Urteil des BGH vom 13.08.2003

BGH (stpo, strafkammer, verteidigung, beginn, hauptverhandlung, freiheitsstrafe, verletzung, nachteil, stgb, staatsanwaltschaft)

5 StR 286/03
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 13. August 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
13. August 2003, an der teilgenommen haben:
Richter Basdorf als Vorsitzender,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Richterin am Landgericht
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin L ,
Rechtsanwalt D
als Verteidiger,
Rechtsanwältin K
als Vertreterin der Nebenklägerin,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Land-
gerichts Berlin vom 21. November 2002 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels und die
der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.
– Von Rechts wegen –
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tat-
einheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu fünf Jahren Freiheitsstrafe und
zur Zahlung eines Schmerzensgeldes an die Nebenklägerin verurteilt. Die
hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten bleibt erfolglos. Staatsan-
waltschaft und Nebenklägerin haben ihre Revisionen vor Beginn der Haupt-
verhandlung zurückgenommen.
I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte vergewaltigte die Nebenklägerin anläßlich einer Be-
sichtigung ihrer Wohnung, an welcher er Interesse als Nachmieter vorgege-
ben hatte: Er drückte die Frau auf eine Matratze, entkleidete sie und führte
mit ihr gegen ihren Willen gewaltsam den Geschlechtsverkehr aus. Die er-
hebliche Intensität des lange andauernden Sexualakts führte zu massiven
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Unterleibsverletzungen der Nebenklägerin. Der Angeklagte hatte ihre Verlet-
zung zu Beginn des Geschlechtsverkehrs bewußt in Kauf genommen. Er ließ
sich von dessen weiterer Durchführung auch nicht dadurch abbringen, daß
die vor Schmerzen schreiende Frau stark blutete und sich mehrfach überge-
ben mußte.
Nach am ersten Hauptverhandlungstag begonnener Zeugenverneh-
mung der Nebenklägerin hat der Angeklagte den Tathergang am zweiten
Hauptverhandlungstag gestanden; dem war im Rahmen einer Absprache zur
Verfahrensbeendigung die Zusage einer Strafobergrenze von fünf Jahren
Freiheitsstrafe durch die Strafkammer vorausgegangen. Vor Beginn der Zeu-
genvernehmung der Nebenklägerin am ersten Hauptverhandlungstag war
der Angeklagte auf den Vorschlag einer Verständigung, wonach ihm für den
Fall der Vermeidung einer Zeugenvernehmung der Nebenklägerin eine
Strafobergrenze von vier Jahren Freiheitsstrafe zugesichert werden sollte,
noch nicht eingegangen. Er hatte sich zunächst dahin eingelassen, die Ne-
benklägerin habe freiwillig mit ihm sexuell verkehrt; ihre Verletzungen habe
er versehentlich verursacht.
II.
Die Revision des Angeklagten ist ungeachtet seiner Zustimmung zur
einverständlichen Sacherledigung nicht etwa insgesamt unzulässig (vgl.
BGHSt 43, 195; 45, 227), indes unbegründet.
1. Die Verfahrensrügen versagen. Dabei bedarf die Frage keiner Ver-
tiefung, ob aus der Mitwirkung des Angeklagten an der Verfahrensabsprache
durchgreifende Zweifel an der Statthaftigkeit einzelner Rügen hergeleitet
werden könnten.
a) Die Rüge aus § 338 Nr. 5 StPO scheitert an § 344 Abs. 2 Satz 2
StPO. Die Revision hat es unterlassen, den Antrag der Vertreterin der Ne-
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benklägerin auf vorübergehende Entfernung des Angeklagten nach § 247
StPO und das darin in Bezug genommene ärztliche Attest vollständig vorzu-
tragen. Deren Kenntnis wäre für eine umfassende Beurteilung der – im übri-
gen, soweit sonst ersichtlich, rechtsfehlerfrei angenommenen – Vorausset-
zungen des § 247 Satz 2 StPO unerläßlich. Zudem verschweigt die Revision,
die insbesondere die Zurückweisung von Einwänden der Verteidigung am
zweiten Verhandlungstag gegen die fortdauernde Anwendung des § 247
StPO beanstandet, daß es zu einer solchen Verfahrensweise anschließend
– mangels Fortsetzung der Zeugenvernehmung der Nebenklägerin nach dem
Geständnis des Angeklagten – gar nicht mehr gekommen ist.
b) Die Rüge aus § 338 Nr. 6 StPO scheitert insgesamt an § 171b
Abs. 3 GVG, § 336 Satz 2 StPO. Außerdem beanstandet die Revision auch
insoweit insbesondere die Zurückweisung der gegen den Öffentlichkeitsaus-
schluß erhobenen Einwände der Verteidigung am zweiten Verhandlungstag,
verschweigt indes, daß die Öffentlichkeit danach gar nicht mehr ausge-
schlossen worden ist, da die Zeugenvernehmung der Nebenklägerin an-
schließend nicht fortgesetzt wurde.
c) Die Verständigungspraxis der Strafkammer steht im Einklang mit
den Grundsätzen von BGHSt 43, 195, 207 f. Sie erweist sich in Verfahren
der hier vorliegenden Art als besonders sachgerecht, in denen ein hinrei-
chendes Geständnis des Angeklagten der durch ein gegen die sexuelle
Selbstbestimmung gerichtetes Gewaltverbrechen Geschädigten eine stark
belastende Aussage ersparen soll. Die gegen die Verfahrensweise der Straf-
kammer vorgebrachten, auf Verletzung des § 261 StPO gestützten Einwände
der Revision sind haltlos (vgl. auch BGH NStZ 1999, 571, 572).
d) Nach dem Geständnis des Angeklagten war die Strafkammer nach
§ 244 Abs. 2 StPO ersichtlich nicht mehr gehalten, die von der Verteidigung
beantragten Beweise zu erheben; der zuvor gefaßte gegenteilige Beschluß
war durch die veränderte Verfahrenssituation prozessual überholt. Dem ver-
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änderten Prozeßverhalten von Angeklagtem und Verteidigern war schlüssig
der Verzicht auf die am ersten Verhandlungstag gestellten Beweisanträge zu
entnehmen.
2. Schuldspruch und Rechtsfolgenausspruch sind frei von sachlich-
rechtlichen Fehlern zum Nachteil des Angeklagten. Die – in den Einzelheiten
nicht einmal erheblichen – Feststellungen zur Tatdauer widerstreiten keinem
Erfahrungssatz. Die erheblichen Tatfolgen für die Nebenklägerin waren
selbstverständlich strafschärfend zu berücksichtigen. Die ersichtlich unter der
Schwelle des § 21 StGB liegende alkoholische Beeinträchtigung des Ange-
klagten wurde strafmildernd bewertet (UA S. 11). Die verletzende Art der Be-
fragung der Nebenklägerin durch die Verteidigung hat die Strafkammer aus-
drücklich nicht strafschärfend gewertet (UA S. 13); aus der nicht zu bean-
standenden Begründung der Strafzumessung kann Gegenteiliges nicht her-
geleitet werden. Daß die Strafkammer am ersten Verhandlungstag eine nied-
rigere Strafobergrenze in Aussicht gestellt hatte, war fraglos sachgerecht, da
zu diesem Zeitpunkt noch die Chance bestand, der Nebenklägerin die Zeu-
genvernehmung gänzlich zu ersparen; damit wäre ein erheblich gewichtige-
rer Strafmilderungsgrund zum Tragen gekommen.
III.
Obgleich die Voraussetzungen des – von Landgericht und Staatsan-
waltschaft in erster Instanz ersichtlich übersehenen – Qualifikationstatbe-
standes des § 177 Abs. 4 Nr. 2 lit. a StGB nach den Urteilsfeststellungen er-
füllt sind, sieht sich der Senat hier zu einer entsprechenden Schuldspruchän-
derung zum Nachteil des Angeklagten (vgl. BGHR StPO § 260 Abs. 4 Satz 1
Urteilsformel 4), der das Verschlechterungsverbot nicht entgegenstünde (vgl.
Kuckein in KK 5. Aufl. § 358 Rdn. 18), nach der in der Hauptverhandlung er-
ster Instanz gefundenen Verständigung nicht veranlaßt.
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Es ist nicht angezeigt, den Angeklagten entgegen § 473 Abs. 1 Satz 2
StPO von den notwendigen Auslagen der Nebenklägerin im Blick auf die von
dieser ursprünglich selbst auch eingelegten Revision freizustellen (vgl. Mey-
er-Goßner, StPO 46. Aufl. § 473 Rdn. 11), da die Nebenklägerin ihr Rechts-
mittel mehr als eine Woche vor Beginn der Hauptverhandlung zurückge-
nommen hat.
Basdorf Gerhardt Raum
Brause Schaal