Urteil des BGH vom 09.08.2001

BGH (stpo, staatsanwaltschaft, freiheitsberaubung, hauptverhandlung, beweisaufnahme, aufhebung, haftbefehl, unterbrechung, verteidigung, beschwerde)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 253/01
vom
9. August 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Freiheitsberaubung u.a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbun-
desanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 9. August 2001
gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Hildesheim vom 19. Februar 2001 mit den Feststellungen
aufgehoben, soweit es den Beschwerdeführer betrifft.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückver-
wiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Freiheitsberaubung in der
durch § 239 Abs. 3 StGB qualifizierten Form in Tateinheit mit gefährlicher Kör-
perverletzung in 17 Fällen und mit Körperverletzung in zwei Fällen unter Ein-
beziehung einer Geldstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren
und zwei Monaten sowie wegen Diebstahls unter Einbeziehung einer Freiheits-
strafe zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt. Die
Revision des Angeklagten hat mit der Rüge der Verletzung des § 258 Abs. 2
Halbs. 2 und Abs. 3 StPO Erfolg.
Nach Schluß der Beweisaufnahme hielten der Vertreter der Staatsan-
waltschaft und die Verteidigung ihre Schlußvorträge. Der Angeklagte hatte das
letzte Wort. Nach einer Unterbrechung der Hauptverhandlung wurde vom
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Landgericht der zuvor von der Staatsanwaltschaft beantragte Haftbefehl gegen
den Angeklagten erlassen und verkündet und der Angeklagte über das Recht
der Beschwerde belehrt. Sodann wurde die Hauptverhandlung unterbrochen.
Vier Tage später wurde das Urteil verkündet, ohne daß dem Angeklagten er-
neut das letzte Wort erteilt wurde.
Dem Rechtsmittel kann der Erfolg nicht versagt werden. Das Landgericht
hatte mit seiner Haftentscheidung zu erkennen gegeben, daß es in Überein-
stimmung mit der Staatsanwaltschaft nach Bewertung des Beweisergebnisses
den Angeklagten der ihm vorgeworfenen Taten nicht nur für hinreichend, son-
dern auch für dringend verdächtig hielt. Damit war es wieder in die Beweisauf-
nahme eingetreten. Das nahm der vorausgegangenen Schlußerklärung des
Angeklagten die Bedeutung des letzten Wortes und machte dessen nochmali-
ge Gewährung erforderlich (BGHR StPO § 258 III Wiedereintritt 8; BGH,
Beschl. vom 11. April 2001 - 3 StR 534/00 jeweils m.w.Nachw.; Klein-
knecht/Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl. § 258 Rdn. 29). Bei der gewählten Ver-
fahrensweise war die Verkündung des Haftbefehls auch nicht Teil der ab-
schließenden Entscheidung des Gerichts (vgl. hierzu BGH, Beschl. vom
27. März 2001 - 4 StR 414/00).
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Der Verfahrensverstoß führt zur Aufhebung des Urteils. Die Nichtertei-
lung des letzten Wortes begründet zwar nicht stets und ausnahmslos die Revi-
sion, sondern nur dann, wenn und soweit das Urteil auf dem Fehler beruht. Der
Senat kann nicht ausschließen, daß der Angeklagte, der zu den Tatvorwürfen
geschwiegen hatte, sich im Falle der Gewährung des letzten Wortes anders
verhalten und sich eingelassen hätte.
Rissing-van Saan Winkler Pfister
von Lienen Becker