Urteil des BGH vom 22.12.2006

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 2/07
Verkündet
am:
20. März 2008
Preuß
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
InsO § 50 Abs. 1, § 129 Abs. 1; ZPO § 794 Abs. 1 Nr. 5
Ein anfechtungsfestes Pfändungspfandrecht entsteht auch dann, wenn der vor der
"kritischen" Zeit wirksam gewordene Pfändungs- und Überweisungsbeschluss auf
der Grundlage einer notariellen Zwangsvollstreckungsunterwerfung erlassen worden
ist und der mitbeurkundete Vertrag an Wirksamkeitsmängeln leidet.
BGH, Urteil vom 20. März 2008 - IX ZR 2/07 - Kammergericht
LG Berlin
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 20. März 2008 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Fischer und die Richter
Dr. Ganter, Raebel, Dr. Kayser und Prof. Dr. Gehrlein
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats
des Kammergerichts vom 22. Dezember 2006 im Kostenpunkt und
insoweit aufgehoben, als zu seinem Nachteil erkannt ist.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der Zivilkammer 22
des Landgerichts Berlin vom 17. März 2006 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Rechtsmittelverfahren zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 8. September 2003
am 18. Juni 2004 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der
Z. (fortan: Schuldnerin). Ein zuvor am 11. Juli 2000 von der A.
gestellter Insolvenzantrag war mangels Masse abgewiesen worden. Im
Jahr 1995 kaufte die Schuldnerin von der S. GmbH ein Grundstück. We-
gen der Ansprüche aus diesem Vertrag unterwarf sie sich in notarieller Urkunde
der sofortigen Zwangsvollstreckung in ihr Vermögen. Am 4. Juli 1996 erwirkte
die S. GmbH einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, durch den
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das Guthaben der Schuldnerin bei der Sparkasse von umge-
rechnet 22.231,53 € gepfändet und zur Einziehung überwiesen wurde. Die
Sparkasse hinterlegte den Betrag beim Amtsgericht Bad Salzun-
gen unter anderem zugunsten der S.
GmbH und erklärte am
10. Dezember 1996 den Verzicht auf die Rücknahme. In der Folgezeit geriet die
S. GmbH in Insolvenz; der Beklagte ist ihr Insolvenzverwalter. Dieser
führte gegen einen weiteren Hinterlegungsbeteiligten, die C.
GmbH, einen Rechtsstreit auf Zustimmung zur Auszahlung des hinterlegten
Betrages. Durch Urteil des Landgerichts Erfurt vom 12. Dezember 2002 wurde
die dortige Beklagte zur Zustimmung verurteilt. Am 26. September 2003 zahlte
die Hinterlegungsstelle den hinterlegten Betrag an den Beklagten aus.
Der Kläger verlangt von dem Beklagten Rückzahlung dieses Betrages im
Wege der Deckungsanfechtung. Er meint, die S. GmbH habe kein Pfän-
dungspfandrecht an dem hinterlegten Betrag erworben, weil der Kaufvertrag,
aus dem die Gesellschaft ihre Forderung herleite, nichtig sei. Das Landgericht
hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte bis auf einen Teil
des Zinsanspruchs Erfolg. Mit der vom Senat zugelassenen Revision erstrebt
der Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Abweisung der Klage.
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I.
Das Berufungsgericht meint: Der Beklagte habe mit der Zustellung des
Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 4. Juli 1996 kein Recht auf ab-
gesonderte Befriedigung erworben. Der notarielle Kaufvertrag vom 9. Mai 1995,
auf dem der Vollstreckungstitel beruhe, sei nichtig (§ 125 Satz 1 BGB). Der in
der Urkunde in Bezug genommene Lageplan sei nicht maßstabsgerecht (Ver-
stoß gegen § 313 BGB a.F.). Ein Vollstreckungstitel sei Grundlage und
schlechthin unerlässliche Voraussetzung jeder Zwangsvollstreckung. Nichtigen
Rechtsakten komme keine Wirkung zu. Da die S. GmbH im Jahre 1996
kein wirksames Pfandrecht erlangt habe, sei anfechtungsrechtlich auf die Aus-
zahlung des hinterlegten Betrages am 26. September 2003 abzustellen. Durch
sie seien die Gläubiger der Schuldnerin objektiv benachteiligt worden (§ 129
Abs. 1 InsO). Im Zeitpunkt der Auszahlung sei die Schuldnerin, was dem Be-
klagten bekannt gewesen sei, zahlungsunfähig gewesen. Die Anfechtbarkeit
ergebe sich deshalb sowohl aus § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 als auch aus § 131
Abs. 1 Nr. 1 InsO.
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II.
Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Sie ste-
hen in Widerspruch zu der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Wirk-
samkeit von Vollstreckungstiteln gemäß §
794 Abs.
1 Nr.
5 ZPO (vgl.
BGHZ 154, 283, 286 f; BGH, Urt. v. 12. Juli 1996 - V ZR 205/95, ZIP 1996,
1747; v. 23. November 2006 - IX ZR 126/03, WM 2007, 367, 368).
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1. Nach dem Vortrag des Klägers war die Schuldnerin seit Ende April
1995 zahlungsunfähig; der erste Insolvenzantrag eines Gläubigers vom 11. Juli
2000 war mangels Masse abgewiesen worden. Auf dieser tatsächlichen Grund-
lage lag eine einheitliche Insolvenz mit der Folge vor, dass sich die Drei-
Monats-Frist für die Deckungsanfechtung gemäß § 139 Abs. 2 Satz 2 InsO
nach dem ersten Insolvenzantrag richtete, obwohl zwischen ihm und dem An-
trag, der zur Verfahrenseröffnung führte, ein Zeitraum von gut drei Jahren lag
(vgl. BGH, Urt. v. 15. November 2007 - IX ZR 212/06, WM 2008, 169, 170). Hat
die S. GmbH bezogen auf den ersten Insolvenzantrag außerhalb des
Drei-Monats-Zeitraums wirksam ein Pfändungspfandrecht (§ 50 Abs. 1 InsO)
erworben, braucht der Beklagte die davon gedeckte Zahlung nicht zurückzuge-
währen, weil sie die Gläubiger nicht benachteiligt (vgl. BGHZ 157, 350, 355;
162, 143, 156).
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2. Im Streitfall hat die S. GmbH bereits im Juli 1996 und damit au-
ßerhalb des durch §§ 130, 131 InsO geschützten Zeitraums ein anfechtungsfes-
tes Pfändungspfandrecht an dem Guthaben der Schuldnerin bei der Sparkasse
erworben, auf welches die Auszahlung im Jahre 2003 erfolgt ist.
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a) Dem Berufungsgericht ist im Ausgangspunkt darin zuzustimmen, dass
eine Vollstreckung ohne Vollstreckungstitel nichtig ist (BGHZ 121, 98, 101 f).
Absonderungskraft hat ein Pfändungspfandrecht gemäß § 50 Abs. 1 InsO nur,
wenn es - vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und gegebenenfalls vor
der Anordnung von Maßnahmen gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 InsO -
wirksam begründet worden ist (vgl. MünchKomm-InsO/Ganter, 2. Aufl. § 50
Rn. 76 f). Hieran besteht nach dem festgestellten Sachverhalt (§ 563 Abs. 3
ZPO) allerdings kein Zweifel.
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aa) Ein vollstreckbarer Schuldtitel ist auch eine Urkunde gemäß § 794
Abs. 1 Nr. 5 ZPO. Die Zwangsvollstreckungsunterwerfung in einer notariellen
Urkunde ist unabhängig von einer materiellen Einigung der Parteien über das
zugrunde liegende Rechtsgeschäft. Sie ist vielmehr eine ausschließlich auf das
Zustandekommen des Vollstreckungstitels gerichtete einseitige prozessuale
Erklärung. Für das Wirksamwerden der Unterwerfungserklärung ist der Bestand
einer sachlich-rechtlichen Einigung nicht erforderlich. Auch § 139 BGB ist nicht
anwendbar (BGHZ 154, 283, 286; BGH, Urt. v. 1. Februar 1985 - V ZR 244/83,
WM 1985, 545; v. 24. Juni 1994 - V ZR 19/93, WM 1994, 1886, 1887; v.
22. Oktober 2003 - IV ZR 398/02, WM 2003, 2372, 2373; v. 18. November 2003
- XI ZR 332/02, WM 2004, 27, 29). Die Zwangsvollstreckungsunterwerfung
kann nur im Wege der Vollstreckungsabwehrklage gemäß § 797 Abs. 4, § 767
Abs. 1 ZPO beseitigt werden (BGH, Urt. v. 1. Februar 1985 - V ZR 244/03, aaO
S. 545; v. 23. November 2006 - IX ZR 126/03, WM 2007, 367, 368; Musie-
lak/Lackmann, ZPO 5. Aufl. § 794 Rn. 35; Saenger/Kindl, ZPO 2. Aufl. § 794
Rn. 35; Zöller/Stöber, ZPO 26. Aufl. § 794 Rn. 29). Eine solche ist hier nicht
erhoben worden.
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Es ist auch nicht in einem anderen Verfahren mit Rechtskraftwirkung für
die Parteien über das Bestehen der titulierten Forderung entschieden worden.
Gegenstand der von dem Beklagten unter anderem gegen die Schuldnerin vor
dem Landgericht Meiningen angestrengten Klagen, die zu den Teil- und
Schlussurteilen vom 31. Mai 2001 und 28. März 2002 geführt haben, waren
mietrechtliche Zahlungsansprüche. Die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit des
zwischen der Schuldnerin und der S. GmbH geschlossenen Vertragswer-
kes war Vorfrage für die geltend gemachten Zahlungsansprüche. Die in den
genannten Entscheidungen vertretene Rechtsauffassung zur Nichtigkeit des
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Kaufvertrages ist deshalb nicht in Rechtskraft erwachsen (vgl. BGHZ 123, 137,
140; Zöller/Vollkommer, aaO vor § 322 Rn. 34).
bb) Nach Beendigung der Zwangsvollstreckung kann der Vollstreckungs-
schuldner keine Vollstreckungsgegenklage mehr erheben; seine rechtlichen
Möglichkeiten setzen sich vielmehr in der materiell-rechtlichen Bereicherungs-
klage fort (BGHZ 83, 278, 280; Zöller/Herget, aaO § 767 Rn. 2 Stichwort Berei-
cherungsklage). Auch daraus erwächst dem Kläger kein erheblicher Einwand
gegen das Absonderungsrecht der S. GmbH. Da der Gegenstand eines
etwaigen Bereicherungsanspruchs in der Insolvenz der S. GmbH nicht
mehr in Natur zurückgewährt werden kann, erschöpften sich etwaige Ansprü-
che des Klägers gegen die S. GmbH einschließlich solcher aus Insol-
venzanfechtung (vgl. BGHZ 155, 199, 203) in einer gewöhnlichen Geldforde-
rung, die sich gegen das gesamte Vermögen der S. GmbH richtete und
insoweit keine Aussonderungskraft außerhalb oder innerhalb deren Insolvenz
mehr hat (vgl. BGHZ, aaO S. 203 f; 156, 350, 359 f). Ansprüche gegen die von
dem Beklagten verwaltete Masse sind daher nicht begründet.
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b) Schließlich ergibt sich für den Kläger nichts aus der Argumentation
des Berufungsgerichts, mit der Anfechtung der Auszahlung an den Beklagten
sei der Auszahlungsanspruch der Schuldnerin wieder aufgelebt, weil die Spar-
kasse auch zu ihren Gunsten hinterlegt habe. Auch dieser Anspruch ist bloße
Insolvenzforderung, der im Verfahren zu verfolgen gewesen wäre (vgl. BGHZ,
aaO S. 203 f).
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aa) Die Hinterlegung hat im Streitfall nur insoweit Bedeutung, als sie die
Erfüllung der titulierten und durch das Pfändungspfandrecht gesicherten Forde-
rung hinausgeschoben hat. Nach Ablauf des Drei-Monats-Zeitraums gerechnet
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von der Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 4. Juli
1996 an die Sparkasse (vgl. § 829 Abs. 3 ZPO) war die Pfän-
dung des Guthabens nicht als vorsätzliche Handlung nach § 133 Abs. 1 InsO
anfechtbar (vgl. BGHZ 162, 143, 147). Die Zahlung zur Deckung des somit in-
solvenzfest gesicherten Anspruchs hat die Gläubiger nicht benachteiligt.
bb) Mit der Hinterlegung des gepfändeten Guthabens unter Verzicht auf
die Rücknahme der hinterlegten Sache wird der (Dritt-)Schuldner von seiner
Verbindlichkeit in gleicher Weise befreit, wie wenn er zur Zeit der Hinterlegung
an den Gläubiger, hier also den Pfändungsgläubiger, geleistet hätte (§ 378
BGB). Voraussetzung ist nur, dass der (Dritt-)Schuldner - auch - den richtigen
Gläubiger als einen der Empfangsberechtigten benannt hat. Gleichzeitig erlischt
die Forderung des wahren Gläubigers (BGH, Urt. v. 10. Dezember 2004 - V ZR
340/03, WM
2005, 1136, 1138; v. 17.
November 2005 -
IX
ZR 174/04,
ZIP 2006, 91). Im Streitfall gehörte die S. GmbH zu dem Kreis der Hinter-
legungsbeteiligten. Mit der Hinterlegung unter Verzicht auf die Rücknahme war
der Erwerbsvorgang somit abgeschlossen. Der Umstand, dass die Auszahlung
erst später erfolgte, ist anfechtungsrechtlich ohne Belang.
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Deshalb kann sich rechtlich auch nicht auswirken, dass der Kläger ge-
genüber einer anderen Hinterlegungsbeteiligten Anfechtungsansprüche außer-
gerichtlich durchsetzen konnte.
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Fischer Ganter Raebel
Richter am BGH Prof. Dr. Gehrlein
hat Urlaub und ist daher verhindert
zu
unterschreiben.
Kayser Fischer
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 17.03.2006 - 22 O 11/06 -
KG Berlin, Entscheidung vom 22.12.2006 - 7 U 84/06 -