Urteil des BGH vom 08.10.2013

BGH: einstellung des verfahrens, wiederaufnahme des verfahrens, anstiftung, erpressung, bedrohung, herausgabe, anklageschrift, form, tresor, entziehen

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 339/13
vom
8. Oktober 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Anstiftung zu einer schweren räuberischen Erpressung
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts und des Beschwerdeführers am 8. Oktober 2013 gemäß § 206a
Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-
gerichts Essen vom 4. April 2013 aufgehoben; das Verfahren
wird eingestellt.
2. Die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten ent-
standenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu
tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Anstiftung zur schweren
räuberischen Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt;
ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt
und den Vorwegvollzug von einem Jahr der Freiheitsstrafe vor der Maßregel
angeordnet. Gegen das Urteil richtet sich die auf eine Verfahrens- und die
Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel führt zur Ein-
stellung des Verfahrens, weil das Landgericht die Tat nach § 154 Abs. 2 StPO
eingestellt, sie anschließend aber gleichwohl abgeurteilt hat.
1. In der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift
wird dem Angeklagten Anstiftung zur schweren räuberischen Erpressung in
Tateinheit mit Bedrohung zur Last gelegt. Er soll in der Nacht zum 11. Oktober
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2012 gegen 2.00 Uhr den gesondert verfolgten D. , der ihm Geld aus
Drogengeschäften schuldete, gedrängt haben, ein Internetcafé in Gelsen-
kirchen zu überfallen. "Andernfalls drohte der Angeschuldigte dem gesondert
verfolgten D.
, ihn oder seinen Bruder 'kalt zu machen'. … Aufgrund der
von dem Angeschuldigten ausgesprochenen Drohungen gegen ihn und seinen
Bruder führte der gesondert verfolgte D. den Überfall aus."
In der Hauptverhandlung vom 4. April 2013 beantragte der Staatsanwalt,
"das Verfahren, soweit es den Vorwurf der Bedrohung betrifft, gemäß § 154
Abs. 2 StPO im Hinblick auf den anderen Tatvorwurf einzustellen." Dem kam
die Strafkammer nach; sie beschloss, dass "das Verfahren …, soweit es den
Vorwurf der Bedrohung betrifft, gemäß § 154 Abs. 2 StPO im Hinblick auf den
Anklagevorwurf eingestellt" wird. Anschließend folgten die Schlussvorträge, das
letzte Wort und die Urteilsverkündung.
In den im Urteil mitgeteilten Feststellungen wird die Drohung des Ange-
klagten nicht mehr erwähnt. Die Strafkammer sieht das Bestimmen im Sinn des
§ 26 StGB darin, dass der Angeklagte den gesondert verfolgten D.
"drängte", das Internetcafé zu überfallen; das dabei erbeutete Geld sollte er
dem Angeklagten aushändigen und im Gegenzug Schuldenfreiheit und weitere
Drogen erlangen (UA S. 9). Bei dem Treffen am 11. Oktober 2012 gegen 2.00
Uhr habe der Angeklagte dem D. unter anderem ein Messer, Kle-
beband und ein CO-Spray zur Tatbegehung ausgehändigt und ihn aufgefordert,
die Gegenstände zur Erzwingung der Herausgabe der Tatbeute und ggf. zur
Fesselung des Ladenangestellten zu benutzen; ferner habe er weitere Einzel-
heiten zu der von ihm geplanten Tatausführung vorgegeben und zugesagt,
dass D. unter anderem die Drogenschulden erlassen werden (UA
S. 10). Hiermit wollte der Angeklagte - so die Strafkammer - den Tatentschluss
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im Zeugen D. hervorrufen, durch Anwendung oder Androhung von Ge-
walt mittels der mitgeführten Waffen gegenüber den im Ladenlokal Anwesen-
den diese zur Herausgabe der im Tresor und in der Kasse befindlichen Gelder
zu nötigen (UA S. 10).
2. Der Verurteilung des Angeklagten wegen Anstiftung zur (besonders)
schweren räuberischen Erpressung steht die Einstellung "der Bedrohung" nach
§ 154 Abs. 2 StPO entgegen. Hierin liegt ein von Amts wegen zu beachtendes
Verfahrenshindernis.
a) Das Absehen von der Verfolgung einer Tat nach § 154 Abs. 1 oder 2
StPO bezieht sich auf die gesamte prozessuale Tat (vgl. etwa BGH, Urteil vom
24. Oktober 1974 - 4 StR 453/74, BGHSt 25, 388, 390; Beulke in Löwe/
Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 154 Rn. 11 jeweils mwN; Meyer-Goßner, StPO,
56. Aufl., § 154 Rn. 1). Sollen abtrennbare Teile einer Tat oder einzelne von
mehreren Gesetzesverletzungen, die durch dieselbe Tat begangen sind, von
der Verfolgung ausgenommen werden, findet - nach dessen Absatz 1 Satz 1 -
§ 154a StPO Anwendung.
Die Tat im prozessualen Sinn ist der geschichtliche - und damit zeitlich
und sachverhaltlich begrenzte - Vorgang, auf welchen Anklage und Eröffnungs-
beschluss hinweisen, und innerhalb dessen der Angeklagte als Täter oder Teil-
nehmer einen Straftatbestand verwirklicht haben soll. Sie beschränkt sich nicht
auf eine konkrete Handlung, sondern erfasst den gesamten Lebenssachverhalt
einschließlich aller damit zusammenhängenden Vorgänge, die für die strafrecht-
liche Beurteilung von Bedeutung sein können, somit das gesamte Verhalten
des Angeklagten, soweit es nach natürlicher Auffassung einen einheitlichen,
inhaltlich zusammenhängenden Lebensvorgang darstellt (vgl. BVerfG, Be-
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schlüsse vom 16. März 2006 - 2 BvR 111/06 [Rn. 7]; vom 16. März 2001
- 2 BvR 65/01 [Rn. 3]; BGH, Urteil vom 18. Dezember 2012 - 1 StR 415/12
[Rn. 36], jeweils mwN).
b) Die Drohung des Angeklagten, den gesondert verfolgten D.
oder dessen Bruder "kalt zu machen", war Teil des geschichtlichen Vorgangs,
innerhalb dessen der Angeklagte den Straftatbestand der Anstiftung zur (be-
sonders) schweren räuberischen Erpressung verwirklicht haben soll und nach
den Feststellungen der Strafkammer - sollte er die Drohung ausgesprochen
haben - verwirklicht hat.
Dies zeigt sich schon darin, dass Anklageschrift und Urteilsfeststellungen
das Bestimmen im Sinn des § 26 StGB allein oder zumindest maßgeblich aus
dem Inhalt des Gesprächs zwischen dem Angeklagten und D. am
11. Oktober 2012 gegen 2.00 Uhr herleiten, innerhalb dessen der Angeklagte
laut Anklage auch die Drohung ausgesprochen haben soll, um D. hier-
durch zur Tatbegehung zu veranlassen. Sämtliche Vorgänge innerhalb dieses
Treffens stehen in einem sachlichen und motivatorischen, aber auch in einem
engen zeitlichen Zusammenhang; sie waren allesamt auf den - kurz darauf
stattfindenden - Überfall auf das Internetcafé gerichtet. Sprechen aber die für
die Bestimmung der Reichweite des Verfahrensgegenstandes maßgeblichen
tatsächlichen Momente des Lebenssachverhalts, wie die hier vorliegenden, für
die Annahme einer einheitlichen prozessualen Tat, kann die Heranziehung
normativer Gesichtspunkte allein nicht dazu führen, entgegen dem sich durch
die faktischen Verhältnisse ergebenden Bild eine einheitliche Tat im Sinn
des § 264 StPO zu verneinen (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 2012
- 1 StR 415/12 [Rn. 38]).
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c) Die Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO durch die Strafkammer führt
auch hier zu einem Verfahrenshindernis, das nur durch eine Wiederaufnahme
durch das Tatgericht beseitigt werden kann.
aa) Mit der Einstellung durch einen Gerichtsbeschluss gemäß § 154
Abs. 2 StPO entsteht ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshin-
dernis; denn das Verfahren ist - soweit es diese Tat betrifft - nach einer
solchen Einstellung nicht mehr anhängig (BGH, Urteil vom 21. Dezember 1956
- 1 StR 337/56, BGHSt 10, 88, 89; Beschluss vom 9. September 1981
- 3 StR 290/81, BGHSt 30, 197, 198). Zur Beseitigung dieses Verfahrenshin-
dernisses ist ein Wiederaufnahmebeschluss gemäß § 154 Abs. 5 StPO erfor-
derlich (BGH, Beschlüsse vom 9. September 1981 - 3 StR 290/81, BGHSt 30,
197, 198; vom 9. November 2011 - 4 StR 300/11). Ist ein solcher Beschluss
nicht ergangen, ist das weitere, also das nach der Einstellung fortgeführte Ver-
fahren einzustellen (BGH, Beschlüsse vom 30. April 1980 - 2 StR 104/80, GA
1981, 36 m. Anm. Rieß; vom 27. April 2000 - 4 StR 85/00; vom 4. Juni 2013
- 4 StR 192/13).
bb) Dies gilt auch, wenn das Gericht - wie naheliegend hier - irrtümlich
nach § 154 Abs. 2 StPO anstatt nach § 154a Abs. 2 StPO verfahren ist.
In Fällen einer fehlerhaften Verfahrensweise nach § 154 Abs. 1 StPO
(anstatt nach § 154a Abs. 1 StPO) durch die Staatsanwaltschaft hat diese
durch eine anschließende Anklageerhebung das Verfahren zumindest konklu-
dent wieder aufgenommen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Januar 2006
- 1 StR 438/05, NStZ-RR 2007, 20; Meyer-Goßner, aaO, § 154 Rn. 21a). Hat
sie nach Anklageerhebung in einem anderen, dieselbe Tat betreffenden Verfah-
ren das bei ihr noch offene Verfahren nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellt, ver-
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mag dies jedenfalls nach Eröffnung des anderen Hauptverfahrens dem Gericht
die Befugnis und Verpflichtung zur Aburteilung der Tat nicht mehr zu entziehen
(vgl. § 156 StPO; ferner BGH, Urteil vom 24. Oktober 1974 - 4 StR 453/74,
BGHSt 25, 388, 390; Beulke, aaO, § 154 Rn. 13, sowie Meyer-Goßner, aaO,
§ 154a Rn. 29; Weßlau in SK-StPO, § 154 Rn. 42).
Hat indes das Gericht den Tatbegriff des § 154 StPO verkannt oder
meint es rechtsfehlerhaft, nach dieser Vorschrift könnte innerhalb einer pro-
zessualen Tat auch die Verfolgung einzelner Straftatbestände ausgeschieden
werden, so ändert dies nichts daran, dass es eine Einstellung nach § 154
Abs. 2 StPO beschließen wollte und beschlossen hat. Auch eine nicht etwa nur
die Form der Entscheidung, sondern bezüglich ihres Inhalts rechtsfehlerhafte
gerichtliche Entscheidung hat aber grundsätzlich bis zu ihrer Korrektur oder
Beseitigung in dem dafür vorgesehenen Verfahren die in ihr angeordneten
oder mit ihr verbundenen Wirkungen (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 1999
- 4 StR 19/99, BGHSt 45, 58, 60 ff.; Meyer-Goßner, aaO, Einl. Rn. 105 ff.).
Auch eine rechtsfehlerhafte Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO lässt daher die
Anhängigkeit der Tat entfallen und kann nur durch Wiederaufnahme des Ver-
fahrens beseitigt werden (vgl. für das noch nicht rechtskräftig abgeschlossene
Verfahren auch Beulke, aaO, § 154 Rn. 13). Eine solche Wiederaufnahme hat
jedoch nicht stattgefunden.
Dass der Strafkammer bei der Beschlussfassung lediglich eine Falsch-
bezeichnung der angewendeten Vorschrift unterlaufen ist (§ 154 Abs. 2 StPO
statt § 154a Abs. 2 StPO), schließt der Senat aus. Hiergegen spricht auch der
ausdrücklich auf § 154 Abs. 2 StPO gerichtete - nicht nur die Zustimmung ge-
mäß § 154a Abs. 2 StPO erklärende - Antrag des Sitzungsvertreters der
Staatsanwaltschaft.
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d) Der Senat kann das Verfahrenshindernis nicht selbst beseitigen. Denn
für die Wiederaufnahme ist das Gericht zuständig, das die Entscheidung aus-
gesprochen hat (BGH, Beschluss vom 30. April 1980 - 2 StR 104/80, GA 1981,
36 m. Anm. Rieß). Für die Wiederaufnahme teilt der Senat - jedenfalls bei Fall-
gestaltungen wie hier - aus den sich aus obigen Ausführungen ergebenden
Gründen nicht die Ansicht, dass insofern die tatsächlich anzuwendenden, nicht
die irrig angewendeten Vorschriften maßgeblich seien (so Meyer-Goßner, aaO,
§ 154a Rn. 29; Weßlau, aaO, § 154 Rn. 42); daher hat die Wiederaufnahme
- ohne dass hierbei die Wiederaufnahmegründe nach § 154 Abs. 3, 4 StPO Be-
deutung erlangen - durch Gerichtsbeschluss nach § 154 Abs. 5 StPO zu erfol-
gen.
Sost-Scheible
Roggenbuck
Cierniak
Mutzbauer
Bender
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