Urteil des BGH vom 17.11.2006

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 269/06 Verkündet
am:
22. Juni 2007
Langendörfer-Kunz
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 577 Abs. 1
a) Das gesetzliche Vorkaufsrecht des Mieters aus § 577 Abs. 1 Satz 1 BGB kann nur
bei dem ersten Verkauf nach der Umwandlung in Wohnungseigentum bestehen
(Bestätigung von BGHZ 167, 58, 61 ff.).
b) Auf nachfolgende Verkäufe erstreckt es sich auch dann nicht, wenn die Möglich-
keit zur Ausübung des Vorkaufsrechts bei dem ersten Verkauf nicht bestand, weil
die Wohnung an einen Familien- oder Haushaltsangehörigen verkauft wurde
(§ 577 Abs. 1 Satz 2 BGB), oder wenn die Ermittlung des anteiligen Preises, der
für die dem Vorkaufsrecht unterfallende Eigentumswohnung zu zahlen ist, für den
Mieter schwierig gewesen wäre.
BGH, Urt. v. 22. Juni 2007 - V ZR 269/06 - LG Hannover
AG Hannover
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 22. Juni 2007 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger und die Richter Dr. Klein, Dr. Lemke,
Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Roth
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 16. Zivilkammer des Land-
gerichts Hannover vom 17. November 2006 wird auf Kosten
der Kläger zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Kläger sind Mieter einer Wohnung, die sich in einem Mehrfamilien-
haus befindet. Jahre nach der Anmietung wurde das Hausgrundstück von dem
Sohn des Beklagten zu 1 gekauft, der im Januar 1999 als Eigentümer in das
Grundbuch eingetragen wurde. Im Folgenden wurde das Grundstück nach dem
Wohnungseigentumsgesetz geteilt. Nachdem eine Gläubigerin die Anordnung
der Zwangsverwaltung und der Zwangsversteigerung erwirkt hatte, veräußerte
der Sohn mit Zustimmung der Gläubigerin u.a. die von den Klägern bewohnte
Eigentumswohnung an den Beklagten zu 1, der am 10. März 2004 als Eigentü-
mer eingetragen wurde. Mit notariellem Vertrag vom 4. Mai 2004 verkaufte der
Beklagte zu 1 die Wohnung an die Beklagte zu 2, zu deren Gunsten eine Auf-
lassungsvormerkung eingetragen wurde. Nachdem die Kläger mit Schreiben
vom 16. Juni 2004 dem Beklagten zu 1 erklärt hatten, sie machten von ihrem
Vorkaufsrecht nach § 577 BGB Gebrauch, kam es zwischen den Parteien zu-
nächst zu einem einstweiligen Verfügungsverfahren, in dessen Verlauf den Be-
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klagten mit Berufungsurteil des Landgerichts vom 21. Dezember 2004 verboten
wurde, die Eintragung der Beklagten zu 2 als Eigentümerin in das Grundbuch
zu beantragen (bzw. einen bereits gestellten Eintragungsantrag aufrecht zu er-
halten).
Das Amtsgericht hat die in der Hauptsache gegen beide Beklagte er-
hobene Unterlassungsklage mit dem Ziel der Verhinderung einer Eintragung der
Beklagten zu 2 ebenso abgewiesen wie den weiteren Antrag, den Beklagten zu
1 zur Auflassung des Wohnungseigentums und zur Erteilung einer Löschungs-
bewilligung zu verurteilen. Die dagegen eingelegte Berufung ist erfolglos
geblieben. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision verfolgen die
Kläger ihre Anträge weiter. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des
Rechtsmittels.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Landgericht hat ein Vorkaufsrecht der Kläger mit der Begründung
verneint, § 577 BGB erfasse nur den ersten Verkaufsfall nach der Umwandlung
in Wohnungseigentum. Das gelte auch dann, wenn die Wohnung an einen Fa-
milienangehörigen oder an eine zum Hausstand gehörende Person mit der Fol-
ge verkauft werde, dass ein Vorkaufsrecht nicht zur Entstehung gelange. Eine
Einschränkung der „Verfügungsbefugnis“ desjenigen, der privilegiert nach § 577
Abs. 1 Satz 2 BGB erworben habe, sei dem Gesetz nicht zu entnehmen. Dass
ein missbräuchlicher Verkauf an privilegierte Personen möglich sei, rechtfertige
keine andere Beurteilung. Missbrauchsfällen sei mit der Anwendung von § 242
BGB zu begegnen. Ein Missbrauch lasse sich hier jedoch nicht feststellen.
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II.
Das Berufungsurteil hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
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1. Die Rüge der Revision, das Berufungsurteil verfüge nicht über einen
Tatbestand und sei deshalb aufzuheben, geht fehl. Das Berufungsgericht nimmt
nach § 540 Abs. 1 ZPO zulässigerweise Bezug auf die Darstellung des Sach-
und Streitstands in dem erstinstanzlichen Urteil und gibt an, inwieweit die Kla-
geanträge im Berufungsrechtszug modifiziert worden sind. Auch wenn die Beru-
fungsanträge selbst nicht ausdrücklich wiedergegeben werden, wird damit je-
denfalls im Zusammenhang mit den Erwägungen des Berufungsgerichts hinrei-
chend deutlich, über welche Anträge entschieden worden ist. Das genügt (vgl.
dazu nur Senatsurt. v. 6. Juni 2003, V ZR 392/02, NJW-RR 2003, 1290, 1291;
BGH, Urt. v. 30. September 2003, VI ZR 438/02, NJW 2004, 293, 294; jeweils
m.w.N.).
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2. Auch in der Sache bleibt dem Rechtsmittel der Erfolg versagt.
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a) Erfüllungsansprüche gegen den Beklagten zu 1 nach §§ 433 Abs. 1
Satz 1, 464 Abs. 2 BGB bestehen nicht.
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aa) Das Berufungsgericht geht zu Recht davon aus, dass der hier in
Rede stehende zweite Verkauf nach der Umwandlung in Wohnungseigentum
kein Vorkaufsrecht der Kläger begründet hat. Der Bundesgerichtshof hat bereits
entschieden, dass nur der erste Verkauf nach der Umwandlung geeignet ist, ein
Vorkaufsrechts des Mieter nach § 577 Abs. 1 Satz 1 BGB zu begründen, und
dass dies selbst dann gilt, wenn die Entstehung des Vorkaufsrechts bei dem
ersten Verkauf aufgrund gesetzlicher Regelungen - wie etwa bei einem "Ver-
kauf" im Wege der Zwangsversteigerung (so § 471 BGB) - ausgeschlossen ist
(BGHZ 167, 58, 61 ff.; vgl. auch BGHZ 141, 194, 198 ff.). Auf dieser Grundlage
kann nichts anderes gelten, wenn der Erstverkauf nach § 577 Abs. 1 Satz 2
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BGB deshalb zu keinem Vorkaufsrecht geführt hat, weil es sich bei dem Käufer
um einen Familien- oder Haushaltsangehörigen des Vermieters handelt.
(1) Nach der verfassungsrechtlich unbedenklichen Einschätzung des
Gesetzgebers realisiert sich bei der gebotenen typisierenden Betrachtung bei
einem zweiten Verkauf nicht mehr die Gefahr der Verdrängung des Mieters
aufgrund einer spekulativen Umwandlung von Wohnungen in Eigentumswoh-
nungen, der mit der Regelung des § 577 BGB begegnet werden soll (vgl. BGHZ
167, 58, 61 f.). Ist eine durch die Umwandlung herbeigeführte gesteigerte Ver-
drängungsgefahr bei einem späteren Verkauf aber nicht mehr vorhanden, ist
der mit einem Vorkaufsrecht einhergehende Eingriff in die Vertragsfreiheit
(
gentümers () nicht mehr gerechtfertigt (BGHZ aaO, 62 f.).
Rechtsmissbräuchen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass nur zur Ausschal-
tung des Vorkaufsrechts an eine nach § 577 Abs. 1 Satz 2 BGB privilegierte
Person veräußert wird, kann im Einzelfall mit der Anwendung von § 242 BGB
begegnet werden (vgl. auch Senat, BGHZ 115, 335, 340). Einer Ausweitung
des Vorkaufsrechts auf weitere Verkaufsfälle nach der Umwandlung bedarf es
hierzu nicht (vgl. BGHZ 141, 194, 200).
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Soweit die Revision geltend macht, der Privilegierungstatbestand des
§ 577 Abs. 1 Satz 2 BGB sei in Anlehnung an den auf ein berechtigtes Interes-
se abstellenden § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB geschaffen worden, gibt diese Überle-
gung allenfalls Anlass zur Klärung der Frage, ob § 577 Abs. 1 Satz 2 BGB te-
leologisch dahin zu reduzieren ist, dass der Ausschluss des Vorkaufsrechts nur
eingreift, wenn dem Erwerber ein Nutzungsinteresse zur Seite steht (zu dieser
Frage Staudinger/Rolfs, BGB, [2006], § 577 Rdn. 46 ff. m.w.N.). Das aber ver-
hilft der Klage nicht zum Erfolg. Denn selbst die Bejahung der Frage führte le-
diglich dazu, dass der Vorkaufsfall bereits mit dem ersten - hier zwischen dem
Beklagten zu 1 und dessen Sohn abgeschlossenen - Kaufvertrag eingetreten
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wäre. Insoweit ist aber weder ein Vorkaufsrecht ausgeübt worden noch sind
etwaige Erfüllungsansprüche gegen den Sohn Gegenstand des Rechtsstreits.
(2) Entgegen der Auffassung der Revision rechtfertigt auch der Umstand,
dass der erste Verkauf der Wohnung nicht isoliert, sondern "en bloc"
- zusammen mit weiteren Eigentumswohnungen - erfolgte, nicht die aus-
nahmsweise Zubilligung eines Vorkaufsrechts bei dem nachfolgenden Verkauf.
Denn auch in solchen Fällen steht dem Mieter ein Vorkaufsrecht an der von ihm
bewohnten Eigentumswohnung bereits aufgrund des ersten Verkaufsfalls zu
(Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 9. Aufl., § 577 BGB, Rdn. 50, m.w.N.; vgl.
auch BGH, Urt. v. 15. Juni 2005, VIII ZR 271/04, NJW-RR 2005, 1534 f.). Dass
bei dem gebündelten Verkauf mehrerer Wohnungen die Ermittlung des anteili-
gen Kaufpreises schwierig sein kann, rechtfertigt nicht die Annahme, dass das
Vorkaufsrecht nur bei einem Einzelverkauf oder bei Angabe des auf die Woh-
nung entfallenden Teilkaufpreises gegeben wäre. Zum einen führte das von der
Revision befürwortete Hinausschieben der Vorkaufsberechtigung auf künftige
- und damit in der Regel ungewisse - Verkaufsfälle zu einer nicht akzeptablen
Beschneidung des von § 577 BGB bezweckten Mieterschutzes, weil es auch
der Erwerber bei einem Weiterverkauf in der Hand hätte, das Eingreifen der
Vorschrift wiederum durch eine en-bloc-Veräußerung mit fehlender Teilkauf-
preisbestimmung zu verhindern. Zum anderen kann den Schwierigkeiten des
Mieters, den auf seine Wohnung entfallenden anteiligen Kaufpreis zu ermitteln
oder zumindest einigermaßen zuverlässig abzuschätzen, bei einem Streit über
die Höhe des zu zahlenden Kaufpreises über die Anwendung der Grundsätze
von Treu und Glauben (§
242 BGB) Rechnung getragen werden
(vgl. BGHZ 141, 194, 200). Dabei können Zweifel, die dem Mieter bei der Ein-
schätzung des auf ihn entfallenden Kaufpreises bei seiner Entscheidung über
die Ausübung des Vorkaufsrechts innerhalb der Frist des § 469 Abs. 2 Satz 1
BGB (dazu Senat, BGHZ 168, 152, 156) berechtigterweise verblieben sind, im
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Einzelfall zu Lasten des Vermieters ausschlagen, weil dieser die die Ausübung
des Vorkaufsrechts erschwerende Vertragsgestaltung zu verantworten hat.
bb) Eine abweichende Beurteilung ist nicht nach Treu und Glauben
(§ 242 BGB) geboten. Das Berufungsgericht hat ein auf Umgehung der Rechts-
folgen des § 577 Abs. 1 Satz 1 BGB gerichtetes rechtsmissbräuchliches Zu-
sammenwirken des Beklagten zu 1 mit seinem Sohn - insbesondere vor dem
Hintergrund der angeordneten Zwangsverwaltung und der Abstimmung des
Erstverkaufs mit der betreibenden Gläubigerin (zu diesem Aspekt BGHZ 141,
194, 202) - rechtsfehlerfrei verneint.
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cc) Allerdings rügt die Revision zu Recht, dass sich das Berufungsgericht
zumindest nicht ausdrücklich mit dem an die Kläger gerichteten Schreiben des
Beklagten zu 1 vom 11. Januar 2005 befasst hat. Nur führt auch dessen Be-
rücksichtigung nicht zu einer den Klägern günstigen Beurteilung. Entgegen der
Auffassung der Kläger kann dem Schreiben nämlich nicht entnommen werden,
der Beklagte zu 1 habe bindend erklärt, dass die Kläger wirksam das Vorkaufs-
recht ausgeübt hätten und zwischen ihnen und dem Beklagten zu 1 ein Kauf-
vertrag zustande gekommen sei. Nach dem Tatbestand des erstinstanzlichen
Urteils, auf das das Berufungsurteil Bezug nimmt, hat der Beklagte zu 1 mit sei-
nem Schreiben das in dem Verfügungsrechtsstreit ergangene Berufungsurteil
anerkannt. Seine Erklärung bezog sich damit bei verständiger Würdigung allein
auf den zuerkannten Unterlassungsanspruch, mithin auf ein Recht, dem ersicht-
lich nur die dienende Funktion zukommt sicherzustellen, dass Erfüllungsan-
sprüche bis zur Abklärung ihres Bestehens nicht vereitelt werden. Nur insoweit
wollte der Beklagte zu 1 den Klägern entgegen kommen und die Durchführung
eines Hauptsacheverfahrens entbehrlich machen. Zu dem Bestehen von Erfül-
lungsansprüchen und zu der vorgreiflichen Frage, ob den Klägern ein Vorkaufs-
recht zur Seite steht, verhält sich das Schreiben nicht. Die Revision verweist auf
kein tatsächliches Vorbringen, auf dessen Grundlage dem Schreiben ein wei-
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tergehender Gehalt beigelegt werden könnte. Davon abgesehen zeigt die Revi-
sion auch keinen Parteivortrag auf, aus dem sich
ergibt, dass die Kläger die außerprozessuale Erklärung des Beklagten zu 1
- zumal innerhalb der Frist des § 147 Abs. 2 BGB - angenommen haben.
Im Gegenteil, die Kläger haben Klage in der Hauptsache erhoben, was der Be-
klagte zu 1 mit seinem "Anerkenntnis" gerade hatte vermeiden wollen.
b) Auch im Übrigen bleibt der Klage der Erfolg versagt.
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aa) Die gegen beide Beklagten erhobene Unterlassungsklage ist zuläs-
sig, auch soweit sie sich gegen den Beklagten zu 1 richtet. Zwar können die
Parteien durch Prozessvertrag die Entscheidung im einstweiligen Verfügungs-
verfahren zu einer endgültigen machen (vgl. nur Zöller/Vollkommer, ZPO,
26. Aufl., § 926 Rdn. 4 m.w.N.). Daran fehlt es hier indessen schon deshalb,
weil nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Kläger die Erklärung des
Beklagten zu 1 vom 11. Januar 2005 angenommen haben (zu diesem Erforder-
nis BGH, Urt. v. 4. Mai 2005, I ZR 127/02, NJW 2005, 2550, 2552; vgl. auch
Urt. v. 5. Dezember 1980, I ZR 179/78, NJW 1981, 1955).
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bb) Die Unterlassungsklage ist jedoch unbegründet, weil für "dienende
Unterlassungsansprüche" der in Rede stehenden Art kein Raum mehr bleibt,
wenn - wie hier - feststeht, dass Erfüllungsansprüche nicht bestehen.
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III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Krüger Klein Lemke
Schmidt-Räntsch Roth
Vorinstanzen:
AG Hannover, Entscheidung vom 20.02.2006 - 547 C 15625/05 -
LG Hannover, Entscheidung vom 17.11.2006 - 16 S 20/06 -