Urteil des BGH vom 13.05.2004

Leitsatzentscheidung

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung: ja
StGB § 266 Abs. 1
1. Investitionsbeihilfen begründen grundsätzlich keine Vermögens-
betreuungspflicht im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB, es sei denn,
der Empfänger hat zugleich über den Subventionszweck hinaus-
gehende Vermögensinteressen des Subventionsgebers zu
beachten.
2. In einem Konzern verletzen die Vorstandsmitglieder der be-
herrschenden Aktiengesellschaft jedenfalls dann ihre Vermögens-
betreuungspflicht gegenüber einer abhängigen GmbH, wenn
deren Vermögenswerte in einem solchen Umfang ungesichert
im Konzern angelegt werden, daß im Fall ihres Verlustes die
Erfüllung von Verbindlichkeiten der Tochtergesellschaft oder
deren Existenz gefährdet wäre.
3. Zur Bestimmung des Schuldumfangs bei Untreue durch existenz-
gefährdenden Eingriff.
BGH, Urteil vom 13. Mai 2004 - LG Bremen
5 StR 73/03 -
5 StR 73/03
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 13. Mai 2004
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen Untreue
- 2 -
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhand-
lung vom 6. und 13. Mai 2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt Prof. Dr. W ,
Rechtsanwalt Dr. G
als Verteidiger des Angeklagten Dr. H ,
Rechtsanwalt Prof. Dr. S
als Verteidiger des Angeklagten Sc ,
Rechtsanwalt J
als Verteidiger des Angeklagten Sm ,
- 3 -
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
am 13. Mai 2004 für Recht erkannt:
I.
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil
des Landgerichts Bremen vom 21. Dezember 2001
mit den Feststellungen aufgehoben.
II.
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das
vorgenannte Urteil im Rechtsfolgenausspruch auf-
gehoben.
III.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Ent-
scheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel,
an eine andere Strafkammer des Landgerichts zu-
rückverwiesen.
– Von Rechts wegen –
G r ü n d e
Das Landgericht hat die drei Angeklagten jeweils wegen gemein-
schaftlicher Untreue in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei
Jahren verurteilt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafen zur Bewährung
- 4 -
ausgesetzt. Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen,
mit denen sie die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügen. Die
Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihren – vom Generalbundesanwalt ver-
tretenen und zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten – Revisionen mit
der Sachrüge allein den Rechtsfolgenausspruch. Alle Rechtsmittel haben
Erfolg.
A.
Das Landgericht hat jeweils ein Vergehen der Untreue darin gesehen,
daß die Angeklagten als Mitglieder des Vorstands der B V V -
AG (BVV AG) Gelder ihrer beiden ostdeutschen Tochtergesellschaften in
den – dann später in Konkurs gefallenen – Konzernverbund überführt haben.
I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts war die B V AG
(BV AG) ein Werftenverbund mit dem Schwerpunkt Schiffbau. Im Jahr 1992
erfolgte eine Umstrukturierung, in deren Gefolge die B V AG ihre
operativen Funktionen aufgab und in die B V V AG umfir-
mierte. Der Angeklagte Dr. H war von 1987 bis zum 15. Novem-
ber 1995 zunächst Vorsitzender des Vorstands der BV AG sowie dann der
BVV AG. Der Angeklagte Sc war als Mitglied des Vorstands der
BVV AG ab Ende 1993 für das Ressort Controlling, der Angeklagte Sm ab
August 1993 als Mitglied des Vorstands der BVV AG für den Bereich Schiff-
bau und später (ab September 1995) auch für den Bereich Finanzen zustän-
dig.
- 5 -
Ab 1991 verhandelte die BV AG mit der Treuhandanstalt über den Er-
werb ostdeutscher Werften. Tatsächlich ging es um zwei Werften aus dem
D M - und Sch . Nach der Privatisierung der
ostdeutschen Werftindustrie sollten aus dem ehemaligen Kombinat die
M W in Wismar (MTW) und die V in Stralsund (VWS)
herausgelöst und an die BV AG veräußert werden. Eigner der beiden Werf-
ten war letztlich – über ein zwischengeschaltetes Konstrukt von Beteili-
gungsgesellschaften – die Treuhandanstalt, der als einer dem Bundesmini-
ster der Finanzen unterstellten Anstalt des öffentlichen Rechts die Aufgabe
zukam, die ostdeutschen Betriebe zu privatisieren.
Der Angeklagte Dr. H war von Anfang an in die Verhand-
lungen mit der Treuhandanstalt einbezogen. Die Treuhandanstalt verfolgte
bei den Privatisierungsverhandlungen das Ziel, Arbeitsplätze zu sichern und
an den Standorten moderne konkurrenzfähige Werften entstehen zu lassen.
Nachdem sich weitere Interessenten zurückgezogen hatten, wurden die Ver-
handlungen über einen Erwerb mit der BV AG intensiviert, wobei auch eine
Reihe externer Berater hinzugezogen wurde. Am 11. August 1992 kam es
dann zum Verkauf der MTW, am 18. Februar 1993 zum Verkauf der VWS.
Beide Ostwerften waren zu diesem Zeitpunkt jeweils als GmbH im Handels-
register eingetragen.
Mit notariell beurkundetem Kauf- und Abtretungsvertrag vom 11. Au-
gust 1992 (KAV) wurden die Geschäftsanteile der MTW an die BV AG über-
tragen. Als Erwerberin übernahm die BV AG dabei eine Garantie, 3110 Ar-
beitsplätze bis 31. Dezember 1995 zu sichern (§ 9.2 KAV) und bis dahin die
Werft nicht stillzulegen (§ 10 KAV). Darüber hinaus sollten näher beschrie-
bene Investitionen im Umfang von etwa 560 Mio. DM in das Anlagevermögen
erfolgen (§ 8 KAV), wobei Modifikationen der geplanten Vorhaben bei Ein-
haltung der Wertgrenze zulässig sein sollten. Die Treuhandanstalt verpflich-
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tete sich in dem Vertrag außer zum Ausgleich von Altkrediten auch zur Zah-
lung eines Gesamtausgleichsbetrages in Höhe von 680 Mio. DM. In dem Ge-
samtausgleichsbetrag war ein Investitionszuschuß in Höhe von 340 Mio. DM
enthalten. Weiterhin sollten durch den – in drei Raten bis Ende 1993 zu
erbringenden – Gesamtausgleichsbetrag drohende Verluste aus laufenden
Geschäften (nicht kostendeckende Schiffbauverträge), die Kosten für einen
als erforderlich angesehenen Personalabbau (Sozialpläne) und für weitere
erwartete Einbußen abgegolten werden (§ 5 KAV).
Mit notariell beurkundetem Kauf- und Übertragungsvertrag (KÜV) vom
18. Februar 1993 erwarben zwei Gesellschaften, an denen die – mittlerweile
umfirmierte – BVV AG maßgeblich beteiligt war, die Geschäftsanteile der
VWS. Auch in diesem Vertrag übernahmen die Erwerber die Garantie für den
Erhalt von mindestens 2200 Arbeitsplätzen (§ 11 KÜV) und sicherten den
Bestand der Werft bis Ende 1997 zu (§ 12.3 KÜV). Die Käufer verpflichteten
sich zu Investitionen bis 2005 in Höhe von insgesamt 640 Mio. DM in das
Anlagevermögen (§ 10.1 KÜV). Daneben sah dieser Vertrag – anders als der
KAV – eine Verpflichtung der Käufer vor, die Volkswerft als eigenes Profit-
center zu führen und die der Volkswerft zugedachten Beihilfen ausschließlich
für diese zu verwenden (§ 12.2 KÜV). Die Treuhandanstalt verpflichtete sich
in der Vereinbarung zu einer Entschuldung von Altkrediten und zur Zahlung
eines Gesamtausgleichsbetrages in Höhe von 585 Mio. DM. Neben einer
Kompensation für drohende Verluste aus laufenden Geschäften und perso-
nellen Umstrukturierungen enthielt dieser Betrag auch einen Investitionszu-
schuß in Höhe von 380 Mio. DM (§ 4 KÜV). Weiterhin begründete der Ver-
trag auch Einstandspflichten der Treuhandanstalt für Forderungen gegen
andere ehemals kombinatsabhängige Unternehmenseinheiten. Im Laufe des
Jahres 1994 erwarb die H H , eine Tochter der BVV AG, 89 % der
Anteile an der VWS; 11 % der Anteile hielt die Stadt Stralsund.
- 7 -
Beide Verträge (KAV und KÜV) sahen einen Genehmigungsvorbehalt
im Hinblick auf die Zustimmung der Europäischen Kommission vor. Diese
legte Wert darauf, daß keine sogenannten Spill over Effekte eintreten wür-
den, sich also die Beihilfeleistungen der Treuhandanstalt nicht zugleich als
Subventionen für die im Westen gelegenen Betriebsstätten der BVV AG
auswirken würden. Um dem Anliegen der Kommission Rechnung zu tragen,
einigte man sich darauf, daß vierteljährlich entsprechende „Spill over Be-
richte“ zu fertigen seien, die zudem von einem Wirtschaftsprüfer einmal jähr-
lich testiert werden mußten. In der Folgezeit wurden entsprechende Berichte
dann auch durch die beiden Ostwerften vorgelegt.
Die BVV AG befand sich – bedingt durch die wirtschaftlichen Schwie-
rigkeiten im Schiffbau – seit 1992 ständig in einer angespannten finanziellen
Situation. Um die Liquiditätsstruktur innerhalb des Konzerns zu optimieren,
war ein zentrales Cash-Management-System in der Planung. Dadurch sollten
zunächst Finanzüberhänge innerhalb des Konzerns genutzt und so die Auf-
nahme von Bankkrediten reduziert werden. Aufgrund eines Vorstandsbe-
schlusses im Herbst 1992 wurde ein zentrales automatisches Cash-
Management für sämtliche Tochtergesellschaften eingeführt. Dieses richtete
die BVV AG aufgrund eines auch mit der Commerzbank als Hausbank ge-
schlossenen Vertrages im Herbst 1993 zunächst nur unter den westdeut-
schen Tochterunternehmen ein, während die MTW und VWS nicht einbezo-
gen waren. Danach wurde bei der BVV AG ein Zielkonto gebildet, auf das
von den Konten der Tochterunternehmen Guthaben automatisch abgebucht
wurden. Gleichzeitig erfolgte von dem Zielkonto ein Ausgleich entsprechen-
der Debetsalden der Tochterunternehmen.
Die beiden Ostwerften verfügten auch aufgrund der erhaltenen Lei-
stungen über erhebliche Liquiditätsreserven. Zunächst wurden freie Gelder
der MTW als Festgeldanlage an den Treasury der BVV AG ausgereicht. Die
- 8 -
Treuhandanstalt, die von der Anlage dieser Gelder im Treasury Kenntnis er-
langt hatte, stimmte der Ausleihung der Gelder unter der Bedingung zu, daß
ihre jederzeitige Rückzahlbarkeit gesichert sein mußte. Die Gelder wurden
zum 31. März 1994 vereinbarungsgemäß zurückgeführt. Gleiches gilt auch
für eine – wesentlich geringere – Anlage der VWS im Treasury.
Das Jahr 1993 hatte den höchsten Verlust der Konzerngeschichte er-
bracht; die Banken kürzten die Kreditlinien. Im Verlauf des Jahres 1994 wur-
de die Liquidität im Konzern zunehmend schwächer. Bereits am 5. April 1994
überwies die MTW 70 Mio. DM, am 8. April 1994 weitere 40 Mio. DM als
Festgeld an die BVV AG. Nach der Freigabe eines erheblichen Betrages
durch die EU-Kommission legte die MTW im Mai 1994 zusätzlich
220 Mio. DM bei der BVV AG an.
Nachdem sich eine zunächst ins Auge gefaßte Kapitalerhöhung nicht
realisieren ließ, beschloß der Vorstand in seiner Sitzung Mitte Juli 1994 ein
Sanierungskonzept, das auch die Veräußerung von Firmenanteilen vorsah.
Im Zusammenhang mit der Neuordnung der Finanzplanung sollten nun die
bislang hiervon ausgenommenen Ostwerften in das automatische Cash-
Management-System einbezogen werden. Nach internen Unstimmigkeiten
innerhalb der Konzernführung wies schließlich der Vorstand der BVV AG die
MTW an, sich an dem Cash-Management-System zu beteiligen. Daraufhin
kam es im September 1994 zu einer Vereinbarung, welche die MTW ver-
pflichtete, freie Mittel auf das bei der Commerzbank geführte Konto zu über-
tragen, über das automatisch eine Saldenkonzentration innerhalb des Kon-
zerns bewirkt wurde. Von Seiten der VWS wurde zunächst hinhaltender Wi-
derstand gegen eine Einbeziehung in das Cash-Management-System gelei-
stet. Aufgrund einer Gesellschafterweisung trat schließlich auch die VWS
dem Cash-Management-System bei.
- 9 -
Nach anfänglichen Erfolgen bei der finanziellen Konsolidierung des
Gesamtkonzerns gab es im Verlauf des Jahres 1995 weitere Rückschläge
wegen Forderungsausfällen und der nicht kostendeckenden Fertigstellung
von Schiffbauvorhaben. Die Sanierungsvorhaben scheiterten ebenso wie die
in Aussicht genommene Veräußerung von steuerlichen Verlustvorträgen in
der Gesamthöhe von etwa 3 Mrd. DM. Den Angeklagten war die sich ver-
schärfende wirtschaftliche Situation und insbesondere die dramatische Liqui-
ditätslage bekannt. Dies war Gegenstand einer Vorstandssitzung am 7. Au-
gust 1995, die – unter Einbeziehung des Aufsichtsrats – in der Folgezeit zu
Bemühungen führte, weitere Kredite zu erlangen. Ende August 1995 kam es
zur Vereinbarung eines Konsortialkredits in Höhe von insgesamt
300 Mio. DM, an dem mehrere Banken beteiligt waren. Als Sicherheiten wur-
den die wesentlichen im Konzern noch vorhandenen freien Vermögenswerte
verpfändet. Die VWS nahm dabei auf Geheiß der Konzernmutter aus dem
Gesamtkredit ein Teildarlehen in Höhe von 68 Mio. DM auf.
In seiner Sitzung im September 1995 billigte der Aufsichtsrat die Kre-
ditaufnahme. Zugleich entband er auf dessen Anerbieten den Angeklagten
Dr. H von seinem Amt als Vorstandsvorsitzender, wobei dieser
das Amt kommissarisch weiterführen sollte, bis ein Nachfolger gefunden sei.
Trotz des Konsortialkredits kam es im Herbst 1995 zu einer weiteren
Verschlechterung der Liquiditätssituation der BVV AG. Diese wurde unter
anderem auch durch negative Meldungen in den Medien über die Finanzsi-
tuation des Gesamtkonzerns ausgelöst, weil nunmehr etliche Zulieferer nur
noch gegen Vorkasse lieferten. Noch im Oktober 1995 wurden von der EU-
Kommission aus dem Gesamtausgleichsbetrag 194 Mio. DM freigegeben,
die auf Konten der MTW ausgezahlt wurden und sofort in das Cash-
Management-System einflossen. Zugleich nahm die MTW auf Veranlassung
- 10 -
der Konzernleitung einen sogenannten Bauzeitenkredit in Höhe von
80 Mio. DM auf.
Der Aufsichtsrat beschloß aufgrund der anhaltenden schwierigen fi-
nanziellen Situation in seiner Sitzung vom 15. November 1995 die sofortige
Entbindung des Angeklagten Dr. H von seinen Pflichten als Vor-
standsvorsitzender und übertrug zugleich diese Funktion dem Angeklagten
Sm . Ende 1995 kam es durch die Commerzbank und das Land Bremen zu
einer neuerlichen Kreditvergabe von über 384 Mio. DM. Im Dezember 1995
traten erneut Liquiditätslücken auf. Schließlich verschärfte sich die Situation
im Januar 1996 drastisch. Eine Sanierung kam nicht mehr zustande. Am
21. Februar 1996 wurde für die BVV AG ein Vergleichsantrag gestellt. Am
1. Mai 1996 kam es durch das Amtsgericht Bremen zur Eröffnung des An-
schlußkonkursverfahrens.
Im Februar 1996 waren Gelder der Ostwerften in erheblichem Umfang
im Gesamtkonzern angelegt oder – als Transferleistungen im Cash-
Management-System – von anderen Tochterunternehmen beansprucht. So
flossen bei der MTW insgesamt etwa 590 Mio. DM auf diese Weise ab; bei
der VWS, die bis zum 31. Dezember 1995 nur noch das Cash-Management-
System bediente und keine Festgeldanlagen mehr unterhielt, betrug dieser
Betrag etwa 260 Mio. DM. Anfang 1996 schieden die beiden Ostwerften aus
dem Cash-Management-System aus. Bemühungen der aus der Treuhand-
anstalt hervorgegangenen Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Son-
deraufgaben (BvS), die Festgeldanlagen zurückzuerlangen, scheiterten
ebenso wie die Versuche, die Einlagen im Cash-Management-System nach-
träglich besichern zu lassen. Die Ausfälle von MTW und VWS wurden im
Konkurs der BVV AG zur Konkurstabelle anerkannt.
- 11 -
II.
Das Landgericht hat in dem Verhalten der Angeklagten jeweils eine
Untreue zum Nachteil der beiden Ostwerften gesehen. Nach Auffassung des
Landgerichts traf die Angeklagten als Organe der Muttergesellschaft (§ 14
Abs. 1 Nr. 1 StGB) eine Vermögensbetreuungspflicht hinsichtlich des Ver-
mögens der beiden Tochtergesellschaften. Aus dem Gesamtzusammenhang
der vertraglichen Regelungen, die durch massive Unterstützungsleistungen
der Treuhandanstalt geprägt seien, ergebe sich, daß die Angeklagten als
Organe der Muttergesellschaft sämtliche Vermögenswerte der Ostwerften in
diesen Unternehmen hätten belassen müssen. Indem den Ostwerften die
finanziellen Mittel durch die Anlage im Treasury entzogen worden seien,
hätten die Angeklagten gegen diese Pflicht verstoßen. Dabei soll es nach
Meinung des Landgerichts nicht darauf ankommen, ob diese Finanzmittel
aus den Gesamtausgleichsbeträgen oder dem übrigen Vermögen der Werf-
ten stammen. Die Pflichtverletzung der Angeklagten sei darin zu sehen, daß
Vermögenswerte der Ostwerften ungesichert angelegt worden seien. Späte-
stens ab 30. Juni 1994 seien die Gelder der Ostwerften nicht mehr gesichert
gewesen. Jedenfalls ab diesem Zeitpunkt liege ein Nachteil im Sinne einer
schadensgleichen Vermögensgefährdung vor. Diese Gefährdung habe sich
bis zum Konkurs der Muttergesellschaft weiter vertieft, in dem die Tochterge-
sellschaften nur noch auf eine Konkursquote in Höhe von 5 % hoffen könn-
ten.
Hilfsweise stützt das Landgericht seine Verurteilung auf die Vermö-
gensbetreuungspflicht des beherrschenden Unternehmens. Es nimmt dabei
Bezug auf ein im Laufe der Hauptverhandlung ergangenes Urteil des II. Zivil-
senats des Bundesgerichtshofs (Urt. vom 17. September 2001 – II ZR
178/99), der in dem Zivilverfahren – nur MTW betreffend – eine Haftung von
Vorstandsmitgliedern nach § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 266 StGB unter dem
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Gesichtspunkt des existenzvernichtenden Eingriffs dem Grunde nach für
möglich erachtet hat (teilweise abgedruckt in BGHZ 149, 10 ff.).
Das Landgericht hat bei sämtlichen Angeklagten für jede der beiden
Taten zu Lasten der MTW und der VWS eine Freiheitsstrafe von einem Jahr
und neun Monaten verhängt. Aus diesen Einzelstrafen hat es jeweils auf-
grund des sehr engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs eine Ge-
samtfreiheitsstrafe von zwei Jahren gebildet und die Vollstreckung der Frei-
heitsstrafe bei sämtlichen Angeklagten zur Bewährung ausgesetzt.
B.
Die Revisionen der Angeklagten führen zur Aufhebung des landge-
richtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
Die auf den Strafausspruch beschränkten Rechtsmittel der Staatsanwalt-
schaft haben ebenfalls Erfolg.
I.
Das landgerichtliche Urteil ist auf die Sachrügen der Angeklagten auf-
zuheben, weil die getroffenen Feststellungen die Verurteilungen wegen Un-
treue nicht tragen. Die Annahme der Strafkammer, die Verträge über den
Kauf der Ostwerften begründeten eine Vermögensbetreuungspflicht der An-
geklagten im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB, begegnet durchgreifenden recht-
lichen Bedenken.
1. Eine Vermögensbetreuungspflicht setzt voraus, daß die Angeklag-
ten als Organe der BVV AG aufgrund der jeweiligen Verträge über den Un-
ternehmenskauf der Ostwerften (KAV und KÜV) zur Wahrung von deren
Vermögensinteressen verpflichtet waren. Das Landgericht ist durch Ausle-
- 13 -
gung der beiden Verträge zu der Auffassung gelangt, diese begründeten ein
Verbot, Vermögenswerte der Ostwerften an die Muttergesellschaft zu über-
tragen. Dieses Ergebnis hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Sei-
ne durch Würdigung der vorhandenen Beweismittel gewonnene Überzeu-
gung hat das Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen. Es kann eine sol-
che Entscheidung nur auf Rechtsfehler überprüfen, insbesondere darauf, ob
die Beweiswürdigung in sich widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, die
Beweismittel nicht ausschöpft oder Verstöße gegen Denk- oder Erfahrungs-
sätze aufweist (st. Rspr.; vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; BGH
NStZ-RR 2000, 171; BGH NStZ 2001, 491, 492; 2002, 48). Die Auslegung
von Verträgen ist ein wertender Akt, weil sie unterschiedliche Aspekte in ei-
ner richterlichen Feststellung zusammenführt. Deshalb gelten die vorge-
nannten Grundsätze ebenso für die Würdigung von Erklärungen, Verträgen
oder Urkunden durch den Tatrichter. Auch insoweit beschränkt sich die revi-
sionsrichterliche Kontrolle auf die Prüfung, ob ein Verstoß gegen Sprach-
und Denkgesetze, Erfahrungssätze oder allgemeine Auslegungsregeln vor-
liegt (BGH NJW 2003, 1821; vgl. auch BGHSt 37, 55, 61; 21, 371, 372).
Bei Anwendung dieser Maßstäbe ergibt sich folgendes: Das Landge-
richt berücksichtigt weder zureichend die Rechtslage innerhalb des Konzerns
noch entspricht das Ergebnis der allgemein anerkannten Auslegungsregel
einer nach beiden Seiten hin interessengerechten Auslegung, durch die eine
Abrede auf einen vertretbaren Sinngehalt zurückzuführen ist (vgl. BGHZ 131,
136, 138).
aa) Das Landgericht hat sich insbesondere nicht ausreichend mit den
gesellschaftsrechtlichen Grundlagen auseinandergesetzt. Der Alleingesell-
schafter oder einverständlich handelnde Gesellschafter sind nämlich grund-
- 14 -
sätzlich berechtigt, auch formlos der Tochtergesellschaft Vermögenswerte zu
entziehen. Die Gesellschaft hat gegenüber ihren Gesellschaftern keinen An-
spruch auf Gewährleistung ihres Bestands. Die Gesellschafter können die
Existenz der Gesellschaft – sei es im Rahmen einer freiwilligen Liquidation,
sei es im Rahmen eines Insolvenzverfahrens – beenden (BGHZ 151, 181,
186).
Dieses prägende Prinzip, daß es der Konzernmutter – unter noch zu
erörternden Einschränkungen – jedenfalls im Grundsatz möglich sein muß,
der Gesellschaft Vermögenswerte zu entziehen, hat der Tatrichter bei seiner
Auslegung nicht hinreichend bedacht. Ungeachtet der Frage, ob eine vom
Landgericht angenommene umfassende Bindung sämtlicher Vermögens-
werte der Ostwerften überhaupt zulässig sein könnte, hat es dabei ersichtlich
übersehen, daß es sich bei der Auslegung der Verträge vom aufgezeigten
gesetzlichen Leitbild entfernt hat.
bb) Daneben läßt die Auslegung des Landgerichts vertragliche Einzel-
abreden außer Betracht. Beide Veräußerungsverträge enthielten Regelungen
über ein Gewinnbezugsrecht, das mit Wirksamkeit der Anteilsabtretung ab
1. Januar 1992 (§ 2.2 KAV) bzw. ab 1. Januar 1993 (§ 1.4 und § 1.5 KÜV)
der Käuferin zustehen sollte. Ein solches ausdrücklich vereinbartes Gewinn-
bezugsrecht ist mit dem vom Landgericht angenommenen Grundgedanken,
sämtliche Vermögenswerte der Ostwerften sollten auch dort verbleiben, nicht
vereinbar. Das den Erwerbern zustehende Gewinnbezugsrecht weist viel-
mehr darauf hin, daß ihnen – und letztlich damit der BVV AG als Konzern-
mutter – die notwendige unternehmerische Freiheit zugestanden werden
sollte, die für die reale Wahrnehmung einer Gewinnchance erforderlich war.
Der notwendige wirtschaftliche Entscheidungsspielraum umfaßte dabei auch
das Finanzmanagement des Gesamtkonzerns, das – jedenfalls idealty-
- 15 -
pisch – für sämtliche Beteiligte zunächst nur Zins- bzw. Liquiditätsvorteile
hätte erbringen können.
Hierfür sprechen im übrigen auch weitere – vom Landgericht nicht er-
örterte – Vertragsbestimmungen in den beiden Erwerbsverträgen. Die Ver-
äußerung der beiden Ostwerften an einen relativ großen Konzern, dessen
Tätigkeitsschwerpunkt im Bereich des Schiffbaus lag, erfolgte auch vor dem
Hintergrund, Synergieeffekte zu nutzen. Dieser Gesichtspunkt, formuliert als
Verpflichtung der BVV AG, alle Synergieeffekte zu nutzen, kommt in beiden
Verträgen (§ 10.1 KAV; § 12.1 KÜV) eindeutig zum Ausdruck. Daß vom Wil-
len der Vertragsparteien dabei auch Geldanlagen umfaßt waren, zeigt im
übrigen die nachfolgende Entwicklung. Die BvS hatte Kenntnis sowohl von
den Geldanlagen als auch von der späteren Einbeziehung der Ostwerften in
das Cash-Management-System. Sie hatte hiergegen nur unter dem Ge-
sichtspunkt einer möglichen Gefährdung der Anlagen Bedenken, nicht jedoch
gegen den Transfer der Gelder an sich. Nur hierauf kann es aber für die Fra-
ge der Vertragsauslegung ankommen. Wenn die BvS prinzipiell eine Verla-
gerung von Vermögenswerten für zulässig hielt, dann spricht dies dafür, daß
durch den Vertrag eine solche Praxis nicht generell ausgeschlossen sein
sollte; denn die Praxis der Vertragsdurchführung bildet ein gewichtiges Krite-
rium für die Auslegung des Vertrages (vgl. BGH NJW 2003, 1821, 1822;
NJW 1988, 2878, 2879 m.w.N.).
cc) Das Landgericht mißt im Rahmen der Vertragsauslegung den von
den Erwerbern übernommenen Pflichten einen nicht mehr interessenge-
rechten Bedeutungsgehalt zu. Sämtliche von der BVV AG bzw. ihren zwi-
schengeschalteten Töchtern übernommenen Sonderpflichten (Fortführungs-
pflicht, Arbeitsplatzgarantie und Investitionsverpflichtung) sind umsetzbar,
ohne daß damit eine völlige Bindung des Vermögens der Ostwerften verbun-
den sein müßte. Zwar sind diese Sonderpflichten vorrangig, weil Konzernin-
- 16 -
teressen niemals geeignet sein können, die Verletzung vertraglicher Pflichten
im Außenverhältnis zu rechtfertigen. Dies erschöpft jedoch die im Rahmen
der Vertragsauslegung zu beachtende Bewertung der gegenseitigen Interes-
sen nicht. Ein vom Landgericht angenommenes Verbot des Transfers von
Vermögenswerten der Ostwerften ist nämlich keine zwangsläufige Notwen-
digkeit, um die Erfüllung dieser Pflichten sicherzustellen. Auch hier gilt viel-
mehr, daß der jeweilige Vertragspartner eigenverantwortlich zu entscheiden
hat, wie er diese Pflichten erfüllt. Eine Vertragsauslegung, die das Interesse
auch der Erwerberseite angemessen berücksichtigt, dürfte deshalb die un-
ternehmerische Freiheit des Erwerbers nicht weiter einschränken, als dies
durch die Art der vertraglichen Pflichten unumgänglich ist.
dd) Schließlich führen auch die Vereinbarungen im Zusammenhang
mit der Vorlage der „Spill over Berichte“ nicht zu einer anderen Betrachtung.
Dabei kann der Senat dahinstehen lassen, ob diese Abreden – weil sie je-
denfalls von Seiten der BVV AG ohne Anerkennung einer Rechtspflicht je-
weils erstellt wurden – überhaupt geeignet waren, die vertraglichen Vereinba-
rungen zu modifizieren. Die „Spill over Berichte“ bezogen sich nämlich allein
auf die von der Treuhandanstalt bzw. ihrer Rechtsnachfolgerin BvS erbrach-
ten Leistungen, die im Ergebnis Subventionen waren. Selbst wenn man in-
soweit von einer vertraglichen Verpflichtung ausginge, diese Leistungen nur
zugunsten der Ostwerften zu verwenden, könnte dies nicht die wesentlich
weitergehende Vermögensbindung, von der das Landgericht ausgeht, recht-
fertigen. Entgegen der Auffassung des Landgerichts sind nämlich – allein
schon durch die betragsmäßige Festlegung – Subventionsleistungen und
sonstige Vermögenswerte der Ostwerften ohne weiteres trennbar. Wieso
dann für die letztgenannten Vermögenswerte ebenfalls ein unbedingtes
Transferverbot gelten soll, ist nicht nachvollziehbar. Dies zeigt im übrigen
auch die vertragliche Regelung des § 12.2 KÜV. Diese Vorschrift schreibt
lediglich fest, daß die Investitionsbeihilfen ausschließlich für die VWS ver-
- 17 -
wendet werden müssen. Diese vertragliche Regelung, die vor dem Hinter-
grund der zu diesem Zeitpunkt schon bekannten Bedenken der Europäi-
schen Kommission zu möglichen Spill over Effekten zu sehen ist, legt viel-
mehr den Gegenschluß nahe, daß andere Vermögenswerte an die in den
alten Bundesländern gelegenen Konzernteile überführt werden durften.
b) Das Landgericht kann sich für seine Rechtsauffassung nicht auf das
Urteil des 3. Strafsenats vom 20. Mai 1996 (NJW 1997, 66 ff.) stützen. Zwar
liegt auch jener Entscheidung ein Vertrag über die Veräußerung eines Treu-
handunternehmens zugrunde. Der Bundesgerichtshof findet dort jedoch eine
Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 StGB nicht in einer Ausle-
gung des (vergleichbaren) Erwerbsvertrages, sondern in der dominierenden
Stellung des Alleingesellschafters, der faktisch das erworbene Unternehmen
gelenkt hat.
c) Da sich die vom Landgericht angenommene Vermögensbetreu-
ungspflicht gegenüber den Ostwerften nicht aus den Verträgen herleiten läßt,
entfällt die Grundlage für den Schuldspruch wegen Untreue gemäß § 266
StGB: Das Landgericht hat die Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des
Treubruchtatbestandes (§ 266 Abs. 1 StGB) aus der vertraglichen Pflichten-
bindung hergeleitet. Wenn diese Pflichtenbindung unzutreffend definiert ist,
dann setzt sich dieser Mangel zwingend fort in der Bestimmung der Vermö-
gensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB, die letztlich eine ge-
steigerte Pflichtenbindung aus dem Vertragsverhältnis darstellt (vgl.
BGHSt 28, 20, 23 ff.; Lenckner/Perron in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl.
§ 266 Rdn. 23).
2. Eine Treupflichtverletzung im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB kann
auch anderweitig aus den Regelungen der Erwerbsverträge nicht hergeleitet
werden. Die dort zugesicherten Gesamtausgleichsbeträge (680 Mio. DM
- 18 -
– KAV; 585 Mio. DM – KÜV) stellen gleichfalls kein Treugut im Sinne des §
266 Abs. 1 StGB dar. Hinsichtlich der im KAV oder KÜV vereinbarten Ge-
samtausgleichsbeträge ist nach den unterschiedlichen Leistungsarten zu
differenzieren, die jeweils in einem einheitlichen Gesamtbetrag zusammen-
gefaßt sind.
a) Soweit Teilbeträge einen Ausgleich für drohende Verluste aus ver-
einigungsbedingten Verlustgeschäften oder Aufwendungen aus Sozialplänen
darstellen sollen, kommen die hierfür angesetzten anteiligen Beträge als
Treugut nicht in Betracht. Insoweit bilden diese Beträge einen Ausgleich für
bereits eingetretene oder bevorstehende Vermögenseinbußen. Mit ihrer
Zahlung sollten die Ostwerften auf einen ausgeglichenen Anfangsstatus ge-
bracht werden, um jedenfalls nicht verschuldet auf den Erwerber überzuge-
hen. Daraus wird auch deutlich, daß damit kein Raum für einen treuhänderi-
schen Umgang der Empfänger mit diesen Geldern bestand. Mit dem Eingang
der Zahlung war der eingetretene oder bereits bilanziell eingestellte Verlust
rechnerisch ausgeglichen. Eine irgendwie geartete Sonderverpflichtung an
diesen ins allgemeine Firmenvermögen eingeflossenen Zahlungen ist nicht
erkennbar.
b) Eine privatrechtliche Bindung besteht unzweifelhaft hinsichtlich der
Anteile in dem Gesamtausgleichsbetrag, die als Investitionsbeihilfen ausge-
wiesen sind. Beide Verträge enthalten feste Höchstbeträge für einen Investi-
tionszuschuß (340 Mio. DM – § 5 I.1.h KAV; 380 Mio. DM – § 4.2.6 KÜV).
Diese Zusicherungen waren jeweils an eine Investitionsverpflichtung ins An-
lagevermögen gekoppelt, die in den Anlagen zu beiden Verträgen näher
spezifiziert war. Ihrem Charakter nach waren diese Investitionsbeihilfen Sub-
ventionen, die auszuzahlen waren, soweit die Ostwerften die in den Ver-
tragsanlagen beschriebenen Leistungen erbracht hatten. Die Käufer ver-
pflichteten sich dabei in den Erwerbsverträgen, die Werften zu veranlassen,
- 19 -
den aufgeführten Investitionen nachzukommen. Solche Investitionspflichten,
die mit Förderleistungen bezuschußt werden, stellen zwar zweifelsfrei ver-
tragliche Pflichten dar. Dies bedeutet indes nicht, daß diese bloß vertragli-
chen Pflichten notwendig gleichzeitig eine spezifische Treupflicht im Sinne
des § 266 Abs. 1 StGB beinhalten, die darauf gerichtet sein muß, fremde
Vermögensinteressen wahrzunehmen.
aa) Der Bundesgerichtshof hat eine solche besondere Pflichtenstel-
lung im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB bei Subventionen grundsätzlich ver-
neint. Der Empfänger solcher staatlichen Leistungen nehme durch die Zu-
wendung noch nicht Vermögensinteressen der öffentlichen Hand wahr. Die-
sem fehle im allgemeinen eine besondere, enge Beziehung zu den staatli-
chen Vermögensinteressen. Die Wahrnehmung der Vermögensinteressen
der öffentlichen Hand obliege vielmehr den Amtsträgern oder solchen Perso-
nen, denen der Staat die Zuteilung übertragen hat (BGH LM StGB § 266
Nr. 16; BGHZ 149, 10, 23). Dem letzten Empfänger der staatlichen Gelder
fehle danach diese enge Beziehung zu den staatlichen Vermögensinteres-
sen; deren Wahrung sei für ihn nicht die wesentliche Verpflichtung, die ihm
aus seinem mit dem Staat abgeschlossenen Rechtsgeschäft erwachse, es
sei denn, daß besondere Umstände vorlägen (BGH LM aaO).
Zwar erwägt der II. Zivilsenat hinsichtlich der Investitionsbeihilfen dann
eine gesteigerte Vermögensbetreuungspflicht, wenn die zweckgerichtete
Verwendung der Subventionsmittel die wesentliche Pflicht aus dem mit der
öffentlichen Hand geschlossenen Vertrag ist (BGHZ 149, 10, 24). Danach
soll im Blick auf die besondere Bedeutung des Fortbestands der Werften hier
eine gesteigerte Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 Abs. 1
StGB anzunehmen sein. Dies bleibt im Ergebnis jedoch offen, weil nach der
vertraglichen Ausgestaltung diese Pflicht nicht die BVV AG betraf, sondern
MTW selbst.
- 20 -
bb) Eine Treupflicht im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB liegt bei der hier
gegebenen Sachverhaltskonstellation nicht vor.
(1) Eine Treupflichtverletzung im Sinne des § 266 Abs.1 StGB setzt
regelmäßig ein Rechtsverhältnis voraus, das auf die Betreuung fremder
Vermögensangelegenheiten gerichtet ist (vgl. BGH NJW 1983, 461; BGHR
StGB § 266 Abs. 1 Vermögensbetreuungspflicht 11, 14, 16). Eine solche
Treuebeziehung wird sich prinzipiell bei fremdnützigen Schuldverhältnissen
ergeben. Deshalb wird die Treupflicht auch als „fremdnützig typisiertes
Schuldverhältnis“ verstanden (vgl. Lenckner/Perron in Schönke/Schröder
StGB 26. Aufl. § 266 Rdn. 23a). Es wird sogar verlangt, daß die Treupflicht
eine Art Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat (vgl. BGH GA 1977, 18,
19).
Anders ist es beim Subventionsempfänger. Dieser wird nicht fremd-
nützig tätig. Vielmehr wird nach der Zielsetzung der Subventionsleistung die
eigene Wertschöpfung des Empfängers gefördert. Insoweit nimmt er kein
fremdes, sondern letztlich ein eigenes Geschäft wahr. Damit unterscheidet
sich der Subventionsempfänger grundlegend von der Person des über die
Subventionsgewährung entscheidenden Amtsträgers. Dieser steht nach
ständiger Rechtsprechung in einem Treueverhältnis, weil er über die Mittel-
vergabe als staatliche Aufgabe entscheidet. Deshalb nimmt er – anders als
der Empfänger der Subvention – eine fremde Aufgabe wahr (BGH NJW
2003, 2179; 2001, 2411).
(2) Die vorliegende Sachverhaltsgestaltung legt es auch nicht nahe,
einen besonderen Ausnahmefall anzunehmen, der nach der Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs im Einzelfall eine Vermögensbetreuungspflicht im
Sinne des § 266 Abs. 1 StGB begründen könnte. Da sich die Treupflicht
- 21 -
grundsätzlich auf ein fremdes Geschäft bezieht, kommt bei dem Subventi-
onsempfänger die Annahme einer Treupflicht ausnahmsweise nur dann in
Betracht, wenn er zugleich Vermögensinteressen seines Treugebers zu be-
achten hat (vgl. BGH GA 1977, 18, 19). Dies kann dann der Fall sein, wenn
der Subventionsgeber an dem subventionierten Objekt eigene finanzielle In-
teressen verfolgt, etwa im Sinne einer Beteiligung an dort zu erwartenden
Einnahmen.
Das vom II. Zivilsenat in der genannten Entscheidung in den Vorder-
grund gestellte Wesentlichkeitselement liefe letztlich darauf hinaus, eine
Subvention nach ihrer Größenordnung und wirtschaftlichen Bedeutung zu
beurteilen. Inwieweit ein Subventionsziel aus sozial-, kultur- oder wirtschafts-
politischen Gründen mehr oder weniger bedeutsam ist, erscheint jedoch für
die Frage von untergeordneter Bedeutung, ob die Subventionsgewährung
fremdnützige Elemente aufweist.
Im vorliegenden Fall sind solche Gesichtspunkte auch nicht ersichtlich.
Die Förderung der Ostwerften erfolgte allein aus wirtschafts- und strukturpo-
litischen Überlegungen, was sich schon daraus ergibt, daß die Gewinnbe-
zugsrechte ausschließlich den Anteilserwerbern zustehen sollten. Ein Inter-
esse an konkreten Investitionsmaßnahmen ist gleichfalls nicht erkennbar.
Zwar sahen § 8.1 KAV und § 10.1 KÜV konkrete Investitionsmaßnahmen
vor. Mit diesen verfolgte die Treuhand aber keine über den allgemeinen Ver-
tragszweck – die Herstellung der Lebensfähigkeit der Werften – hinausge-
hende Ziele. Den Unternehmen war es vielmehr sogar ausdrücklich gestattet,
die in der Anlage vorgesehenen Maßnahmen im Einzelfall auszutauschen
und durch wertmäßig gleichartige zu ersetzen (§ 10.1 KÜV; § 8.1 KAV).
(3) Eine Strafbarkeitslücke entsteht hierdurch nicht. Die zweckwidrige
Verwendung einer Subvention ist pönalisiert durch die Strafbestimmung des
- 22 -
§ 264 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Zwar ist diese Vorschrift erst durch das Gesetz zu
dem Übereinkommen vom 26. Juli 1995 über den Schutz der finanziellen
Interessen der Europäischen Gemeinschaften (EG-Finanzschutzgesetz
– EGFinSchG) vom 10. September 1998 (BGBl II 2322) am 22. Septem-
ber 1998 in Kraft getreten und erfaßt mithin die hier zu beurteilenden Tat-
handlungen nicht mehr. Die Gesetzesnovellierung offenbart jedoch, daß der
Gesetzgeber – vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs – eine zweckwidrige Verwendung von Subventionslei-
stungen grundsätzlich nicht als Untreue gemäß § 266 StGB angesehen hat.
Anderenfalls hätte es einer Neuregelung nicht bedurft (vgl. BT-Drucks.
13/10425, S. 6).
3. Nach den bislang getroffenen Feststellungen des Landgerichts
kommt allerdings in Betracht, daß eine Strafbarkeit wegen Untreue gemäß
§ 266 Abs. 1 StGB unter dem Gesichtspunkt eines existenzgefährdenden
Eingriffs gegeben sein könnte.
a) Den Angeklagten als Organen (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB) der Allein-
gesellschafterin BVV AG kann nämlich gegenüber dem beherrschten Unter-
nehmen insoweit eine Treupflicht zukommen, als sie dem beherrschten Un-
ternehmen nicht Vermögenswerte in einem Umfang entziehen durften, wel-
cher die Existenzfähigkeit des Unternehmens gefährdete.
aa) Allerdings können der Gesellschaft mit Zustimmung sämtlicher
Gesellschafter grundsätzlich Vermögenswerte entzogen werden, weil die
Gesellschaft gegenüber ihren Gesellschaftern keinen Anspruch auf ihren un-
geschmälerten Bestand hat. Deshalb sind solche Verfügungen, die in Über-
einstimmung mit dem Vermögensinhaber erfolgen, grundsätzlich nicht
pflichtwidrig im Sinne des § 266 Abs. 1 StGB (vgl. BGHZ 151, 181, 186 f.;
BGH wistra 2003, 344, 346 f.; NJW 2003, 2996, 2998). In der zivil- wie auch
- 23 -
strafgerichtlichen Rechtsprechung ist jedoch anerkannt, daß es Fallkonstel-
lationen gibt, in denen der Geschäftsführer als der für das Vermögen einer
Gesellschaft Treupflichtige seine Pflichten nach § 266 Abs. 1 StGB auch
dann verletzt, wenn er mit Zustimmung sämtlicher Gesellschafter handelt.
Insoweit gibt es einen Bereich, der einer Dispositionsmöglichkeit der Gesell-
schafter entzogen ist, weil Interessen anderer oder öffentliche Interessen
berührt sind.
Der Zweck einer Kapitalgesellschaft erschöpft sich nämlich nicht in ei-
ner bloßen Vermögensanlage für die Gesellschafter. Jedenfalls wenn die
Gesellschaft eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit aufgenommen hat, handelt
sie unter eigener Rechtspersönlichkeit als Wirtschaftssubjekt im Geschäfts-
verkehr und wird Träger von Rechten und Pflichten. Dies läßt gleichzeitig
Schutzerfordernisse entstehen, die sicherstellen, daß die Gesellschaft die
Essentialien einhält, die für das Funktionieren des Wirtschaftskreislaufs un-
erläßlich sind und auf die der Rechtsverkehr vertrauen können muß. Dem-
entsprechend hat die Rechtsprechung eine Vermögensverfügung dann ge-
genüber der Gesellschaft als treuwidrig und wirkungslos angesehen, wenn
die Verfügung geeignet ist, das Stammkapital der Gesellschaft zu beein-
trächtigen (BGHSt 35, 333, 336 f.; BGH NJW 2003, 2996, 2998; 1997, 66,
68 f.; jeweils m.w.N.). Gleiches gilt, wenn durch die Vermögensverfügung
eine konkrete und unmittelbare Existenzgefährdung einträte, weil der GmbH
ihre Produktionsgrundlagen entzogen würden oder ihre Liquidität gefährdet
wäre (BGH aaO; vgl. BGH wistra 2003, 344, 346 f.).
bb) Eine entsprechende Pflicht, die Gesellschaft nicht existenzbedro-
hend zu beeinträchtigen, trifft nicht nur den Geschäftsführer als das vertre-
tungsberechtigte Organ, sondern in gleicher Weise den beherrschenden Al-
leingesellschafter (vgl. BGHZ 149, 10, 17 f.). Den Gesellschaftern steht in-
nerhalb wie außerhalb der Liquidation nur der Zugriff auf den zur Erfüllung
- 24 -
der Gesellschaftsverbindlichkeiten nicht benötigten Überschuß zu. Das Sy-
stem der auf das Gesellschaftsvermögen beschränkten Haftung beruht auf
der unausgesprochenen, für das Recht der Kapitalgesellschaft jedoch
grundlegenden Voraussetzung, daß das Gesellschaftsvermögen das zur Er-
füllung der im Namen der Gesellschaft eingegangenen Verbindlichkeiten be-
nötigt wird, in der Gesellschaft zum Zweck der Befriedigung ihrer Gläubiger
verbleiben muß und damit der – im Recht der GmbH im übrigen sehr weitge-
henden – Dispositionsbefugnis der Gesellschafter entzogen ist (BGHZ 151,
181, 186 f.). Es ist ihnen nicht erlaubt, der Gesellschaft Vermögen zu entzie-
hen, das sie für die Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten benötigt.
cc) Aufgrund dieser Pflichtenstellung der Alleingesellschafterin hat der
II. Zivilsenat in dem parallelen Zivilverfahren eine gegen die Gesellschafterin
persönlich gerichtete Ausfallhaftung unter dem Gesichtspunkt des existenz-
vernichtenden Eingriffs bejaht (vgl. BGHZ 149, 10, 17 f.). Als Alleingesell-
schafterin treffe die BVV AG nämlich die Pflicht, das Vermögen von MTW
insoweit zu betreuen, als sie bei ihren Dispositionen über Vermögenswerte
der MTW durch angemessene Rücksichtnahme auf deren Eigeninteresse an
der Aufrechterhaltung ihrer Fähigkeit, ihren Verbindlichkeiten nachzukom-
men, darauf zu achten hatte, daß sie die Existenz der MTW nicht gefährdete
(BGH aaO). Dabei lehnt sich der II. Zivilsenat an die strafrechtliche Judikatur
(BGHSt 35, 333 = NJW 1989, 112) an, die zu den – oben aufgezeigten –
Grenzen der Verfügungsbefugnis des Gesellschafters entwickelt wurde. Aus
zivilrechtlicher Sicht begründet diese Rechtsprechung eine Ausfallhaftung
des in diesem Sinne rechtswidrig handelnden Alleingesellschafters gegen-
über dem Gläubiger der Gesellschaft; sie greift dabei aber auf die anerkann-
ten Grenzen der Verfügungsbefugnis des Alleingesellschafters zurück. Dies
verdeutlichen auch die später ergangenen Entscheidungen (BGHZ 150,
61 ff.; 151, 181 ff.), in denen das Rechtsinstitut des existenzvernichtenden
Eingriffs weiter entwickelt wurde (vgl. Benecke BB 2003, 1190 ff.).
- 25 -
Soweit dabei in der strafgerichtlichen Entscheidungspraxis der Begriff
des existenzgefährdenden Eingriffs verwandt wird (vgl. BGH wistra 2003,
344, 346; NJW 2003, 2996, 2998), bedeutet dies keinen wesentlichen Unter-
schied in den Anwendungsvoraussetzungen. Die terminologische Abwei-
chung erklärt sich vielmehr daraus, daß für den strafrechtlichen Schadens-
oder Nachteilsbegriff die schadensgleiche Gefährdung ausreicht (vgl. BGHSt
44, 376, 384 ff. m.w.N.), während im Zivilrecht der Gefährdungsgedanke in
diesem Zusammenhang keine Rolle spielt. Hat sich die Gefahr nämlich letzt-
lich dann doch nicht verwirklicht, besteht zivilrechtlich kein ausgleichsfähiger
Schaden.
dd) Jedenfalls bei der hier gegebenen Sachverhaltskonstellation kann
die den Alleingesellschafter gegenüber der Gesellschaft obliegende Pflicht,
ihr das zur Begleichung ihrer Verbindlichkeiten erforderliche Kapital zu be-
lassen, auch eine Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 Abs. 1
StGB darstellen. Der Senat kann dabei offenlassen, ob allein die gebotene
Rücksichtnahme des Alleingesellschafters auf das Eigeninteresse der GmbH
schon für die Erfüllung des Treuebruchtatbestandes ausreichen kann (so
BGHZ 149, 10, 17 f.). Insoweit könnte fraglich sein, inwieweit diese Pflicht
schon die Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen betrifft oder nicht
vielmehr nur die Schranke eigener Dispositionsfreiheit aufzeigt.
Der vorliegende Fall weist nämlich folgende Besonderheit auf, die je-
denfalls eine Vermögensbetreuungspflicht begründete. Die Vermögenswerte
der Ostwerften befanden sich innerhalb des Konzerns. Diese standen ent-
weder als Festgeldanlagen dem Konzern bzw. seinen Tochtergesellschaften
zur Verfügung oder waren in das Cash-Management-System einbezogen,
was materiell die Gewährung eines Darlehens bedeutete (vgl. Burgard, Ge-
sellschaftsrecht in der Diskussion Bd. 6, 2002, S. 48 f.). Damit befanden sich
die Gelder in der ausschließlichen Einflußsphäre des Konzerns. Insoweit war
- 26 -
die BVV AG, die als Alleingesellschafterin über die Gelder nur in den oben
gesteckten Schranken verfügen durfte, rechtlich gehalten, eine andauernde
Sicherung der Gelder zu gewährleisten.
Jedenfalls in dieser Sachverhaltsgestaltung kommt die besondere, auf
die Wahrung fremder Vermögensinteressen gerichtete Betreuungspflicht im
Sinne des § 266 Abs. 1 StGB zum Ausdruck. Zwar ist die Errichtung eines
entsprechenden Cash-Management-Systems nicht an sich pflichtwidrig.
Werden automatisch ohne Rücksicht auf bestehende Verbindlichkeiten Gel-
der in dieses System eingespeist, löst dies dann gesteigerte Sicherungs-
pflichten aus, wenn auf diese Weise Vermögenswerte das Unternehmen
verlassen und innerhalb des Konzerns transferiert werden (vgl. Vetter, Ge-
sellschaftsrecht in der Diskussion Bd. 6, S. 94 f.). Erreicht der Vermögens-
transfer ein solches Ausmaß, daß die Erfüllung der eigenen Verbindlichkeiten
des einlegenden Konzernmitglieds im Falle eines Verlusts der Gelder ge-
fährdet wäre, dann trifft die Muttergesellschaft eine Vermögensbetreuungs-
pflicht, die Rückzahlung der Gelder – etwa durch ausreichende Besiche-
rung – zu gewährleisten. Sie hat dann die wirtschaftlichen Eigeninteressen
ihrer Tochtergesellschaft (und deren Gläubiger) zu wahren. Diese Pflicht der
Konzernmutter wird den Angeklagten nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB als Mit-
gliedern des Organs der Muttergesellschaft zugerechnet. Sie haften deshalb
strafrechtlich, soweit die von ihnen geleitete Konzernmutter eine ordnungs-
gemäße Sicherung der Einzahlungen der Tochtergesellschaften VWS und
MTW unterlassen hat.
b) Etwaige Untreuehandlungen in Gestalt von jeweils existenzgefähr-
denden Eingriffen in das Vermögen der Tochtergesellschaften sind von der
Anklage erfaßt. Diese schildert im Anklagesatz die tatsächlichen Vorausset-
zungen der Tatbestandsverwirklichung in dieser Form. Sie weist zudem in
der rechtlichen Würdigung ausdrücklich auf diesen Begründungsansatz hin.
- 27 -
Insofern scheidet im vorliegenden Fall ein Freispruch aus. Zwar hat das
Landgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – nicht geprüft,
ob unter diesem Gesichtspunkt eine Strafbarkeit wegen Untreue gegeben
wäre. Dies hätte jedoch seiner Kognitionspflicht unterlegen, zumal das Land-
gericht die Anklage unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen hat.
c) Es kann hier dahinstehen, ob die bislang getroffenen Feststellungen
eine Untreuehandlung unter dem Gesichtspunkt des existenzgefährdenden
Eingriffs tragen könnten. Dem Senat ist bei der hier gegebenen Verfahrens-
konstellation jedenfalls eine Durchentscheidung zum Schuldspruch ver-
schlossen. Dies ergibt sich aus einer von den Angeklagten erhobenen Ver-
fahrensrüge, mit der die Verletzung der Hinweispflicht nach § 265 StPO ge-
rügt wird.
aa) Der Verfahrensrüge liegt folgendes Geschehen zugrunde: Im Blick
auf die mittlerweile ergangene Entscheidung des II. Zivilsenats des Bundes-
gerichtshofs vom 17. September 2001 in dem parallel geführten Zivilverfah-
ren haben die Verteidiger der drei Angeklagten einen rechtlichen Hinweis für
den Fall erbeten, daß das Landgericht die Vermögensbetreuungspflicht nicht
ausschließlich aus den Erwerbsverträgen ableiten sollte, und für diesen Fall
weitere Ausführungen in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht angekündigt.
Dem ging eine Erklärung des Vorsitzenden voraus, wonach als selbständige
Grundlage einer möglichen Vermögensbetreuungspflicht nur die Privatisie-
rungsverträge und deren Auslegung untersucht würden; die gesellschafterli-
che Treupflicht und die tatsächliche Ausübung der Leitungsmacht im fakti-
schen Konzern seien dagegen nicht geprüft worden.
bb) Gegen die Hinweispflicht hat das Landgericht – entgegen der
Auffassung der Revisionen der Angeklagten – im vorliegenden Fall nicht ver-
stoßen, weil es die Vermögensbetreuungspflicht tragend allein auf die Er-
- 28 -
werbsverträge gestützt hat. Der vom Landgericht gesetzte Vertrauenstatbe-
stand muß indes im Revisionsverfahren fortwirken. Den Angeklagten, die
entsprechendes Verteidigungsvorbringen mit Rücksicht auf den gerichtlichen
Hinweis unterlassen haben, ist die Möglichkeit zu erhalten, sich zu dem Vor-
wurf eines existenzgefährdenden Eingriffs gegenüber den Tochterunterneh-
men in einer neuen Hauptverhandlung umfassend zu verteidigen. Der neue
Tatrichter wird dabei festzustellen haben, ob und gegebenenfalls wann die
von den Ostwerften angelegten Gelder konkret in einem Maße gefährdet wa-
ren, daß von einem Nachteil im Sinne des § 266 StGB auszugehen ist. Zu-
gleich wird zu klären sein, inwieweit die Angeklagten von der Gefährdung der
Anlagen Kenntnis erlangt hatten.
d) Der neue Tatrichter wird weiterhin in den Blick zu nehmen haben,
daß die BVV AG bei der VWS zwar – durch eine hundertprozentige Tochter –
die unternehmerische Führung übernehmen sollte (Ziff. 3 der Präambel des
KÜV) aber niemals – anders bei MTW – selbst 100 % der Anteile der VWS
hielt. Nach den Urteilsfeststellungen war die Stadt Stralsund Inhaberin einer
Minderheitsbeteiligung in Höhe von 11 % des Stammkapitals (UA S. 154,
488). Deshalb wird in einer neuen Hauptverhandlung zweierlei zu beachten
sein:
aa) Zunächst ist zu klären, ob die Minderheitsgesellschafterin über-
haupt informiert wurde und ob gegebenenfalls zwischen den Gesellschaftern
Einverständnis hergestellt wurde. Sollte eine entsprechende Billigung der
Festgeldanlagen oder der Einbeziehung der freien Gelder in das Cash-
Management-System bestanden haben, ergeben sich keine Unterschiede zu
dem vorstehend Ausgeführten (vgl. BGH ZIP 2002, 848, 850). Für die ein-
verständlich handelnden Gesellschafter gelten nämlich dieselben Grundsätze
wie für den Alleingesellschafter (vgl. BGHZ 151, 181, 186).
- 29 -
bb) Läßt sich kein Einverständnis mit der Stadt Stralsund feststellen,
entfiele grundsätzlich jede Befugnis der Muttergesellschaft, auf Vermögen
der Tochtergesellschaft ohne gesellschaftsrechtliche Legitimation zuzugrei-
fen. Unter dieser Prämisse sind die Vermögenstransfers zu beurteilen. Anla-
gen in dem Cash-Management-System sind deshalb nur zulässig, wenn dies
aufgrund der Interessenlage des Tochterunternehmens aus unternehmeri-
schen Gründen jedenfalls noch als vertretbar erscheint. Kann dies aufgrund
fehlender Sicherheiten bei den einzelnen Anlagen trotz einer möglicherweise
adäquaten Verzinsung nicht angenommen werden, liegt gegebenenfalls
schon in der Veranlassung zur Kapitaleinlage eine Anstiftung zur Untreue.
Dies wird insbesondere für die Kreditaufnahme der VWS in Höhe von
68 Mio. DM im Zusammenhang mit dem Konsortialkredit über 300 Mio. DM
vom September 1995 gelten. Insofern läßt sich nach den bisherigen Fest-
stellungen aus der Sicht der VWS kein wirtschaftlich nachvollziehbares Motiv
für eine Kreditaufnahme in dieser Größenordnung erkennen.
Als Mehrheitsgesellschafterin hatte die BVV AG gegenüber der VWS
als ihrer Tochtergesellschaft gleichermaßen eine Vermögensbetreuungs-
pflicht hinsichtlich der im Cash-Management-System angelegten Gelder. In-
soweit liegt – wie oben ausgeführt – eine pflichtwidrige Handlung vor, wenn
die angelegten Gelder unmittelbar und konkret gefährdet sind und für die Be-
gleichung von Verbindlichkeiten der Gesellschaft nicht mehr zur Verfügung
stehen.
e) Sollte der neue Tatrichter unter den oben genannten Vorausset-
zungen zu dem Ergebnis gelangen, daß existenzgefährdende Eingriffe zu
Lasten der Tochtergesellschaften erfolgt sind und den Angeklagten dies auch
bewußt war, so liegt die Annahme einer mittelbaren Täterschaft kraft Organi-
sationsherrschaft nahe (vgl. BGHSt 40, 218, 236 ff.; 45, 270, 296 ff.; BGH
NJW 2004, 375, 378, zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen). Die Ange-
- 30 -
klagten haben nach den bisherigen Feststellungen aufgrund ihrer Leitungs-
macht im Konzern sowohl die Festanlagen größerer Gelder als auch insbe-
sondere das Cash-Management-System in den wesentlichen Grundsätzen
installiert, wobei die maßgeblichen Entscheidungen im Vorstand getroffen
oder dort jedenfalls zustimmend zur Kenntnis genommen wurden. Dies wür-
de eine gemeinsame (mittäterschaftliche) strafrechtliche Verantwortlichkeit
der Angeklagten als Mitglieder des Organs der Konzernmutter begründen
(vgl. BGHSt 37, 106, 123 ff.; 48, 77, 89 ff.), ohne daß es darauf ankäme, ob
sie von den einzelnen Kapitaltransfers Kenntnis erlangt haben. Sämtliche
Einlagen der beiden Ostwerften, die auf der Grundlage des von den Ange-
klagten zu verantwortenden Systems in den Konzernverbund überführt wor-
den wären, würden dadurch zu einer einheitlichen Handlung zusammenge-
faßt. Dann wären – auch wenn beide Ostwerften geschädigt sein sollten –
die Angeklagten wegen eines einzigen Vergehens der Untreue zu bestrafen.
Für die Abgrenzung, ob die Angeklagten sich wegen Tuns oder Un-
terlassens strafbar gemacht haben, kann es von Bedeutung sein, ab wann
eine schadensgleiche Gefährdung der Einlagen vorgelegen hat und die An-
geklagten dies auch erkannt haben. Bestand zum Zeitpunkt der von den An-
geklagten vorgenommenen maßgeblichen Weichenstellungen noch keine
entsprechende Gefährdungslage, sondern trat diese erst später ein, kann
dies für ein Unterlassen im Sinne des § 13 StGB sprechen. Denn dann läge
der Unrechtsschwerpunkt darauf, daß die Angeklagten keine Sicherungs-
maßnahmen ergriffen oder notfalls den Kapitaltransfer insgesamt nicht abge-
brochen hätten.
II.
Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revisionen der
Staatsanwaltschaft haben gleichfalls Erfolg.
- 31 -
Der Senat besorgt, daß das Landgericht betreffend alle drei Ange-
klagte Gesichtspunkte der Findung der schuldangemessenen Strafe mit sol-
chen der Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung der Freiheits-
strafe zur Bewährung vermengt hat. Anlaß zu dieser Besorgnis gibt – neben
der außergewöhnlich straffen Zusammenführung zweier Einzelfreiheitsstra-
fen von einem Jahr und neun Monaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
zwei Jahren – insbesondere die Erwägung, es erscheine „vertretbar, bei allen
Angeklagten auf Freiheitsstrafen zu erkennen, die noch eine Strafaussetzung
zur Bewährung ermöglichten“. Der Tatrichter hat zunächst die schuldange-
messene Strafe zu finden; erst wenn sich ergibt, daß die der Schuld entspre-
chende Strafe innerhalb der Grenzen des § 56 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB liegt,
ist Raum für die Prüfung, ob auch die sonstigen Voraussetzungen für die
Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung gegeben sind (BGHSt 29, 319,
321; 32, 60, 65; BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 29; BGH NStZ
2001, 311; Schäfer, Praxis der Strafzumessung 3. Aufl. Rdn. 815; Häger in
LK 11. Aufl. vor § 38 Rdn. 38). Da nicht auszuschließen ist, daß schon die
verhängten Einzelstrafen in der vorgenannten Weise beeinflußt sind, hebt
der Senat – auch auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft – die Strafaus-
sprüche umfassend auf.
III.
Der neue Tatrichter wird für den Fall eines Schuldspruches im Hinblick
auf die Bestimmung der Schadenshöhe folgendes zu bedenken haben:
1. Nach der Rechtsprechung des II. Zivilsenats des Bundesgerichts-
hofs begründet der Fall eines existenzvernichtenden Eingriffs in dem be-
schriebenen Sinne eine Ausfallhaftung des Gesellschafters gegenüber den
Gläubigern der Gesellschaft. Maßgebliche Erwägung ist dabei, daß durch
einen entsprechenden Eingriff das Haftungsprivileg des Gesellschafters (§ 13
- 32 -
Abs. 2 GmbHG) entfällt, weil er die Rechtsform der GmbH mißbraucht hat.
Die Notwendigkeit der Trennung des Vermögens der Gesellschaft von dem
übrigen Vermögen der Gesellschafter und die strikte Bindung des ersteren
zur – vorrangigen – Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger besteht wäh-
rend der gesamten Lebensdauer der GmbH. Beide – Absonderung und
Zweckbindung – sind unabdingbare Voraussetzungen dafür, daß die Gesell-
schafter die Beschränkung ihrer Haftung auf das Gesellschaftsvermögen in
Anspruch nehmen können (BGHZ 151, 181, 186 f.). Wer der Gesellschaft
erst Vermögen entzieht und die Gläubiger dann auf dieses Vermögen ver-
weisen will, setzt sich in Widerspruch zu seinem eigenen Verhalten. Er muß
deshalb für die ungedeckten Schulden der Gesellschaft einstehen und kann
vom Gläubiger direkt in Anspruch genommen werden. Als ein auf richter-
rechtlicher Lückenschließung beruhender Haftungsdurchgriff ist er aber sub-
sidiär gegenüber dem im Gesellschaftsrecht vorgesehenen gesetzlichen
Ausgleichssystem der §§ 30, 31 GmbHG (Röhricht, Gesellschaftsrecht in der
Diskussion Bd. 6, S. 27 ff.). Ob dieser Anspruch dann in seinem Umfang den
gesamten Betrag erfaßt, den der Gesellschafter der Gesellschaft entzogen
hat, oder ob er sich auf den Anteil beschränkt, den der Gesellschafter nicht
hätte entnehmen dürfen, ist in der gesellschaftsrechtlichen Diskussion um-
stritten (vgl. Vetter ZIP 2003, 601, 603 ff. m.w.N.). Für die strafrechtliche Be-
urteilung kann dies freilich dahinstehen.
2. Die gesellschaftsrechtlichen Grundsätze sind nämlich nur dem
Grunde nach auf das Strafrecht übertragbar, nicht jedoch was die Bestim-
mung des Schuldumfangs anbelangt. Das Rechtsinstitut einer Ausfallhaftung
ist wegen seiner andersartigen Zielrichtung nicht ohne weiteres geeignet,
Anhaltspunkte für die Bestimmung des strafrechtlich relevanten Schadens zu
liefern. Der durch die Verletzung des Untreuetatbestands begründete Un-
rechtsgehalt muß danach bestimmt werden, welche Vermögenseinbuße der
Täter dem geschützten Vermögen pflichtwidrig zugefügt hat. Dies kann nur
- 33 -
im Rahmen einer wertenden Betrachtung erfolgen. Da der Entzug von Ver-
mögenswerten nicht schlechthin, sondern nur insoweit pflichtwidrig ist, als die
Erfüllung von Verbindlichkeiten nicht mehr gewährleistet ist, kann sich der
Nachteil im Sinne des Untreuetatbestandes nach § 266 StGB auch nur dar-
auf beziehen. Der neue Tatrichter wird deshalb festzustellen haben, welcher
Anteil des den Ostgesellschaften letztlich verloren gegangenen Vermögens
für die Erfüllung bestehender Verbindlichkeiten benötigt worden wäre.
Harms Häger Raum
Brause Schaal