Urteil des BGH vom 14.03.2017

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 265/04
vom
22. September 2005
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
StPO § 111d Abs. 1 und 2, § 111f Abs. 3
ZPO § 771
GVG § 17a
Die (streitige) Zivilgerichtsbarkeit ist zuständig für die Entscheidung
über eine Drittwiderspruchsklage, mit der sich ein Dritter gegen eine Maßnah-
me zur Vollziehung eines im Strafverfahren angeordneten dinglichen Arrests
wendet.
BGH, Beschluss vom 22. September 2005 - IX ZB 265/04 - OLG Rostock
LG Rostock
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Fischer, die Richter Raebel, Vill, Cierniak und die Richterin Lohmann
am 22. September 2005
beschlossen:
Auf die Rechtsmittel des Klägers werden der Beschluss des 3. Zi-
vilsenats des Oberlandesgerichts Rostock vom 14. Oktober 2004,
berichtigt mit Beschluss vom 25. November 2004, und der Be-
schluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Rostock vom
25. Juni 2004 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass zur Entscheidung über das Klagebegeh-
ren die Gerichte der (streitigen) Zivilgerichtsbarkeit zuständig
sind.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung
an das Landgericht zurückverwiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerde- und des Rechts-
beschwerdeverfahrens.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird
auf 6.666,66 € festgesetzt.
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Gründe:
I.
In einem Ermittlungsverfahren gegen J. H. ordnete das Amts-
gericht mit Beschluss vom 4. September 2003 zur Sicherung der den Verletz-
ten aus den Straftaten erwachsenen zivilrechtlichen Ansprüche den dinglichen
Arrest in Höhe von 86.350 € in das Vermögen des Beschuldigten an (§ 111b
Abs. 2 und 5, §§ 111d, 111e Abs. 1 StPO i.V.m. § 73 Abs. 1 Satz 2, §§ 73a,
244 Abs. 1 Nr. 2, § 260 Abs. 1 Nr. 2, § 25 Abs. 2, § 53 StGB). In Vollziehung
des dinglichen Arrests pfändete die Staatsanwaltschaft am 11. September
2003 einen Pkw Audi A 8.
Mit der Behauptung, er sei Eigentümer des gepfändeten Pkw, hat der
Kläger Drittwiderspruchsklage gemäß § 771 ZPO erhoben. Das angerufene
Landgericht hat den Rechtsweg zu den Zivilgerichten für unzulässig erklärt und
den Rechtsstreit an die Strafabteilung des Amtsgerichts verwiesen. Die hierge-
gen gerichtete sofortige Beschwerde des Klägers hat das Oberlandesgericht
mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen. Mit der zugelassenen
Rechtsbeschwerde wendet sich der Kläger gegen diese Entscheidung.
II.
1. Die nach § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG als Rechtsbeschwerde zu behan-
delnde weitere Beschwerde (BGHZ 152, 213, 214 f) ist von dem Oberlandesge-
richt zugelassen worden; sie ist deshalb statthaft (vgl. § 17a Abs. 4 Sätze 4
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und 6 GVG). Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Die Be-
schwerdebefugnis des Klägers für die Einlegung dieses Rechtsmittels ergibt
sich schon aus der Zurückweisung seiner ersten Beschwerde.
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist das Oberlandesgericht von einer
zulässigen sofortigen ersten Beschwerde gegen die Entscheidung des Landge-
richts ausgegangen. Die Frist für die Einlegung des Rechtsmittels (§ 17a
Abs. 4 Satz 3 GVG, § 569 Abs. 1 Sätze 1, 2 ZPO) hat der Kläger gewahrt.
In der Sache selbst ist die Zuständigkeit der Zivilgerichte gegeben.
a) Die Frage, ob Dritten gegen Vollziehungsmaßnahmen des dinglichen
Arrests nach § 111d StPO die Drittwiderspruchsklage gemäß § 771 ZPO zu
den Zivilgerichten oder die Rechtsbehelfe nach der Strafprozessordnung zu
den Strafgerichten zu Gebote stehen, ist umstritten.
Eine Zuständigkeit der Strafgerichte halten für gegeben: OLG Stuttgart,
Urt. v. 2. November 1999 - 12 U 156/99, n.v.; LG Saarbrücken wistra 2002,
158 ff; LG Berlin wistra 2004, 38, 39; KK-StPO/Nack, 5. Aufl. § 111e Rn. 19;
Meyer-Goßner, StPO 48. Aufl. § 111 f Rn. 14.
Den Zivilrechtsweg halten für gegeben: OLG Hamburg NJW-RR 2003,
715 f; OLG Naumburg NStZ 2005, 341 f; AG Saarbrücken wistra 2000, 194,
195 f; Zöller/Herget, ZPO 25. Aufl. § 771 Rn. 8; Musielak/Lackmann, ZPO
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4. Aufl. § 771 Rn. 1; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 63. Aufl.
§ 771 Rn. 7; Leuger wistra 2002, 478, 479 f.
Der Bundesgerichtshof hat die Rechtsfrage bisher nicht entschieden; der
von Nack (aaO) zum Beleg seiner Auffassung angeführte Beschluss des Bun-
desgerichtshofs vom 31. Januar 1985 - StB 1/85 - betrifft eine Beschwerde des
Beschuldigten gegen die ermittlungsrichterliche Bestätigung der Beschlagnah-
me eines Pkw gemäß § 111b, c, e StPO. Der Beschluss des 5. Strafsenats vom
1. September 2004 (5 ARs 55/04, wistra 2005, 35) verhält sich ausschließlich
zur Frage der Zuständigkeit für den Erlass von Forderungspfändungsbeschlüs-
sen nach § 111f Abs. 3 Satz 3, § 162 Abs. 1 StPO.
b) Die Zuständigkeit der Zivilgerichte folgt bereits aus dem Wortlaut des
Gesetzes. § 111d Abs. 2 StPO verweist für die Vollziehung des dinglichen Ar-
rests unter anderem auf § 928 ZPO. Danach sind auf die Vollziehung des Ar-
rests die Vorschriften über die Zwangsvollstreckung entsprechend anzuwen-
den. Damit wollte der Gesetzgeber des Einführungsgesetzes zum Strafgesetz-
buch, mit dem § 111d StPO in die Strafprozessordnung eingefügt worden ist,
das Verfahren zur Vollziehung eines dinglichen Arrests dem Verfahren zur Voll-
streckung einer Geldforderung nach der Zivilprozessordnung nachbilden (BT-
Drucks. 7/550 S. 497). Zu den Vorschriften, auf die § 928 ZPO verweist, gehö-
ren auch die Bestimmungen über die Drittwiderspruchsklage gemäß § 771 ZPO
(Grunsky in Stein/Jonas, ZPO 22. Aufl. § 928 Rn. 4; MünchKomm-ZPO/Heinze,
2. Aufl. § 928 Rn. 6). Dem steht die lediglich "sinngemäße" Verweisung in
§ 111d Abs. 2 StPO nicht entgegen. Es handelt sich keineswegs um einen, wie
die Rechtsbeschwerdeerwiderung meint, "Verweis auf die Voraussetzungen
des Arrestes, also den Arrestgrund". Hiermit trägt der Gesetzgeber vielmehr
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lediglich dem Umstand Rechnung, dass auf den im Strafverfahren geschaffe-
nen Titel die Vorschriften der Zivilprozessordnung nicht unmittelbar Anwen-
dung finden können (OLG Hamburg aaO). Ebenso verhält es sich etwa bei der
Regelung der Vollstreckung einer von einem Strafgericht festgesetzten Geld-
strafe (§§ 459 StPO, 1 Abs. 1 Nr. 1 JBeitrO). Auch insoweit verweist § 6 Abs. 1
Nr. 1 JBeitrO lediglich sinngemäß auf zivilprozessuale Vorschriften, wobei in
der Aufzählung § 771 ZPO ausdrücklich aufgeführt ist.
c) Für die Zuständigkeit der Zivilgerichte spricht auch der Gesichtspunkt
der Sachnähe. Der Kläger beruft sich für den von ihm begehrten prozessualen
Gestaltungsausspruch auf sein angebliches Eigentum an dem gepfändeten
Pkw als ein die Veräußerung hinderndes Recht. Die Beurteilung des bürger-
lich-rechtlichen Eigentums ist, wie keiner weiteren Darlegung bedarf, in erster
Linie in die Hände der Zivilgerichte gelegt, unabhängig davon, dass Eigen-
tumsfragen auch als Vorfragen für die strafrechtliche Beurteilung auftreten
können.
Der hier gegebenen Sachnähe der Zivilgerichte hat auch der Gesetzge-
ber Rechnung getragen: Wird im rechtskräftigen Strafurteil der Verfall oder die
Einziehung von Wertersatz (§§ 73a, 74c StGB) angeordnet, richtet sich die
Vollstreckung gemäß § 459g Abs. 2, § 459 StPO nach den Vorschriften der
Justizbeitreibungsordnung. Deren § 6 Abs. 1 Nr. 1 verweist den Dritten, wie
bereits ausgeführt, mit seinem Interventionsrecht ausdrücklich auf den Weg der
Drittwiderspruchsklage gemäß § 771 ZPO vor die Zivilgerichte. § 111d StPO
dient unter anderem der vorläufigen Sicherung der Vollstreckung einer zu er-
wartenden Anordnung des Verfalls oder der Einziehung von Wertersatz. Es ist
kein sachlicher Grund erkennbar, die verfahrensrechtliche Geltendmachung
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des Interventionsrechts eines Dritten unterschiedlich auszugestalten, je nach
dem, ob er sich unter Berufung auf sein materielles Recht gegen die Vollzie-
hung der vorläufigen Maßnahme oder der endgültigen Anordnung wendet. Im
Gegenteil erhöhte eine solche Differenzierung die Gefahr einander widerspre-
chender Entscheidungen.
d) Der Kläger wendet sich - anders als das Landgericht und die Rechts-
beschwerde offenbar meinen - nicht gegen die Rechtmäßigkeit der Anordnung
des dinglichen Arrests in das Vermögen des Beschuldigten. Für die Beurteilung
der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung nach straf- und strafverfahrensrechtli-
chen Maßstäben sind die Strafgerichte zuständig. Hier geht es jedoch um die
Vollziehung der Arrestanordnung, die ihrerseits keine konkreten Vermögens-
gegenstände bezeichnet. Insoweit können sich bei der Vollziehung dieselben
Fragen stellen wie bei der Vollstreckung eines jeden anderen zur
Zwangsvollstreckung geeigneten Titels auch. Eine Beurteilung nach straf- und
strafverfahrensrechtlichen Gesichtspunkten findet nicht statt. Vielmehr hängt
der Erfolg des klägerischen Vorgehens im Wesentlichen davon ab, ob er das
von ihm behauptete Eigentum an dem gepfändeten Pkw darlegen und bewei-
sen kann. Diese Frage kann von den Zivilgerichten nach allgemeinen materiell-
und verfahrensrechtlichen Grundsätzen entschieden werden, ohne dass ein
Kompetenzkonflikt mit der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht entsteht
(vgl. auch BGH, Urt. v. 3. Februar 2005 - III ZR 271/04, NJW 2005, 988).
e) Das Oberlandesgericht Hamburg (aaO S. 716) weist mit Recht darauf
hin, dass von strafprozessualen Maßnahmen betroffene Dritte auch in anderen
Fällen auf den Zivilrechtsweg verwiesen werden: Nach Verwertung des für ver-
fallen erklärten oder eingezogenen Gegenstandes muss der Dritte seine Er-
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satzansprüche vor den Zivilgerichten verfolgen (vgl. Meyer-Goßner, aaO § 439
Rn. 14). Behauptet der Dritte einen der Herausgabe sichergestellter Sachen an
den Verletzten entgegenstehenden Anspruch, wird ihm eine Frist zur gerichtli-
chen Geltendmachung seines Anspruchs vor den Zivilgerichten gesetzt (Mey-
er-Goßner, aaO § 111k Rn. 8). Auch das Opfer einer Straftat kann nach been-
detem Adhäsionsverfahren seine Rechtsverfolgung in den Fällen des § 406
Abs. 3 Sätze 3 und 4 StPO vor den Zivilgerichten fortsetzen.
f) Wegen der Sachnähe der Zivilgerichte verweist die Rechtsordnung
den Dritten mit seinem Interventionsrecht auch in anderen Fällen der Vollstre-
ckung nicht zivilprozessualer Titel durch andere Funktionsträger als Gerichts-
vollzieher auf den Weg der Drittwiderspruchsklage gemäß § 771 ZPO. So sieht
§ 262 Abs. 1 Satz 1 AO die Klage vor den ordentlichen Gerichten vor, wenn ein
Dritter sich mit der Behauptung, dass ihm am Gegenstand der Vollstreckung
ein die Veräußerung hinderndes Recht zustehe, gegen einen Vollstreckungsakt
der Finanzämter oder Hauptzollämter gemäß §§ 249 ff AO wendet (BFHE 132,
405, 406; Münzberg in Stein/Jonas, ZPO 22. Aufl. § 771 Rn. 11, 51). Hierauf
verweist § 5 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes des Bundes. Auch für die
Vollstreckung verwaltungsgerichtlicher Titel nimmt § 167 Abs. 1 VwGO mit sei-
ner Verweisung auf das Achte Buch der Zivilprozessordnung auf § 771 ZPO
Bezug.
g) Zwar hat das beklagte Land den Diskussionsentwurf eines Gesetzes
zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei
Straftaten (Stand: 28. April 2004) vorgelegt. Dort wird vorgeschlagen, dem
§ 111f Abs. 3 StPO einen weiteren - vierten - Satz anzufügen. Danach soll der
Betroffene gegen Maßnahmen in Vollziehung des Arrests jederzeit die gericht-
liche Entscheidung beantragen können. Nach der Begründung (S. 16) soll hier-
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che Entscheidung beantragen können. Nach der Begründung (S. 16) soll hier-
durch klargestellt werden, dass es hinsichtlich aller Einwendungen - auch nach
§ 771 ZPO - gegen Maßnahmen, die in Vollziehung des Arrests getroffen wür-
den, beim strafprozessualen Rechtsweg verbleibe. Dieser, in einem sehr frü-
hen Stadium der Gesetzgebung befindliche Vorschlag des Bundesministeriums
der Justiz vermag jedoch die Auslegung des geltenden Rechts nicht zu beein-
flussen; nach dem geltenden § 111d Abs. 2 StPO in Verbindung mit §§ 928,
771 ZPO ist vielmehr die Zuständigkeit der Zivilgerichte gegeben.
3. Der Senat hat daher auszusprechen, dass die Gerichte der (streiti-
gen) Zivilgerichtsbarkeit zur Entscheidung berufen sind.
4. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Fischer
Raebel
Vill
Cierniak
Lohmann