Urteil des BGH vom 12.12.2001

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 156/02
Verkündet am:
28. März 2003
K a n i k,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR: ja
EGBGB (1986) Art. 233 § 11 Abs. 3 Satz 1
Der Auflassungsanspruch aus Art. 233 § 11 Abs. 3 Satz 1 EGBGB erfaßt das
Grundstück nur insoweit, als das Eigentum dem Verpflichteten durch Art. 233 § 11
Abs. 2 EGBGB übertragen werden sollte, nicht auch einen Miteigentumsanteil, den
der Verpflichtete später hinzuerworben hat.
BGH, Urt. v. 28. März 2003 - V ZR 156/02 - OLG Brandenburg
LG Potsdam
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 28. März 2003 durch den Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes
Dr. Wenzel und die Richter Prof. Dr. Krüger, Dr. Klein, Dr. Gaier und
Dr. Schmidt-Räntsch
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil des
4. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts
vom 12. Dezember 2001 aufgehoben und das Urteil der
17. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) teilweise
abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen, soweit die Beklagte verurteilt
worden ist, dem Kläger das Eigentum an den Grundstücken
Gemarkung A. Flur 9 Flurstück 93 und Flur 23
Flurstück 104, eingetragen im Grundbuch von A.
Blatt 2343, Nr. 1 und Nr. 2, zu mehr als 1/2 zu übertragen.
Im übrigen wird der Rechtsstreit zur anderweiten Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revi-
sionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Die Parteien streiten um landwirtschaftlich genutzte Gründstücke aus
der Bodenreform.
Bei Ablauf des 15. März 1990 war E. J. auf der Grundlage der
Zuweisung der Grundstücke aus dem Bodenfonds als Eigentümer im Grund-
buch eingetragen. E. J. verstarb am 5. Juni 1979. Er wurde von seinen
Töchtern, der Beklagten und ihrer Schwester, E. J. , zu gleichen Teilen
beerbt.
Mit notariell beurkundetem Vertrag vom 20. September 1990 setzten die
Beklagte und E. J. den Nachlaß nach ihrem Vater dahin auseinander,
daß die Grundstücke gegen Bezahlung des hälftigen Verkehrswertes an E.
J. der Beklagten übertragen werden sollten. In Vollzug der Einigung vom
20. September 1990 wurde die Beklagte am 21. September 1994 als Eigentü-
merin in das Grundbuch eingetragen. Sie ist nicht zuteilungsfähig.
Das klagende Land (Kläger) verlangt die Auflassung der Grundstücke.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist
ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision
erstrebt sie die Abweisung der Klage.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht erachtet die Klage für nach Art. 233 § 11 Abs. 3,
§ 12 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. c EGBGB begründet. Es meint, die am 20. September
1990 zwischen der Beklagten und ihrer Schwester getroffene Vereinbarung
bedeute keinen Vertrag mit einem Dritten im Sinne von Art. 233 § 16 Abs. 2
Satz 2 EGBGB, sondern eine andere Aufteilung des Eigentums an den
Grundstücken im Sinne von Art. 233 § 11 Abs. 2 Satz 2 EGBGB, aufgrund de-
ren die Beklagte mit Inkrafttreten des Zweiten Vermögensrechtsänderungsge-
setzes alleinige Eigentümerin der Grundstücke geworden sei. Da sie nicht zu-
teilungsfähig sei, habe sie die Grundstücke an den Kläger aufzulassen.
Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
II.
Die Ausführungen der Revision zur Verfassungswidrigkeit der in Art. 233
§§ 11 ff EGBGB bestimmten Auflassungsansprüche geben dem Senat aller-
dings keinen Anlaß zur Änderung seiner Rechtsprechung. Der Senat hat die
Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften zur Abwicklung der Bodenreform auch
angesichts des Irrtums des Gesetzgebers über die Vererblichkeit der
Grundstücke aus der Bodenreform im Urteil vom 17. Dezember 1998 (BGHZ
140, 223, 231 ff) bejaht, seine Auffassung gegenüber im Schrifttum geäußerten
Bedenken bestätigt (Senatsurt. v. 20. Oktober 2000, V ZR 194/99, WM 2001,
212 f) und hieran auch im Hinblick auf weitere Erkenntnisse der historischen
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Situation festgehalten (Senatsurt. v. 22. März 2002, V ZR 192/01, VIZ 2002,
483 f).
Ebensowenig wie Art. 233 §§ 11 ff EGBGB gegen das Grundgesetz verstoßen,
verstoßen sie auch nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.
III.
Das angefochtene Urteil hat dennoch keinen Bestand. Ein Anspruch des
Klägers auf den Erwerb des Eigentums an den Grundstücken besteht nicht,
soweit die Beklagte den Miteigentumsanteil ihrer Schwester an den Grundstü-
cken aufgrund des Vertrages vom 20. September 1990 erworben hat. Hinsicht-
lich des anderen Anteils ist der Anspruch davon abhängig, daß E. J.
nicht zuteilungsfähig war.
1. Nach Art. 233 § 11 Abs. 3 Satz 1 EGBGB kann die Auflassung des
Grundstücks nur insoweit verlangt werden, als das Eigentum dem Verpflichte-
ten durch Art. 233 § 11 Abs. 2 EGBGB übertragen werden sollte. Die Vorschrift
gewährt dagegen keinen Anspruch auf Übertragung von Eigentum oder Mitei-
gentum an einem Grundstück, das die Beklagte nach dem Inkrafttreten des
Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes rechtsgeschäftlich erworben hat
(Senatsurt. v. 15. März 2002, V ZR 106/01, VIZ 2002, 484, 485). Deswegen ist
die Klage schon nicht schlüssig, soweit der Kläger von der Beklagten die Ü-
bertragung auch desjenigen Miteigentumsanteils der Beklagten an den
Grundstücken verlangt, den die Beklagte von ihrer Schwester E. mit ihrer
am 21. September 1994 erfolgten Grundbucheintragung erhalten hat; denn seit
dem Inkrafttreten des Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetzes waren die
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Beklagte und ihre Schwester Miteigentümerinnen zu jeweils hälftigem Anteil
(vgl. Senatsurt. v. 17. Dezember 1998, V ZR 341/97, WM 1999, 453, 455 u. v.
20. Oktober 2000, V ZR 194/99, WM 2001, 212, 213) mit der Folge, daß die
Schwester über ihren Anteil verfügen durfte.
Hieran hat sich durch die am 25. Dezember 1993 in Kraft getretene,
durch das Registerverfahrensbeschleunigungsgesetz vorgenommene Ergän-
zung von Art. 233 § 11 Abs. 2 Satz 2 EGBGB nichts geändert. Nach dieser
Vorschrift sind die Bruchteile der Beteiligung an dem Grundstückseigentum
abweichend von den Erbanteilen zu bestimmen, wenn "die Teilhaber überein-
stimmend eine andere Aufteilung der Bruchteile bewilligen". Darum handelt es
sich bei dem Vertrag vom 20. September 1990 nicht. Der Vertrag diente nicht
dazu, die Anteile der Beklagten und ihrer Schwester an den Grundstücken ab-
weichend von den Anteilen am Nachlaß zu bestimmen und eine Grundlage für
die Nachfolge in die Bodenreformwirtschaft des Verstorbenen im Sinne von § 4
Abs. 3 BesitzwechselVO zu schaffen, sondern dazu, den der E. J. zu-
stehenden Miteigentumsanteil an den Grundstücken entgeltlich an die Beklagte
zu veräußern.
2. Ob der Kläger von der Beklagten die Übertragung des Miteigentums
an den Grundstücken verlangen kann, soweit die Beklagte das Miteigentum
kraft Gesetzes erworben hat, hängt davon ab, daß auch E. J. bei Ab-
lauf des 15. März 1990 nicht zuteilungsfähig war und die Grundstücke deshalb
in den Bodenfonds hätten zurückgeführt werden müssen. Denn das Vorhan-
densein auch nur eines zuteilungsfähigen Erben schließt den Anspruch des
Klägers aus (vgl. Senatsurt. v. 21. Juni 1996, V ZR 284/95, WM 1996, 1865,
1866 u. v. 18. Juni 1999, V ZR 354/97, WM 1999, 1724, 1725). Daß nicht nur
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die Beklagte, sondern auch E. J. nicht zuteilungsfähig war, hat der Klä-
ger darzulegen (vgl. Senatsurt. v. 4. Mai 2001, V ZR 21/00, WM 2001, 1902,
1903). Daran fehlt es.
Dies ist von den Parteien nicht gesehen worden. Durch die Aufhebung
des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das
Berufungsgericht erhalten sie Gelegenheit zur Ergänzung ihres Vorbringens.
Wenzel Krüger Klein
Gaier Schmidt-Räntsch