Urteil des BGH vom 11.02.1999

BGH (bestandteil, bezeichnung, marke, verwechslungsgefahr, gesamteindruck, astra, verkehr, kennzeichnungskraft, beurteilung, arzneimittel)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 78/99
Verkündet am:
20. Dezember 2001
Walz
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ : nein
BGHR : ja
ASTRA/ESTRA-PUREN
MarkenG § 14 Abs. 2 Nr. 2
Es entspricht einem in der Rechtsprechung anerkannten Erfahrungssatz, daß
in einer aus mehreren Bestandteilen zusammengesetzten Marke ein Bestand-
teil, der zugleich ein bekanntes oder als solches erkennbares Unternehmens-
kennzeichen oder ein Stammbestandteil einer Zeichenserie ist, im allgemeinen
in der Bedeutung für den Gesamteindruck der Marke zurücktritt, weil der Ver-
kehr die eigentliche Produktkennzeichnung in den anderen Bestandteilen der
Kennzeichnung erblickt. Dies besagt indessen nicht, daß nicht aufgrund der
erforderlichen Heranziehung aller Umstände die tatrichterliche Würdigung im
Einzelfall zu einem von diesen Erfahrungssätzen abweichenden Ergebnis füh-
ren kann.
BGH, Urt. v. 20. Dezember 2001 - I ZR 78/99 - OLG Hamburg
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LG Hamburg
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 26. September 2001 durch den Vorsitzenden Richter Prof.
Dr. Erdmann und die Richter Starck, Pokrant, Dr. Büscher und Dr. Schaffert
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des Hanseatischen Oberlandesge-
richts Hamburg, 3. Zivilsenat, vom 11. Februar 1999 wird auf Ko-
sten der Klägerinnen zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin zu 1 ist die deutsche Tochtergesellschaft der Klägerin zu 2,
einer schwedischen Aktiengesellschaft. Die Klägerinnen sowie die Beklagte
produzieren und vertreiben Arzneimittel.
Die Klägerin zu 2 ist Inhaberin der Wortmarke "ASTRA" Nr. 2 042 965
(Klagemarke), eingetragen am 20. August 1993 unter anderem für "pharma-
zeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse sowie Präparate für die Ge-
sundheitspflege".
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Die Beklagte ist Inhaberin der Wortmarke "ESTRA-PUREN"
Nr. 2 908 182, angemeldet am 13. Oktober 1994 und eingetragen am 22. Juni
1995 für "pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse sowie Prä-
parate für die Gesundheitspflege". Mit Wirkung vom 25. August 1998 - nach
Erlaß des erstinstanzlichen Urteils - ist das Warenverzeichnis der Marke der
Beklagten im Wege der Teillöschung auf "Estradiolhaltige pharmazeutische
Erzeugnisse" beschränkt worden.
Die Klägerin zu 1 firmierte seit 1995 als "Astra GmbH", zuvor seit 1973
als "Astra Chemicals GmbH". Im Laufe des Revisionsverfahrens hat sie ihre
Firma in "AstraZeneca GmbH" geändert. Unternehmensgegenstand war bisher
die "Herstellung und der Vertrieb von chemischen, pharmazeutischen und me-
dizinischen Erzeugnissen aller Art sowie deren Ein- und Ausfuhr" und ist jetzt
"Entwicklung, Herstellung und Vertrieb von chemisch-pharmazeutischen Pro-
dukten, insbesondere unter den International registrierten Warenzeichen
'Astra', 'Zeneca' und 'AstraZeneca'". Die Klägerin zu 2, die bisher als "Astra
AB" firmierte, hat im Laufe des Revisionsverfahrens ihre Firma in "AstraZeneca
AB" geändert.
Die Beklagte, die seit 1996 unter der Firma "ISIS PUREN Arzneimittel
GmbH" im Handelsregister eingetragen war, hat ihre Firma während des Revi-
sionsverfahrens in "Alpharma-Isis GmbH & Co. KG" geändert. Unternehmens-
gegenstand ist unter anderem die "Herstellung und der Vertrieb pharmazeuti-
scher Präparate und artverwandter Erzeugnisse, insbesondere der PUREN-
Markenpräparate-Reihe". Die Beklagte vertreibt eine Arzneimittelserie mit dem
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Stammbestandteil "PUREN"; die Serie umfaßt mehr als 200 Marken, von denen
mehr als 50 benutzt werden.
Die Klägerinnen beanstanden die Verwendung der Bezeichnung
"ESTRA-PUREN" als Verletzung ihrer Firmen- und Markenrechte. Sie haben
die Beklagte auf Unterlassung, Einwilligung in die Löschung der Marke, Fest-
stellung der Schadensersatzpflicht und Auskunftserteilung in Anspruch ge-
nommen.
Sie haben vorgetragen, die Klägerin zu 2 sei das größte pharmazeuti-
sche Unternehmen Skandinaviens mit weltweiter Bekanntheit und Bedeutung.
Das Firmenschlagwort und die Klagemarke "ASTRA" hätten einen außeror-
dentlich hohen Bekanntheitsgrad, insbesondere bei den angesprochenen
Fachkreisen. Dieser Bekanntheitsgrad habe schon vor dem 13. Oktober 1994
bestanden. "ASTRA" sei phantasievoll und im Arzneimittelbereich ohne be-
schreibende Anklänge, die Bezeichnung habe auch durch ihre weite Bekannt-
heit eine hohe Kennzeichnungskraft. Bei der angegriffenen Bezeichnung
"ESTRA-PUREN" wirke "PUREN" wegen der Beschaffenheitsangabe "pur"
(rein) beschreibend, maßgeblich für den Gesamteindruck sei mithin der Be-
standteil "ESTRA" am Anfang der Bezeichnung. Zudem sei "PUREN" der viel-
fach benutzte Stammbestandteil und das Firmenschlagwort der Beklagten,
auch deswegen werde der Gesamteindruck von "ESTRA" geprägt. Es bestehe
Verwechslungsgefahr, zumindest eine solche im weiteren Sinne.
Die Klägerinnen haben beantragt,
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1. die Beklagte unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verur-
teilen, es zu unterlassen,
pharmazeutische und veterinärmedizinische Erzeugnisse sowie
Präparate für die Gesundheitspflege mit der Bezeichnung
"ESTRA-PUREN" zu versehen oder derart gekennzeichnete
Waren in den Verkehr zu bringen oder feilzuhalten;
2. die Beklagte zu verurteilen, in die Löschung ihrer beim Deut-
schen Patentamt eingetragenen Marke "ESTRA-PUREN"
(Nr. 2 908 182) einzuwilligen;
3. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, den Klägerinnen
sämtlichen Schaden zu ersetzen, der diesen durch Handlungen
der im Antrag zu 1 gekennzeichneten Art entstanden ist und/
oder noch entstehen wird;
4. die Beklagte zu verurteilen, den Klägerinnen Auskunft über den
Umfang der im Antrag zu 1 bezeichneten Handlungen zu ertei-
len, und zwar unter Angabe der Vertriebszeiten und der Um-
sätze sowie unter Angabe der Werbung, einschließlich Werbe-
träger, deren Auflagenhöhe, Verbreitungsgebiet und Verbrei-
tungszeit.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Sie hat vorgetragen, bei der
Kennzeichnung "ASTRA" könne allenfalls von durchschnittlicher Kennzeich-
nungskraft ausgegangen werden, diese werde durch identische oder ähnliche
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Drittmarken geschwächt. Der Bestandteil "PUREN" in der angegriffenen Kenn-
zeichnung sei nicht beschreibend, sondern für sich unterscheidungskräftig und
eine umfangreich benutzte Stammarke. Auch deswegen sei eine Verkürzung
auf "ESTRA" ausgeschlossen. Viele "PUREN"-Marken hätten einen beschrei-
benden Wortanfang, das gelte auch für "ESTRA-PUREN", die Marke weise auf
den Wirkstoff "Estradiol" hin.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Im Berufungsverfahren haben die Parteien den Rechtsstreit bezüglich
der Klageanträge zu 3 und 4 jeweils ganz und bezüglich der Klageanträge zu 1
und 2 jeweils teilweise - im Umfang der Teillöschung des Warenverzeichnisses
der Marke "ESTRA-PUREN" - in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt
erklärt. Die Klägerinnen haben nur noch die Klageanträge zu 1 und 2, ersteren
bezogen auf "Estradiolhaltige pharmazeutische Erzeugnisse" weiterverfolgt.
Die Berufung ist erfolglos geblieben.
Mit ihrer Revision verfolgen die Klägerinnen - mit Ausnahme des Ko-
stenantrags zu den in der Hauptsache erledigten Klageanträgen - ihr im Beru-
fungsverfahren aufrechterhaltenes Klagebegehren weiter. Die Beklagte bean-
tragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
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I. Das Berufungsgericht hat die Klage für nicht begründet erachtet und
dazu ausgeführt:
Eine Verwechslungsgefahr zwischen der Klagemarke "ASTRA" und der
angegriffenen Bezeichnung "ESTRA-PUREN" sei unter Würdigung des Ge-
samteindrucks der einander gegenüberstehenden Kennzeichen und bei Be-
rücksichtigung aller Umstände, insbesondere der gegebenen Warenidentität,
zu verneinen.
Für die eingetragenen Waren sei die Klagemarke ein reines Phantasie-
wort und deshalb unterscheidungskräftig; es weise von Hause aus zumindest
normale Unterscheidungskraft auf. Diese sei infolge intensiver Benutzung noch
gesteigert, so daß von einer überdurchschnittlichen Kennzeichnungskraft aus-
zugehen sei. Auch wenn bei Arzneimitteln die Marken der jeweiligen Präparate
eher im Vordergrund stünden, nehme die Klagemarke über die Benutzung des
gleichlautenden Firmenschlagwortes als Kennzeichnung an dem Markterfolg
und der Bedeutung der jeweiligen Arzneimittel teil. Deshalb sei auch für die
Klagemarke in Deutschland von einer erhöhten Verkehrsgeltung jedenfalls in
Fachkreisen und insoweit auch von einer starken Kennzeichnungskraft auszu-
gehen. Diese Umstände gäben auch gewichtige Anhaltspunkte dafür, daß
"ASTRA" eine bekannte Marke im Sinne des § 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG sei,
wie die Klägerinnen unter Beweisantritt behauptet hätten. Das werde bei der
Prüfung der Verwechslungsgefahr als gegeben unterstellt. Eine Verwechs-
lungsgefahr sei jedoch auch bei Zugrundelegung starker Kennzeichnungskraft
von "ASTRA" nicht gegeben.
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Der Gesamteindruck der angegriffenen Bezeichnung werde dadurch ge-
prägt, daß es sich um ein aus zwei Bestandteilen zusammengesetztes Wort
von insgesamt vier Silben handele; der Bindestrich habe dabei eine Klammer-
wirkung. Keiner der Einzelbestandteile wirke innerhalb der Gesamtbezeich-
nung beschreibend, auch "PUREN" sei nicht offenkundig beschreibend, weil es
für den unbefangenen Verkehr ein zweisilbiges Wort sei. Dem breiten Publi-
kum, auf das abzustellen sei, sage auch "ESTRA" nichts. Deshalb sei von der
Gleichwertigkeit beider Wortbestandteile in ihrer prägenden Wirkung auszuge-
hen.
Zwischen beiden Bezeichnungen bestehe weder klanglich noch schrift-
bildlich eine Verwechslungsgefahr. Der Erfahrungssatz, daß der Verkehr den
Wortanfängen erfahrungsgemäß stärkere Beachtung schenke als nachfolgen-
den Wortteilen, spiele nur bei sonst allenfalls geringfügigen Abweichungen der
kollidierenden Zeichen eine ausschlaggebende Rolle. Es könne auch nicht da-
von ausgegangen werden, daß die angegriffene Bezeichnung auf "ESTRA"
verkürzt werde. Etwas anderes ergebe sich auch nicht für diejenigen Verkehrs-
kreise, die "PUREN" als Bestandteil der Arzneimittel-Serie der Beklagten er-
kennten. Es liege fern, daß für diese der Bestandteil "PUREN" innerhalb der
angegriffenen Bezeichnung an seinem prägenden Gewicht verlieren könne und
der Bestandteil "ESTRA" den Gesamteindruck präge. Zudem sei auch der Teil
der Verkehrskreise mit zu berücksichtigen, der "ESTRA" als sprechende An-
lehnung an "Estradiol" verstehe. Hierzu gehörten insbesondere die Fachkreise
(Arzt und Apotheker).
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Der Unterlassungsanspruch sei auch nicht aus dem Firmenschlagwort
"ASTRA" der Klägerinnen begründet. Auch insoweit fehle es an einer Ver-
wechslungsgefahr.
Es bestünden des weiteren keine Anhaltspunkte, daß mit der angegriffe-
nen Bezeichnung ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise die Unter-
scheidungskraft oder die Wertschätzung der Klagemarke oder der geschäftli-
chen Bezeichnung der Klägerinnen ausgenutzt oder beeinträchtigt werde.
Der Löschungsanspruch sei aus den gleichen Gründen nicht gegeben.
II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben
keinen Erfolg.
1. Klageantrag zu 1 (Unterlassungsantrag):
a) Die Annahme des Berufungsgerichts, es fehle an einer Verwechs-
lungsgefahr zwischen der Klagemarke "ASTRA" und der angegriffenen Be-
zeichnung "ESTRA-PUREN" im Sinne von § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG, hält der
revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.
Die Beurteilung der Verwechslungsgefahr in diesem Sinne ist unter Be-
rücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Dabei besteht
- wovon auch das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen ist - eine Wech-
selwirkung zwischen den in Betracht zu ziehenden Faktoren, insbesondere der
Ähnlichkeit der Marken und der Ähnlichkeit der mit ihnen gekennzeichneten
Waren sowie der Kennzeichnungskraft der älteren Marke, so daß ein geringer
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Grad der Ähnlichkeit der Waren durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der
Marken oder durch eine erhöhte Kennzeichnungskraft der Marke ausgeglichen
werden kann und umgekehrt (vgl. EuGH, Urt. v. 11.11.1997 - Rs. C-251/95,
Slg. 1997, I-6191 = GRUR 1998, 387, 389 f. Tz. 22 f. - Sabèl/PUMA; Urt. v.
29.9.1998 - Rs. C-39/97, Slg. 1998, I-5507 = GRUR 1998, 922, 923 Tz. 16 f.
- Canon; BGH, Urt. v. 14.10.1999 - I ZR 90/97, GRUR 2000, 605, 606 = WRP
2000, 525 - comtes/ComTel; Urt. v. 13.1.2000 - I ZR 223/97, GRUR 2000, 506,
508 = WRP 2000, 535 - ATTACHÉ/TISSERAND; Urt. v. 6.7.2000 - I ZR 21/98,
GRUR 2001, 158, 159 f. = WRP 2001, 41 - Drei-Streifen-Kennzeichnung; Urt.
v. 16.11.2000 - I ZR 34/98, GRUR 2001, 507, 508 = WRP 2001, 694 - EVIAN/
REVIAN).
Für das Revisionsverfahren ist von einer überdurchschnittlichen (star-
ken) Kennzeichnungskraft der Klagemarke auszugehen, weil das Berufungsge-
richt den Vortrag der Klägerinnen als richtig unterstellt hat, daß die Klagemarke
eine bekannte Marke im Sinne des § 14 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG sei.
Zutreffend - von der Revisionserwiderung auch durch Gegenrügen nicht
in Frage gestellt - ist das Berufungsgericht ausdrücklich von Warenidentität im
Streitfall ausgegangen.
Bei Zugrundelegung einer starken Kennzeichnungskraft der Klagemarke
und Warenidentität würde daher nach den vorgenannten Grundsätzen bereits
ein geringer Grad der Ähnlichkeit der Marken ausreichen, um eine Verwechs-
lungsgefahr zu bejahen. Daran fehlt es im Streitfall jedoch.
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Bei der Beurteilung der Markenähnlichkeit ist das Berufungsgericht zu-
treffend von dem das Kennzeichenrecht beherrschenden Grundsatz ausge-
gangen, daß auf den jeweiligen Gesamteindruck der sich gegenüberstehenden
Marken abzustellen ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 4.12.1997 - I ZR 111/95,
GRUR 1998, 815, 816 = WRP 1998, 755 - Nitrangin; Urt. v. 21.9.2000
- I ZR 143/98, GRUR 2001, 164, 165 = WRP 2001, 165 - Wintergarten,
m.w.N.). Die Beurteilung des Gesamteindrucks liegt dabei im wesentlichen auf
tatrichterlichem Gebiet. Im Revisionsverfahren kann sie lediglich darauf über-
prüft werden, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff zutreffend erfaßt und
bei seiner Würdigung nicht gegen Denkgesetze oder anerkannte Erfahrungs-
sätze verstoßen hat. Diesen Anforderungen entspricht das Berufungsurteil.
Das Berufungsgericht hat nicht verkannt, daß der Gesamteindruck des
jüngeren Zeichens unabhängig von der konkreten Kollisionslage allein anhand
der Gestaltung der Marke selbst zu beurteilen ist (BGH, Beschl. v. 8.7.1999
- I ZB 49/96, GRUR 2000, 233, 235 = WRP 2000, 173 - RAUSCH/ELFI
RAUCH; BGH GRUR 2001, 164, 166 - Wintergarten).
Der Gesamteindruck einer aus mehreren Bestandteilen bestehenden
Marke ist der Eindruck, den die Marke bei dem Durchschnittsverbraucher der
jeweils in Frage stehenden Waren hervorruft (BGHZ 139, 340, 344, 350 -
Lions; BGH, Beschl. v. 25.3.1999 - I ZB 32/96, GRUR 1999, 735, 736 = WRP
1999, 855 - MONOFLAM/POLYFLAM). Dabei entspricht es der allgemeinen
Lebenserfahrung, daß eine Marke in der Regel vom Verkehr in ihrer Gesamt-
heit in der Gestalt wahrgenommen wird, in der sie ihm entgegentritt, ohne daß
eine analysierende Betrachtungsweise Platz greift (BGH GRUR 2000, 233, 235
- RAUSCH/ELFI RAUCH). Des weiteren ist, weil es sich bei den vorliegend zu-
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grundezulegenden Waren nicht ausschließlich um verschreibungspflichtige
Arzneimittel handelt, in diesem Zusammenhang - auch hiervon ist das Beru-
fungsgericht zutreffend und unbeanstandet ausgegangen - nicht allein auf das
Verkehrsverständnis der verschreibenden Ärzte und Apotheker, sondern auch
auf die Auffassung der Patienten abzustellen.
Das Berufungsgericht hat angenommen, der Gesamteindruck der ange-
griffenen Bezeichnung "ESTRA-PUREN" werde dadurch geprägt, daß es sich
um ein aus zwei Bestandteilen zusammengesetztes Wort von insgesamt vier
Silben handele. Die Bezeichnung enthalte für das breite Publikum keinen Be-
standteil mit beschreibendem Charakter, so daß von der Gleichwertigkeit bei-
der Wortbestandteile in ihrer prägenden Wirkung auszugehen sei. Deshalb
bestehe für den Verkehr kein Anlaß, die Gesamtbezeichnung in irgendeiner
Weise aufzuspalten. Auch diese Beurteilung kann aus Rechtsgründen nicht
beanstandet werden.
Das Berufungsgericht hat dem Bestandteil "PUREN" keinen beschrei-
benden Inhalt zugeschrieben, weil es sich bei diesem Wort für den Verkehr bei
unbefangener Betrachtung um ein zweisilbiges Wort ohne Sinngehalt handele,
bei dem eine mögliche Erinnerung an "pur" im Sinne von "rein" keine Rolle
spiele. Hiergegen wendet sich die Revision nicht. Rechtsfehler sind insoweit
auch nicht erkennbar.
Die Revision beanstandet aber, daß das Berufungsgericht eine den Ge-
samteindruck prägende Wirkung des Bestandteils "ESTRA" nicht daraus ab-
geleitet hat, daß es sich bei dem Bestandteil "PUREN" um das Firmenschlag-
wort der Beklagten handele und dieses deshalb als eigentliche Produktbe-
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zeichnung gegenüber dem anderen Bestandteil zurücktrete. Die Rüge greift
nicht durch, und zwar unabhängig von der Tatsache, daß die Beklagte im Ver-
lauf des Revisionsverfahrens umfirmiert hat und den Bestandteil "PUREN", was
für den in die Zukunft gerichteten Unterlassungsantrag von Bedeutung ist, seit-
her nicht mehr in ihrem Namen führt.
Zwar ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes anerkannt,
daß bei zusammengesetzten Marken ein Bestandteil, der zugleich ein be-
kanntes oder für den Verkehr als solches erkennbares Unternehmenskennzei-
chen ist, im allgemeinen in der Bedeutung für den Gesamteindruck zurücktritt,
weil der Verkehr die eigentliche Produktkennzeichnung in derartigen Fällen in
dem oder den anderen Bestandteilen zeichenmäßiger Kennzeichnung erblickt
(st. Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 18.6.1998 - I ZR 15/96, GRUR 1998, 942 = WRP
1998, 990
- ALKA-SELTZER; BGH GRUR 2001, 164, 166 - Wintergarten, m.w.N.). Der
Bundesgerichtshof hat einen entsprechenden Erfahrungssatz ebenso für einen
Stammbestandteil einer Zeichenserie ausgesprochen, um den es sich nach
dem unstreitigen Sachverhalt bei dem Bestandteil "PUREN" ebenfalls handelt
(BGH, Beschl. v. 4.7.1996 - I ZB 6/94, GRUR 1996, 977 = WRP 1997, 571
- DRANO/P3-drano; Beschl. v. 2.4.1998 - I ZB 25/96, GRUR 1998, 927, 929 =
WRP 1998, 872 - COMPO-SANA). Diese Erfahrungssätze besagen allerdings
nicht, daß nicht aufgrund der erforderlichen Heranziehung aller Umstände des
Einzelfalls die tatrichterliche Würdigung zu einem von diesem Erfahrungssatz
abweichenden Ergebnis führen kann (BGH, Beschl. v. 18.4.1996 - I ZB 3/94,
GRUR 1996, 774, 775 - falke-run/LE RUN). So liegt es im Streitfall, in dem es
das Berufungsgericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise als fernlie-
gend angesehen hat, daß der Bestandteil "PUREN" für den Teil des Verkehrs,
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der diesen als Unternehmensbezeichnung oder als Stammbestandteil einer
Zeichenserie kennt, an prägendem Gewicht für den Gesamteindruck der Be-
zeichnung "ESTRA-PUREN" verlieren könnte.
Das Berufungsgericht hat seine Auffassung daraus hergeleitet, daß der
Bestandteil "PUREN" durch einen Bindestrich mit dem weiteren Bestandteil
"ESTRA" verbunden sei und an zweiter Stelle in der Gesamtbezeichnung ste-
he. Damit wird für das allgemeine Publikum eine Klammerwirkung erzeugt, zu-
mal diese Verkehrskreise die beiden Bestandteile nicht beschreibend verste-
hen. Es hat darüber hinaus berücksichtigt, daß es für die Fachkreise (Ärzte und
Apotheker) naheliege, bei einem estradiolhaltigen Präparat den Bestandteil
"ESTRA" als sprechende Anlehnung an die Wirkstoffangabe "Estradiol" zu ver-
stehen und deshalb den Bestandteil "PUREN" als (mitprägenden) Stammbe-
standteil einer Zeichenserie um so mehr zu erkennen. Das kann nicht als er-
fahrungswidrig angesehen werden, weil nach der Rechtsprechung des Bun-
desgerichtshofes gerade die Verwendung beschreibender Wörter neben einem
Stammbestandteil den Verkehr veranlaßt, sich bezüglich der Produktherkunft
gerade in erster Linie an dem Stammbestandteil zu orientieren (BGH GRUR
1998, 927, 929 - COMPO-SANA). Aus diesen Gründen kommt auch eine Ver-
wechslungsgefahr im weiteren Sinne, auf die die Revision sich ergänzend be-
ruft, nicht in Betracht. Eine Verwechslungsgefahr unter dem Gesichtspunkt des
Serienzeichens scheidet ohnehin aus, weil es vorliegend nicht um Überein-
stimmungen im Stammbestandteil "PUREN" geht.
Soweit sich die Revision besonders auf den Charakter des Bestandteils
"PUREN" als Firmenschlagwort der Beklagten stützt und daraus herleiten will,
daß der Verkehr diesen gegenüber dem weiteren Bestandteil "ESTRA" für den
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Gesamteindruck vernachlässigen werde, übersieht sie, daß das Berufungsge-
richt von den entsprechenden Erwägungen ausgegangen ist. Bei der gegebe-
nen Sachlage ist die Annahme, der Verkehr werde sich selbst bei einer aus
einem beschreibenden Bestandteil und einer Unternehmenskennzeichnung
gebildeten Bezeichnung der vorliegenden Art jedenfalls auch an letzterer ori-
entieren, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Ohne Erfolg wendet sich die Revision schließlich auch gegen die An-
nahme des Berufungsgerichts, daß eine Verkürzung der Bezeichnung der Be-
klagten auf den Bestandteil "ESTRA" nicht zugrunde gelegt werden könne, weil
es sich im Streitfall um das Warengebiet der pharmazeutischen Erzeugnisse
handele, auf dem angesichts der Bedeutung der Arzneimittel für die Gesund-
heit des Patienten eine Verkehrsübung zur Markenverkürzung unüblich sei. Mit
ihrer Meinung, eine Verkürzung liege außerordentlich nahe, weil die Bezeich-
nung aus Produkt- und Firmenkennzeichen gebildet sei, kann die Revision
nicht gehört werden; sie setzt insoweit lediglich ihre eigene Beurteilung an die
Stelle derjenigen des Tatrichters.
Ist das Berufungsgericht danach rechtsfehlerfrei davon ausgegangen,
daß der Gesamteindruck der angegriffenen Bezeichnung "ESTRA-PUREN"
durch ihre beiden Bestandteile gleichermaßen geprägt werde, kann die Vernei-
nung einer Verwechslungsgefahr wegen fehlender Markenähnlichkeit nicht be-
anstandet werden. Die von der Revision weiter erhobenen Rügen, das Beru-
fungsgericht habe den anerkannten Erfahrungssätzen, wonach der Anfang ei-
nes Wortzeichens von größerer Bedeutung als die nachfolgenden Bestandteile
sei und es sei grundsätzlich mehr auf die gegebenen Übereinstimmungen als
auf die Unterschiede einander gegenüber stehender Marken abzustellen, keine
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Bedeutung beigemessen, gehen demgegenüber ins Leere, denn die angegrif-
fene Bezeichnung besteht aus zwei Bestandteilen, die gemeinsam den Ge-
samteindruck bestimmen, so daß die gegebenen Übereinstimmungen in nur
einem Bestandteil für die Annahme einer Verwechslungsgefahr nicht ausrei-
chen.
b) Das Berufungsgericht hat den Unterlassungsanspruch auch aus den
Unternehmenskennzeichen "Astra" der Klägerinnen nach § 15 Abs. 2 MarkenG
wegen des Fehlens einer Verwechslungsgefahr für nicht begründet erachtet.
Das hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung ebenfalls stand. Hierzu kann auf
die vorangehenden Ausführungen verwiesen werden. Auch insoweit fehlt es
aus den dort angeführten Gründen schon an einer hinreichenden Ähnlichkeit
der Klagekennzeichen und der angegriffenen Bezeichnung "ESTRA-PUREN".
Deshalb bedarf es keiner Erörterung der Frage, welchen Einfluß die Umfirmie-
rungen der Klägerinnen in "AstraZeneca GmbH" bzw. "AstraZeneca AB" und
damit die Änderung der geltend gemachten Schutzrechte nach § 15 MarkenG
im Verlauf des Revisionsverfahrens auf den in die Zukunft gerichteten Unter-
lassungsanspruch hat (vgl. zur Teillöschung einer Marke im Laufe des Rechts-
beschwerdeverfahrens: BGH, Beschl. v. 13.3.1997 - I ZB 4/95, GRUR 1997,
634 = WRP 1997, 758 - Turbo II).
2. Klageantrag zu 2 (Löschungsantrag):
Aus den vorstehend zum Unterlassungsantrag angeführten Gründen
kann auch der geltend gemachte Löschungsanspruch nicht durchgreifen. Die
Voraussetzungen der Verwechslungsgefahr nach § 9 Abs. 1 Nr. 2, § 55 Abs. 1,
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§ 51 Abs. 1 MarkenG entsprechen denjenigen für den Unterlassungsanspruch
nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG.
III. Danach war die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO
zurückzuweisen.
Erdmann
Starck
Pokrant
Büscher
Schaffert