Urteil des BGH vom 24.01.2008

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 201/06 Verkündet
am:
24. Januar 2008
Bürk,
Justizhauptsekretärin
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
InsO § 21 Abs. 2 Nr. 1, § 55 Abs. 2, §§ 60, 112
Ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt ist insolvenzrechtlich
nicht verpflichtet, der Weiterleitung von Mietzahlungen, die der Schuldner als Zwi-
schenvermieter erhält, an den Hauptvermieter zuzustimmen. Die Unterlassung der
Mietzahlung kann ein fristloses Kündigungsrecht des Vermieters, jedoch keine Mas-
seschuld begründen (Abgrenzung zu BGH, Urt. v. 9. März 2005 - VIII ZR 394/03, ZIP
2005, 1085).
BGH, Urt. v. 24. Januar 2008 - IX ZR 201/06 - LG Wuppertal
AG
Wuppertal
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 24. Januar 2008 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gero Fischer und die
Richter Dr. Ganter, Prof. Dr. Gehrlein, Vill und Dr. Detlev Fischer
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 9. Zivilkammer des Landge-
richts Wuppertal vom 19. Oktober 2006 wird auf Kosten des Klä-
gers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger vermietete eine in seinem Eigentum stehende Wohnung
nebst Tiefgaragenplatz für eine monatliche Miete einschließlich Nebenkosten in
Höhe von – umgerechnet – 669,16 € an die B. GmbH (fortan: Schuldne-
rin) als gewerbliche Zwischenmieterin. Die Schuldnerin vermietete die Räum-
lichkeiten an einen Dritten weiter. Mit Beschluss vom 28. November 2000 be-
stellte das Insolvenzgericht den Beklagten zu 1) zum vorläufigen Insolvenzver-
walter mit Zustimmungsvorbehalt über das Vermögen der Schuldnerin. Mit
Schreiben vom 6. Dezember 2000 teilte der Beklagte zu 1) dem Kläger unter
anderem folgendes mit:
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"Als Vermieter haben Sie gegen die Firma B. als Zwischenmie-
terin einen Anspruch auf Zahlung der monatlich garantierten Mie-
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te. Nachdem das Amtsgericht Wuppertal in seinem Beschluss vom
28.11.2000 ein allgemeines Verfügungsverbot erlassen hat, ist es
der Firma nicht mehr möglich, diese Miete zu bezahlen. Als vor-
läufiger Insolvenzverwalter bin ich andererseits zunächst bis zur
Eröffnung des Insolvenzverfahrens verpflichtet, die Mieten bei den
Mietern der Firma B. einzuziehen. Die Eröffnung des Insolvenz-
verfahrens wird voraussichtlich am 01.02.2001 erfolgen. Dies be-
deutet für Sie, daß ich einerseits verpflichtet bin, die Mieten für die
Monate November und Dezember 2000 sowie Januar 2001 einzu-
ziehen, andererseits aber gehindert bin, die eingehenden Beträge
an Sie weiter zu leiten. Aufgrund des § 112 InsO sind Sie anderer-
seits nicht berechtigt, den Zwischenmietvertrag zu kündigen."
Der Endmieter bezahlte für die Monate Dezember 2000 und Januar 2001
die Miete an die Schuldnerin. Der Kläger erhielt in diesem Zeitraum keine Miet-
zahlungen. Er kündigte daraufhin mit Schreiben vom 30. Januar 2001 den Zwi-
schenmietvertrag fristlos zum Ablauf des 31. Januar 2001. Mit Beschluss des
Insolvenzgerichts vom 31. Januar 2001 wurde das Insolvenzverfahren über das
Vermögen der Schuldnerin am 1. Februar 2001 eröffnet und der Beklagte zu 1)
zum Insolvenzverwalter bestellt.
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Der Kläger begehrt von dem Beklagten in seiner Eigenschaft als Insol-
venzverwalter (Beklagter zu 1) und persönlich (Beklagter zu 2) Schadensersatz
in Höhe von 1.450,20 € nebst Verzugszinsen. Dieser Betrag setzt sich zusam-
men aus den nicht bezahlten Mieten für Dezember 2000 und Januar 2001 in
Höhe von jeweils 669,16 € sowie nicht anrechenbaren Gebühren seines
Rechtsanwalts für die außergerichtliche Vertretung gegenüber dem Beklagten
zu 1) in Höhe von 111,88 €. Hilfsweise begehrt er Feststellung, dass die geltend
gemachten Ansprüche Masseverbindlichkeiten sind.
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Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, die Berufung des Klägers ist
ohne Erfolg geblieben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sei-
nen Klageantrag weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision ist unbegründet.
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I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Mietforderungen des Klägers
seien nicht gemäß § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO zu Masseverbindlichkeiten gewor-
den, weil die Verfügungsbefugnis über das Vermögen der Schuldnerin nicht auf
den Beklagten zu 1) als vorläufigen "schwachen" Insolvenzverwalter überge-
gangen sei. Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten zu 2) persönlich
bestünden ebenfalls nicht. Die in dem Schreiben des Beklagten zu 1) vom
6. Dezember 2000 geäußerte Rechtsauffassung, der Kläger sei zur Kündigung
des Zwischenmietvertrages nicht berechtigt, sei zutreffend gewesen. Der Kläger
habe den Mietvertrag wegen Zahlungsverzugs erst kündigen können, nachdem
die Schuldnerin seit dem Zeitpunkt des Eröffnungsantrags für zwei aufeinander
folgende Termine mit der Entrichtung der Miete in Verzug geraten sei. Eine so-
fortige fristlose Kündigung hätte vorausgesetzt, dass der Beklagte zu 1) zum
vorläufigen "starken" Insolvenzverwalter bestellt worden wäre. Der Umstand,
dass der Beklagte zu 1) den Kläger in seinem Schreiben nicht ausdrücklich auf
seine Stellung als "schwacher" vorläufiger Verwalter hingewiesen habe, sei
nicht schadensursächlich geworden, weil der Kläger eine sofortige außerordent-
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liche Kündigung nicht im Vertrauen auf die "starke" Stellung des vorläufigen
Insolvenzverwalters unterlassen habe.
II.
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Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung jedenfalls im
Ergebnis stand.
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1. Ansprüche des Klägers gegen die von dem Beklagten zu 1) vertretene
Insolvenzmasse bestehen nicht.
a) § 55 Abs. 2 InsO betrifft ausschließlich Rechtshandlungen eines vor-
läufigen Insolvenzverwalters, auf den die Verfügungsbefugnis über das Vermö-
gen des Schuldners übergegangen ist. Die Vorschrift ist dagegen weder unmit-
telbar noch entsprechend auf Rechtshandlungen eines vorläufigen Insolvenz-
verwalters ohne begleitendes allgemeines Verfügungsverbot anzuwenden
(BGHZ 151, 353, 358, 363; 161, 315, 318; BGH, Urt. v. 13. Juli 2006 – IX ZR
57/05, WM 2006, 1636, 1637; v. 20. September 2007 – IX ZR 91/06, ZIP 2007,
2279, 2280). Dies gilt auch dann, wenn der vorläufige Verwalter über das Ver-
mögen eines gewerblichen Zwischenmieters im Eröffnungsverfahren von End-
mietern die Miete einzieht. Die Insolvenzordnung sieht insoweit keine Privilegie-
rung des Vermieters gegenüber anderen Insolvenzgläubigern vor und enthält
daher keine Regelung, die für diese Fallgestaltung eine Durchbrechung der an-
geführten Grundsätze zu § 55 Abs. 2 InsO zu rechtfertigen vermöchte.
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b) Somit ist weder ein Anspruch auf die rückständige Miete noch ein
Schadensersatzanspruch wegen der ausgebliebenen Zahlung gegen die Insol-
venzmasse aus § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO gegeben. Auch wegen einer (eventuel-
len) Pflichtverletzung des vorläufigen Verwalters mit Zustimmungsvorbehalt
kommt ein Schadensersatzanspruch gegen die Masse nicht in Betracht. Die
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Klage gegen den Beklagten zu 1) ist deshalb im Haupt- wie im Hilfsantrag un-
begründet.
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2. Eine persönliche Haftung des Beklagten zu 2) wegen Verletzung in-
solvenzspezifischer Pflichten aus § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit
§ 60 Abs. 1 InsO ist ebenfalls nicht gegeben.
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a) Die Vorschrift des § 60 InsO sanktioniert die Verletzung solcher Pflich-
ten, die dem Insolvenzverwalter in dieser Eigenschaft nach den Vorschriften der
Insolvenzordnung obliegen. Dazu gehören nicht solche Pflichten, die ihn wie
jeden Vertreter fremder Interessen gegenüber Dritten treffen. Nicht insolvenz-
spezifisch sind außerdem im Allgemeinen Pflichten, die dem Insolvenzverwalter
als Verhandlungs- oder Vertragspartner eines Dritten auferlegt sind. Eine Haf-
tung nach § 60 InsO kann nur dann begründet sein, wenn diesem Dritten ge-
genüber besondere, insolvenzspezifische Pflichten bestehen, deren Erfüllung
durch die Verletzung der anderen Pflichten gefährdet wird (BGH, Urt. v. 25. Ja-
nuar 2007 – IX ZR 216/05, WM 2007, 606 m.w.N.).
b) Insolvenzspezifische Pflichten in diesem Sinne hat der Beklagte zu 2)
weder dadurch verletzt, dass er als vorläufiger Verwalter mit Zustimmungsvor-
behalt die Weiterleitung der Mieten für Dezember 2000 und Januar 2001 an den
Kläger verhinderte, noch dadurch, dass er diese Vorgehensweise ausdrücklich
im Schreiben vom 6. Dezember 2000 gegenüber dem Kläger ankündigte. Den
vorläufigen Insolvenzverwalter mit oder ohne begleitendem Verfügungsverbot
trifft insolvenzrechtlich keine Pflicht, im Eröffnungsverfahren Miet- oder Pacht-
zahlungen zu leisten oder solchen Zahlungen des Schuldners zuzustimmen. Da
der Anspruch auf Miete nur eine Insolvenzforderung begründet, ist der vorläufi-
ge Insolvenzverwalter dazu lediglich berechtigt, wenn von der Aufrechterhaltung
des Miet- oder Pachtverhältnisses für die künftige Insolvenzmasse mehr Vor-
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als Nachteile zu erwarten sind. Soll die Nutzungsmöglichkeit für die Insolvenz-
masse erhalten bleiben, müssen zur Vermeidung einer Kündigung des Miet-
oder Pachtverhältnisses durch den Vermieter die nach dem Eröffnungsantrag
fällig werdenden Raten deshalb wieder vertragsgerecht gezahlt werden (vgl.
BGHZ 151, 353, 370f). Nichts anderes folgt auch aus dem ebenfalls zum vorlie-
genden Insolvenzverfahren ergangenen Urteil des Bundesgerichtshofs vom
9. März 2005 (VIII ZR 394/03, ZIP 2005, 1085, 1086f). Diese Entscheidung be-
handelt ausschließlich das Kündigungsrecht des Vermieters im Falle einer Wei-
gerung des vorläufigen Insolvenzverwalters, die vertraglich geschuldete Miete
zu zahlen.
c) Eine Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten des Beklagten zu 2),
die ursächlich für den geltend gemachten Schaden des Klägers geworden ist,
liegt auch nicht darin, dass im Schreiben vom 6. Dezember 2000 die Rechtsbe-
hauptung aufgestellt wurde, der Kläger sei "aufgrund des § 112 InsO" nicht be-
rechtigt, den Zwischenmietvertrag zu kündigen.
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aa) § 112 InsO ist auf die vorliegende Fallgestaltung anwendbar. An den
Grundsätzen der Senatsentscheidung BGHZ 151, 353, 370 f hält der Senat
fest. Die von der Revision in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Ein-
wendungen geben keine Veranlassung, hiervon Abstand zu nehmen.
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bb) Soweit aus dieser Auskunft hervorgeht, der Kläger sei auch wegen
der im Eröffnungsverfahren auflaufenden Mietrückstände nicht berechtigt, den
Mietvertrag wegen Zahlungsverzugs zu kündigen, war sie allerdings unzutref-
fend. Es entsprach bereits vor der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom
18. Juli 2002 (BGHZ 151, 353, 371f) der ganz herrschenden Auffassung, dass
§ 112 InsO jedenfalls bei Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit
Zustimmungsvorbehalt einer Kündigung des Mietvertrages wegen eines im Er-
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öffnungsverfahren eingetretenen Zahlungsverzuges nach den allgemeinen Re-
geln nicht entgegensteht (vgl. MünchKomm-InsO/Eckert, 1. Aufl. § 112 Rn. 35
m.w.N.). Lediglich für den vorläufigen Insolvenzverwalter mit begleitendem Ver-
fügungsverbot, der die Gegenleistung i.S.d. § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO in Masse-
schulden begründender Weise in Anspruch nimmt, wurde im Schrifttum teilwei-
se die Ansicht vertreten, der das Kündigungsrecht auslösende Verzug trete
nicht ein (vgl. Kübler/Prütting/Tintelnot, InsO § 112 Rn. 11 f m.w.N. [8. Lfg.
Stand 11/00]).
bb) Die Frage, ob ein vorläufiger Insolvenzverwalter, der einem künftigen
Insolvenzgläubiger eine falsche Auskunft über dessen Rechte im Eröffnungs-
verfahren erteilt, insolvenzspezifische Pflichten verletzt, kann hier offen bleiben.
Dem Kläger ist aufgrund dieser Unrichtigkeit jedenfalls kein Schaden entstan-
den; denn er hat trotz der von dem Beklagten zu 2) geäußerten Rechtsansicht
den Mietvertrag wegen Zahlungsverzugs zum 31. Januar 2001 gekündigt.
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cc) Soweit der Kläger die Äußerung des Beklagten zu 2) in dem Sinne
verstehen durfte, er sei ungeachtet der angekündigten Zahlungsverweigerung
nicht befugt, den Mietvertrag sofort aus wichtigem Grund zu kündigen, hat der
Beklagte zu 2 nicht schuldhaft gehandelt; denn die von ihm zum Ausdruck ge-
brachte Auffassung war im damaligen Zeitpunkt vertretbar, weil das Urteil des
Bundesgerichtshofs vom 9. März 2005 (aaO) noch nicht ergangen war. Zwar
hatte das OLG Düsseldorf bereits in einer älteren Entscheidung (NJW-RR 1991,
1353, 1354) die fristlose Kündigung eines Mietvertrages außerhalb eines Insol-
venzverfahrens auf der Grundlage von § 554 Abs. 1 BGB a.F. auch dann für
gerechtfertigt gehalten, wenn der Mieter lediglich mit einer Monatsmiete in
Rückstand ist, jedoch erklärt, er werde in Zukunft zu Mietzinszahlungen nicht in
der Lage sein. In den einschlägigen Kommentaren zum Mietrecht wurde auf
diese Entscheidung nur vereinzelt hingewiesen (vgl. Palandt/Weidenkaff, BGB
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59. Aufl. (2000) § 554 Rn. 5). Soweit das insolvenzrechtliche Schrifttum die
Frage überhaupt behandelte, wurde indes die Auffassung vertreten, der Ver-
mieter müsse auch bei Ankündigung des vorläufigen Verwalters, die vorläufige
Masse könne oder werde nicht zahlen, bis zum Eintritt eines die fristlose Kündi-
gung wegen Zahlungsverzuges rechtfertigenden Mietrückstands zuwarten (vgl.
MünchKomm-InsO/Eckert, aaO Rn. 37).
d) Zwar war die Erklärung des Beklagten zu 2), das Insolvenzgericht ha-
be im Beschluss vom 28. November 2000 ein allgemeines Verfügungsverbot
erlassen, und deshalb seien die Schuldnerin und er als vorläufiger Verwalter
daran gehindert, die eingehenden Mieten an den Kläger weiterzuleiten, unzu-
treffend. Nach Überzeugung der Vorinstanzen war diese Erklärung jedoch nicht
ursächlich dafür, dass der Kläger den Mietvertrag erst zum 31. Januar 2001
gekündigt hat. Diese tatrichterliche Würdigung, die die Revision nicht mit einer
Verfahrensrüge angegriffen hat, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Es
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fehlt damit jedenfalls an der Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem
geltend gemachten Schaden.
Dr. Gero Fischer
Dr. Ganter
Prof. Dr. Gehrlein
Vill
Dr. Detlev Fischer
Vorinstanzen:
AG Wuppertal, Entscheidung vom 08.02.2006 - 90 C 525/05 -
LG Wuppertal, Entscheidung vom 19.10.2006 - 9 S 128/06 -