Urteil des BGH vom 15.11.2007

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 34/06
vom
15. November 2007
in dem Insolvenzverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 850 Abs. 3 lit. b
Private Versicherungsrenten von selbständig oder freiberuflich tätig gewesenen Per-
sonen genießen nicht den Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen.
InsO § 36 Abs. 4 Satz 1, ZPO § 765a
Über einen Vollstreckungsschutzantrag hat im Rahmen der ihm übertragenen Zu-
ständigkeiten das Insolvenzgericht anstelle des Vollstreckungsgerichts zu entschei-
den.
BGH, Beschluss vom 15. November 2007 - IX ZB 34/06 - LG Traunstein
AG Laufen
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Fischer und die Richter Dr. Ganter, Dr. Kayser, Prof. Dr. Gehrlein und Vill
am 15. November 2007
beschlossen:
Dem Schuldner wird gegen die Versäumung der Frist zur Einle-
gung und Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand gewährt.
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer
des Landgerichts Traunstein vom 1. März 2005 wird auf Kosten
des Schuldners zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert wird auf 3.202,54 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Durch Beschluss vom 27. April 2004 eröffnete das Amtsgericht Traun-
stein das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners und bestellte
den weiteren Beteiligten zum Insolvenzverwalter.
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Der Schuldner, der eine selbständige Berufstätigkeit ausübte, schloss im
Jahre 2002 eine private Rentenversicherung ab, aus der ihm bei regelmäßiger
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Beitragszahlung ab dem 1. Dezember 2010 monatliche Rentenzahlungen in
Höhe von 143,40 € zufließen würden. Der weitere Beteiligte hat die private Ren-
tenversicherung gekündigt und den Rückkaufswert in Höhe von 3.202,54 € zur
Insolvenzmasse gezogen. Abgesehen von einer monatlichen Rente der Bun-
desversicherungsanstalt für Angestellte in Höhe von 224,51 € verfügt der
Schuldner über kein weiteres Vermögen.
Auf Antrag des Schuldners hat das Amtsgericht - Vollstreckungsgericht -
in Anwendung von § 765a ZPO festgestellt, dass die Rentenversicherung nicht
zur Insolvenzmasse gehört und der Beteiligte verpflichtet ist, die Kündigung der
Rentenversicherung rückgängig zu machen. Auf die sofortige Beschwerde des
Beteiligten hat das Landgericht den Beschluss des Amtsgerichts aufgehoben
und die Anträge des Schuldners zurückgewiesen. Mit der zugelassenen
Rechtsbeschwerde begehrt der Schuldner, die Entscheidung des Amtsgerichts
wiederherzustellen.
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II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und
auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO).
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1. Die Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechts-
beschwerde führt nicht zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels, weil dem Schuld-
ner Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist (§§ 233, 234
Abs. 2, § 575 ZPO).
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Die Fristversäumung ist unverschuldet (§ 233 ZPO), weil der Schuldner
wegen seiner Mittellosigkeit außerstande war, durch die Beauftragung eines
beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalts die Einlegungs- und Be-
gründungsfrist einzuhalten. Die Wiedereinsetzungsfrist ist gewahrt: Nach Zu-
stellung des Senatsbeschlusses über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe
am 28. Februar 2006 hat der Schuldner die Rechtsbeschwerde innerhalb der
Monatsfrist des § 234 Abs. 1 ZPO am 6. März 2006 eingelegt und begründet.
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2. Arbeitseinkommen kann, wie der Verweisung des § 36 Abs. 1 Satz 2
InsO auf §§ 850 ff ZPO zu entnehmen ist, nur in Höhe des pfändbaren Teils zur
Insolvenzmasse gezogen werden. Die Entscheidung von Streitfällen über die
Reichweite der Pfändbarkeit ist gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 InsO dem Insolvenz-
gericht als besonderem Vollstreckungsgericht vorbehalten. Darum richtet sich
der Rechtsmittelzug in diesen Fällen nicht nach der Insolvenzordnung, sondern
nach den allgemeinen vollstreckungsrechtlichen Vorschriften. Die Rechtsbe-
schwerde ist danach zulässig, weil sie von dem Beschwerdegericht in seiner
Entscheidung über die sofortige Beschwerde des Schuldners (§ 793 ZPO) zu-
gelassen wurde (BGH, Beschl. v. 5. April 2006 - IX ZB 169/04, ZVI 2007, 78;
BGH, Beschl. v. 12. Januar 2006 - IX ZB 239/04, ZIP 2006, 340).
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III.
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet, weil die Rentenbezüge des
Schuldners nicht als Arbeitseinkommen im Sinne des § 850 Abs. 3 lit. b ZPO
anzusehen sind und darum mangels eines denkbaren Pfändungsschutzes in
vollem Umfang dem Insolvenzbeschlag unterliegen (§ 36 Abs. 1 Satz 2 InsO).
Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen der Vordergerichte kann
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dem Schuldner nicht gemäß § 765a ZPO Vollstreckungsschutz gewährt wer-
den.
1. Die angefochtene Entscheidung leidet nicht an einem durchgreifenden
Verfahrensfehler.
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Wegen des engen Sachzusammenhangs ist die Zuständigkeit des Insol-
venzgerichts nach § 36 Abs. 4 Satz 1 InsO auch gegeben, soweit der Schuldner
über den geltend gemachten Pfändungsschutz hinaus einen Vollstreckungs-
schutzantrag gestellt hat. Im Rahmen der ihm gesetzlich übertragenen Zustän-
digkeiten hat stets das Insolvenzgericht anstelle des Vollstreckungsgerichts
(§ 765a ZPO) über einen Vollstreckungsschutzantrag zu entscheiden (vgl.
BGH, Urt. v. 6. Juni 1977 - III ZR 53/75, MDR 1978, 37 f; Stein/Jonas/
Münzberg, ZPO 22. Aufl. § 765a Rn. 19). Dass im Streitfall anstelle des Insol-
venzgerichts unter Verletzung des § 36 Abs. 4 Satz 1 InsO das Vollstreckungs-
gericht über die Anträge des Schuldners entschieden hat, ist unschädlich, weil
auch die Beachtung der funktionellen Zuständigkeit (BGH, Beschl. v. 26. Juni
2003 - III ZR 91/03, NJW 2003, 2917; BGH, Beschl. v. 27. September 2007
- IX ZB 16/06 Tz. 4 zur Veröffentlichung bestimmt) der Prüfung des Rechtsbe-
schwerdegerichts entzogen ist (§ 576 Abs. 2 ZPO).
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2. Das Landgericht hat gemeint, die von dem Schuldner begründete pri-
vate Rentenversicherung sei nicht durch § 850 Abs. 3 lit. b ZPO geschützt, weil
diese Vorschrift auf Selbständige nicht anwendbar sei. Lediglich Versicherungs-
leistungen, die in Rentenform gewährt würden und der Versorgung nach dem
Ausscheiden aus einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis dienten, seien "Ar-
beitseinkommen" gleichgestellt. Fortlaufende Einkünfte freiberuflich Tätiger,
Selbständiger oder überhaupt nicht berufstätiger Personen stellten dagegen
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kein Arbeitseinkommen im Sinne des § 850 Abs. 3 lit. b ZPO dar. Der Schuld-
ner könne sich nicht auf Vollstreckungsschutz berufen, weil die auf die Einzel-
zwangsvollstreckung zugeschnittene Vorschrift des § 765a ZPO im Insolvenz-
verfahren unanwendbar sei. Da das Schuldnervermögen zum Zwecke der Ge-
samtvollstreckung zugunsten aller Gläubiger erfasst werde, sei für eine Abwä-
gung individueller Gläubiger- und Schuldnerinteressen kein Raum.
3. Zutreffend hat das Beschwerdegericht angenommen, dass die Ren-
tenbezüge des Schuldners nicht als Arbeitseinkommen im Sinne des § 850
Abs. 3 lit. b ZPO zu bewerten sind.
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a) Der Grundsatz des § 35 InsO, wonach das gesamte Vermögen des
Schuldners in die Insolvenzmasse fällt, findet in § 36 InsO eine Einschränkung.
Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung ausgesetzt sind, gehören ge-
mäß § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht zur Insolvenzmasse. Außerdem unterwirft
§ 36 Abs. 1 Satz 2 InsO Arbeitseinkommen nur in den Grenzen der Pfändbar-
keit dem Insolvenzbeschlag, so dass der gemäß §§ 850 ff ZPO unpfändbare
Teil des Arbeitseinkommens nicht Bestandteil der Insolvenzmasse wird. Wäre
die von dem Schuldner bezogene Rente als Arbeitseinkommen zu qualifizieren,
könnte sich die Insolvenzmasse mit Rücksicht auf einen etwaigen Pfändungs-
schutz verringern. In Rechtsprechung und Schrifttum wird die danach streitent-
scheidende Frage, ob private Versicherungsrenten von - wie im Fall des
Schuldners - selbständig oder freiberuflich tätig gewesenen Personen nach
§ 850 Abs. 3 lit. b ZPO Arbeitseinkommen darstellen und ihnen infolge dieser
Einordnung Pfändungsschutz zukommt, kontrovers beurteilt.
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Überwiegend wird angenommen, dass Versorgungsrenten von Versiche-
rungsnehmern, die einen selbständigen Beruf ausgeübt haben, nicht als Ar-
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beitseinkommen im Sinne des § 850 Abs. 3 lit. b zu verstehen sind (OLG Frank-
furt/Main VersR 1996, 614; LG Frankfurt/Oder Rpfleger 2002, 322 f; LG Braun-
schweig NJW-RR 1998, 1690; Stöber, Forderungspfändung 14. Aufl. Rn. 892;
MünchKomm-ZPO/Smid, 3. Aufl. § 850 Rn. 39 ff; Musielak/Becker, ZPO 5. Aufl.
§ 850 Rn. 13; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO 65. Aufl. § 850 Rn. 14;
Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO 28. Aufl.
§ 850
Rn. 9;
Hk-ZPO/
Kemper, 2. Aufl. § 850 Rn. 17; Walker in Schuschke/Walker, Vollstreckung und
vorläufiger Rechtsschutz Bd. I 3. Aufl. § 850 Rn. 16; Berner Rpfleger 1957, 193,
197). Nach der auch von der Rechtsbeschwerde vertretenen Gegenansicht, die
den Beschäftigungsstatus des Versicherungsnehmers als nachrangig ansieht
und aus sozialen Erwägungen den Versorgungscharakter der Leistungen in den
Vordergrund rückt, sind auch Versicherungsrenten früherer Freiberufler den in
§
850 Abs.
3 lit.
b genannten Bezügen gleichzustellen (Stein/
Jonas/Brehm, ZPO 22. Aufl. § 850 Rn. 48; Wieczorek/Lüke, ZPO 3. Aufl. § 850
Rn.
71; Boewer/Bommermann, Lohnpfändung und Lohnabtretung 1987
Rn. 394; Bock/Speck, Einkommenspfändung 1964 S. 54; Walter, Lohnpfän-
dungsrecht 3. Aufl. S. 71; v. Gleichenstein ZVI 2004, 149, 152 f). Der Senat
schließt sich der zuerst genannten Auffassung an.
b) Wortlaut und Systematik des § 850 ZPO bringen zweifelsfrei zum
Ausdruck, dass nur auf Versicherungsverträgen beruhende Rentenbezüge von
Beamten und Arbeitnehmern durch § 850 Abs. 3 lit. b ZPO dem unter ein-
schränkenden Voraussetzungen pfändbaren Arbeitseinkommen gleichgestellt
sind.
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aa) Pfändungsschutz sieht § 850 Abs. 1 ZPO nach Maßgabe der
§§ 850a ff ZPO nur für Arbeitseinkommen vor. Dazu gehören nach der Legalde-
finition des § 850 Abs. 2 ZPO einmal die Dienst- und Versorgungsbezüge der
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Beamten, zum anderen Arbeits-, und Dienstlöhne, Ruhegelder und ähnliche
nach dem Ausscheiden aus dem Dienst- oder Arbeitsverhältnis gewährte fort-
laufende Einkünfte, ferner Hinterbliebenenbezüge und schließlich sonstige Ver-
gütungen für Dienstleistungen aller Art, die die Erwerbstätigkeit des Schuldners
vollständig oder zu einem wesentlichen Teil in Anspruch nehmen. Neben den
aktiven Einkünften der Beamten und Arbeitnehmer erstreckt § 850 Abs. 2 ZPO
den Pfändungsschutz auf deren Versorgungsbezüge und Ruhegelder, die - je
nach Status des Versorgungsberechtigten - gegen den Dienstherrn oder den
Arbeitgeber gerichtet sind. Versorgungsrenten werden von dem Pfändungs-
schutz folgerichtig nur erfasst, soweit sie auf einem früheren Dienst- oder Ar-
beitsverhältnis beruhen (Hk-ZPO/Kemper, aaO § 850 Rn. 6). Zwar erstreckt
§ 850 Abs. 2, letzter Halbsatz ZPO den Pfändungsschutz auf gewisse wieder-
kehrende Vergütungen einen selbständigen Beruf ausübender Personen (vgl.
etwa BGHZ 96, 324). Da Selbständige entsprechend ihrem rechtlichen Status
weder bei einem Dienstherrn noch einem Arbeitgeber Rentenansprüche erwer-
ben können, ist zu ihren Gunsten im Rahmen des § 850 Abs. 2 ZPO für einen
Pfändungsschutz von Renten von vornherein kein Raum. Mithin ist es rechts-
systematisch gerechtfertigt, als "Arbeitseinkommen" im engeren Sinn nur die
Einkünfte der Beamten und Arbeitnehmer zu bezeichnen (Tho-
mas/Putzo/Hüßtege, aaO § 850 Rn. 6 und 7 jeweils am Anfang).
bb) In Anknüpfung an den Schutzzweck des § 850 Abs. 2 ZPO, der Ver-
sorgungsbezüge der Beamten und Ruhegelder der Arbeitnehmer dem Ar-
beitseinkommen zuordnet, gewährt § 850 Abs. 3 lit. b ZPO abhängig Beschäf-
tigten, die eine versicherungsrechtliche Altersvorsorge für sich oder ihre Ange-
hörigen begründet haben, ebenfalls Vollstreckungsschutz. Ein Arbeitnehmer,
der anstelle eines betrieblichen Ruhegeldes oder in Ergänzung hierzu Versiche-
rungsleistungen bezieht, soll - wie das Beschwerdegericht zutreffend ausführt -
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in gleicher Weise vor dem Gläubigerzugriff geschützt sein wie ein Schuldner,
der etwa aus einer Betriebsrente über ausreichende arbeitsrechtliche Versor-
gungsbezüge verfügt. Unter den Schutz der Vorschrift fallen nach dem eindeu-
tigen Sinnzusammenhang ausschließlich solche privaten Renten, die ein Ruhe-
gehalt oder eine Hinterbliebenenversorgung nach Art des § 850 Abs. 2 ZPO
ersetzen. Da § 850 Abs. 2 ZPO lediglich Renten und Ruhegelder aus einem
abhängigen Beschäftigungsverhältnis schützt, muss es sich im Rahmen des
§ 850 Abs. 3 lit. b ZPO um Versicherungsleistungen handeln, die aus Anlass
des Ausscheidens aus einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis begründet werden
(Musielak/Becker, aaO; Stöber, aaO; Thomas/Putzo/Hüßtege, aaO § 850 Rn. 9;
Hk-ZPO/Kemper, aaO § 850 Rn. 17; Berner aaO).
cc) Vor diesem Hintergrund können nur Versicherungsrenten solcher
Personen, die bei Abschluss des Versicherungsvertrages entweder Beamte
oder Arbeitnehmer waren oder in einem arbeitnehmerähnlichen Beschäfti-
gungsverhältnis standen, Arbeitseinkommen gleichgestellt werden (OLG Frank-
furt VersR 1996, 614). Fortlaufende Renteneinkünfte freiberuflich oder über-
haupt nicht berufstätig gewesener Personen sind demgegenüber kein Ar-
beitseinkommen im Sinne des § 850 Abs. 3 lit. b ZPO (LG Braunschweig
NJW-RR 1998, 1690). Mit der Einführung des nunmehr privaten Altersrenten
beruflich selbständiger Personen Pfändungsschutz zuerkennenden - vorliegend
bereits mangels eines darauf zugeschnittenen Sachvortrags des Schuldners
unanwendbaren - § 851c ZPO durch das Gesetz zum Pfändungsschutz der Al-
tersvorsorge vom 26. März 2007 (BGBl. I S. 368) hat der Gesetzgeber zum
Ausdruck gebracht (BT-Drucks. 16/886 S. 7), dass Altersrenten dieses Perso-
nenkreises nach dem Regelungsinhalt des § 850 Abs. 3 lit. b ZPO kein Ar-
beitseinkommen bilden und darum nach dieser Vorschrift keinen Pfändungs-
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schutz genießen. Die von dem Schuldner als Selbständigem erworbenen Ren-
tenansprüche sind folglich nicht durch § 850 Abs. 3 lit. b ZPO geschützt.
c) Diese rechtliche Würdigung steht in Einklang mit dem Gleichheits-
grundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem aus Art. 20 Abs. 1 GG
folgenden Sozialstaatsprinzip.
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Die mit § 850 Abs. 3 lit. b ZPO verbundene Ungleichbehandlung von
Selbständigen im Verhältnis zu Personen, die als Beamte oder Arbeitnehmer
berufstätig gewesenen sind, beruht auf der in Ansehung des Art. 3 Abs. 1 GG
gerechtfertigten sozialpolitischen Erwägung, Pfändungsschutz nur abhängig
Beschäftigten zu gewähren. Zwar mag - wie der Gesetzgeber im Zusammen-
hang mit der Einführung des § 851c ZPO zum Ausdruck gebracht hat - die
Überlegung, dass Selbständigen aufgrund einer gehobenen sozialen Stellung
eine höhere Verantwortlichkeit und Mündigkeit zukomme, für sich genommen
nicht mehr allein geeignet sein, die unterschiedliche Behandlung zu rechtferti-
gen (BT-Drucks 16/886 S. 7). Immerhin sprechen in Übereinstimmung mit dem
Bundesfinanzhof (BFH, Urt. v. 12. Juni 1991 - VII R 54/90, NJW 1992, 527)
- der sich mit der Pfändung einer Kapitallebensversicherung befasst hat - eine
Reihe weiterer Gesichtspunkte für die Verfassungsmäßigkeit der bisherigen
gesetzlichen Regelung: Einmal erscheinen Selbständige auch heute noch in
geringerem Maße schutzbedürftig, weil die mit der Ausübung ihrer Tätigkeit re-
gelmäßig verknüpften höheren Erwerbschancen auch eine weitergehende voll-
streckungsrechtliche Inanspruchnahme nahe legen. Zum anderen steht es
Selbständigen frei (§ 7 SGB VI), durch Eintritt in die gesetzliche Rentenversi-
cherung mit Pfändungsschutz ausgestattete (§ 54 Abs. 4 SGB I, §§ 850 ff ZPO)
Versorgungsbezüge (vgl. BGH, Beschl. v. 25. August 2004 - IXa ZB 271/03,
NJW 2004, 3771) zu erwerben. Der Gesetzgeber ist darum nicht gehalten, jede
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zulässige eigenverantwortliche Gestaltung der Altersvorsorge vollstreckungs-
rechtlich gleich zu behandeln.
4. Die Streitfrage, ob und inwieweit § 765a ZPO aufgrund der Verwei-
sung des § 4 InsO im eröffneten Insolvenzverfahren anwendbar ist (vgl. Münch-
Komm-InsO/Ganter, 2. Aufl. § 4 Rn. 34 mit weiteren Nachweisen in Fn. 92),
kann in vorliegender Sache dahingestellt bleiben. Die Anwendung der Vorschrift
ermöglicht jedenfalls nicht, der Masse kraft Gesetzes (§§ 35, 36 InsO) aus-
drücklich zugewiesene Vermögenswerte wieder zu entziehen. Der Schuldner
hat die mit der Insolvenz typischerweise verbundene Gesamtvollstreckung sei-
nes Vermögens hinzunehmen. Im Übrigen begründet die Pfändung von Ein-
künften, die nicht nach den Bestimmungen der §§ 850 ff ZPO unpfändbar sind,
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grundsätzlich keine sittenwidrige Härte im Sinne von § 765a ZPO; dies selbst
dann nicht, wenn dies dazu führt, dass der Schuldner Sozialhilfe zur Sicherung
des Lebensunterhalts in Anspruch nehmen muss (BGHZ 161, 371, 374).
Fischer Ganter Kayser
Gehrlein Vill
Vorinstanzen:
AG Laufen, Entscheidung vom 19.11.2004 - 2 M 893/04 -
LG Traunstein, Entscheidung vom 01.03.2005 - 4 T 4915/04 -