Urteil des BGH vom 23.11.2006

Kosten der Schutzschrift II Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I ZB 39/06
vom
23. November 2006
in dem Rechtsbeschwerdeverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ
: nein
BGHR
:
ja
Kosten
der
Schutzschrift
II
ZPO § 91 Abs. 1 Satz 1; RVG VV Nr. 3100, 3101
a) Ob Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechts-
verteidigung notwendig waren, beurteilt sich nach einem objektiven
Maßstab. Die durch die Einreichung einer Schutzschrift nach Rück-
nahme des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung entstan-
denen Kosten sind daher auch dann nicht erstattungsfähig, wenn der
Antragsgegner die Antragsrücknahme nicht kannte oder kennen muss-
te.
b) Hat der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners das Geschäft
i.S. von Teil 3 Vorb. 3 Abs. 2 RVG VV bereits vor der Rücknahme des
Verfügungsantrags betrieben, etwa durch Entgegennahme des Auf-
trags sowie erster Informationen, so ist dadurch die 0,8-fache Verfah-
rensgebühr gemäß Nr. 3100, 3101 Nr. 1 RVG VV angefallen.
BGH, Beschl. v. 23. November 2006 - I ZB 39/06 - OLG Frankfurt am Main
LG Frankfurt am Main
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden
Richter Prof. Dr.
Bornkamm und die Richter Dr.
Büscher, Dr.
Schaffert,
Dr. Bergmann und Gröning
am 23. November 2006
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 11. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 23. März 2006 wird
auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert wird auf 1.661,60 € festgesetzt.
Gründe:
I. Zwischen den Parteien waren vor dem Landgericht und dem Oberlan-
desgericht Frankfurt am Main Verfahren anhängig, in denen sie darüber stritten,
ob die Antragstellerin rechtswidrig Betriebsgeheimnisse der Antragsgegnerin
zu 1 verwertet habe. Mit der Begründung, die Antragsgegnerin zu 1 behaupte
gegenüber Abnehmern der Antragstellerin, deren Verurteilung stehe unmittelbar
bevor, beantragte die Antragstellerin am 13. Dezember 2004 den Erlass einer
einstweiligen Verfügung gegen die Antragsgegnerin zu 1 wegen unzulässiger
Abnehmerverwarnung. Gegen die Antragsgegner zu 2 und 3, den Präsidenten
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und den Vizepräsidenten der Antragsgegnerin zu 1, beantragte die Antragstelle-
rin am 17. und am 27. Dezember 2004 gleichlautende einstweilige Verfügun-
gen. Am 21. Dezember 2004 mahnte die Antragstellerin auch den Verfahrens-
bevollmächtigten der Antragsgegner persönlich ab. Am 28. Dezember 2004
forderte die Antragstellerin die Antragsgegner zur Abgabe einer Unterwerfungs-
erklärung bis zum 3. Januar 2005 auf.
Der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegner fragte beim Landge-
richt am 22. Dezember 2004 an, ob Anträge der Antragstellerin auf Erlass einst-
weiliger Verfügungen gegen die Antragsgegnerin zu 1 und ihn persönlich vorlä-
gen. Am 30. Dezember 2004 reichte er beim Landgericht unter Bezugnahme
auf die ihm und den Antragsgegnern gegenüber erklärten Abmahnungen der
Antragstellerin vom 21. und 28. Dezember 2004 eine Schutzschrift namens der
Antragsgegner und im eigenen Namen ein.
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Bereits am 29. Dezember 2004 hatte die Antragstellerin per Telefax-
schreiben den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die An-
tragsgegnerin zu 1 zurückgenommen.
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Nach der Kostenentscheidung in dem Urteil des Landgerichts vom 3. Mai
2005 hat die Antragstellerin die Kosten der Antragsgegnerin zu 1 zu tragen.
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Die Antragsgegnerin zu 1 hat Festsetzung ihrer Kosten in Höhe von
3.914,80 € beantragt. Dabei hat sie neben einer Auslagenpauschale in Höhe
von 20 € gemäß Nr. 7002 RVG VV unter Zugrundelegung eines Streitwerts von
500.000 € eine 1,3-fache Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 RVG VV angesetzt.
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Das Landgericht hat die Festsetzung der Kosten abgelehnt. Ein An-
spruch auf Kostenerstattung für die Einreichung einer Schutzschrift scheide
aus, wenn diese erst nach Rücknahme des Antrags auf Erlass einer einstweili-
gen Verfügung eingehe.
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Das Oberlandesgericht hat auf die sofortige Beschwerde der Antrags-
gegnerin zu 1 dem Erstattungsantrag i. H. von 1.661,60 € nebst Zinsen unter
Zurückweisung der weitergehenden Beschwerde stattgegeben (OLG Frankfurt
OLG-Rep 2006, 793).
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Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde beantragt die Antragstellerin,
den angefochtenen Beschluss aufzuheben, soweit zu ihrem Nachteil erkannt
worden ist, und die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin zu 1 als unzu-
lässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen. Die Antrags-
gegnerin zu 1 beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
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II. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im
Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
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1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, die Antragsgegnerin zu 1
könne für die Einreichung ihrer Schutzschrift Erstattung der Kosten in Höhe ei-
ner 0,8-fachen Gebühr gemäß § 16 Nr. 6 RVG i.V. mit Nr. 3101 Nr. 1 VV aus
einem Streitwert von 250.000 € verlangen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
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Auch wenn eine Schutzschrift erst nach Rücknahme oder Zurückweisung
des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung eingereicht werde, kom-
me eine Erstattung in Betracht, wenn der Antragsgegner die Schutzschrift in
unverschuldeter Unkenntnis der Rücknahme oder Zurückweisung des Verfü-
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gungsantrags vorgelegt habe, nachdem er durch den Antragsteller, etwa durch
Abmahnung, zu seiner Rechtsverteidigung veranlasst worden sei.
Im vorliegenden Fall sei die Antragsgegnerin zu 1 durch die Antragstelle-
rin abgemahnt und dadurch zu möglichen Rechtsverteidigungsmaßnahmen
veranlasst worden. Die Einreichung der Schutzschrift sei danach eine gebotene
Verteidigungsmaßnahme gewesen. Die Antragsgegnerin zu 1 habe bei Einrei-
chung der Schutzschrift von der Rücknahme des Eilantrags nicht wissen kön-
nen, zumal sie erst am 28. Dezember 2004 unter Fristsetzung zum 3. Januar
2005 zur Abgabe einer Unterwerfungserklärung aufgefordert worden sei. Unter
diesen Umständen seien die Kosten für die Einreichung der Schutzschrift auch
dann erstattungsfähig, wenn diese erst (einen Tag) nach Rücknahme des Eilan-
trags bei Gericht eingehe. Allerdings stehe der Antragsgegnerin zu 1 nicht eine
1,3-fache Verfahrensgebühr aus einem Streitwert von 500.000 €, sondern nur
eine 0,8-fache Gebühr aus einem Streitwert von 250.000 € zu.
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2. Das Beschwerdegericht ist mit Recht davon ausgegangen, dass die
sofortige Beschwerde namens der Antragsgegnerin zu 1 und nicht im Namen
ihres Verfahrensbevollmächtigten eingelegt worden ist. Dies ergibt sich hinrei-
chend deutlich aus der Beschwerdebegründung, mit der beanstandet worden
ist, das Landgericht habe übersehen, dass die Kosten der Antragsgegnerin zu 1
erstattungsfähig seien, und Festsetzung der Kosten für die Antragsgegnerin
zu 1 beantragt wird.
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3. Im Ergebnis zu Recht hat das Beschwerdegericht einen Anspruch der
Antragsgegnerin zu 1 auf Erstattung von Anwaltskosten in Höhe einer 0,8-
fachen Gebühr gemäß Nr. 3101 Nr. 1 RVG VV aus einem Streitwert von
250.000 € bejaht.
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a) Gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat die unterliegende Partei oder im
Falle der Antrags- oder Klagerücknahme der Antragsteller oder Kläger (§ 269
Abs. 3 Satz 2 ZPO) dem Gegner die diesem erwachsenen Kosten zu erstatten,
soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung not-
wendig waren. Die Kosten einer Schutzschrift zur Verteidigung gegen einen
Antrag auf einstweilige Verfügung sind grundsätzlich erstattungsfähig, wenn ein
entsprechender Antrag gestellt wird; dies gilt auch dann, wenn der Antrag nach
Einreichung der Schutzschrift abgelehnt oder zurückgenommen wird (BGH,
Beschl. v. 13.2.2003 - I ZB 23/02, GRUR 2003, 456 = WRP 2003, 516 - Kosten
der Schutzschrift I).
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Die Frage, ob die Kosten für die Einreichung einer Schutzschrift auch
dann erstattungsfähig sind, wenn diese erst nach Rücknahme oder Zurückwei-
sung des Verfügungsantrags bei Gericht eingeht, ist in Rechtsprechung und
Literatur umstritten. Überwiegend wird die Ansicht vertreten, eine Kostenerstat-
tung scheide in diesem Falle aus (vgl. OLG Hamburg JurBüro 1990, 732; OLG
Karlsruhe WRP 1981, 39; OLG Köln JurBüro 1981, 1827; Ahrens/Spätgens,
Der Wettbewerbsprozess, 5. Aufl., Kap. 6 Rdn. 37; Fezer/Büscher, UWG, § 12
Rdn. 94; Köhler in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 24. Aufl.,
§ 12 UWG Rdn. 3.41; Piper in Piper/Ohly, UWG, 4. Aufl., § 12 Rdn. 133;
Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 9. Aufl., Kap. 55
Rdn. 58; Zöller/Herget, ZPO, 26. Aufl., § 91 Rdn. 13 "Schutzschrift"; Deutsch,
GRUR 1990, 327, 331). Nach anderer Auffassung sind dem Antragsgegner die
Kosten jedenfalls dann zu erstatten, wenn er die Schutzschrift in unverschulde-
ter Unkenntnis der Rücknahme oder der Zurückweisung des Verfügungsantrags
vorgelegt hat (vgl. OLG Köln JurBüro 1991, 930; KG JurBüro 1993, 486; Berne-
ke, Die einstweilige Verfügung in Wettbewerbssachen, 2. Aufl., Rdn. 391;
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Mümmler, JurBüro 1993, 487). Der Senat folgt der Auffassung, nach der die
Einreichung einer Schutzschrift nach Rücknahme des Antrags auf Erlass einer
einstweiligen Verfügung die prozessuale Kostenerstattungspflicht nicht auslöst.
Notwendig i.S. des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO sind die Kosten nur für sol-
che Maßnahmen, die im Zeitpunkt ihrer Vornahme objektiv erforderlich und ge-
eignet zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung erscheinen (vgl. RGZ 32,
387, 388
f.; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 65.
Aufl., §
91
Rdn. 29; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 27. Aufl., § 91 Rdn. 9; Stein/Jonas/
Bork, ZPO, 22. Aufl., § 91 Rdn. 48; Musielak/Wolst, ZPO, 5. Aufl., § 91 Rdn. 8).
Die Einreichung einer Schutzschrift nach Rücknahme des Antrags auf Erlass
einer einstweiligen Verfügung ist als solche keine zur Rechtsverteidigung objek-
tiv erforderliche Maßnahme. Auf die (verschuldete oder unverschuldete) Un-
kenntnis des Antragsgegners von der Antragsrücknahme kommt es nicht an;
diese kann die Erstattungsfähigkeit der Kosten für eine objektiv nicht erforderli-
che Handlung nicht begründen (vgl. Stein/Jonas/Bork aaO § 91 Rdn. 48
m.w.N.). Dafür spricht auch, dass bei der Prüfung der Notwendigkeit einer be-
stimmten Maßnahme der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung im Kosten-
festsetzungsverfahren, das auf eine formale Prüfung der Kostentatbestände
und auf die Klärung einfacher Rechtsfragen des Kostenrechts zugeschnitten ist,
eine typisierende Betrachtungsweise geboten ist und es nicht sinnvoll erscheint,
dieses Verfahren durch eine übermäßige Differenzierung der Voraussetzungen
für die Erstattungsfähigkeit zu belasten (vgl. BGH, Beschl. v. 9.9.2004
- I ZB 5/04, GRUR 2005, 84, 85 = WRP 2004, 1492 - Unterbevollmächtigter II;
Beschl. v. 23.3.2006 - V ZB 189/05, NJW 2006, 1962). Die Frage, ob dem An-
tragsgegner in einem solchen Fall ein materiell-rechtlicher Anspruch auf Erstat-
tung der für die Einreichung der Schutzschrift aufgewendeten Kosten zustehen
kann, bleibt davon unberührt.
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b) Gleichwohl hat die Rechtsbeschwerde keinen Erfolg, weil das Be-
schwerdegericht im Ergebnis zu Recht einen Kostenerstattungsanspruch der
Antragsgegnerin zu 1 gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1, § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO be-
jaht hat. Denn die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 RVG VV (früher Prozess-
gebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO) entsteht gemäß Teil 3 Vorb. 3 Abs. 2
RVG VV für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information. Sie
fällt folglich auch dann an, wenn der Verfahrensbevollmächtigte des Antrags-
gegners das Geschäft bereits vor der Rücknahme des Verfügungsantrags be-
trieben hat. Hierfür kann schon die Entgegennahme des Auftrags sowie erster
Informationen genügen (vgl. OLG Hamburg MDR 1998, 561). Jede Geschäfts-
tätigkeit des Verfahrensbevollmächtigten für das Verfahren, selbst wenn sie
nicht dem Gericht gegenüber erfolgt, bringt die Verfahrensgebühr gemäß
Nr. 3100, 3101 RVG VV zum Entstehen (vgl. OLG Hamm AnwBl. 2005, 587;
Hartmann, Kostengesetze, 36. Aufl., RVG VV 3100 Rdn. 13; Mayer in Mayer/
Kroiß, RVG, 2. Aufl., Vorb. 3 Teil 3 Rdn. 19 ff.; Müller-Rabe in Gerold/Schmidt/
v. Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 16. Aufl., VV Vorb. 3 Rdn. 29; AnwK-RVG/
Onderka/N. Schneider, 3. Aufl., VV, Vorb. 3 Rdn. 28/29).
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Im vorliegenden Fall ist die Schutzschrift zwar erst am 30. Dezember
2004 mit einem auf denselben Tag datierten Schriftsatz eingereicht worden,
also nach Antragsrücknahme. Der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgeg-
nerin zu 1 hatte jedoch bereits am 22. Dezember 2004 mit einem Schriftsatz
vom selben Tage beim Landgericht um Mitteilung gebeten, ob (unter anderem)
gegen die Antragsgegnerin zu 1 ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfü-
gung eingereicht worden sei. Am 28. Dezember 2004 wurde die Antragsgegne-
rin zu 1 von der Antragstellerin zur Abgabe einer Unterwerfungserklärung auf-
gefordert. Eine Kopie dieser Aufforderung wurde ihrem Verfahrensbevollmäch-
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tigten zugesandt. Danach kann nicht zweifelhaft sein, dass der Verfahrensbe-
vollmächtigte der Antragsgegnerin zu 1 aufgrund eines ihm von dieser erteilten
Auftrags schon vor der Rücknahme des Verfügungsantrags am 29. Dezember
2004 das Geschäft i.S. von Teil 3 Vorb. 3 Abs. 2 RVG VV betrieben hat und
damit jedenfalls die - vom Beschwerdegericht angesetzte - 0,8-fache Verfah-
rensgebühr gemäß Nr. 3101 Nr. 1 RVG VV aus einem Streitwert von 250.000 €
angefallen ist.
III. Danach ist die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin mit der Kosten-
folge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
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Bornkamm
Büscher
Schaffert
Bergmann
Gröning
Vorinstanzen:
LG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 18.08.2005 - 2/3 O 708/04 -
OLG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 23.03.2006 - 11 W 5/06 -