Urteil des BGH vom 15.01.2008

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 131/07 Verkündet
am:
15. Januar 2008
Holmes,
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
PflVG § 3 Nr. 8
Wird im Verkehrsunfallprozess gegen den Haftpflichtversicherer und den Versiche-
rungsnehmer die Berufungssumme nicht erreicht und lässt das Amtsgericht die Beru-
fung gegen sein aus sachlichen Gründen klageabweisendes Urteil gegen den Haft-
pflichtversicherer nicht zu, hat die Rechtskraftwirkung des § 3 Nr. 8 PflVG zur Folge,
dass im Rahmen einer nur im Verhältnis zum beklagten Versicherungsnehmer zuge-
lassenen Berufung eine erneute Überprüfung der Haftungsfrage ausgeschlossen ist.
Auf die Frage, ob der Klage gegen den beklagten Versicherungsnehmer ein Schlich-
tungsverfahren im Sinne der §§ 10, 11 GüSchlG NRW hätte vorausgehen müssen,
kommt es unter diesen Umständen nicht an.
BGH, Urteil vom 15. Januar 2008 - VI ZR 131/07 - LG Bielefeld
AG Bünde
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren nach
Schriftsatzfrist bis zum 20. Dezember 2007 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller
und die Richter Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Zoll
für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil der 20. Zivilkammer
des Landgerichts Bielefeld vom 17. April 2007 wird auf seine Kos-
ten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger macht gegen den Beklagten restliche Schadensersatzan-
sprüche in Höhe von 387,05 € aus einem Verkehrsunfall geltend, an dem der
Beklagte als Führer und Halter eines bei der ursprünglich mitverklagten Beklag-
ten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw beteiligt war. Der Kläger und der Beklagte
wohnen im selben Ort in Nordrhein-Westfalen. Der ursprünglich mitverklagte
Haftpflichtversicherer hat seinen Sitz in einem anderen Bundesland.
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Das Amtsgericht hat die Klage gegen den Beklagten als unzulässig ab-
gewiesen, weil keine außergerichtliche Streitschlichtung gemäß § 10 Abs. 1
GüSchlG NRW stattgefunden hatte. Die Klage gegen den mitverklagten Haft-
pflichtversicherer hat es nach Beweisaufnahme als unbegründet abgewiesen.
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Das Amtsgericht hat die Berufung lediglich insoweit zugelassen, als es die Kla-
ge gegen den beklagten Versicherungsnehmer als unzulässig abgewiesen hat.
Das Landgericht hat die entsprechende Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein
Klagebegehren gegen den Beklagten weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht ist mit dem erstinstanzlichen Gericht der Auffas-
sung, die Klage gegen den Beklagten sei unzulässig, weil keine außergerichtli-
che Streitschlichtung gemäß § 10 Abs. 1 GüSchlG NRW stattgefunden habe.
Dem stehe nicht entgegen, dass nur hinsichtlich des Beklagten, nicht aber hin-
sichtlich des gleichzeitig mitverklagten Haftpflichtversicherers, der seinen Sitz in
einem anderen Bundesland habe, der räumliche Anwendungsbereich gemäß
§ 11 GüSchlG NRW gegeben sei, denn die Vorschrift setze bereits nach ihrem
Wortlaut nicht voraus, dass sämtliche am Rechtsstreit beteiligten Parteien im
gleichen Landgerichtsbezirk wohnten. Darüber hinaus müssten im Falle der hier
vorliegenden einfachen Streitgenossenschaft die besonderen Prozessvoraus-
setzungen bei jedem Streitgenossen selbständig vorliegen. Im Übrigen sei die
Notwendigkeit, die obligatorische Streitschlichtung als Institut zu etablieren, hö-
her zu bewerten als die im Einzelfall verursachten zusätzlichen Kosten und län-
gere Verfahrensdauer. Eine Einigung allein mit dem in Anspruch genommenen
Halter ohne Zustimmung des Haftpflichtversicherers sei auch nicht von vorn-
herein faktisch aussichtslos. Es erscheine durchaus denkbar, dass gerade bei
geringfügigen Blechschäden und unstreitiger Verursachung der Schädiger im
Rahmen eines Schlichtungsverfahrens zur gütlichen Einigung auch ohne Zu-
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stimmung des Versicherers bereit sei, weil er auf diese Weise durch eigene
Regulierung eine Prämienrückstufung vermeiden könne.
II.
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Das Urteil des Berufungsgerichts hält im Ergebnis revisionsrechtlicher
Nachprüfung stand.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt es allerdings auf
die von ihm als rechtsgrundsätzlich erachtete Frage des räumlichen Anwen-
dungsbereichs des § 11 GüSchlG NRW unter den besonderen Umständen des
Streitfalls nicht an.
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1. Nach § 3 Nr. 8 PflVG wirkt das rechtskräftige klageabweisende Urteil,
das zwischen dem Kläger und dem Versicherer ergangen ist, auch zugunsten
des beklagten Versicherungsnehmers. Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung
des erkennenden Senats auch dann, wenn der Direktanspruch und der Haft-
pflichtanspruch nicht in getrennten, nacheinander geführten Prozessen geltend
gemacht, sondern - wie im Streitfall - Versicherer und Schädiger als - einfache
(vgl. BGHZ 63, 51, 53 ff.) - Streitgenossen gemeinsam im selben Rechtsstreit in
Anspruch genommen worden sind (vgl. Senatsurteile vom 13. Dezember 1977
- VI ZR 206/75 - VersR 1978, 862, 865; vom 29. Mai 1979 - VI ZR 128/77 -
VersR 1979, 841 f.; vom 14. Juli 1981 - VI ZR 254/79 - VersR 1981, 1156 f.;
ebenfalls vom 14. Juli 1981 - VI ZR 304/79 - VersR 1981, 1158 f.; vom 24. Juni
2003 - VI ZR 256/02 - VersR 2003, 1121, 1122 und vom 10. Mai 2005 - VI ZR
366/03 - VersR 2005, 1087).
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2. Zweck der Regelung ist es, dem Geschädigten keine Ansprüche ge-
gen den Versicherer über das materielle Haftpflichtrecht hinaus zuwachsen zu
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lassen. Ist in einem solchen Fall die Klageabweisung gegen einen Beklagten
rechtskräftig, ist auch gegen den anderen nur noch eine Klageabweisung mög-
lich (vgl. Senatsurteil vom 14. Juli 1981 - VI ZR 254/79 - VersR 1981, 1156 f.).
Eine erneute Überprüfung der Haftungsfrage im Verfahren gegen den Versiche-
rungsnehmer oder den Versicherer ist danach nicht mehr zulässig. Dies gilt ins-
besondere auch zu Lasten des Geschädigten und zugunsten des Versiche-
rungsnehmers, wenn und soweit vorab die Klage gegen den Haftpflichtversiche-
rer abgewiesen ist. Dieser soll nicht Gefahr laufen, trotz des für ihn günstigen
Urteils im Falle der Verurteilung seines Versicherungsnehmers aufgrund seiner
Zahlungspflicht aus dem Deckungsverhältnis doch noch in Anspruch genom-
men zu werden (vgl. Senatsurteil vom 14. Juli 1981 - VI ZR 254/79 - aaO 1157).
3. Das Amtsgericht hat im Streitfall die Klage gegen den Haftpflichtversi-
cherer des Beklagten als unbegründet abgewiesen. Da die Berufungssumme
nicht erreicht war und das erstinstanzliche Gericht die Berufung gegen sein kla-
geabweisendes Urteil gegen den mitverklagten Haftpflichtversicherer nicht zu-
gelassen hat, ist das Urteil insoweit rechtskräftig geworden. Dies hat nach § 3
Nr. 8 PflVG zur Folge, dass im Verhältnis zum beklagten Versicherungsnehmer
eine erneute Überprüfung der Haftungsfrage ausgeschlossen ist. Auf die Frage,
ob der Klage gegen den beklagten Versicherungsnehmer ein Schlichtungsver-
fahren im Sinne der §§ 10, 11 GüSchlG NRW hätte vorausgehen müssen,
kommt es unter diesen Umständen nicht mehr an.
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III.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Müller Greiner Wellner
Pauge Zoll
Vorinstanzen:
AG Bünde, Entscheidung vom 07.12.2006 - 5 C 702/06 -
LG Bielefeld, Entscheidung vom 17.04.2007 - 20 S 7/07 -