Urteil des BGH vom 24.07.2007

BGH (stand der technik, bundesrepublik deutschland, fachmann, technik, stand, einsatz, ultraschall, patentanspruch, medien, gegenstand)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 5/03 Verkündet
am:
24. Juli 2007
Potsch
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 24. Juli 2007 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis und die
Richter Scharen, Keukenschrijver, Prof. Dr. Meier-Beck und Gröning
für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das am 26. November 2002 verkündete Urteil des
4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten
der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 7. November 1988 unter
Inanspruchnahme der Priorität der schweizerischen Patentanmeldung 4 473/87
vom 19. November 1987 angemeldeten europäischen Patents 0 317 507
(Streitpatents), das mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilt ist
und vom Deutschen Patentamt unter der Nummer 38 69 918 geführt wird.
1
In einem vorangegangenen, von einem anderen Wettbewerber der Be-
klagten angestrengten Nichtigkeitsverfahren hat das Bundespatentgericht das
Streitpatent mit Urteil vom 1. Februar 1996 entsprechend der beschränkten Ver-
teidigung durch die Beklagte und unter Abweisung der weitergehenden Nichtig-
keitsklage für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland teilweise für
nichtig erklärt. Dabei ist der ursprüngliche Oberbegriff "Vorrichtung zur Einwir-
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kung auf ein Objekt mittels Ultraschall-Schwingungen mit einem Ultraschall-
Stoßwellengenerator" durch den Begriff "Stoßwellen-Lithotripter" ersetzt wor-
den. Die Patentansprüche haben folgende Fassung erhalten:
"1. Stoßwellen-Lithotripter,
d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , dass er einerseits ein
Projektil länglicher Form umfasst, das in eine ein Blasrohr (2)
bildende Röhre eingesetzt ist, um darin zu gleiten, und pneuma-
tische Mittel (5), die an dem einen Ende des Blasrohres (2) an-
geordnet sind, um dieses Projektil (1) mit einer hin- und herge-
henden Bewegung in dem Blasrohr (2) zu beaufschlagen mit
einer Amplitude, die wesentlich größer ist als die Querabmes-
sung des Projektils, und andererseits einen zur Einführung in
ein Renoskop oder in ein Nephroskop bemessenen Wellenleiter
(4, 19), der eine Eingangsgrenzfläche (9) aufweist, die an dem
anderen Ende des Blasrohres (2) angeordnet und dafür vorge-
sehen ist, von dem Projektil (1) im Verlauf seiner abwechseln-
den Bewegung periodisch getroffen zu werden und so durch ei-
ne ballistische Wirkung Ultraschall-Stoßwellen zu erzeugen,
wobei dieser Wellenleiter (4, 19) für eine Vermittlung dieser
Stoßwellen an ihren Gebrauchsort (21) angeordnet ist.
2. Stoßwellen-Lithotripter nach Anspruch 1,
d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , dass der in Bezug auf
das Projektil (1) stromaufwärts gelegene Teil des Blasrohres (2)
direkt dem zyklischen Druck eines Verdichterzylinders ausge-
setzt ist, wobei das Projektil in der Vorwärtsrichtung während
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der Hochdruckphase und in der Rückwärtsrichtung während der
Niedrigdruckphase zirkuliert.
3. Stoßwellen-Lithotripter nach Anspruch 1 oder 2,
d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , dass das Blasrohr zu
seinem stromabwärts gelegenen Ende hin mit einem Hilfsspei-
cher (8) pneumatisch verbunden ist, damit in diesem ange-
sammelte Luft die Rückkehr des Projektils (1) in Richtung zu
seiner Startposition hin versichert.
4. Stoßwellen-Lithotripter nach Anspruch 2 oder 3,
d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , dass der Verdichter Re-
guliermittel aufweist, welche die Einstellung der Luftmenge in
dem Antriebskreislauf ermöglichen und als Folge davon der
Amplitude der Stoßwellen.
5. Stoßwellen-Lithotripter nach Anspruch 1,
d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , dass das Projektil (1)
durch eine aufeinanderfolgende Versorgung aus einer Druck-
luftquelle mit einem praktisch konstanten Druck angetrieben
wird."
Das Urteil des Bundespatentgerichts vom 1. Februar 1996 ist rechtskräf-
tig geworden, nachdem der Senat die Berufung der dortigen Klägerin durch Ur-
teil vom 12. Mai 1998 (X ZR 115/96, GRUR 1999, 145 - Stoßwellen-Lithotripter)
zurückgewiesen hat.
3
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Mit ihrer Nichtigkeitsklage hat die Klägerin geltend gemacht, das Streit-
patent offenbare die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein
Fachmann sie ausführen könne, und, der Gegenstand des Streitpatents sei
nicht neu, beruhe aber jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die
Klägerin hat sich u. a. auf folgende vorveröffentlichte Druckschriften berufen:
4
deutsche Offenlegungsschrift 27 35 563,
Sakulin u.a., Verfahren zur Steinzerstörung in den ableitenden
Harnwegen, Elektrotechnik und Maschinenbau 1973, S. 156-163,
US-Patentschrift 3 865 200,
deutsche Auslegeschrift 1 283 769.
Durch das angefochtene Urteil hat das Bundespatentgericht das Streitpa-
tent antragsgemäß in vollem Umfang für das Gebiet der Bundesrepublik
Deutschland für nichtig erklärt.
5
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihren erst-
instanzlichen Klageabweisungsantrag weiterverfolgt und Patentanspruch
1
hilfsweise mit der Beschränkung verteidigt, dass die Amplitude der Bewegung
des Projektils im Blasrohr zwischen 100 und 150 mm beträgt. Die Klägerin tritt
dem Rechtsmittel unter vertiefender Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vor-
bringens entgegen und stützt sich außerdem auf die deutsche Patentschrift
27 24 324. Sie macht zusätzlich den Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erwei-
terung des Schutzbereichs geltend.
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Als gerichtlicher Sachverständiger hat Prof. Dr.-Ing. L. ein
schriftliches Gutachten erstellt und dieses in der mündlichen Verhandlung erläu-
tert und ergänzt.
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Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten bleibt ohne Erfolg. Der Gegen-
stand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents ist nicht patentfähig (Art. II § 6
Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. mit Art. 138 Abs. 1 lit. a, Art. 52 ff. EPÜ).
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I. 1. Das Streitpatent betrifft einen Lithotripter zur intrakorporalen, invasi-
ven und nicht operativen Entfernung von Harnsteinen aus Niere, Harnleiter und
-blase durch Zertrümmerung.
9
Die Streitpatentschrift erwähnt verschiedene bekannte Stoßwellen-
Generatoren, die insbesondere mit elektrischen Entladungen, dem piezoelektri-
schen Effekt oder mit Detonationen chemischer Sprengstoffe arbeiten, und kriti-
siert deren hohe Gestehungskosten sowie eine mangelhafte Abstimmung auf
die Aufgabe, Nierensteine zu zertrümmern. Hinzu kommt, wie der Senat im Ur-
teil vom 12. Mai 1998 festgestellt hat, dass diese Techniken zum Teil beträchtli-
che gesundheitliche Gefährdungspotentiale für die Patienten bergen, etwa
wenn Hochspannungskondensatoren über eine Luftvorfunkenstrecke und eine
in unmittelbarer Nähe des Steins in der Harnblase liegende Arbeitsfunkenstre-
cke unter Erzeugung hoher Energiestöße zur Entladung gebracht werden oder
wenn sonst mit hohen elektrischen Potenzialen in Patientennähe gearbeitet
wird.
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Die Streitpatentschrift führt des Weiteren aus, beim Einsatz von Lithotrip-
tern, die nach dem Vorbild der US-Patentschrift 4 589 415 mit einem Bündel
von Sonden zur berührungslosen Steinzerstörung ausgerüstet seien, hätten
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sich dieselben Nachteile herausgestellt wie bei bekannten extrakorporalen Li-
thotriptern. Beispielsweise müssten die Stoßwellen, um wirksam zu werden, auf
Steinen mit Volumina von mitunter lediglich wenigen Kubikmillimetern zusam-
mengeführt werden, wozu zwei kostspielige Anzeigevorrichtungen zur präzisen
Ausrichtung der Sonden benötigt würden. Außerdem bedürfe es langwieriger
Abstimmungen um sicherzustellen, dass alle Komponenten der Stoßwelle "pha-
sengleich" ankämen. Schwierig sei auch die Nachjustierung, wenn sich die Po-
sition des Steins verlagert habe. Schließlich stoße das Verfahren dann an die-
selben Grenzen wie die extrakorporale Lithotripsie, wenn der Stein sich
- unerreichbar - im Harnleiter hinter den Beckenknochen befinde.
2. Durch das Streitpatent in seiner bisher geltenden Fassung soll eine
einfach gebaute und kostengünstige Vorrichtung zur Verfügung gestellt werden,
mit der Harnsteine auf hochwirksame Weise zertrümmert werden können; so-
weit die Beschreibung in diesem Zusammenhang Einsatzmittel nennt, handelt
es sich um Lösungsansätze, von denen die Problemdefinition frei zu halten ist
(vgl. zuletzt Sen.Urt. v. 12.12.2006 - X ZR 131/02 Tz. 12, GRUR 2007, 309
- Schussfädentransport), die im Streitfall aber überdies besonderer Erörterung
bedürfen (unten I.5.).
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3. Zur Problemlösung stellt Patentanspruch 1 des Streitpatents einen Li-
thotripter (1) mit folgenden Merkmalen zur Verfügung:
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(1.1)
einer Röhre, die ein Blasrohr bildet,
(1.2)
einem Projektil länglicher Form,
(1.2.1) das in die Röhre eingesetzt ist und in dieser gleiten kann
und
(1.3) pneumatischen
Mitteln,
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(1.3.1) die an dem einen Ende des Blasrohres angeordnet sind
und
(1.3.2) das Projektil mit einer hin- und hergehenden Bewegung in
dem Blasrohr beaufschlagen können,
(1.4) wobei die Amplitude der Bewegung des Projektils im Blas-
rohr wesentlich größer als die Querabmessung des Projek-
tils ist;
(2)
der Lithotripter weist weiter einen Wellenleiter auf, der
(2.1) zur Einführung in ein Renoskop oder in ein Nephroskop
bemessen und
(2.2)
für eine Vermittlung von Stoßwellen an ihren Gebrauchsort
angeordnet ist und
(2.3)
der eine Eingangsgrenzfläche aufweist,
(2.3.1) die an dem anderen Ende des Blasrohres angeordnet und
(2.3.2) dafür vorgesehen ist, von dem Projektil im Verlauf seiner
abwechselnden Bewegung periodisch getroffen zu werden
und
(2.3.3) der so durch eine ballistische Wirkung Ultraschall-
Stoßwellen erzeugt.
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4. Eine Ausführungsform des Lithotripters nach Patentanspruch 1 in sei-
ner bisher geltenden Fassung zeigt die nachfolgend wiedergegebene Figur 1
des Streitpatents:
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Dabei bezeichnen: das Bezugszeichen 1 das Projektil, 2 das Blasrohr,
3
einen koaxialen zylinderförmigen Mantel, 4
den Wellenleiter, 5
einen
Schlauch, 6 einen Anschlag, 7 ein Fenster zwischen Innenraum des Blasrohrs
und Ringkammer, 8 eine einen Hilfsspeicher bildende Ringkammer, 9 die
Grenzfläche, 10 einen mit dem Wellenleiter fest verbundenen Ring, 11 einen
Dämpfungsanschlag, 12 eine Auflage, 13 den Kolben des Verdichters, 14 den
Verdichter, 15 ein Ventil und 21 einen Nierenstein.
15
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5. Der Sinngehalt der geschützten technischen Lehre bedarf hinsichtlich
einiger Merkmale der Klarstellung:
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a) Die Bezeichnung der patentierten Vorrichtung als "Stoßwellen"-
Lithotripter und der mechanischen Pulse, die das Projektil auf die Eingangs-
grenzfläche des Wellenleiters überträgt, als "(Ultraschall-)Stoßwellen" (vgl.
Merkmale 2.2 und 2.3.3) ist, wie sich aus den Erläuterungen des Sachverstän-
digen ergibt, physikalisch-technisch unzutreffend.
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aa) Soweit das in der Laufbuchse hin- und herfliegende Projektil beim
Aufschlag auf die Eingangsgrenzfläche des stabförmigen Wellenleiters einen
intensiven mechanischen Impuls überträgt, versetzt dies den Stab zwar in
- vorwiegend longitudinale - Schwingungen (Dehnwellen). Dabei handelt es sich
jedoch nicht um Stoßwellen im physikalisch-technischen Sinn. Unter solchen
Wellen sind bestimmte hochfrequente, akustische (= mechanische) Pulse mit
hoher Energiedichte zu verstehen. Ihr Einsatz macht sich die akustischen Ei-
genschaften von Wasser oder wasserähnlichen flüssigen Medien, die auch das
menschliche Weichgewebe aufweist und die eine Aufsteilung der akustischen
Welle auf dem Weg zum Wirkungsort begünstigen, zunutze. In entsprechend
konzipierten kommerziellen Lithotriptern werden, wie der gerichtliche Sachver-
ständige ausgeführt hat, sehr kurze Pulsanstiegszeiten im Bereich von 50 bis
300 Nanosekunden und sehr hohen Drücken in einem Intervall von etwa 30 bis
100 Megapascal (MPA; 1 MPA = 10 bar) in den Pulsspitzen erzielt. Die intensi-
ven Druckpulse dieser Stoßwellen, deren wesentlicher Energieanteil im Ultra-
schallbereich liegt, zerstören die anvisierten Steine ohne Berührung durch ein
Werkzeug.
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Die Erzeugung solcher Stoßwellen in festen Medien, insbesondere in
Geräten der Medizintechnik und namentlich in den Wellenleitern des Streitpa-
tents würde dagegen, wegen der unterschiedlichen akustischen Eigenschaften
dieser Medien, viel zu hohe Energien erfordern, um praktikabel eingesetzt wer-
den zu können. Dementsprechend erzeugt die Antriebseinheit des im Streitpa-
tent beschriebenen Lithotripters im Wellenleiter keine Stoßwellen in diesem
Sinne.
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bb) Von Stoßwellen im vorstehend erörterten Sinne zu unterscheiden
sind die im Streitpatent ebenfalls erwähnten Ultraschallwellen. Die Erzeugung
solcher Wellen im Wellenleiter ist nicht gänzlich ausgeschlossen. Allerdings ist
der entscheidende Parameter hierfür die Kürze des verwendeten Metallstabs.
Ein signifikanter Anteil an Ultraschallwellen wird nur bei Wellenleitern erzeugt,
deren Länge lediglich rund ein Viertel derjenigen beträgt, die beim Betrieb des
streitgegenständlichen Lithotripters üblicherweise zum Einsatz kommen. Die
wesentlichen Energieanteile der erzeugten Wellen liegen hier im niederfrequen-
ten Bereich deutlich unterhalb des Ultraschalls.
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cc) Allerdings reichen Frequenzen von 5 kHz, die beim Einsatz des pa-
tentierten Lithotripters erzeugt werden können, aus, um Harnsteine zu zerstö-
ren. Nicht geklärt ist, wie der gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat, ledig-
lich der genaue Wirkungsmechanismus, namentlich, ob die Steine infolge der
Einleitung der Dehnwellen zerstört werden oder ob deren Substanz durch das
mechanische Auftreffen der Wellenleiterspitze abgetragen wird bzw. ob der Er-
folg durch das Zusammenwirken beider Mechanismen herbeigeführt wird.
21
b) Ob diese Erkenntnisse die von der Klägerin gezogene Schlussfolge-
rung rechtfertigen, das Patent offenbare die Erfindung nicht so vollständig und
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deutlich, dass ein Fachmann sie ausführen kann, kann ebenso offenbleiben
wie, ob mit der Ersetzung des ursprünglichen Oberbegriffs durch den Begriff
"Stoßwellen-Lithotripter" der Schutzbereich des Patents unzulässig erweitert
worden oder ob die Erfindung durch das in der Offenlegungsschrift 27 35 563
beschriebene chirurgische Gerät mit Impulsmotor vorweggenommen ist. Das
Patent kann aus einem anderen Grund keinen Bestand haben.
II. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents in der bis-
her geltenden Fassung ergab sich am Prioritätstag für den Fachmann in nahe-
liegender Weise aus dem Stand der Technik und war deshalb nicht patentfähig
(Art. II § 6 Nr. 1 IntPatÜG i. V. mit Art. 52 Abs. 1, Art. 56 EPÜ).
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1. Der maßgebliche Fachmann war zum Prioritätszeitpunkt als Mitarbei-
ter eines Großunternehmens oder mittelständischen Betriebs mit der Entwick-
lung medizintechnischer Geräte beschäftigt und verfügte regelmäßig über eine
vollakademische Ausbildung mit einem Abschluss als Diplom-Physiker bzw.
Physikingenieur oder als Diplom-Ingenieur der Sparte Maschinenbau und hatte
ggfs. Zusatzkenntnisse aus der Medizin- und Feingeräte- sowie Elektro- und
Getriebetechnik erworben.
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2. Wie sich bereits aus dem Senatsurteil vom 12. Mai 1998 ergibt, waren
die beiden Funktionsmodule, aus denen sich der im Streitpatent unter Schutz
gestellte Lithotripter zusammensetzt, für sich selbst genommen dem Fachmann
durch den Stand der Technik jedenfalls nahegelegt. Dem Wellenleiter des
Streitpatents zumindest ähnliche, nämlich zur Einführung in Ureterkatheter kon-
zipierte und zu longitudinalen Schwingungen angeregte zylindrische Metallstäbe
oder -rohre mit einem Durchmesser von ca. 0,6 mm und einem Arbeitskopf zur
Harnsteinzerstörung sind bereits in dem Beitrag von Sakulin u. a. aus dem Jah-
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re 1973 (aaO S. 158 f.) dargestellt; eine nach Art der Anordnungen des Streit-
patents der Erzeugung kurzer mechanischer Pulse und Dehnwellen dienende
Antriebseinheit ist in der deutschen Offenlegungsschrift 27 35 563 beschrieben.
3. Auch die Verknüpfung dieser beiden Funktionsmodule ergab sich für
den Fachmann in naheliegender Weise aus dem nunmehr - anders als noch im
Vorprozess - lückenlos dokumentierten Stand der Technik.
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Für die damalige Entscheidung des Senats war ausschlaggebend gewe-
sen, dass die Kombination des Wellenleiters mit einer pneumatisch-
mechanischen Antriebseinheit als Abkehr von eingefahrenen Wegen bei der
Lösung der patentgemäßen Problemstellung erschien. Der Stand der Technik
hatte sich dem Senat so dargestellt, dass die intrakorporale Lithotripsie (vgl.
Sakulin u. a. aaO S. 158 ff.) zwar durch den Einsatz von Sonden (Wellenleitern)
mit externer Impulserzeugung zu vermeiden vermocht hatte, mit hohen elektri-
schen Spannungen im Körperinnern des Patienten zu arbeiten, wie es bei der
elektrohydraulischen Stoßwellenlithotripsie der Fall war (vgl. Sakulin u. a. aaO
S. 157). Die Antriebstechnik für diese externe Impulserzeugung war aber derje-
nigen der elektrohydraulischen Stoßwellenlithotripsie verhaftet geblieben. Um
die Sonden zu longitudinalen Bewegungen anzuregen, wurden weiterhin Stoß-
wellen erzeugt; dies geschah lediglich außerhalb des Körpers des Patienten in
einer mit Wasser gefüllten Entladekammer (Sakulin u. a. aaO S. 158 f.). Damit
standen bei dieser Technik Arbeitsweise und Antrieb in einem Missverhältnis:
Um an den Arbeitsköpfen filigraner Instrumente wie den eingesetzten drahtför-
migen Metallleitern Auslenkungen im Millimeterbereich zu erzeugen, wurde ein
überdimensionierter Antrieb eingesetzt, dessen eigentliches Potenzial zudem
gar nicht genutzt werden konnte. Die Energie der in den wassergefüllten Entla-
dekammern erzeugten Stoßwellen im eigentlichen physikalischen Sinne wurde
27
- 14 -
infolge der, wie ausgeführt (oben I.5.a)aa)), unterschiedlichen akustischen Ei-
genschaften fester Medien nicht in die Sonden eingeleitet, sondern diese wur-
den nur zu gedämpften Eigenschwingungen angeregt (vgl. Sakulin u. a. aaO S.
159).
Der Überwindung der unkritischen Übertragung einer inadäquaten An-
triebstechnik stand, wie der Senat im Vorprozess festgestellt hat, ein zu immer
komplexeren statt zu einfacheren Lösungen neigendes technisches Fort-
schrittsdenken im Wege. Der Bruch damit zugunsten eines schlichten pneuma-
tisch-mechanischen Antriebs hatte im Vorprozess den Ausschlag für den Be-
stand des Streitpatents gegeben.
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4. An dieser Beurteilung kann bei Berücksichtigung der zum Stand der
Technik gehörenden, in den Vorprozess aber noch nicht eingeführten deut-
schen Patentschrift 27 24 324 mit Bekanntmachungstag vom 31. August 1978
nicht festgehalten werden. Vielmehr erweist sich, dass der Gegenstand des
Streitpatents in seiner bisher geltenden Fassung nicht auf einer erfinderischen
Tätigkeit beruht.
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a) Das Patent 27 24 324 bezieht sich auf eine Vorrichtung zum Zertrüm-
mern von Blasensteinen mit einem Bündel langgestreckter biegsamer Lithotrip-
ter, die zusammen mit einem sie führenden Ureterkatheter ins Körperinnere
einführbar sind und auf die von einem außerhalb des Körpers bleibenden An-
trieb vor- und zurückgehende Bewegungen übertragen werden. Nach einer
Ausgestaltung der Erfindung können die Lithotripter von eigenen elektromagne-
tischen Antrieben hin- und herbewegt werden, wobei diese untereinander in
Reihe angeordnet sind, um eine relativ kleine, handliche und zudem leichte Vor-
richtung zu schaffen (Sp. 2 Z. 21 ff.). Die nachfolgend abgebildete Figur 4 der
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Patentschrift zeigt drei von insgesamt sieben hintereinander liegenden
elektromagnetischen Antrieben mit den jeweils zugeordneten Lithotriptern:
Jeder von ihnen ist in einen Eisenanker (23) eingelötet, der jeweils sechs
weitere Bohrungen zur Führung der übrigen sechs Lithotripter aufweist. Jedem
Eisenanker ist ein Magnetpolpaar (25) eines elektromagnetischen Antriebs zu-
geordnet. Beim Erregen der Erregerwicklung (29) wird der Anker (23) über ei-
nen zwischen den Magnetpolen (25) liegenden Luftspalt gezogen, wobei ein
dämpfender Endanschlagring für die Hubbegrenzung des Ankers und eine
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Druckfeder (27) dafür sorgt, dass der Lithotripter bzw. sein Anker zurückgeholt
und gegen einen Dämpfungsanschlag (28) gedrückt wird.
Die in dieser Patentschrift als Lithotripter bezeichneten länglichen Stäbe
entsprechen funktional den Wellenleitern des Streitpatents. Dass die Bewegung
der Lithotripter dort als rein translatorische mit Rückholfunktion konzipiert ist, ist
unerheblich, weil die Anregung von Wellenleitern zu einer (gedämpften) Eigen-
schwingung schon in der Arbeit von Sakulin u. a. beschrieben (aaO S. 159 li.
Sp. oben) und deshalb in jedem Falle nahegelegt ist.
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b) Die in der Patentschrift 27 24 324 beschriebene Lösung verkörpert auf
dem Gebiet der intrakorporalen Lithotripsie den Entwicklungsschritt, der im Vor-
prozess dem Streitpatent zugeschrieben wurde und dessen Bestand gesichert
hat, nämlich die Reduktion auf eine einfachere Technik unter Loslösung von der
gängigen technologischen Denkrichtung zu immer höherwertiger, aufwändigerer
Technologie. Die Patentschrift 27 24 324 vermittelte dem Fachmann vor dem
Prioritätstag die Erkenntnis, dass für die Anregung von Lithotriptern (Wellenlei-
tern) mit viel einfacheren als den aus der Stoßwellenlithotripsie bekannten Ag-
gregaten auszukommen war, die zudem handlich in einem relativ kleinen,
leichtgewichtigen Gerät untergebracht werden konnten. Dass der elektromag-
netische Antrieb es mit sich brachte, dass in Patientennähe weiterhin mit - wenn
auch niedrigeren - Spannungen und Strömen gearbeitet wurde, konnte dem
Fachmann allerdings Anlass geben, über Alternativen zu dieser Antriebsart
nachzudenken. Die Suche nach Anregungen dafür führte ihn zu dem in der Of-
fenlegungsschrift 27 25 563 beschriebenen pneumatisch-mechanischen Im-
pulsmotorantrieb für ein chirurgisches Gerät. Die Leistung des Streitpatents be-
schränkt sich demnach auf die Erkenntnis, dass mit einem mechanischen Im-
pulsmotor für den Antrieb eines Meißels zur Entfernung von Knochen und ande-
33
- 17 -
rem hartem Material oder für den Vortrieb eines Drahtes zur Spickung von Kno-
chenfragmenten mittels Impulsen von hoher Frequenz ebenso gut ein Wellen-
leiter zur Zerstörung von Harnsteinen betrieben werden konnte. Das allein stellt,
nachdem mit der Patentschrift 27 24 324 der Weg für den Einsatz kleiner, hand-
licher Vorrichtungen gebahnt war, keine den Patentschutz rechtfertigende Leis-
tung dar, zumal dieser Impulsmotor bereits in einer benachbarten medizintech-
nischen Fachrichtung Verwendung gefunden hatte.
Die hilfsweise Beschränkung von Patentanspruch 1 rechtfertigt keine
abweichende Beurteilung. Sie bezieht sich auf den Nichtigkeitsgrund der unzu-
reichenden Offenbarung, auf den es indes für die Entscheidung nicht ankommt.
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Die Unteransprüche betreffen handwerkliche Ausgestaltungen der Vor-
richtung nach Patentanspruch 1, die damit ebenfalls nahegelegt sind; auch die
Berufung macht insoweit nichts anderes geltend.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO in Verbindung
mit § 121 Abs. 2 PatG.
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Melullis
Scharen
Keukenschrijver
Meier-Beck Gröning
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 26.11.2002 - 4 Ni 10/02 (EU) -