Urteil des BGH vom 20.02.2013

BGH: sexueller missbrauch, wohnung, könig, täterschaft, wiedergabe, freispruch, anklageschrift, unteilbarkeit, computer, vertreter

5 StR 466/12
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 20. Februar 2013
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. Febru-
ar 2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richter Prof. Dr. Sander,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des
Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 16. Januar 2012 wird
verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels sowie die dem Angeklagten
hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der
Staatskasse auferlegt.
– Von Rechts wegen –
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen
Missbrauchs eines Kindes und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in
vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Vom
Vorwurf weiterer Sexualdelikte hat es ihn freigesprochen. Mit ihrer be-
schränkten, auf die Sachrüge gestützten Revision greift die Staatsanwalt-
schaft die Freisprüche in den Fällen 8 sowie 9 bis 111 der Anklage zum
Nachteil der Neben- und Adhäsionsklägerin B. an. Das vom Ge-
neralbundesanwalt vertretene Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
1. Mit der zugelassenen Anklage lag dem Angeklagten in den von der
Staatsanwaltschaft angefochtenen Freispruchsfällen zur Last, der am 9. Au-
gust 1996 geborenen Zeugin B. im September 2009 in seiner
Wohnung einen Finger in die Scheide eingeführt und anschließend mit ihr
den Geschlechtsverkehr ausgeführt zu haben; hierbei habe er sie mit einer
Geschlechtskrankheit angesteckt (Fall 8: schwerer sexueller Missbrauch ei-
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nes Kindes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, § 176a Abs. 2
Nr. 1, § 223 Abs. 1 StGB). In den Fällen 9 bis 111 soll er Fotos hergestellt
haben, die „sexuelle Betätigungen der Zeugin zeigen, die bereits nach ihrem
äußeren Erscheinungsbild der Befriedigung geschlechtlicher Bedürfnisse
dienen und in vergröbernder Darstellung sexuellen Verhaltens unter Aus-
klammerung emotionaler Bezüge die dargestellte Person zum bloß aus-
tauschbaren Objekt geschlechtlicher Begierde oder Betätigung machen“
(§ 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB). Zum Inhalt der Abbildungen verweist die Anklage
lediglich auf in den Akten bezeichnete Lichtbilder.
2. Das Landgericht hat den Angeklagten jeweils aus tatsächlichen
Gründen freigesprochen.
a) Im Fall 8 hat es die Einlassung des Angeklagten, dass es keinen
sexuellen Kontakt zwischen ihm und der Zeugin B. gegeben ha-
be, als nicht widerlegt angesehen. Der Angeklagte habe vermutet, dass die
Zeugin ein entsprechendes sexuelles Erlebnis mit ihrem Freund Bu.
gehabt habe, das sie auf ihn übertragen habe. Die Jugendschutzkammer
sieht das mögliche Falschbelastungsmotiv der Zeugin darin, dass sie ein in-
times Verhältnis zu Bu. nur deshalb verneint habe, um diesen vor
strafrechtlicher Verfolgung zu schützen. Ihre Bekundungen, dass sie keinen
Sexualkontakt zu Bu. gehabt habe, stünden im Widerspruch zu
glaubhaften Zeugenaussagen, die auf eine sexuelle Beziehung hindeuteten.
b) In den Fällen 9 bis 111 hat das Landgericht die Einlassung des An-
geklagten, dass er die auf seinem Computer vorgefundenen Nacktbilder der
Zeugin nicht hergestellt und von ihrer Existenz auch nichts gewusst habe, als
nicht widerlegt angesehen. Das Erstellungsdatum der Bilder könne nicht re-
konstruiert werden. Aufgrund der abgebildeten Bettwäsche könne zudem
nicht ausgeschlossen werden, dass die Fotoserie während „einer Gelegen-
heit“ angefertigt worden sei. Auf zwei Aufnahmen sei auch ein junger Mann
vor dem gleichen Hintergrund abgebildet, bei dem es sich figürlich nicht um
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den Angeklagten handeln könne. Der Angeklagte, der angab, er habe der
Zeugin die Schlüssel für die Betreuung seiner Wohnung in seiner Abwesen-
heit überlassen, habe vermutet, dass es sich bei der abgebildeten Person um
Bu. handeln könnte. Bu. hingegen habe bekundet, dass er
nicht die abgelichtete Person sei. Er habe „keine Fotos in der Wohnung des
Angeklagten gemacht und sei im Übrigen auch nicht mit der Zeugin
B.
zusammen gewesen“ (UA S. 23).
Die Jugendschutzkammer wertet es insoweit als lebensfremd, dass
der Angeklagte selbst die Aufnahmen von dem nackten Mann erstellt habe.
Denkbar sei, dass die Fotos von B. und Bu. während der
Abwesenheit des Angeklagten aufgenommen worden seien.
3. Die angefochtenen Freisprüche halten sachlich-rechtlicher Nachprü-
fung stand.
a) Die von der Revision behaupteten Darstellungsmängel liegen nicht
vor.
Es bedurfte entgegen der Auffassung der Revision keiner zusätzlichen
Feststellungen zu den Einzeltaten. Dem nicht schematisch anzuwendenden
Grundsatz, dass das Tatgericht bei freisprechenden Urteilen zunächst die
Umstände feststellen muss, die es für erwiesen erachtet, und dazu die Be-
gründung so abzufassen hat, dass dem Revisionsgericht eine Überprüfung
ermöglicht wird (BGH, Urteile vom 26. September 1989
– 1 StR 299/89,
BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 2, vom 6. April 2005
– 5 StR 441/04,
NStZ-RR 2005, 211, und vom 27. Januar 2011
– 4 StR 487/10,
NStZ-RR 2011, 275), ist hier genügt. Dass das Landgericht den sexuellen
Übergriff des Angeklagten im Fall 8 für nicht erwiesen erachtet hat, versteht
sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe von selbst. Weiter-
gehende Feststellungen, ob gegebenenfalls ein solcher Vorgang durch eine
andere Person stattgefunden hat, sind revisionsrechtlich nicht zu fordern.
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Eine von der Revisionsführerin zudem vermisste eingehendere Darstellung
des Anklagegegenstandes zum Tatkomplex 9 bis 111 bedurfte es nicht. Die
Urteilsfeststellungen gehen insoweit über die dürftige Darstellung der Ankla-
ge hinaus. Mit Blick darauf, dass der Freispruch im Ergebnis nicht zu bean-
standen ist, braucht der Senat nicht darüber zu entscheiden, ob insoweit
überhaupt eine konkrete Bezeichnung der Taten in der Anklageschrift vorge-
nommen worden ist.
b) Gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts bestehen keine
durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Beweiswürdigung ist dem Tatge-
richt vorbehalten (§ 261 StPO). Spricht das Tatgericht einen Angeklagten
frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist
dies vom Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen, da die Beweiswürdi-
gung Sache des Tatrichters ist. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht
unterliegt nur, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann
der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft
ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze ver-
stößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbil-
dung gestellt hat (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 2008
– 5 StR 564/07, NStZ-RR 2008, 180). Hieran gemessen ist die Beweiswürdi-
gung des Landgerichts vom Senat noch hinzunehmen.
aa) Im Fall 8 bedurfte es keiner eingehenderen Würdigung der Einlas-
sung des Angeklagten. Er hat den Vorwurf bestritten und die Vermutung auf-
gestellt, dass möglicherweise ein Vorfall, an dem eine andere Person betei-
ligt gewesen sein könnte, auf ihn projiziert worden sei. Entgegen der Auffas-
sung der Revision ist angesichts dieser Fallgestaltung nicht ersichtlich, wel-
che weitergehenden Erörterungen das Landgericht mit Blick auf die Einlas-
sung des Angeklagten hätte anstellen müssen.
bb) Die von der Revision in Bezug auf Fall 8 vermisste Wiedergabe
der Aussage des Zeugen Bu. ist der Beweiswürdigung zu den Fäl-
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len 9 bis 111 zu entnehmen. Es versteht sich wegen der Unteilbarkeit der
Aussage von selbst, dass seine Schilderung, mit der Nebenklägerin nicht
„zusammen gewesen zu sein“, auch auf Fall 8 zu beziehen ist. Das Landge-
richt durfte zudem den Aussageinhalt ohne Rechtsfehler dahingehend wer-
ten, dass der Zeuge zum Ausdruck bringen wollte, keine sexuelle Beziehung
mit der Nebenklägerin unterhalten zu haben.
cc) Schließlich ist die Beweiswürdigung des Landgerichts auch ohne
Wiedergabe der Aussage der Nebenklägerin zum Entstehen der Fotos in den
Fällen 9 bis 111 aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe noch
nachvollziehbar. Es hat ersichtlich aufgrund des erörterten Falschbelas-
tungsmotivs die Glaubhaftigkeit der Nebenklägerin in Frage gestellt, wobei es
die Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten maßgeblich auch auf die
zeitgleich gefertigten Bildaufnahmen eines jungen Mannes gestützt hat.
Basdorf Raum Sander
König Bellay
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