Urteil des BGH vom 22.02.2002

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 26/01
Verkündet am:
22. Februar 2002
K a n i k ,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR: ja
AGBG § 6 Abs. 3
Das Festhalten am Vertrag kann für den Verwender einer nach § 9 AGBG unwirk-
samen Klausel unzumutbar im Sinne des § 6 Abs. 3 AGBG sein, wenn feststeht, daß
er den Vertrag ohne die Klausel nicht geschlossen hätte.
BGH, Urt. v. 22. Februar 2002 - V ZR 26/01 - OLG Koblenz
LG Mainz
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 22. Februar 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Wenzel und die
Richter Tropf, Schneider, Dr. Klein und Dr. Lemke
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Koblenz vom 19. Dezember 2000 im Ko-
stenpunkt und insoweit aufgehoben, als der von dem Kläger ge-
stellte Hilfsantrag abgewiesen wurde.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisi-
onsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 2. Januar 1992 erwarb die
Rechtsvorgängerin der Beklagten von dem Kläger zwei Wiesengrundstücke zur
Größe von 251 qm zum Preis von 40 DM pro qm. Bei der Beurkundung trat für
den Kläger eine Notariatsangestellte ohne Vertretungsmacht auf. Der Kläger
verweigerte zunächst die Genehmigung des Vertrags. Durch einen weiteren
notariell beurkundeten Vertrag vom 3. Juni 1992, bei dessen Abschluß für den
Kläger wiederum die Notariatsangestellte ohne Vertretungsmacht auftrat, er-
gänzten die Vertragsparteien den Kaufvertrag u.a. wie folgt:
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"Für den Fall, daß der verkaufte Grundbesitz innerhalb von
10 Jahren, von heute an gerechnet, einer anderen Verwendung,
insbesondere einer Bebauung zugeführt werden kann, verpflichtet
sich der Käufer und seine Rechtsnachfolger, eine Nachzahlung in
Höhe des Differenzbetrages zwischen dem heutigen Kaufpreis
von DM 40,-- pro qm und dem dann geltenden Verkehrswert an
den M. Universitätsfonds zu leisten."
Daraufhin genehmigte der Kläger sämtliche für ihn von der Notariatsan-
gestellten abgegebenen Erklärungen.
Mit der Behauptung, der verkaufte Grundbesitz sei bebaubar ge-
worden und der Verkehrswert betrage nunmehr 765 DM pro qm, hat der Kläger
die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 181.975 DM nebst Zinsen be-
antragt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers,
mit der er zusätzlich zu dem Zahlungsantrag hilfsweise die Rückabwicklung
des Kaufvertrags verlangt hat, ist erfolglos geblieben.
Mit seiner Revision, die der Senat lediglich im Umfang der Abweisung
des Hilfsantrags angenommen hat, verfolgt der Kläger die Durchsetzung dieses
Antrags weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hält die Nachzahlungsklausel nach § 9 AGBG für
unwirksam. Der Kaufvertrag sei im übrigen jedoch wirksam, weil das Festhalten
an ihm für den Kläger keine unzumutbare Härte im Sinne des § 6 Abs. 3 AGBG
bedeute. Er habe nämlich den Grundbesitz zu einem angemessenen Preis ver-
äußert und auch durch die Entwicklung in den folgenden Jahren keine zusätzli-
chen Belastungen zu tragen.
II.
Das hält einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Die von dem Prozeßbevollmächtigten der Beklagten in der mündli-
chen Verhandlung vor dem Senat erhobene Gegenrüge (§ 286 ZPO), mit der er
die unterbliebene Beweisaufnahme über die Behauptung der Beklagten, der
Zeuge H. habe vor Abschluß des Kaufvertrags gegenüber ihrem Ehemann er-
klärt, die Nachzahlungsklausel komme überhaupt nur bei einer - bis heute nicht
erfolgten - tatsächlichen Bebauung der verkauften Grundstücke zum Tragen,
ist nicht begründet. Dieser Vortrag ist nämlich unerheblich. Selbst wenn der
Zeuge und die Rechtsvorgängerin der Beklagten die Klausel in demselben
- vom objektiven Erklärungsinhalt abweichenden - Sinn, nämlich der tatsächli-
chen Bebauung als Voraussetzung für eine Nachzahlung, verstanden haben
sollten, hätte das nicht zwangsläufig zur Folge, daß diese Willensübereinstim-
mung noch in dem maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrags (vgl.
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Senatsurt. v. 21. Februar 1986, V ZR 126/84, WM 1986, 857, 858) - hier also
der Genehmigung durch den Kläger - bestand. Dazu hat die Beklagte jedoch
nichts vorgetragen.
2. Wie bei der auf die Abweisung des Hilfsantrags beschränkten An-
nahme der Revision ist der Senat in Übereinstimmung mit dem Berufungsge-
richt weiterhin der Auffassung, daß die Vertragsklausel, auf die der Kläger sei-
nen Nachzahlungsanspruch gestützt hat, nach § 9 AGBG unwirksam ist. Nach
§ 6 Abs. 1 AGBG bleibt der Kaufvertrag im übrigen jedoch wirksam, es sei
denn, daraus ergäbe sich eine unzumutbare Härte für den Kläger (§ 6 Abs. 3
AGBG). Dies verneint das Berufungsgericht zu Unrecht.
3. Ob eine unzumutbare Härte vorliegt, ist im Wege der Interessenab-
wägung zu ermitteln; zu berücksichtigen ist nicht nur die nachteilige Verände-
rung der Austauschbedingungen für den Verwender der Allgemeinen Ge-
schäftsbedingung, sondern auch das berechtigte Interesse des anderen Teils
an der Aufrechterhaltung des Vertrags. Wegen des Ausnahmecharakters von
§ 6 Abs. 3 AGBG gegenüber der in § 6 Abs. 1 AGBG enthaltenen Grundregel
müssen besondere Gründe vorliegen, wenn die Vorschrift eingreifen soll. Die
Unwirksamkeit einzelner Klauseln nach §§ 9 bis 11 AGBG reicht hierfür im all-
gemeinen nicht aus, weil sie gerade dazu dient, ein vorhandenes Ungleichge-
wicht des Vertrags im Interesse des Kunden zu beseitigen, und weil der Ver-
trag durch dispositives Recht oder richterliche Ergänzung einen beiderseits
interessengerechten Inhalt erhält. Unzumutbar kann das Festhalten am Vertrag
jedoch dann sein, wenn infolge der Unwirksamkeit einer AGB-Klausel das Ver-
tragsgleichgewicht grundlegend gestört ist. Allerdings genügt nicht schon jeder
wirtschaftliche Nachteil des Verwenders, sondern es ist eine einschneidende
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Störung des Äquivalenzverhältnisses erforderlich, die das Festhalten am Ver-
trag für ihn unzumutbar macht (BGH, Urt. v. 9. Mai 1996, III ZR 209/95, WM
1996, 2018, 2020).
Das ist hier der Fall. Allerdings ergibt die von dem Kläger behauptete
Wertsteigerung der verkauften Grundstücke von ca. 1.800 % grundsätzlich
kein krasses Ungleichgewicht von Leistung und Gegenleistung, weil sich die
Höhe des vereinbarten Kaufpreises nach dem aus § 433 Abs. 2 folgenden
Grundsatz der festen Preisbestimmung nicht ändert, selbst wenn sich der Wert
des Kaufgegenstands nach Abschluß des Kaufvertrags ändert. Das Risiko ei-
nes sinkenden Werts trägt der Käufer; ihm kommen jedoch auch Wertsteige-
rungen zugute. Aber die Parteien können Abweichendes vereinbaren, denn die
Preisbestimmung unterliegt ihrer freien Disposition; sie sind deswegen nicht
gehindert, bei dem Verkauf von Grundstücken eine Nachzahlungspflicht für
den Käufer zu vereinbaren, falls der Grundstückswert nach Vertragsschluß
steigt. Das sollte hier geschehen. Deswegen ist bei der Beurteilung der Unzu-
mutbarkeit zu berücksichtigen, daß der Kläger den Kaufvertrag ohne die Nach-
zahlungsklausel gar nicht abgeschlossen hätte; ihm kam es entscheidend dar-
auf an, nach Vertragsschluß eintretende Wertsteigerungen aufgrund einer an-
deren Nutzbarkeit der Grundstücke abschöpfen zu können. Die Gegenleistung
für die Übereignung der Grundstücke sollte deswegen nicht nur in dem bei
Vertragsschluß für angemessen gehaltenen Kaufpreis, sondern auch in dem
Ausgleich einer etwaigen nachträglichen Wertsteigerung liegen. Die Beklagte
war hiermit einverstanden. Durch den Wegfall der Klausel trifft den Kläger da-
her nunmehr ein Risiko, das er bei der Kalkulation seines Preises oder sonsti-
gen Gestaltung des Vertrags nicht berücksichtigt hat. Die hierdurch entstande-
ne Lücke läßt sich weder durch die Anwendung gesetzlicher Vorschriften noch
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durch eine ergänzende Vertragsauslegung schließen, weil mehrere Gestal-
tungsmöglichkeiten denkbar sind und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, für
welche dieser Alternativen sich die Parteien redlicherweise entschieden hätten.
Damit führt ein Festhalten an dem Vertrag für den Kläger zu einer Härte, die
nur dann nicht unzumutbar wäre, wenn die Unwirksamkeit der Klausel ohne
weiteres vorhersehbar war, er es sich also selbst zuzuschreiben hätte, daß er
eine rechtlich unzulässige Klausel in den Vertrag aufgenommen hat. Das ist
aber zu verneinen. Denn anders als die Tagespreisklauseln im Kraftfahrzeug-
handel (vgl. BGHZ 82, 21, 28; 90, 69 ff) betrifft die hier verwandte Klausel nicht
das Tagesgeschäft eines gewerblichen Verkäufers, der an dem Absatz seiner
Ware interessiert ist und sich bei der Preisgestaltung an einer einschlägigen
Rechtsprechung orientieren kann, sondern ein hiermit nicht vergleichbares
Grundstücksgeschäft, für das es eine entsprechende Rechtsprechung nicht
gibt. Deswegen wäre es unbillig und widerspräche der Zielsetzung des AGB-
Gesetzes, der Beklagten einen Vorteil zu belassen, der das Vertragsgefüge
völlig einseitig zu ihren Gunsten verschiebt.
4. Da die Frage der Bebaubarkeit der verkauften Grundstücke und die
Höhe ihres Verkehrswerts zwischen den Parteien streitig ist, bedarf es für die
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Entscheidung, ob der Hilfsantrag begründet ist, weiterer Feststellungen. Das
Berufungsgericht erhält durch die Zurückverweisung der Sache Gelegenheit,
diese nachzuholen.
Wenzel
Tropf
Schneider
Klein
Lemke