Urteil des BGH vom 02.12.2004

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 142/03
Verkündet am:
2. Dezember 2004
Bürk,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
InsO §§ 60, 61
Die Insolvenzordnung begründet keine Verpflichtung des Insolvenzverwalters, vor
der Erhebung einer Klage oder während des Verfahrens die Interessen des Prozeß-
gegners an einer Erstattung seiner Kosten zu berücksichtigen (im Anschluß an
BGHZ 148, 175 ff).
BGH, Urteil vom 2. Dezember 2004 - IX ZR 142/03 - OLG Braunschweig
LG Göttingen
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 2. Dezember 2004 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Fischer und die
Richter Dr. Ganter, Raebel, Kayser und Cierniak
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerinnen gegen das Urteil des 2. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 5. Juni 2003 wird auf
ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Schuldnerin, die in Göttingen Fitneßstudios betrieb, beantragte am
6. April 2000 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Zwei
Tage später berichtete das Tageblatt, das von der Klägerin zu 2 he-
rausgegeben wird, über den Insolvenzantrag sowie darüber, daß die Kunden
der Schuldnerin "ab sofort" in einem bestimmten anderen Fitneßstudio weiter
trainieren könnten. Nachdem der Beklagte zum Insolvenzverwalter ernannt
worden war, beantragte er Prozeßkostenhilfe für eine Schadensersatzklage
gegen die Klägerin zu 1, die er für die Herausgeberin des Tageblatts
hielt. Er behauptete, die Berichterstattung sei falsch gewesen und habe die
Existenz des Schuldnerbetriebes vernichtet. Die Schuldnerin habe schon am
6. April 2000 einen Käufer für die Studios gefunden gehabt. Deshalb sei der
Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits am 7. April 2000 wieder
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zurückgenommen worden. Da die Berichterstattung im Tageblatt
wahrheitswidrig den Eindruck erweckt habe, daß alle Studios geschlossen sei-
en und nicht mehr weiterbetrieben würden, sei der Kundenstamm weitgehend
verlorengegangen. Der Käufer sei deshalb vom Kaufvertrag zurückgetreten.
Das Unternehmen habe später nur zu einem um 1.092.462,06 DM niedrigeren
Preis als ursprünglich vereinbart an einen anderen Käufer veräußert werden
können. Die Differenz forderte der Beklagte als Schadensersatz nach
§ 824 BGB von der Klägerin zu 1.
Das Landgericht bewilligte Prozeßkostenhilfe in vollem Umfange. Nach-
dem sich die fehlende Passivlegitimation der Klägerin zu 1 herausgestellt hat-
te, nahm der Beklagte die Klage zurück und richtete sie nunmehr gegen die
Klägerin zu 2. Diese Klage wurde zugestellt, ohne daß dem ein Prozeßkosten-
hilfebewilligungsverfahren vorausgegangen war. In der mündlichen Verhand-
lung wies das Landgericht darauf hin, es messe der Klage keine hinreichenden
Erfolgsaussichten bei. Der Beklagte nahm daraufhin auch die neue Klage zu-
rück. Gegen den zugunsten der Klägerin zu 2 ergangenen Kostenfestset-
zungsbeschluß erhob der Beklagte erfolglos Beschwerde. Später zeigte er
Masseunzulänglichkeit an. Die Klägerinnen fielen mit ihren Kostenerstattungs-
ansprüchen aus. Sie verlangen nunmehr vom Beklagten persönlich Schadens-
ersatz.
In erster Instanz hatte die Klage Erfolg. Auf die Berufung des Beklagten
hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit ihrer Revision erstreben
die Klägerinnen die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts haftet der Beklagte weder nach
§§ 60, 61 InsO noch nach § 826 BGB auf Schadensersatz. Die Vorschrift des
§ 60 InsO biete hierfür keine Grundlage, weil sie die Verletzung insolvenzspe-
zifischer Pflichten voraussetze. Solche Pflichten bestünden nicht gegenüber
dem Prozeßgegner. Dessen Kostenerstattungsanspruch werde auch nicht von
§ 61 InsO erfaßt. Diese Vorschrift passe nicht auf Fälle der Klageerhebung.
Ebensowenig seien die Voraussetzungen einer Haftung nach § 826 BGB er-
füllt. Der Beklagte habe bezüglich der Klägerin zu 1 nicht vorsätzlich gehan-
delt. Grobe Fahrlässigkeit genüge für eine Haftung nach § 826 BGB nicht. Ge-
genüber der Klägerin zu 2 habe der Beklagte nicht sittenwidrig gehandelt. Zu-
mindest seine Behauptung, die Studios seien entgegen dem Bericht im
Tageblatt nicht geschlossen gewesen, beruhe nicht auf offensichtlich
lückenhafter oder gänzlich verfehlter Prüfung der Erfolgsaussichten. Schließ-
lich sei dem Beklagten auch hinsichtlich seiner Beschwerde gegen den Kosten-
festsetzungsbeschluß kein grob leichtfertiges Verhalten vorzuwerfen.
II.
Dies hält rechtlicher Überprüfung stand.
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1. Obwohl es sich bei den Prozeßkostenerstattungsansprüchen der Klä-
gerinnen um Masseverbindlichkeiten handelt, scheidet ein Anspruch nach § 61
InsO aus (Häsemeyer, Insolvenzrecht 3. Aufl. Rn. 6.39; Berger KTS 2004,
185 ff; a.A. Pape ZIP 2001, 1701, 1705; Schwenker IBR 2001, 618; Voß
EWiR 2002, 995, 996; Wellensiek, DZWiR 2003, 39, 40).
§ 61 InsO gewährt Massegläubigern, deren Forderungen durch eine
Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet worden sind, die jedoch
aus der Masse nicht voll erfüllt werden, einen Ausgleichsanspruch gegen den
Insolvenzverwalter. Dem liegt der Gedanke zugrunde, die Interessen von Mas-
segläubigern zu schützen, die aufgrund einer Unternehmensfortführung mit der
Masse in Kontakt gekommen sind und deren Vermögen gemehrt oder ihr einen
sonstigen Vorteil verschafft haben (vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 129). Mit der
Vorschrift sollen Unternehmensfortführungen erleichtert werden (BT-Drucks.
aaO). Zu diesem Zweck soll die Bereitschaft, der Masse "Kredit" zu gewähren,
dadurch erhöht werden, daß das Ausfallrisiko der Gläubiger durch eine persön-
liche Haftung des Verwalters gemindert wird. Der Gesetzgeber hat die Interes-
sen der Massegläubiger jedoch nur dann für schutzwürdig gehalten, wenn der
Insolvenzverwalter die Masseverbindlichkeit um eines hiervon abhängigen
- nicht notwendig gleichwertigen - Vorteils für die Masse willen begründet hat.
Der Insolvenzverwalter soll prüfen, ob es wirtschaftlich sinnvoll ist, neue Ver-
bindlichkeiten zu begründen (vgl. auch BT-Drucks. 12/2443 S. 130). Er ist nach
§ 61 Satz 2 InsO entlastet, wenn er bei Begründung der Verbindlichkeit nicht
erkennen konnte, daß die Masse voraussichtlich zur Erfüllung nicht ausreichen
wird (BGH, Urt. v. 6. Mai 2004 - IX ZR 48/03, WM 2004, 1191, 1194, z.V.b. in
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BGHZ). Rechtliche Risiken, wie sie bei der Prozeßführung im Vordergrund ste-
hen, sind insoweit nicht erheblich.
Entsprechend dem Zweck der Vorschrift, die Bereitschaft zur Kreditge-
währung an die Masse zu fördern, betrifft § 61 InsO hauptsächlich die Begrün-
dung von Masseverbindlichkeiten durch Vertragsschluß und daneben noch die
Erfüllungswahl und die unterlassene Kündigung eines Dauerschuldverhältnis-
ses (BT-Drucks. 12/2443 S. 129 f). Massegläubiger, die für oder im Zusam-
menhang mit ihrem Anspruch gegen die Masse keine Gegenleistung erbringen,
fallen hingegen nicht unter § 61 InsO.
Die Lage des Prozeßgegners ist nicht mit der eines Massegläubigers
gleichzusetzen, der sich zu Leistungen an die Masse verpflichtet hat. Hierzu
genügt nicht, daß sich ein Beklagter dem Prozeß nicht entziehen kann. Viel-
mehr gehört es zu den allgemeinen Risiken einer obsiegenden Prozeßpartei,
ob sie die von ihr aufgewendeten Prozeßkosten vom unterliegenden Gegner
erstattet erhält (BGHZ 148, 175, 179; 154, 269, 272). Ebensowenig reicht es
aus, daß § 61 InsO dem Verwalter die Pflicht auferlegt, keine unerfüllbaren
Masseverbindlichkeiten zu begründen; denn diese Pflicht dient nicht dem
Schutz eventueller Prozeßgegner.
2. § 60 InsO begründet ebenfalls keine persönliche Haftung des Insol-
venzverwalters für Kostenerstattungsansprüche des Prozeßgegners. Diese
Vorschrift setzt voraus, daß der Insolvenzverwalter einem Beteiligten gegen-
über schuldhaft Pflichten verletzt, die sich aus der Insolvenzordnung ergeben
(§ 60 Abs. 1 Satz 1 InsO). Die Insolvenzordnung begründet jedoch keine Ver-
pflichtung des Insolvenzverwalters, vor der Erhebung einer Klage oder wäh-
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rend des Prozesses die Interessen des Prozeßgegners an einer eventuellen
Erstattung seiner Kosten zu berücksichtigen. Insoweit hat sich gegenüber der
Rechtslage unter der Konkursordnung nichts geändert. Dafür hat der Senat
bereits ausgesprochen, daß grundsätzlich keine konkursspezifischen Pflichten
des Verwalters gegenüber dem Prozeßgegner bestehen (BGHZ 148, 175 ff).
Die dort angeführten Gründe gelten uneingeschränkt auch für die Insolvenz-
ordnung. § 60 InsO sanktioniert nur die Verletzung solcher Pflichten, die dem
Insolvenzverwalter in dieser Eigenschaft nach den Vorschriften der Insolvenz-
ordnung obliegen (BT-Drucks. 12/2443 S. 129). Damit wollte man verhindern,
daß die Haftung des Insolvenzverwalters ausufert. Diese sollte gegenüber der
Konkursordnung eingegrenzt und präziser umschrieben werden (vgl. Zweiter
Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, 1986, S. 78, 81). Dem widerspräche
es, wenn die Haftung zugunsten eines Prozeßgegners ausgeweitet würde.
3. Der Beklagte haftet im vorliegenden Fall auch nicht nach allgemeinen
Vorschriften. In Betracht kommt einzig ein Anspruch aus § 826 BGB. Das Beru-
fungsgericht hat hierbei die Rechtsprechung des Senats (BGHZ 148, 175, 183)
zugrunde gelegt. Danach kann ein Kläger sittenwidrig handeln, wenn er gegen
den anderen Teil in zumindest grob leichtfertiger Weise ein gerichtliches Ver-
fahren einleitet und durchführt, obwohl er weiß, daß der bedingte gegnerische
Kostenerstattungsanspruch ungedeckt ist.
Diese Voraussetzungen erfüllen die vom Berufungsgericht festgestellten
Tatsachen nicht. Daß der Beklagte hinsichtlich der Klägerin zu 1 - soweit deren
fehlende Passivlegitimation in Frage steht - nicht vorsätzlich gehandelt habe,
wird von der Revision hingenommen und ist rechtsfehlerfrei. Weiter hat das
Berufungsgericht festgestellt, daß die Aussichten der gegen die Beklagte zu 2
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erhobenen Klage von einer Beweisaufnahme abhängig gewesen seien. Solan-
ge diese nicht durchgeführt worden ist, muß dem beweispflichtigen Kläger re-
gelmäßig zugute gehalten werden, daß er von den Erfolgsaussichten seiner
Klage ausgehen darf. Dem ist die Revision in der mündlichen Verhandlung vor
dem Senat nicht mehr entgegengetreten. Diese wendet sich auch nicht gegen
die Würdigung des Berufungsgerichts hinsichtlich der Erhebung der sofortigen
Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluß.
Danach besteht kein Anlaß, auf die Rechtsprechung des VI. Zivilsenats,
welche die Annahme einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung an noch
strengere Voraussetzungen knüpft (BGHZ 154, 269, 274), näher einzugehen.
Fischer
Ganter
Raebel
Kayser
Cierniak