Urteil des BGH vom 17.01.2002

BGH (zeuge, täterschaft, strafkammer, hauptverhandlung, menge, einfuhr, person, belastung, zoll, stv)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 417/01
vom
17. Januar 2002
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts und der Beschwerdeführerin am 17. Januar 2002 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Osnabrück vom 17. Juli 2001 mit den Feststellungen aufge-
hoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen "gemeinschaftlicher uner-
laubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Handel-
treiben mit Betäubungsmitteln in jeweils nicht geringer Menge" zu einer Frei-
heitsstrafe verurteilt.
I. Die Revision der Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Auf die er-
hobene Verfahrensrüge kommt es daher nicht an.
Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet durchgreifenden Be-
denken. Beruht - wie hier - die Überzeugung des Gerichts von der Täterschaft
des Angeklagten allein auf der Aussage des einzigen Belastungszeugen, ohne
daß weitere belastende Indizien vorliegen, so sind an die Überzeugungsbil-
dung des Tatrichters strenge Anforderungen zu stellen. Die Urteilsgründe müs-
sen erkennen lassen, daß der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung
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beeinflussen können, in seine Überlegungen einbezogen hat. Insbesondere ist
die Aussage des Zeugen einer besonders sorgfältigen Glaubwürdigkeitsprü-
fung zu unterziehen (vgl. BGHSt 44, 153, 158; 44, 256, 257 jeweils m.w.N.).
Das gilt vor allem dann, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß der Zeuge
seine Angaben im Laufe des Verfahrens wesentlich geändert hat.
Diesen Anforderungen hält die knappe Beweiswürdigung im angefoch-
tenen Urteil nicht stand. Das Landgericht stützt seine Überzeugung von der
Täterschaft der Angeklagten allein auf die Aussage des Zeugen A
, der in der Hauptverhandlung angegeben hat, die ihm angelastete
Kurierfahrt für die Angeklagte durchgeführt zu haben. Objektive Beweise für die
Täterschaft der Angeklagten ergeben sich aus dem Urteil nicht. Im Rahmen der
Überprüfung der Glaubwürdigkeit des Zeugen teilt das Landgericht allerdings
mit, dieser habe "schließlich seine früheren Angaben berichtigt" und die Ange-
klagte belastet (UA S. 7). Als Begründung für die Aussageänderung läßt das
Landgericht die vom Zeugen abgegebene Erklärung genügen, er habe die An-
geklagte nur deshalb erst nach Monaten eigener Untersuchungshaft belastet,
weil sie sich entgegen seiner Erwartung weder persönlich noch finanziell um
ihn gekümmert habe. Eine Auseinandersetzung mit den früheren Angaben fin-
det indes nicht statt. Das Landgericht schildert sie nicht einmal. Das war aber
angesichts der dargestellten besonderen Beweissituation unerläßlich. Dieser
Mangel stellt einen Rechtsfehler dar, der zur Aufhebung zwingt. Sollte der
Zeuge, wie es der (allerdings möglicherweise nicht zulässigen) Verfahrensrüge
zu entnehmen ist, bei seiner ersten Vernehmung eine andere Frau als Auftrag-
geberin beschuldigt haben, so könnte dieser Umstand Anlaß zu besonderer
Vorsicht gegenüber der Aussage des Zeugen in der Hauptverhandlung geben
und der ausdrücklichen Erörterung bedürfen.
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Das Landgericht hätte sich auch damit auseinandersetzen müssen, daß
der Zeuge als Tatbeteiligter in dem Bestreben, gemäß § 31 BtMG selbst eine
Strafmilderung zu erlangen, unwahre Angaben gemacht haben könnte. Die
Tatsache, daß er im Zeitpunkt seiner Aussage in der Hauptverhandlung gegen
die Angeklagte bereits rechtskräftig verurteilt war, räumt die Möglichkeit, daß
sein Aussageverhalten von dieser Motivation weiterhin beeinflußt war, nicht
ohne weiteres aus (vgl. BGH StV 1992, 555). Das gilt insbesondere dann,
wenn der Zeuge seine Aussage bereits im Verlauf seines eigenen Strafverfah-
rens geändert hat.
Auch die als Indiz für die Glaubwürdigkeit des Zeugen getroffene Be-
wertung, dieser habe sich mit seiner Aussage "ganz erheblich selbst belastet",
läßt die gebotene umfassende Würdigung vermissen. Das Landgericht hat sich
nicht damit auseinandergesetzt, daß der Zeuge sich angesichts der Festnah-
mesituation beim Zoll - einziger Fahrzeuginsasse mit 15 kg Marihuana im Kof-
ferraum - durch seine Aussage nicht wesentlich mehr belastet hat, die Be-
lastung einer anderen Person als Auftraggeber ihm aber die Möglichkeit bot,
seinen Tatbeitrag mindestens hinsichtlich des Vorwurfs des Handeltreibens mit
Betäubungsmitteln als bloße Beihilfe darzustellen, was ihn vor allem entlastet
(vgl. BGHR BtMG § 29 Beweiswürdigung 5).
Darüber hinaus sind weitere für die Glaubwürdigkeit des Zeugen heran-
gezogene Indizien nur unvollständig gewürdigt. Die Strafkammer nimmt die
Tatsache, daß auf der sichergestellten Telefonrechnung des Mobiltelefons des
Zeugen ein Gespräch mit einem Anschluß der Angeklagten verzeichnet ist, u.a.
als Beleg dafür, daß der Zeuge Kontakt zur Angeklagten hatte. Dabei hat die
Strafkammer allerdings nicht erkennbar bedacht, daß es sich um den Anschluß
einer Wohnung der Angeklagten handelte, in der diese nicht selbst wohnte, so
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daß sie von dem Telefonat nicht notwendig Kenntnis haben mußte. Auch hätte
das Landgericht die Tatsache, daß überhaupt nur dieser eine telefonische
Kontakt festgestellt werden konnte, in seine Würdigung der vom Zeugen be-
haupteten mehrjährigen Bekanntschaft einbeziehen und gegebenenfalls Grün-
de dafür erörtern müssen.
Schließlich fehlen Feststellungen zu den näheren Umständen der vom
Zeugen behaupteten Auftragserteilung - immerhin der zentralen Tathandlung
der Angeklagten. Insoweit lassen die Urteilsgründe insbesondere Angaben zu
Ort, Tageszeit sowie Art und Weise des Kontakts vermissen.
II. Die Urteilsformel gibt im übrigen Anlaß zu dem Hinweis, daß sich die
Kennzeichnung der Tat im Tenor als gemeinschaftlich erübrigt (BGHSt 27, 287,
289).
Tolksdorf Miebach Winkler
von Lienen Becker