Urteil des BGH vom 18.04.2002

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil und Teilversäumnisurteil
VII ZR 164/01
Verkündet am:
18. April 2002
Heinzelmann,
Justizangestellte
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
VOB/B § 8 Nr. 1 Abs. 2
Zur getrennten Abrechnung von erbrachten und nicht erbrachten Leistungen nach
Kündigung eines Bauvertrages.
BGH, Urteil und Teilversäumnisurteil vom 18. April 2002 - VII ZR 164/01 - KG Berlin
LG Berlin
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 18. April 2002 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die
Richter Hausmann, Dr. Kuffer, Prof. Dr. Kniffka und Bauner
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats
des Kammergerichts vom 6. März 2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Beru-
fungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt nach der Kündigung eines Bauvertrages Werklohn
und Rückgabe einer Vertragserfüllungsbürgschaft. In der Revision geht es nur
darum, ob die Klägerin prüfbar abgerechnet hat. Das Landgericht hat die Be-
klagten zu 2 bis 5 zur Zahlung von 59.334,82 DM Werklohn aus einem Zu-
satzauftrag über Innenputzarbeiten verurteilt. Im übrigen hat es die Klage ab-
gewiesen, weil die Forderung nicht prüfbar abgerechnet sei. Mit der Berufung
hat die Klägerin zuletzt von den Beklagten zu 2 bis 5 Zahlung weiterer
897.706,67 DM nebst Zinsen, davon 69.507,50 DM Zug um Zug gegen Über-
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gabe einer Gewährleistungsbürgschaft verlangt. Außerdem hat sie beantragt,
die Beklagten zu 2 und 4 zu verurteilen, die Vertragserfüllungsbürgschaft über
201.480 DM an sie, hilfsweise an die Bank, herauszugeben. Die Berufung ist
erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche wei-
ter. Den Zahlungsantrag hat sie jedoch wegen einer am 16. Februar 2001 er-
folgten Zahlung aus einer ihr übergebenen Bürgschaft in Höhe von 233.660,83
DM für erledigt erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils
und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Auf das Schuldverhältnis findet das Bürgerliche Gesetzbuch in der bis
zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung Anwendung (Art. 229 § 5 Satz 1
EGBGB).
I.
Das Berufungsgericht hält den Zahlungsantrag für zur Zeit unbegründet.
Folge der Kündigung sei die vorzeitige Beendigung des Pauschalvertrages.
Der Vertrag zerfalle in einen erfüllten Teil, für den die vereinbarte Vergütung
gemäß § 8 Nr. 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 6 Nr. 5 VOB/B zu zahlen sei, und in ei-
nen nicht erfüllten Teil, für den an die Stelle des Erfüllungsanspruchs ein An-
spruch auf entgangenen Gewinn bzw. ein Schadensersatzanspruch trete, § 8
Nr. 2 Abs. 2 Satz 2 VOB/B. Es habe eine Gesamtabrechnung stattzufinden.
Nachdem der Pauschalwert der erbrachten Teilleistungen sowie ein entgange-
ner Gewinn ermittelt worden seien, seien diesem Wert etwaige Gegenansprü-
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che wertmäßig gegenüberzustellen. Grundsätzlich sei eine Auflistung der er-
brachten Teilleistungen nach dem Aufbau eines Einheitspreisvertrages unter
Ansatz der hierauf entfallenden Teilvergütung erforderlich. Dem würden die mit
Schriftsatz vom 8. März und 10. Mai 1999 überreichten Schlußrechnungen der
Klägerin nicht gerecht. Es fehle an einer nachvollziehbaren Einheitspreisbe-
rechnung unter Ansatz der nach der Pauschalvereinbarung hierauf entfallen-
den Teilvergütung. Auch der Anspruch auf entgangenen Gewinn aus § 649
BGB i.V.m. § 8 Nr. 1 VOB/B sei nicht prüffähig dargetan. Die Berechnung wei-
se eine Vielzahl von Mängeln und Unklarheiten auf.
Die Klägerin habe gegen die Beklagten zu 2 und 4 keinen Anspruch auf
Herausgabe der Vertragserfüllungsbürgschaft. Diese sichere auch Überzah-
lungen ab. Da eine prüfbare Abrechnung noch nicht vorgelegt sei, sei der Her-
ausgabeanspruch unbegründet.
II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht
verkennt die für den Anspruch der Klägerin maßgeblichen Regelungen der
VOB/B. Es stellt zudem unzutreffende Anforderungen an die Prüfbarkeit einer
Schlußrechnung.
1. Die Klägerin macht einen Anspruch auf Werklohn nach einer Kündi-
gung gemäß § 8 Nr. 1 Abs. 1 VOB/B geltend. Dieser Anspruch ergibt sich aus
§ 8 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B. Danach kann der Auftragnehmer die vereinbarte Ver-
gütung verlangen. Er muß sich jedoch anrechnen lassen, was er infolge der
Aufhebung des Vertrags an Kosten erspart oder durch anderweitige Verwen-
dung seiner Arbeitskraft und seines Betriebs erwirbt oder zu erwerben böswillig
unterläßt (§ 649 BGB). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts be-
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schränkt sich der Anspruch deshalb nicht auf den entgangenen Gewinn. Zu
Unrecht meint das Berufungsgericht, der Anspruch der Klägerin folge aus § 8
Nr. 2 Abs. 2 VOB/B. Diese Regelung betrifft die Abrechnung nach einer Kündi-
gung, wenn der Auftragnehmer seine Zahlungen einstellt oder das Insolvenz-
verfahren beziehungsweise ein vergleichbares gesetzliches Verfahren bean-
tragt oder ein solches Verfahren eröffnet wird oder dessen Eröffnung mangels
Masse abgelehnt wird. Dieser Fall liegt nicht vor. Rechtsfehlerhaft ist zudem
die Auffassung, die Schlußrechnung müsse die Ersparnis bezeichnen, die
durch eine nicht vorgenommene Mängelbeseitigung erzielt werde (BGH, Urteil
vom 25. Juni 1987 - VII ZR 251/86, BauR 1987, 689, 690 = ZfBR 1987, 238).
2. Die Klägerin hat den Anspruch aus § 8 Nr. 1 Abs. 2 VOB/B prüfbar
abgerechnet.
a) Dieser Anspruch kann in der Weise abgerechnet werden, daß der
Auftragnehmer die Vergütung für den Teil berechnet, der im Zeitpunkt der Kün-
digung erbracht ist und gesondert für den Teil, der noch nicht erbracht ist; denn
nur bei diesem Teil kommt es auf die Ersparnis und den anderweitigen Erwerb
an. Soweit der Unternehmer Vergütung für die erbrachten Leistungen verlangt,
hat er die erbrachten Leistungen darzulegen und von dem nicht ausgeführten
Teil abzugrenzen. Die Höhe der Vergütung für die erbrachten Leistungen ist
nach dem Verhältnis des Werts der erbrachten Teilleistung zum Wert der nach
dem Pauschalvertrag geschuldeten Gesamtleistung zu errechnen (BGH, Urteil
vom 11. Februar 1999 - VII ZR 91/98, BauR 1999, 632, 633 = ZfBR 1999, 194).
Dazu ist in aller Regel eine Aufteilung der Gesamtleistung in Einzelleistungen
notwendig und eine Bewertung, die den Auftraggeber in die Lage versetzt, sich
sachgerecht zu verteidigen (BGH, Urteil vom 4. Mai 2000 - VII ZR 53/99, BauR
2000, 1182, 1187 = NZBau 2000, 375 = ZfBR 2000, 472). Aus der Aufteilung
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der Gesamtleistung in Einzelleistungen wird sich deshalb in der Regel ergeben
müssen, welche Einzelleistungen erbracht und welche Leistungen nicht er-
bracht worden sind und wie diese Leistungen jeweils auf der Grundlage der
dem Vertrag zugrunde liegenden Kalkulation bewertet werden. Soweit der Un-
ternehmer Vergütung für die nicht erbrachten Leistungen verlangt, hat er von
den Vergütungsanteilen, die er den nicht erbrachten Leistungen zugeordnet
hat, die ersparten Aufwendungen und den anderweitigen Erwerb abzuziehen.
Die Abrechnung muß dem Auftraggeber die Prüfung ermöglichen, ob der Auf-
tragnehmer ersparte Kosten auf der Grundlage der konkreten, dem Vertrag
zugrunde liegenden Kalkulation zutreffend berücksichtigt hat (BGH, Urteil vom
24. Juni 1999 - VII ZR 342/98, BauR 1999, 1292, 1293 = ZfBR 1999, 339).
b) Diesen Anforderungen entspricht die Abrechnung der Klägerin. Die
Klägerin hat die nach dem Vertrag zu erbringenden Leistungen in verschiedene
Gewerke unterteilt und diese auf der Grundlage der dem Angebot zugrunde
liegenden Kalkulation bewertet. Die Summe der den Teilleistungen zugeord-
neten Vergütungsteile ergibt unter Berücksichtigung der vereinbarten Ände-
rungen und des gewährten Nachlasses den vereinbarten Pauschalpreis. Die
Klägerin hat die in der Auftragsverhandlung vereinbarten Änderungen nach-
prüfbar aufgeschlüsselt und bei der Abrechnung berücksichtigt. Daß die Kläge-
rin den vereinbarten Nachlaß nicht genau in Abzug gebracht, sondern zu ihren
Gunsten auf 1,5 % abgerundet hat, berührt die Prüfbarkeit nicht.
aa) Zu Unrecht fordert das Berufungsgericht eine Abrechnung "nach
dem Aufbau einer Einheitspreisberechnung". Diese war unter Berücksichtigung
der Informations- und Kontrollinteressen der Beklagten, die insoweit auch keine
Beanstandungen erhoben haben, nicht erforderlich. Die Aufteilung nach Ge-
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werken und die entsprechende Bewertung reichte aus (vgl. BGH, Urteil vom
11. Februar 1999 - VII ZR 91/98, BauR 1999, 632, 634 = ZfBR 1999, 194).
bb) Soweit das Berufungsgericht einzelne Positionen der Abrechnung
der erbrachten Leistungen beanstandet, weist die Revision zutreffend darauf
hin, daß damit durchweg die Richtigkeit und nicht die Prüfbarkeit der Schluß-
rechnung bezweifelt wird. Das betrifft insbesondere die Punkte, unter denen
das Berufungsgericht die fehlende Nachvollziehbarkeit der Abrechnung bean-
standet. Die vom Berufungsgericht angenommene fehlende Nachvollziehbar-
keit bezieht sich nicht auf die in sich stimmige Abrechnung der Klägerin, son-
dern auf die jeweiligen Ansätze in der Kalkulation. Ob diese richtig sind, ist
keine Frage der Prüfbarkeit. Für die Prüfbarkeit ist es nicht entscheidend, ob
die Berechnung sachlich richtig oder falsch ist (BGH, Urteil vom 11. Februar
1999 - VII ZR 399/98, BGHZ 140, 365, 369). Die vom Berufungsgericht wieder-
holt beanstandeten Rechenfehler und Unstimmigkeiten, wie sie sich z.B. dar-
aus ergeben, daß sich aus Einzelpreisen von 125,38 DM/qm und 21 DM/qm
kein Gesamtpreis von 146,30 DM/qm ergibt, können die Prüfbarkeit der Rech-
nung ebenfalls nicht in Frage stellen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 1999
- VII ZR 91/98, BauR 1999, 632, 633 = ZfBR 1999, 194).
cc) Die Klägerin hat auch die Abrechnung ihrer Vergütung für nicht er-
brachte Leistungen prüfbar vorgenommen. Zu Unrecht beanstandet das Beru-
fungsgericht, wie auch schon zuvor bei der Abrechnung der erbrachten Lei-
stungen, Abweichungen der Angebotskalkulation von den tatsächlich mit den
Subunternehmern vereinbarten Preisen. Die Klägerin hat von vornherein dar-
auf hingewiesen, daß ihre ohnehin nur grobe Angebotskalkulation erheblich
korrigiert werden mußte, weil die Vergaben an die Subunternehmer nicht zu
den kalkulierten Preisen erfolgen konnten, und daß sie die einzelnen Gewerke
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teils mit höheren, teils mit niedrigeren Preisen vergeben hat. Sie hat gleichzei-
tig dargelegt, wie sich der Pauschalpreis nach den von der Angebotskalkulati-
on abweichenden Vergaben an die Subunternehmer zusammensetzt. Ob diese
Behauptung und die auf dieser Grundlage durchgeführte Abrechnung zutrifft,
ist ebenfalls keine Frage der Prüfbarkeit, sondern der Richtigkeit der Schluß-
rechnung.
dd) Nicht zu beanstanden ist es, daß die Klägerin ihre tatsächliche Er-
sparnis auf der Grundlage der Vergaben an die Subunternehmer abrechnet.
Diese Abrechnung gewährleistet, daß der Auftragnehmer durch die Kündigung
keine Vorteile und keine Nachteile hat (BGH, Urteil vom 8. Juli 1999
- VII ZR 237/98, BauR 1999, 1294, 1297 = ZfBR 2000, 30).
ee) Zu Unrecht meint das Berufungsgericht, aufgrund der Vielzahl von
Beanstandungen und des Fehlens des Aufmaßes stelle sich die Schlußrech-
nung insgesamt nicht als prüfbar dar. Die Beklagten seien nicht verpflichtet, die
Prüfbarkeit der Schlußrechnung dadurch herbeizuführen, daß sie sich deren
jeweils stimmige Teile sowie die von der Klägerin aktuell geltend gemachten
Beträge und vorgenommenen Abzüge aus einer mehrfach korrigierten Schluß-
rechnung mit einer Vielzahl von Anlagen einerseits sowie diversen Schriftsät-
zen mit weiteren Anlagen andererseits zusammensuchen.
Ein Aufmaß war schon deshalb nicht notwendig, weil die von der Kläge-
rin vorgenommene Ermittlung des Umfangs der erbrachten Leistungen nicht
streitig war (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 1999 - VII ZR 399/97, BGHZ 140,
365, 369). Zutreffend weist die Revision zudem darauf hin, daß die Prüfbarkeit
einer Rechnung, aus der die Klageforderung geltend gemacht wird, nicht da-
durch beeinträchtigt wird, daß der Auftragnehmer zuvor abweichende Berech-
nungen vorgelegt hat (BGH, Urteil vom 8. Juli 1999 - VII ZR 237/98, BauR
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1999, 1294, 1296 = ZfBR 2000, 30). Zusätzlich zu der Rechnung ist im Prozeß
der schriftsätzliche Vortrag, mit dem diese erläutert, ergänzt oder berichtigt
wird, zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 30. Oktober 1997 - VII ZR 222/96,
BauR 1998, 185, 186 = ZfBR 1998, 79). Auch wenn die zur Erläuterung der
Rechnung eingereichten Kalkulationsunterlagen umfangreich und teilweise ge-
ändert worden sind, muß das Gericht sie zur Kenntnis nehmen und bei der Be-
urteilung berücksichtigen. In der erneuten mündlichen Verhandlung wird das
Berufungsgericht zudem die Ausführungen der Revision zu beachten haben,
mit der die angenommenen Unstimmigkeiten widerlegt werden sollen. Es wird
außerdem zu beachten haben, daß nach der Rechtsprechung des Bundesge-
richtshofs Mehrwertsteuer auf die Vergütung für die nicht erbrachten Leistun-
gen nicht verlangt werden kann (BGH, Urteil vom 8. Juli 1999 - VII ZR 237/98,
BauR 1999, 1294, 1297 = ZfBR 2000, 30).
3. Keinen Bestand hat nach allem auch die Abweisung des Antrags auf
Herausgabe der Bürgschaft.
Ullmann
Hausmann
Kuffer
Kniffka
Bauner