.
N.). Angesichts der bisherigen Feststellungen wird sich der neue Tatrichter mit
dieser Frage auseinandersetzen müssen.
Tolksdorf Winkler Pfister
von Lienen Becker