Urteil des BGH vom 14.03.2017

BGH (stgb, einsichtsfähigkeit in das unrecht, opfer, ausgleich, einwilligung des opfers, vereinbarung, 50 jahre, geringes verschulden, blutalkoholkonzentration, strafmilderung)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 73/02
vom
31. Mai 2002
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
29. Mai 2002 in der Sitzung vom 31. Mai 2002, an denen teilgenommen haben:
Vizepräsident des Bundesgerichtshofes
Dr. Jähnke
als Vorsitzender,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Prof. Dr. Fischer,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt in der Verhandlung,
Staatsanwalt bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin in der Verhandlung
und Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Köln vom 30. Oktober 2001 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu
tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tatein-
heit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren
verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und
materiellen Rechts; die unterbliebene Anordnung der Unterbringung in einer
Entziehungsanstalt hat er von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl.
BGHSt 38, 362). Die Revision bleibt ohne Erfolg.
I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte, der
regelmäßig in erheblichen Mengen Alkohol konsumierte, am Tattag nach dem
Abendessen ab 19.00 Uhr 1,5 l Kölsch getrunken, als er sich um etwa 21.00
Uhr mit seinem Freund H. traf. Die beiden begegneten dem spä-
teren Tatopfer Sch. und ihrer Freundin; sie versuchten, die beiden
Mädchen zu überreden, sich ihnen anzuschließen. Im Gegensatz zu ihrer
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Freundin entschloß sich Sch. , die früher einmal mit H.
befreundet gewesen war, den jungen Männern Gesellschaft zu leisten, da der
Angeklagte ihr einredete, sein Freund wolle sich wieder mit ihr versöhnen.
Während man sich unterhielt, teilten die beiden Männer sich eine halbe Fla-
sche Wodka. Als der Angeklagte seine Hoffnung auf ein sexuelles Abenteuer
schwinden sah, wollte er von seinem Freund nach Hause gefahren werden. In
der Hoffnung auf Versöhnung mit H. begleitete Sch. die bei-
den. Vor dem Haus des Angeklagten ging die Unterhaltung auf dem Parkplatz
weiter, und der Angeklagte holte aus seiner Wohnung eine Flasche Wein. Die-
se leerte er gemeinsam mit Sch. , welche zwei Gläser trank. Nach-
dem der Angeklagte noch eine Flasche Sekt herbeigebracht hatte, von der die
junge Frau ein Glas und er den Rest konsumierte, wollte Sch. nach
Hause. Der Angeklagte hatte sein Interesse an ihr noch nicht aufgegeben und
erklärte, sie zu begleiten. Trotz seiner Alkoholisierung steuerte der Angeklagte
den Pkw selbst.
An einer Grünfläche hielt er auf einem Parkplatz an und faßte den Ent-
schluß, mit Sch. an Ort und Stelle notfalls auch gegen deren Willen
den Geschlechtsverkehr auszuüben. Er zog die Frau, die sich widersetzte und
vergeblich nach ihrem früheren Freund rief, in das nahegelegene Waldstück.
Um sie zum Schweigen zu bringen, schlug der Angeklagte sie so heftig in das
Gesicht, daß sie einen Schneidezahn verlor. Im Wald stieß er Sch.
zu Boden, so daß sie mit dem Rücken über einem Holzbalken lag, und entklei-
dete sie teilweise. Als sie wiederum um Hilfe schrie, würgte er sie mit beiden
Händen so stark, daß sie kaum noch atmen konnte, und drehte ihr Gesicht auf
die Erde, wodurch sie noch weniger Luft bekam. Dabei drohte er ihr, sie zu er-
würgen, wenn sie sich nicht ruhig verhalte. Sch. gab schließlich aus
Furcht jeden weiteren Widerstand auf, und der Angeklagte führte gegen ihren
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Willen ungeschützten Geschlechtsverkehr und Oralverkehr aus. Nachdem er in
die Hand der Zeugin ejakuliert hatte, gingen beide zurück zum Auto. Der Ange-
klagte forderte seinen Freund auf, zu fahren und zunächst Sch.
nach Hause zu bringen, was diese aber nicht wollte. Als der Angeklagte sich
von Sch. verabschiedete, kündigte er an, sie von nun an noch oft zu
besuchen. Zu Hause wusch er sich, machte sich für seine Arbeit als Müllsortie-
rer fertig und ging dieser Tätigkeit, ohne geschlafen zu haben, von 5.30 Uhr bis
10.00 Uhr nach. Übermüdet brach er dann die Arbeit ab.
Sch. erlitt u.a. Würgemale am Hals und leidet seit der Tat
unter Angstzuständen. Sie stimmte einer als "Täter-Opfer-Ausgleich" bezeich-
neten Vereinbarung vom 25./26. Oktober 2001 zu, die der Verteidiger des An-
geklagten und ihr Rechtsanwalt unterzeichneten. Darin verpflichtete sich der
Angeklagte, an die Geschädigte ein Schmerzensgeld in Höhe von 15.000 DM
zu zahlen, die Kosten für das notwendig werdende Zahnimplantat zu überneh-
men sowie die Kosten der Vereinbarung nebst den entstandenen Anwaltsko-
sten zu tragen. Die Vereinbarung enthält ferner einen Passus, wonach der An-
geklagte die Geschädigte um Verzeihung bittet und sie seine Entschuldigung
annimmt. Vor der Hauptverhandlung leistete der Angeklagte eine erste Zahlung
von 10.000 DM, die er durch den Verkauf seines Autos und über Familienan-
gehörige finanzierte. Von diesem Betrag behielt der Rechtsanwalt der Geschä-
digten 2.000 DM für Anwaltskosten ein. Für weitere 5.000 DM und die Zahn-
arztkosten bestehen Zahlungsfrist zum 1. Juli und 31. Dezember 2002.
Die Geschädigte, die ihre Nebenklage vereinbarungsgemäß zurück-
nahm, war zum Abschluß des Vergleichs nur deshalb bereit, weil sie befürch-
tete, ansonsten keinerlei Ersatzleistungen von dem Angeklagten zu erhalten,
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und weil sie - was der Angeklagte wußte - dringend Geld zur Finanzierung des
Zahnimplantats benötigte.
2. Das Landgericht hat angenommen, daß der Angeklagte bei Begehung
der Tat eine Blutalkoholkonzentration von maximal 3,6 %o aufwies und sich
- bei im übrigen voll vorhandener Einsichtsfähigkeit in das Unrecht seines
Tuns - im Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) be-
fand. Die Strafe hat die Kammer dem gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilder-
ten Strafrahmen des § 177 Abs. 2 StGB entnommen; eine weitere Strafmilde-
rung nach §§ 46 a, 49 Abs. 1 StGB hat sie abgelehnt.
II.
Die Revision des Angeklagten war zu verwerfen.
1. Die Verfahrensrügen sind unbegründet.
a) Das Landgericht hat seine Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO)
nicht dadurch verletzt, daß es von weiteren Beweiserhebungen zur Alkoholisie-
rung des Angeklagten abgesehen hat. Eine Vernehmung der Ehefrau des An-
geklagten sowie seines Freundes H. dazu, daß der Angeklagte nicht 1,5 l,
sondern 3 l Kölsch konsumierte und die halbvolle Flasche Wodka allein leerte,
drängte sich nicht auf. Denn diese von dem Angeklagten behaupteten Trink-
mengen hätten im Zusammenwirken mit dem weiteren Konsum von Wein und
Sekt, wie er vom Landgericht festgestellt wurde, zu einer unglaubhaft hohen
Blutalkoholkonzentration von weit über 4 %o zur Tatzeit geführt. Eine solche
war mit dem Leistungsverhalten des Angeklagten unmittelbar vor, während und
nach der Tat nicht vereinbar. Die sachverständig beratene Strafkammer hat
vielmehr - worauf im folgenden noch einzugehen sein wird - in nicht zu bean-
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standender Weise aus diversen Kriterien im Verhalten des Angeklagten den
Schluß gezogen, daß seine Schuldfähigkeit nicht aufgehoben war.
b) Auch ein Verstoß gegen § 261 StPO liegt nicht vor. Durch die nur zum
überwiegenden Teil und nicht in vollem Wortlaut erfolgte Wiedergabe der als
Täter-Opfer-Ausgleich bezeichneten Vereinbarung stellt sich die Beweiswürdi-
gung nicht als lückenhaft oder widersprüchlich dar. Die in der Vereinbarung
enthaltene Erklärung der Geschädigten, sie habe an der Verhängung einer
nicht zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe gegen den Angeklagten kein
Interesse mehr, wird im Urteil zwar nicht ausdrücklich erwähnt. Dies läßt aber
nicht besorgen, die Strafkammer habe den Inhalt der Abrede unvollständig
oder unrichtig gewürdigt. Eine wörtliche Wiedergabe dieses Gesichtspunkts
war nicht zwingend; es kann vielmehr ausgeschlossen werden, daß das Land-
gericht sich damit nicht auseinandergesetzt hat. So wird unter anderem die
Tatsache, daß die Geschädigte ihre Anschlußerklärung zurückgenommen hat,
vom Tatgericht ausdrücklich gewürdigt; dieses Verhalten dokumentiert den
Verzicht auf eine aktive eigene Beteiligung am Prozeß und läßt bereits auf ge-
ringeres Strafverfolgungsinteresse schließen.
2. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat keinen durch-
greifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
a) Der Schuldspruch hält materiellrechtlicher Überprüfung stand.
aa) Das Landgericht ist im Ergebnis zu Recht von einer erheblich ver-
minderten Schuldfähigkeit des Angeklagten ausgegangen und hat eine Schul-
dunfähigkeit rechtsfehlerfrei verneint.
Es kann dahinstehen, ob das Landgericht - sachverständig beraten - bei
dem 65 kg schweren Angeklagten zu Recht einen Reduktionsfaktor von 0,8
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angenommen hat. Ein derartiges Abweichen von dem im Regelfall bei Männern
anzusetzenden Faktor von 0,7 kann bei mageren, schmalwüchsigen Personen
in Betracht kommen, da der Reduktionsfaktor von der individuellen körperli-
chen Konstitution, insbesondere vom Fettgewebsanteil, abhängt (vgl. BGHR
StGB § 20 Blutalkoholkonzentration 2; BGH NStZ 1992, 277; Beschl. v. 25. Mai
1993 - 2 StR 153/93; Forster, Praxis der Rechtsmedizin (1986), S. 451; Schütz,
Alkohol im Blut (1983), S. 59). Mangels näherer Angaben zum Körperbau des
Angeklagten, auch seiner Größe, kann der Senat jedoch nicht überprüfen, ob
die zu Ungunsten des Angeklagten erfolgte Abweichung vom Durchschnittswert
berechtigt war.
Dies gefährdet den Bestand des Urteils jedoch letztlich ebensowenig wie
die Tatsache, daß das Landgericht die gebotene Kontrollrechnung zur Über-
prüfung der Trinkmengenangaben (vgl. BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzen-
tration 1, 7, 18; § 20 Blutalkoholkonzentration 19; BGH NStZ-RR 1997, 226;
1998, 359) nicht vorgenommen hat.
Denn der Senat schließt aus, daß das Landgericht bei rechnerischer
Ermittlung anderer Blutalkoholwerte Schuldunfähigkeit des Angeklagten ange-
nommen hätte. Die Strafkammer hat das Verhalten des Angeklagten vor, wäh-
rend und nach der Tat einer Gesamtwürdigung unterzogen und im Rahmen der
tatrichterlichen Beweiswürdigung in nicht zu beanstandender Weise den
Schluß gezogen, daß die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nicht aufgeho-
ben und seine Einsichtsfähigkeit nicht beeinträchtigt war. Rechtsfehlerfrei stellt
das Landgericht im wesentlichen darauf ab, daß der Angeklagte ein zielge-
richtetes und durchdachtes Leistungsverhalten (Autofahren, situationsadäquate
Reaktionen und Gespräche, diverse Sexualpraktiken, anschließendes Arbei-
ten) zeigte und - auch nach seinen eigenen Angaben - keine Ausfallerschei-
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nungen aufwies. Gegenüber diesen aussagekräftigen psychodiagnostischen
Kriterien, einhergehend mit Alkoholgewöhnung und weitgehend erhaltenem
Erinnerungsvermögen des Angeklagten, hat das Landgericht dem Blutalkohol-
wert, der hier lediglich anhand der Trinkmengen über einen Zeitraum von 7 1/2
Stunden ermittelt werden konnte, zu Recht keine ausschlaggebende Beweis-
bedeutung beigemessen (vgl. BGHSt 43, 66; BGH NStZ 1998, 457; Beschl. v.
23. November 2000 - 3 StR 413/00).
bb) Ohne Rechtsfehler hat der Tatrichter eine Strafbarkeit wegen Ver-
gewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung angenommen. Das
Würgen des Tatopfers durch den Angeklagten ist als eine das Leben gefähr-
dende Behandlung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB zu werten.
Festes Würgen am Hals kann geeignet sein, eine Lebensgefährdung
herbeizuführen (vgl. BGH GA 1961, 241). Zwar reicht insoweit nicht jeder Griff
aus, der zu Würgemalen führt, ebensowenig bloße Atemnot (vgl. BGH StV
1993, 26; BGH, Urt. v. 11. April 2000 - 1 StR 55/00); andererseits kann Würgen
bis zur Bewußtlosigkeit oder bis zum Eintritt von Sehstörungen beim Opfer
dessen Leben gefährden (vgl. BGH, Urt. v. 27. September 1995 - 3 StR 324/95;
BGH JZ 1986, 963). Von maßgeblicher Bedeutung sind demnach Dauer und
Stärke der Einwirkung, die abstrakt geeignet sein muß, das Leben des Opfers
zu gefährden. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB setzt nicht voraus, daß das Opfer tat-
sächlich in Lebensgefahr geraten ist. Nach den vom Landgericht festgestellten
Gesamtumständen gingen die von dem Angeklagten vorgenommenen Würge-
griffe über ein nur kurzzeitiges Zudrücken mit vorübergehender Luftnot weit
hinaus und waren nach Art und Umfang abstrakt geeignet, bei der Geschädig-
ten eine Lebensgefährdung herbeizuführen. Daß der Angeklagte in subjektiver
Hinsicht die Umstände erkannt hatte, aus denen sich die Lebensgefährlichkeit
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seines Tuns ergab (vgl. BGH NJW 1990, 3156), wird durch seine Äußerung
belegt, er werde sein Opfer erwürgen, wenn es nicht still sei.
b) Auch der Strafausspruch hält im Ergebnis der rechtlichen Nachprü-
fung stand. Vergeblich wendet sich die Revision gegen die Ablehnung einer
weiteren Strafmilderung gemäß §§ 46 a, 49 Abs. 1 StGB. Auf der Grundlage
der landgerichtlichen Feststellungen waren die Voraussetzungen des § 46 a
Nr. 1 StGB hier im Ergebnis zu verneinen.
Nach § 46 Abs. 2 StGB ist das Nachtatverhalten des Täters, insbeson-
dere sein Bemühen um Wiedergutmachung und das Erstreben eines Aus-
gleichs mit dem Verletzten, bei der Strafzumessung zu berücksichtigen. Vor
diesem Hintergrund ist aus gesetzessystematischer Sicht davon auszugehen,
daß der vertypte Strafmilderungsgrund des § 46 a StGB an weitergehende
Voraussetzungen geknüpft sein muß (vgl. auch Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl.
§ 46 a Rdn. 4; Schöch in 50 Jahre Bundesgerichtshof - Festgabe aus der Wis-
senschaft, S. 309, 323).
Die Vorschrift des § 46 a Nr. 1 StGB setzt nach ständiger Rechtspre-
chung und nach der gesetzgeberischen Intention einen kommunikativen Pro-
zeß zwischen Täter und Opfer voraus, der auf einen umfassenden Ausgleich
der durch die Straftat verursachten Folgen gerichtet sein muß (vgl. BGHR
StGB § 46 a Wiedergutmachung 1; BT-Drs. 12/6853, S. 21). Dafür ist weder
zwingend die Vermittlung durch einen neutralen Dritten erforderlich (obwohl die
Gesetzesinitiative von einer solchen ausging, vgl. BT-Drs. 12/6853, S. 22),
noch ein - nicht immer ratsamer - persönlicher Kontakt zwischen Täter und
Opfer (vgl. BGH StV 1999, 89, 2001, 448). Unverzichtbar ist jedoch nach dem
Grundgedanken des Täter-Opfer-Ausgleichs eine von beiden Seiten akzep-
tierte, ernsthaft mitgetragene Regelung. An einer solchen fehlt es hier, obwohl
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die von den Anwälten beider Seiten unterzeichnete schriftliche Vereinbarung
rein formal gesehen die Anwendung des § 46 a Nr. 1 StGB indiziert. Das Tat-
gericht, das durch die von den Beteiligten gewählte Bezeichnung der Vereinba-
rung als "Täter-Opfer-Ausgleich" in keiner Weise gebunden war, hat zu Recht
die Gesamtumstände in seine Beurteilung mit einbezogen. Aus diesen ergibt
sich, daß im vorliegenden Fall - wie er sich in der maßgeblichen Hauptver-
handlung darstellte - ein Täter-Opfer-Ausgleich im Sinne dieser Vorschrift nicht
stattgefunden hat.
Mit Einführung des § 46 a StGB durch das Verbrechensbekämpfungsge-
setz sollten die Belange des Opfers in den Mittelpunkt des Interesses gerückt
werden (vgl. Gesetzentwurf zum VerbrBekG, BT-Drs. 12/6853, S. 21; Bericht
des Rechtsausschusses, BT-Drs. 12/8588, S. 4). Bei der Verankerung des Tä-
ter-Opfer-Ausgleichs in Nr. 1 dieser Vorschrift hat sich der Gesetzgeber inhalt-
lich an die Definition des § 10 Abs. 1 Nr. 7 JGG angelehnt und somit den förm-
lichen, tatsächlich praktizierten Täter-Opfer-Ausgleich vor Augen gehabt (vgl.
BT-Drs. 12/6853, S. 21; ebenso König/Seitz NStZ 1995, 1, 2; Kilchling NStZ
1996, 309, 312). Ein erfolgreicher Täter-Opfer-Ausgleich im Sinne des § 46 a
Nr. 1 StGB setzt grundsätzlich voraus, daß das Opfer die Leistungen des Tä-
ters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert. Das ergibt sich aus ratio und
Entstehungsgeschichte dieser Norm. Ob der von § 46 a Nr. 1 StGB ange-
strebte kommunikative Prozeß zu bejahen ist, ist im Einzelfall anhand delikts-
spezifischer Gesichtspunkte zu prüfen. Bei einem schwerwiegenden Sexualde-
likt, wie es hier vorliegt, wird eine entsprechende, zumindest annähernd gelun-
gene Konfliktlösung in der Regel aus tatsächlichen Gründen schwerer erreich-
bar sein (vgl. auch BGH NStZ 1995, 492; StV 2000, 129).
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Hier hat die Geschädigte nach den Feststellungen des Landgerichts die
Vereinbarung nicht als friedensstiftende Konfliktregelung innerlich akzeptiert.
Sie stimmte der Abrede vielmehr nur zu, weil sie befürchtete, ansonsten kei-
nerlei Ersatzleistungen von dem Angeklagten zu erhalten, und weil sie - was
der Angeklagte wußte - dringend Geld benötigte, um das Zahnimplantat finan-
zieren zu können. Da das Tatopfer sich demnach allein aus faktischen Zwän-
gen heraus notgedrungen mit der schriftlichen Vereinbarung einverstanden
erklärte, liegt im Ergebnis ein umfassender Ausgleich der durch die Straftat
verursachten Folgen im Sinne des § 46 a Nr. 1 StGB nicht vor.
Allerdings kann die fehlende Einwilligung des Opfers im Rahmen des
§ 46 a Nr. 1 StGB dann unerheblich sein, wenn der Täter in dem Bemühen,
einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, die Wiedergutmachung der
Tat ernsthaft erstrebt hat. Die Anwendbarkeit des Strafmilderungsgrundes soll
demnach nicht ausschließlich vom Willen des Opfers abhängen; nach der Vor-
stellung des Gesetzgebers sollte dem Täter in den Fällen, in denen eine voll-
ständige Wiedergutmachung nicht möglich wäre, eine realistische Chance ein-
geräumt werden, in den Genuß der Strafmilderung zu gelangen, etwa bei Ver-
weigerung der Mitwirkung durch das Opfer oder bei Eintritt eines hohen Scha-
dens durch relativ geringes Verschulden. Als einschränkendes Kriterium fordert
die Vorschrift aber das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletz-
ten zu erreichen, als Rahmenbedingung (vgl. BT-Drs. 12/6853, S. 21). Das be-
deutet, daß das Bemühen des Täters gerade darauf gerichtet sein muß, zu ei-
nem friedensstiftenden Ausgleich mit dem Verletzten zu gelangen; der Täter
muß demnach in dem ernsthaften Bestreben handeln, das Opfer "zufriedenzu-
stellen". Dies war bei dem Angeklagten nach den Urteilsfeststellungen nicht
der Fall. Er kannte die finanzielle Situation der Geschädigten; ihm war bewußt,
daß sie die schriftliche Vereinbarung nur aus der Not heraus annahm, ohne
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darin tatsächlich eine Konfliktregelung zu sehen. Daß es dem Angeklagten
aber selbst gerade um einen friedensstiftenden Ausgleich ging, ist nicht er-
sichtlich.
Nach alledem mußte bei dieser Sachlage eine Strafmilderung gemäß
§ 46 a Nr. 1 StGB ausscheiden. Die - auch - auf diese Überlegungen gestützte
Ablehnung der §§ 46 a, 49 Abs. 1 StGB erfolgte demnach ohne Rechtsfehler.
Auf den teilweise rechtlich bedenklichen weiteren Erwägungen des Landge-
richts zur Nichtanwendung des § 46 a StGB beruht der Strafausspruch daher
nicht.
Rechtsfehlerfrei und der Gesetzessystematik entsprechend hat das
Landgericht nach Verneinung der Strafmilderung gemäß § 46 a StGB das Ver-
halten des Angeklagten strafmildernd gemäß § 46 Abs. 2 StGB berücksichtigt.
Vizepräsident des Bundes- Otten Rothfuß
gerichtshofs Dr. Jähnke ist
infolge Eintritts in den Ruhestand
an der Unterschrift gehindert.
Otten
Fischer Elf