Urteil des BGH vom 22.01.2009

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZR 235/08
vom
22. Januar 2009
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
InsO § 184;
ZPO § 3
Der Streitwert einer Klage, mit der die Feststellung begehrt wird, eine angemeldete
Forderung beruhe auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, bemisst
sich nicht nach dem Nennwert der Forderung. Maßgeblich sind vielmehr die späteren
Vollstreckungsaussichten des Insolvenzgläubigers nach Beendigung des Insolvenz-
verfahrens und Erteilung der Restschuldbefreiung. Wenn diese als nur zu gering an-
zusehen sind, kann ein Abschlag von 75 Prozent des Nennwerts der Forderung an-
gemessen sein.
BGH, Beschluss vom 22. Januar 2009 - IX ZR 235/08 - OLG Karlsruhe
LG Karlsruhe
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Ganter und die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Vill, Dr. Fischer und Grupp
am 22. Januar 2009
beschlossen:
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem
Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom
23. April 2008 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verwor-
fen.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 11.481,19 € festge-
setzt.
Gründe:
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft (§ 544 Abs. 1 Satz 1 ZPO),
aber unzulässig. Die Klägerin begehrt gegenüber dem beklagten Schuldner die
Feststellung, ihre zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung beruhe auf einer
vorsätzlichen unerlaubten Handlung des Schuldners. Ihre Beschwer beträgt,
wie vom Berufungsgericht in tatrichterlich vertretbarer Würdigung angenom-
men, 11.481,19 € und erreicht nicht den für die Zulässigkeit der Beschwerde
maßgeblichen Wert von über 20.000 € (§ 26 Nr. 8 EGZPO). Der Heraufset-
zungsantrag der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg.
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1. Die Frage, nach welchen Maßstäben der Streitwert einer Klage, mit
der die Feststellung begehrt wird, eine angemeldete Forderung beruhe auf ei-
ner vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung (§ 184 InsO), zu bestimmen
ist, wird in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum unter-
schiedlich beurteilt. Einhelligkeit besteht nur darin, dass die Bestimmung des
§ 182 InsO, nach der für den Wert der Insolvenzfeststellungsklage gegen den
Insolvenzverwalter oder einen bestreitenden Gläubiger ausschließlich die zu
erwartende Insolvenzquote maßgeblich ist, auf die Klage nach § 184 InsO nicht
anzuwenden ist (FK-InsO/Kießner, 5. Aufl. § 182 Rn. 11; MünchKomm-InsO/
Schumacher, 2. Aufl. § 182 Rn. 4; Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 182 Rn. 10;
Graf-Schlicker, InsO § 182 Rn. 6; HmbKomm-InsO/Herchen, 2. Aufl. § 182
Rn. 3; Braun/Specovius, InsO 3. Aufl. § 182 Rn. 11).
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a) Eine Ansicht geht davon aus, der Streitwert bemesse sich nach dem
Nominalwert der geltend gemachten Forderung abzüglich einer etwaigen Insol-
venzquote. Das Interesse des Feststellungsklägers bestehe in erster Linie darin
zu verhindern, dass der Insolvenzschuldner nach Abschluss der Wohlverhal-
tensperiode von der - bereits titulierten - Schuld befreit wird. Dieses Interesse,
den titulierten Anspruch materiell zu erhalten, werde unabhängig von den kon-
kreten Befriedigungsmöglichkeiten durch dessen Höhe bestimmt. Der Streitwert
sei daher nach den allgemeinen Vorschriften (§§ 2, 3 ZPO) zu bestimmen (OLG
Hamm NZI 2007, 249; OLG Karlsruhe JurBüro 2007, 648; LG Mühlhausen
ZVI 2004, 504; FK-InsO/Kießner, aaO § 182 Rn. 11a; MünchKomm-InsO/
Schumacher, aaO §
184 Rn.
3; HmbKomm-InsO/Herchen, aaO; Braun/
Specovius, aaO; Musielak/Heinrich, ZPO 6. Aufl. § 3 Rn. 30 Stichwort Insol-
venzverfahren).
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b) Nach anderer Auffassung ist nicht der Nominalwert der Insolvenzfor-
derung maßgeblich, sondern auf die späteren Vollstreckungsaussichten des
Insolvenzgläubigers nach Beendigung des Insolvenzverfahrens und Erteilung
der Restschuldbefreiung abzustellen. Auch müsse berücksichtigt werden, dass
es sich lediglich um eine Feststellungsklage handele und der Schuldner nicht
die Forderung an sich bestreite, sondern nur die geltend gemachte vorsätzliche
Begehungsweise. Müssten die künftigen Vollstreckungsaussichten "eher zu-
rückhaltend" beurteilt werden, so sei ein deutlicher Abschlag von 75 % gerecht-
fertigt (OLG Celle ZInsO 2007, 42 [4. ZS]; NZI 2007, 473 [7. ZS]). Diesem An-
satz folgt auch das OLG Rostock (NZI 2007, 358). Es hat jedoch aus einzelfall-
bezogenen Erwägungen in der angeführten Entscheidung die späteren Vollstre-
ckungsaussichten als sehr günstig angesehen und deshalb nur einen Abschlag
von 20 % für gerechtfertigt angesehen. Das LG Kempten (ZInsO 2006, 888) hat
den Abschlag auf 80 % bemessen. Auch im Schrifttum wird diese Beurteilung
geteilt (HK-InsO/Depré, 5.
Aufl. §
182 Rn.
1; Pape, in Kübler/Prütting/
Bork, InsO, § 184 Rn. 113 f).
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2. Die letztgenannte Auffassung ist zutreffend.
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In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass sich
bei einer Feststellungsklage die Beschwer des Beklagten danach bemisst, wie
hoch oder gering das Risiko einer tatsächlichen Inanspruchnahme durch den
Feststellungskläger ist (vgl. BGH, Urt. v. 14. Februar 1958 - VI ZR 43/57, VersR
1958, 318; Beschl. v. 28. November 1990 - VIII ZB 27/90, AnwBl 1992, 451; Urt.
v. 13. Dezember 2000 - IV ZR 279/99, NJW-RR 2001, 316, 317). Die zweifel-
hafte Realisierbarkeit des festzustellenden Anspruchs ist auch für die Festset-
zung des Streitwerts maßgeblich (Hk-ZPO/Kayser, 2. Aufl. § 3 Rn. 15 Feststel-
lungsklage; Zöller/Herget, ZPO, 27. Aufl. Stichwort Feststellungsklagen). Dies
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gilt ebenfalls für die hier in Rede stehende Feststellungsklage nach § 184 InsO.
Bei der Mehrzahl der insolventen Verbraucher wird dann, wenn ein Vollstre-
ckungstitel von der Restschuldbefreiung ausgenommen wird, nach Abschluss
des Insolvenzverfahrens eine Vollstreckung gegen den Schuldner nicht möglich
sein, so dass das wirtschaftliche Interesse an der Feststellung des Anspruchs-
grundes als auf unerlaubter Handlung beruhend nicht allzu hoch ist. Dieser all-
gemein bekannten Erfahrung muss bei der Bemessung des Streitwerts einer
Feststellungsklage angemessen Rechnung getragen werden, indem die späte-
ren Vollstreckungsaussichten des Feststellungsklägers nach Erteilung der
Restschuldbefreiung für den Schuldner konkret bewertet werden. Können diese
anhand der voraussichtlichen wirtschaftlichen Lage des Schuldners auch für die
Zeit nach Erteilung der Restschuld nicht als günstig angesehen werden, sind
deutliche Abschläge vom Nominalwert der Deliktsforderung sachlich gerechtfer-
tigt.
3. Diesen Maßstäben entspricht die Streitwertfestsetzung des Beru-
fungsgerichts. Sie beruht offensichtlich auf den aus dem Prozessstoff erkennba-
ren wirtschaftlichen Gegebenheiten des Schuldners. Der Umstand, dass diese,
den landgerichtlichen Beschluss abändernde Entscheidung verfahrensfehlerhaft
erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung getroffen wurde, hat sich nicht
zum Nachteil der Klägerin ausgewirkt. Sie hat weder in ihrer Streitwertbe-
schwerde noch in der Nichtzulassungsbeschwerde Anknüpfungstatsachen vor-
getragen oder Gesichtspunkte aufgezeigt, nach denen die Vollstreckungsaus-
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sichten gegenüber dem Beklagten günstiger beurteilt werden könnten. Es be-
steht mithin keine Veranlassung, ihr Feststellungsinteresse abweichend von der
berufungsgerichtlichen Wertfestsetzung zu beurteilen.
Ganter Gehrlein Vill
Fischer Grupp
Vorinstanzen:
LG Karlsruhe, Entscheidung vom 13.07.2007 - 10 O 537/06 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 23.04.2008 - 7 U 180/07 -