Urteil des BGH vom 10.07.2003

BGH: grobe fahrlässigkeit, reifen, zoll, versicherungsrecht, kaskoversicherung, witterungsverhältnisse, fahren, handbuch, vollstreckbarkeit, form

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Gericht:
OLG Frankfurt 3.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 U 186/02
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 12 Abs 1 UAbs 2 Buchst e
AKB, § 61 VVG
(Leistungsfreiheit der Kfz-Kaskoversicherung: Grob
fahrlässige Herbeiführung eines Verkehrsunfalls bei
Benutzung von Sommerreifen während des Winterurlaubs
in einer Bergregion)
Tenor
[Anmerkung der Dokumentationsstelle des Bundesgerichtshofs: Der Tenor wurde
vom Gericht nicht mitgeteilt.]
Gründe
Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen, weil ein Rechtsmittel nicht
eröffnet ist.
Die Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig, insbesondere form- und
firstgerecht eingelegt und begründet. Sie bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg.
Das Landgericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass der Kläger den
Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt hat, was Leistungsfreiheit der
Beklagten zur Folge hat ( § 61 VVG).
Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn schon einfachste, ganz naheliegende
Überlegungen nicht angestellt werden und dasjenige nicht beachtet wird, was im
konkreten Fall jedem Verkehrsteilnehmer hätte einleuchten müssen (OLG
Braunschweig in Versicherungsrecht 1997, Seite 182 mit weiteren Nachweisen).
Sie setzt neben einem objektiv grob verkehrswidrigen Verhalten subjektiv ein
erheblich gesteigertes Verschulden voraus. Für das Vorliegen des objektiven
Tatbestandes können dabei die Regeln des Anscheinbeweises herangezogen
werden, nicht aber für die subjektiven Voraussetzungen. Vom rein Tatsächlichen
sind aber Erfahrungsschlüsse auf Tatsachen möglich, die den Vorwurf grober
Fahrlässigkeit begründen (Prölss/Martin, VVG 26. Auflage, Rdnr. 23 zu § 61).
Die grobe Fahrlässigkeit liegt hier bereits darin, dass der Kläger mit Sommerreifen
in den Wintersport nach Arosa gefahren ist. Dass es in solchen Höhenlagen gerade
im Winter häufig und kurzfristig zu extremen Änderungen der
Witterungsverhältnisse kommt, die eine komplette Winterausrüstung des
Fahrzeuges inklusive Schneeketten erfordern, ist allgemein bekannt und daher
auch ohne weiteres vorhersehbar. Folglich ist in derart hochgelegenen
Bergregionen Winterausrüstung und die Mitführung von Schneeketten nicht nur
empfohlen, sondern vorgeschrieben. Wer ungeachtet dessen mit Sommerreifen
fährt, handelt leichtfertig im Sinne grober Fahrlässigkeit.
Sommerreifen haben nämlich nach beiderseits unangegriffener Feststellung des
Sachverständigen trotz Schneeketten auf der Hinterachse keine
Seitenführungskräfte.
Das wirkt sich insbesondere – wie hier – bei Bergabfahrten aus.
Der Senat hat dabei davon auszugehen, dass der Kläger mit Sommerreifen
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Der Senat hat dabei davon auszugehen, dass der Kläger mit Sommerreifen
gefahren ist. Dies war bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat unstreitig. In
der Verhandlung hat der Kläger erstmals behauptet, sein Fahrzeug sei mit
Ganzjahresreifen ausgerüstet gewesen. Neuer Sachvertrag kann indessen nur
zugelassen werden, wenn seine Nichtgeltendmachung im ersten Rechtszug nicht
auf grober Nachlässigkeit beruht (§ 531 Abs. 2 Ziffer 3 ZPO). Umstände die diese
Annahme rechtfertigen würden hat der Kläger jedoch nicht vorgetragen,
geschweige denn glaubhaft gemacht. Auch das Argument, er habe sich an die
Anweisungen der Herstellerfirma gehalten und die Benutzung von Schneeketten
sei nicht ausdrücklich untersagt, ist bei näherer Betrachtung nicht stichhaltig.
Ausweislich des Handbuchauszuges, den der Kläger vorgelegt hat (Blatt 157 d.A.
dürfen Schneeketten nur bei Verwendung von Felgen mit Winterreifen der Größe
225/16 R16 oder 17- Zoll – Felgen mit Reifen der Größe 245/ 50 ZR17 montiert
werden.
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger angeben, er habe 17- Zoll – Reifen
der Größe 245/45 gefahren. Aus dem von ihm überreichten Gutachten des
Sachverständigen ... von 27.01.2000 ergibt sich indessen, dass die Hinterreifen
des Fahrzeuges solche der Größe 255/45 ZR 18, also 18 – Zoll – Reifen waren. Für
diese Reifen sind nach dem Handbuch keine Schneeketten zugelassen, wenngleich
sie nach Einschätzung des Sachverständigen W. montierbar sind.
Die grobe Fahrlässigkeit entfällt auch nicht deshalb, weil der Kläger - wie er angibt -
bis zum Abreisetag problemlos fahren konnte. Dies ist möglicherweise auf
günstige Witterungsverhältnisse zurückzuführen, auf die der Kläger indessen -
siehe oben - nicht vertrauen durfte.
Vorliegend hat bereits Neuschneefall genügt, um die Seitenführungskräfte der
Vorderräder außer Kraft zu setzten, wenn auch möglicherweise verbunden mit
Glättebildung, zu der der Kläger aber keine konkreten Ausführungen macht.
In der Berufung trägt er diesbezüglich vor, er könne sich den Vorfall nur mit
Glättebildung unterhalb der Schneeauflage am Abfahrtstag oder vorher erklären.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat er indessen angegeben, am
Abfahrtstag sei geräumt und gestreut gewesen und es habe Glatteisbildung
gegeben, während es vorher nie glatt gewesen sei. Der Kläger führt dies zwar auf
Temperaturveränderungen zurück; dass es aber einen Temperatursturz
erheblichen Ausmaßes gegeben hätte, der dies bewirkt hätte, wird nicht
behauptet.
Schon weil es hier an nachvollziehbaren Angaben fehlt, ist der Einwand des
Klägers, der Vorfall hätte sich auch mit Winterreifen ereignet, nicht überprüfbar.
Insbesondere ist dies aber auch deshalb der Fall, weil nach Feststellung des
Sachverständigen bei extremer Glättebildung auch mit Winterreifen keine
ausreichende Seitenführung gewährleistet ist. Dass eine derart extreme
Glättebildung vorgelegen hätte, lassen die Ausführungen des Klägers nicht
erkennen.
Die Kosten der nach alledem erfolglosen Berufung trägt gemäß § 97 Abs. 1 ZPO
der Kläger.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Ziffer
10, 711, 713 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO
nicht gegeben sind.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.