Urteil des BGH vom 16.07.2001

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
NotZ 7/01
vom
16. Juli 2001
in dem Verfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
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BNotO § 4
Zur Unzulässigkeit der Wiederbesetzung einer Notarstelle im Tätigkeitsgebiet der
Ländernotarkasse Leipzig, wenn im betroffenen Amtsbereich ein Viertel der Nota-
re auf Einkommensergänzung angewiesen ist und der der Bedürfnisprüfung nach
§ 4 BNotO zugrundegelegte Richtwert für das Urkundsaufkommen nachhaltig und
deutlich unterschritten wird.
BGH, Beschluß vom 16. Juli 2001 - NotZ 7/01 - OLG Dresden
wegen Besetzung einer Notarstelle
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Der Bundesgerichtshof, Senat für Notarsachen, hat durch den Vor-
sitzenden Richter Dr. Rinne, die Richter Seiffert und Dr. Kurzwelly sowie
die Notare Dr. Schierholt und Dr. Grantz
am 16. Juli 2001
beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen den
Beschluß des Senats für Notarverwaltungssachen des
Oberlandesgerichts Dresden vom 5. Januar 2001 wird zu-
rückgewiesen.
Gerichtskosten werden im Beschwerdeverfahren nicht er-
hoben und notwendige Auslagen nicht erstattet.
Gründe:
I. Die neun Antragsteller sind Notare in Ch.. Sie wenden sich ge-
gen die W iederbesetzung der 1993 errichteten und seit dem 1. Oktober
1999 verwalteten Notarstelle CHE-11, einer von zwölf Notarstellen in
Ch.. Das Ausschreibungsverfahren ist noch nicht beendet.
Die Antragsteller begründen ihr Begehren insbesondere mit dem
Rückgang des Beurkundungsaufkommens. Im Jahre 1998 erreichte dies
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bei zwölf Stellen je Notar im Durchschnitt 1.525,33, im Jahre 1999 nur
noch 1.283,71 bereinigte Urkundennummern. Nach den neuesten Erhe-
bungen der am Verfahren beteiligten Notarkammer Sachsen ist für das
Jahr 2000 ein Rückgang auf 1.161,39 zu verzeichnen. Der Antragsgeg-
ner legt seiner Bedürfnisprüfung nach § 4 BNotO in ständiger Praxis ei-
nen Richtwert von 1.650 bereinigten Urkundennummern zugrunde. Bis
auf einen Ch.er Notar liegt das Urkundenaufkommen bei allen übrigen
Notarstellen - zum Teil deutlich - unter dem Richtwert. Drei Notare be-
ziehen Einkommensergänzung von der Ländernotarkasse. Die Antrag-
steller haben beantragt, dem Antragsgegner die Neubesetzung der
Stelle zu untersagen und ihm aufzugeben, das Ausschreibungsverfahren
zu beenden und die Stelle einzuziehen.
Der Antragsgegner ist dem entgegengetreten, weil die Anträge un-
zulässig, jedenfalls aber unbegründet seien. Bei der Entscheidung über
die W iederbesetzung einer Notarstelle werde der Versorgungsrichtwert
von 1.650 bereinigten Urkundennummern nicht schematisch angewandt,
sondern immer auch eine Einzelfallbetrachtung vorgenommen. Da es
sich bei der Stelle CHE-11 um eine leistungsstarke Stelle handele, sei
diese wieder zu besetzen.
Die Notarkammer Sachsen hatte zunächst die W iederbesetzung
befürwortet, weil die Stelle hinsichtlich ihrer Klientenstruktur, der Art der
dort erledigten Amtsgeschäfte und der wirtschaftlichen Situation sehr
günstig positioniert sei. Sie hatte sich dabei auf die Angaben des Notari-
atsverwalters und Stellenbewerbers gestützt, des weiteren Beteiligten zu
2). Nachdem der Notarkammer bekannt geworden war, daß drei Ch.er
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Notare Einkommensergänzung erhalten und das Urkundenaufkommen in
den Jahren 1999 und 2000 weiter rückläufig war, sprach sie sich gegen
die W iederbesetzung der Stelle aus. Die W iederbesetzung könne geeig-
net sein, die Lebensfähigkeit anderer Notarstellen im Amtsbereich Ch.
zu gefährden.
Das Oberlandesgericht hat dem Antragsgegner untersagt, die No-
tarstelle CHE-11 neu zu besetzen, und die Anträge im übrigen zurück-
gewiesen (ZNotP 2001, 283). Mit seiner sofortigen Beschwerde erstrebt
er die vollständige Zurückweisung der Anträge.
II. Das Rechtsmittel ist zulässig, aber nicht begründet. Das Ober-
landesgericht hat den Anträgen, die Stelle nicht wieder zu besetzen, zu
Recht stattgegeben.
1. Die Anträge ist zulässig. Das Oberlandesgericht hat unter Hin-
weis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Senatsbeschlüsse
vom 20. Juli 1998 - NotZ 31/97 - NJW -RR 1999, 207 unter II 2 a und b =
DNotZ 1999, 251 und vom 18. September 1995 - NotZ 46/94 - DNotZ
1996, 902 unter II 2 a, jeweils m.w.N.) zutreffend angenommen, daß die
Antragsteller substantiiert vorgetragen haben, durch die W iederbeset-
zung der freien Notarstelle in ihren Rechten aus Art. 12 Abs. 1 GG be-
einträchtigt zu sein. Sie haben sich nicht, wie der Beschwerdeführer
meint, allgemein auf eine Schmälerung ihres Gebührenaufkommens be-
rufen, sondern geltend gemacht, daß die Lebensfähigkeit ihrer Notariate
gefährdet sei. Angesichts der Tatsache, daß drei Ch.er Notariate auf
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Einkommensergänzung angewiesen sind und daß der Versorgungsricht-
wert von 1.650 bereinigten Urkundennummern bei den Antragstellern wie
auch im Durchschnitt (1999: 1.283) unterschritten ist, genügt dies. Ob
wirklich eine Beeinträchtigung vorliegt, ist eine Frage der Begründetheit
des Antrags (Senatsbeschluß vom 8. November 1976 - NotZ 5/76 - NJW
1977, 390 unter II 1 = DNotZ 1977, 180, insoweit in BGHZ 67, 348 nicht
abgedruckt).
2. Die Unterlassungsanträge sind auch begründet. Der Antrags-
gegner würde durch die W iederbesetzung der freien Notarstelle die ihm
durch § 4 BNotO gesetzten Grenzen seines Organisationsermessens
überschreiten, weil diese Maßnahme nicht den Erfordernissen einer ge-
ordneten Rechtspflege entspricht.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (Beschluß vom
20. Juli 1998 - NotZ 31/97 - aaO unter II 2 m.w.N.) hat die Landesjustiz-
verwaltung bei der Ausübung des ihr eingeräumten Organisationsermes-
sens nach § 4 BNotO subjektive Rechte von Amtsinhabern insoweit zu
wahren, als jedem Notar zur Erfüllung seiner öffentlichen Aufgabe als
unabhängiger und unparteiischer Berater ein Mindestmaß an wirtschaft-
licher Unabhängigkeit zu gewährleisten ist. Es dürfen nicht so viele No-
tarstellen geschaffen werden, wie gerade noch lebensfähig sind. Für ei-
ne bestehende, aber frei gewordene Stelle bedeutet dies, daß ihre W ie-
derbesetzung den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege nicht
entspricht, wenn dadurch in einem Amtsgerichtsbezirk so viele Notar-
stellen besetzt wären, wie gerade noch oder nicht mehr lebensfähig wä-
ren. Diese untere Grenze bezieht sich auf Durchschnittszahlen im jewei-
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ligen Amtsgerichtsbezirk, von der jede Bedürfnisprüfung ausgehen muß
(Senatsbeschluß vom 22. Oktober 1979 - NotZ 3/79 - LM Nr. 12 zu § 4
BNotO unter 3 c cc und Beschluß vom 22. Juni 1981 - NotZ 5/81 - DNotZ
1982, 372, 374). Hat sich die Landesjustizverwaltung im Bereich der Be-
dürfnisprüfung nach § 4 BNotO durch eine ständige Übung oder Richtli-
nie gebunden, hat sie diese Prüfungsmaßstäbe grundsätzlich zu beach-
ten. Ihr ist allerdings nicht schlechthin jede andere Art der Bedürf-
nisprüfung verwehrt, wenn die Erfordernisse einer geordneten Rechts-
pflege es im Einzelfall verlangen (Senatsbeschluß vom 22. Juni 1981
- NotZ 5/81 - aaO S. 375).
b) Diese vom Senat aufgestellten rechtlichen Grundsätze hat das
Oberlandesgericht gesehen und zutreffend auf den vorliegenden Fall
angewendet. Es hat aus der Entwicklung des Urkundenaufkommens in
den Ch.er Notariaten und der Tatsache, daß drei Notare Einkommenser-
gänzung beziehen, zutreffend den Schluß gezogen, daß 12 Notarstellen
in Ch. keinesfalls lebensfähig sind und der Antragsgegner seinen in
ständiger Praxis im Rahmen der Bedürfnisprüfung für maßgeblich ge-
haltenen Versorgungsrichtwert nicht beachtet hat. Das Oberlandesge-
richt hat sich auch damit auseinandergesetzt, daß nach Auffassung des
Antragsgegners hier wegen der Besonderheit der Stelle auf den Einzel-
fall abzustellen sei. Es vermochte aber weder im Vortrag des Antrags-
gegners noch sonst festzustellen, daß der freien Notarstelle derartige
Eigentümlichkeiten innewohnen, die ihre W iederbesetzung zur ange-
messenen Versorgung der Rechtsuchenden in Ch. mit notariellen Lei-
stungen erforderten. W egen der Einzelheiten wird auf die ausführliche
Begründung des Oberlandesgerichts Bezug genommen.
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c) Im Beschwerdeverfahren macht der Antragsgegner weiterhin
geltend, für die W iederbesetzung spreche die Besonderheit der Stelle.
Ihre Einziehung würde sich bei der Einkommenssituation der übrigen
Notarstellen in Ch. auch nicht entscheidungserheblich auswirken.
W eshalb der Mandantenstamm der seit nahezu zwei Jahren von
verschiedenen Personen verwalteten Stelle nicht von jedem Notar be-
treut werden kann, trägt der Antragsgegner selbst auch jetzt nicht vor.
Es mag sein, daß die dort vorgenommenen Amtsgeschäfte überdurch-
schnittliche Anforderungen stellen. Der Antragsgegner teilt nicht einmal
ansatzweise mit, weshalb die amtierenden Ch.er Notare diese Anforde-
rungen nicht erfüllen könnten. Es ist ferner nicht vorgetragen oder er-
sichtlich, daß die Einziehung der Stelle nicht zu einem Zuwachs des Ur-
kundenaufkommens und damit zu einer Verbesserung der Einkommens-
situation auch bei den Ch.er Notaren führen wird, die davon unterdurch-
schnittlich profitieren.
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Die Notarkammer hat sich im Beschwerdeverfahren erneut für die
Einziehung der Stelle ausgesprochen. Das durchschnittliche bereinigte
Urkundsaufkommen pro Notarstelle im Amtsbereich Ch. sei inzwischen
so niedrig, daß auch die gebotene Berücksichtigung der Umstände des
Einzelfalles, die ursprünglich für eine W iederbesetzung der Notarstelle
gesprochen hätten, zu keiner anderen Beurteilung führen könne.
Rinne Seiffert Kurzwelly
Schierholt Grantz