Urteil des BGH vom 30.01.2008

BGH (rechtliches gehör, fahrzeug, entwendung, sohn, angebot, annahme, versicherungsfall, haus, zpo, wahrscheinlichkeit)

BUNDESGERICHTSHOF
Beschluss
IV ZR 18/07
vom
30. Januar 2008
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Dr. Franke
am 30. Januar 2008
beschlossen:
Auf die Beschwerde der Klägerin wird die Revision gegen
das Urteil des 4. Zivilsenats des Brandenburgischen
Oberlandesgerichts in Brandenburg vom 20. Dezember
2006 zugelassen.
Das vorgenannte Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO
aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsver-
fahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 40.000 €
Gründe:
I. Die Klägerin, die im Jahre 2003 in der Lotterie einen Pkw Audi
A4 Cabrio 2.4 gewonnen und das Fahrzeug bei der Beklagten versichert
hatte, verlangt wegen angeblicher Entwendung am 7. November 2005
die Versicherungsleistung.
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Sie behauptet, das überwiegend von ihrem Sohn und dessen Le-
bensgefährtin genutzte Fahrzeug sei in der verschlossenen Garage des
Hauses der Lebensgefährtin abgestellt gewesen. Ihr Sohn und seine Le-
bensgefährtin seien zusammen mit deren Freundin in deren Wagen wäh-
rend des 7.
November 2005 unterwegs gewesen. Als sie gegen
20.00 Uhr zurückgekommen seien, habe das Garagentor offen gestan-
den; der Audi sei nicht mehr an seinem Platz gewesen. Außerdem sei in
das Haus eingebrochen und dabei u.a. ein Schlüssel für dieses Fahrzeug
entwendet worden.
Die Beklagte ist der Ansicht, der Versicherungsfall sei vorge-
täuscht worden. Wie schon das Landgericht hat auch das Berufungsge-
richt das äußere Bild einer versicherten Entwendung unterstellt, aber an-
genommen, dass die Entwendung mit erheblicher Wahrscheinlichkeit
vorgetäuscht worden sei. Dafür spreche in erster Linie, dass die am
Haus der Lebensgefährtin des Sohnes polizeilich festgestellten Spuren
nicht zu dem behaupteten Einbruch passten.
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II. 1. Diese Feststellung beruht auf einer Verletzung des Anspruchs
der Klägerin auf rechtliches Gehör (§ 286 ZPO, Art. 103 Abs. 1 GG).
Schon aus diesem Grund kann das Berufungsurteil keinen Bestand ha-
ben.
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a) Die Klägerin hat in ihrem erstinstanzlichen Schriftsatz vom
2. März 2006 auf Seite 4 im Hinblick auf die polizeilich festgestellten
Spuren vorgetragen, ein Einstieg durch das Badezimmerfenster sei mög-
lich und habe offensichtlich auch so stattgefunden. Zum Beweis hat sie
sich u.a. auf einen Sachverständigen berufen. Außerdem hat sich die
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Klägerin in ihrem erstinstanzlichen Schriftsatz vom 24. April 2006 auf
den Seiten 1 und 3 für das Vorhandensein von Einbruchsspuren auf die
Ermittlungsakte sowie auf näher benannte Zeugen bezogen, darunter die
an der Spurensicherung beteiligten Kriminalbeamten. Auf Seite 3 ihrer
Berufungsbegründung hat die Klägerin auf alle diese Beweisantritte unter
genauer Angabe der Fundstelle verwiesen und gerügt, dass das Landge-
richt die Beweise nicht erhoben habe.
b) Das Berufungsgericht unterstellt zwar, dass eine schlanke Per-
son durch die nur 30 cm breite Fensteröffnung in das Haus eingedrungen
sein könne, meint aber, dabei hätten Wischspuren sowohl auf dem in-
nenliegenden, verfliesten Fensterbrett als auch an den Wandfliesen ent-
stehen müssen, die bei der polizeilichen Spurensicherung jedoch nicht
festgestellt worden seien. So kommt das Berufungsgericht ohne weitere
Beweisaufnahme zu dem Ergebnis, es müsse davon ausgegangen wer-
den, dass kein Einbruch stattgefunden habe. Weitere, für einen Ein-
bruchsdiebstahl stimmige Spuren habe die Klägerin nicht behauptet.
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c) Die Klägerin rügt mit Recht, die Annahme des Berufungsge-
richts, bei einem Einstieg durch das Badezimmerfenster hätten später
von der Polizei aber nicht festgestellte weitere Spuren entstanden sein
müssen, sei "rein spekulativ". In dem vom Berufungsgericht selbst in Be-
zug genommenen polizeilichen Tatortbericht würden Spuren am Türblatt
und Rahmen der neben dem Badezimmerfenster liegenden Hausein-
gangstür sowie Handschuh- und Handabdrucksspuren auf dem Bade-
zimmerfenster beschrieben; diese Spuren könnten das Fehlen der vom
Berufungsgericht vermissten Wischspuren erklären. Mit diesem Ge-
sichtspunkt hat sich das Berufungsgericht nicht nachvollziehbar ausein-
ander gesetzt.
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Das Berufungsgericht hat vor allem nicht dargelegt, dass es über
besondere kriminaltechnische Erfahrung verfüge und deshalb ohne die
von der Klägerin beantragte Heranziehung eines Sachverständigen in
der Lage sei, einen Einstieg durch das Badezimmerfenster bei vollstän-
diger Berücksichtigung der gesicherten Spuren auszuschließen. Die
Nichtberücksichtigung der Beweisantritte der Klägerin war daher rechts-
fehlerhaft und verletzt Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG NJW 2003, 125,
127).
2. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass die
Indizien, die das Berufungsgericht im Übrigen für die Annahme einer er-
heblichen Vortäuschungswahrscheinlichkeit herangezogen hat, diesen
Schluss bisher nicht rechtfertigen (vgl. BGHZ 158, 269, 273).
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a) Dass der Audi im Frühjahr 2004 im Internet zum Verkauf ange-
boten worden ist, spricht - soweit dieses Angebot überhaupt auf dem Wil-
len der Klägerin beruhte - zwar dafür, dass sein Wiederverkaufswert ver-
fügbar gemacht werden sollte. Daraus folgt aber weder, dass dies im
Wege der Vortäuschung eines Versicherungsfalles geschehen sollte,
noch lässt sich ausschließen, dass Diebe durch ein solches Angebot auf
das Fahrzeug aufmerksam geworden sind.
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b) Selbst wenn davon auszugehen wäre, dass die Klägerin eine
tatsächlich bestehende Verkaufsabsicht durch ihr Prozessverhalten zu
verschleiern versucht hätte, würde dieser Umstand hier nicht den
Schluss rechtfertigen, dass auch der Versicherungsfall vorgetäuscht
worden sei. Denn die Klägerin hat in der Schadensanzeige das Angebot
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des Audi im Internet - nach Meinung des Berufungsgerichts wahrheits-
gemäß - angegeben.
c) Der Umstand, dass das versicherte Fahrzeug einen hohen Kauf-
preis hat, spricht zwar dafür, dass es wegen seines Werts begehrt ist.
Dieses Indiz spricht aber mindestens ebenso sehr für einen Diebstahl
wie für eine Vortäuschung des Versicherungsfalls.
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d) Schließlich ist nicht ohne weiteres zu erkennen, weshalb die
schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse des Sohnes der Klägerin dafür
sprechen, dass diese den Versicherungsfall vorgetäuscht hätte. Wenn
sie ihren Sohn wirtschaftlich unterstützen wollte, hätte sie ihm das Auto
(oder nach einer Veräußerung den Erlös) schenken können.
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e) Die Einzelwürdigung jedes der Indizien und die Auflistung sich
daraus etwa ergebender Zweifel an der Darstellung des Versicherungs-
nehmers reichen für sich genommen nicht aus, eine erhebliche Vortäu-
schungswahrscheinlichkeit festzustellen. Vielmehr muss der Tatrichter
die Zweifel auslösenden Umstände im Zusammenhang mit Blick darauf
würdigen, ob sie überhaupt und mit welcher Wahrscheinlichkeit sie die
Annahme einer Vortäuschung des Versicherungsfalles nahe legen (Se-
natsurteil vom 14. Februar 1996 - IV ZR 334/94 - juris Tz. 9 und 11 =
NJW-RR 1996, 981 unter 1 a und b). Das gilt auch für die Würdigung
solcher Tatsachen, die eine Vortäuschung nicht unmittelbar ergeben,
sondern sie nur indizieren (Senatsurteil vom 12. April 1989 - IVa ZR
83/88 - juris Tz. 12 = VersR 1989, 587 unter 1).
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Unter Berücksichtigung der genannten Gesichtspunkte wird das
Berufungsgericht den geltend gemachten Anspruch daher erneut zu prü-
fen haben.
Terno Dr. Schlichting Seiffert
Dr. Kessal-Wulf Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Potsdam, Entscheidung vom 26.04.2006 - 2 O 4/06 -
OLG Brandenburg, Entscheidung vom 20.12.2006 - 4 U 66/06 -