Urteil des BGH vom 17.01.2001

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 186/99
Verkündet am:
17. Januar 2001
Kirchgeßner,
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
HGB § 89 a
Zur Frage des Bestehens eines wichtigen Grundes zur außerordentlichen
Kündigung eines Handelsvertreterverhältnisses und zur Erforderlichkeit
einer Abmahnung im Falle der Aufnahme einer nicht genehmigten Ne-
bentätigkeit durch den Vertreter.
BGH, Urteil vom 17. Januar 2001 - VIII ZR 186/99 - OLG Dresden
LG Dresden
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 17. Januar 2001 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert und die
Richter Dr. Hübsch, Dr. Beyer, Ball und Dr. Leimert
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel des Beklagten werden das Urteil des 19. Zi-
vilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 3. Juni 1999 auf-
gehoben und das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts
Dresden vom 9. Januar 1998 im Kostenpunkt und insoweit geän-
dert, als die auf Feststellung und auf Provisionsabrechnung ge-
richtete Widerklage abgewiesen worden ist.
Es wird festgestellt, daß die von der Klägerin am 1. Juli 1996
ausgesprochene fristlose Kündigung das Vertragsverhältnis der
Parteien nicht mit sofortiger Wirkung, sondern als ordentliche
Kündigung erst zum 30. September 1996 beendet hat.
Die Klägerin wird verurteilt, über die dem Beklagten zustehenden
Provisionen aus den von ihm und von den ihm nachgeordneten
Mitarbeitern M. H. , L. , K. , P.
H. , R. , S. , Ho ,
Ra , A. bis zum 30. September 1996 ein-
gereichten Versicherungsverträgen unter Berücksichtigung der
dem Beklagten zustehenden Differenzprovisionen und Bestand-
sprovisionen abzurechnen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Die Klägerin befaßt sich mit der Vermittlung von Finanzdienstleistungen.
Sie unterhält eine hierarchisch gegliederte Vertriebsorganisation, deren Mit-
glieder als Handelsvertreter tätig sind. Der Beklagte hatte in der Vertriebsorga-
nisation der Klägerin die Stellung eines Regionaldirektors inne. Er vermittelte
hauptsächlich Lebens- und Sachversicherungen für verschiedene "Produkt-
partnergesellschaften" der Klägerin. Nach dem der Zusammenarbeit der Par-
teien zugrundeliegenden Mitarbeitervertrag vom 10. Oktober 1994 nebst Zu-
satzvertrag für leitende Mitarbeiter stehen dem Kläger Provisionen für Verträge
zu, die von ihm selbst oder von den ihm nachgeordneten Strukturmitarbeitern
vermittelt worden sind. Die Klägerin und ihre Mitarbeiter dürfen auf steuer-
rechtlichem Gebiet nicht beratend tätig werden.
Nr. 7 des Mitarbeitervertrages trifft unter anderem folgende Regelungen:
"7.2 Der Mitarbeiter ist nicht berechtigt, für Wettbewerber der P.
und Ihrer Partnergesellschaften tätig zu werden oder sich an
einem Konkurrenzunternehmen direkt oder indirekt, mittelbar oder
unmittelbar zu beteiligen oder es sonst in irgendeiner Weise zu
unterstützen. In gleicher Weise ist der Mitarbeiter nicht berechtigt,
unmittelbar - unter Übergehung der P. - eine Vertrags-
beziehung zu einer Partnergesellschaft der P. einzuge-
hen.
Dem Mitarbeiter ist darüber hinaus jede weitere gleichartige ge-
werbliche Tätigkeit ohne ausdrückliche schriftliche Zustimmung der
P. untersagt. Gleiches gilt hinsichtlich der Übermittlung
von Verträgen, die nicht von der P. bzw. ihren Partner-
gesellschaften angeboten werden."
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Mit Schreiben vom 1. Juli 1996 kündigte die Klägerin das Vertragsver-
hältnis fristlos mit der Begründung, der Beklagte habe vertragswidrig mit dem
Verband der Verbraucher und Selbständigen, D. (VDVS) kooperiert
und versucht, auch eine Reihe weiterer Mitarbeiter der Klägerin für eine solche
Tätigkeit zu gewinnen. Der Beklagte hat der Kündigung widersprochen, den
ihm zur Last gelegten Versuch der Abwerbung von Mitarbeitern der Klägerin
bestritten und die Auffassung vertreten, die Zusammenarbeit mit steuerbera-
tend tätigen Institutionen wie dem VDVS sei den Mitarbeitern der Klägerin er-
laubt, seitens der Klägerin sogar erwünscht gewesen.
Die Klägerin hat den Beklagten, gestützt auf eine entsprechende Klausel
des Mitarbeitervertrages, auf Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe von je
20.000 DM für die versuchte Abwerbung ihrer Mitarbeiter H. und R.
in Anspruch genommen. Der Beklagte hat widerklagend beantragt festzustel-
len, daß die fristlose Kündigung der Klägerin das Vertragsverhältnis nicht mit
sofortiger Wirkung, sondern nur als ordentliche Kündigung zum 30. September
1996 beendet habe. Er hat mit der Widerklage ferner Zahlung eines Schmer-
zensgeldes wegen rufschädigender Äußerungen der Klägerin sowie Provisi-
onsabrechnung zum 30. September 1996 begehrt.
Das Landgericht hat Klage und Widerklage abgewiesen. Die Berufung
des Beklagten ist erfolglos geblieben. Seine auf Zahlung von Schmerzensgeld
gerichtete Widerklage hat er in zweiter Instanz zurückgenommen. Mit der Revi-
sion verfolgt der Beklagte die auf Feststellung und auf Provisionsabrechnung
gerichtete Widerklage weiter.
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Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat die Widerklage in dem zuletzt noch geltend
gemachten Umfang mit der Begründung abgewiesen, die fristlose Kündigung
der Klägerin sei wirksam gewesen. Es hat dazu ausgeführt:
Die Tätigkeit des Beklagten für den VDVS sei zwar nicht als unerlaubte
Konkurrenztätigkeit im Sinne von Nr. 7.2 Abs. 1 des Mitarbeitervertrages anzu-
sehen; denn Beratungsleistungen auf dem Gebiet des Steuerrechts, die der
VDVS erbringe, dürften von Mitarbeitern der Klägerin gerade nicht ausgeübt
werden. Es liege aber ein Verstoß gegen vertragliche Pflichten im Sinne der
Nr. 7.2 Abs. 2 des Mitarbeitervertrages vor, der nach Nr. 10.3 des Mitarbeiter-
vertrages eine außerordentliche Kündigung rechtfertige. Nach dem Sinn und
Zweck der Regelung hätten Mitarbeiter der Klägerin jede anderweitige wirt-
schaftliche Betätigung zu unterlassen. Diese Verpflichtung habe der Beklagte
nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme verletzt, indem er den Mitarbeitern
H. und R. der Klägerin eine Zusammenarbeit mit dem VDVS ange-
boten und für die Vermittlung von Kunden eine Provision von jeweils 400 DM in
Aussicht gestellt habe. Die angestrebte Zusammenarbeit mit dem VDVS sei als
gewerbliche Tätigkeit einzustufen, weil sie nach den getroffenen Anstalten als
dauerhafte und langfristige Kooperation angelegt gewesen sei. Auch die
Gleichartigkeit der Tätigkeit sei zu bejahen. Zwar dürften die Mitarbeiter der
Klägerin nicht steuerberatend tätig sein, so daß es an einem unmittelbaren
Konkurrenzverhältnis zwischen der Klägerin und dem VDVS fehle. Beide Un-
ternehmen böten aber im weiteren Sinne Finanzdienstleistungen an, die sich
gegenseitig ergänzten. Davon abgesehen sei bei der Auslegung der Klausel
Nr. 7.2 Abs. 2 des Mitarbeitervertrages nicht am buchstäblichen Sinne zu haf-
ten. Maßgebend sei vielmehr der klar erkennbare Sinn und Zweck, jede ander-
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weitige wirtschaftliche Betätigung, die ohne Zustimmung der Klägerin aufge-
nommen werde, zu unterbinden. Durch das Angebot, gegen Provision für den
VDVS tätig zu werden, habe der Beklagte die Mitarbeiter H. und R.
der Klägerin zum Vertragsbruch verleitet und damit seine Loyalitätspflicht ge-
genüber der Klägerin verletzt. Da er dabei auch eigene wirtschaftliche Interes-
sen verfolgt habe, habe er auch selbst in eigener Person gegen das Verbot
einer wirtschaftlichen Betätigung gemäß Nr. 7.2 Abs. 2 des Mitarbeitervertra-
ges verstoßen.
Das Verhalten des Beklagten stelle einen wichtigen Grund zur fristlosen
Kündigung dar, weil die Klägerin ein begründetes Interesse daran gehabt ha-
be, daß der Beklagte seine Arbeitskraft voll und ganz zu ihren Gunsten einset-
ze. Das gelte um so mehr, als er angesichts hoher Provisionen in ganz erhebli-
chem Umfang vom wirtschaftlichen Erfolg der Klägerin profitiert habe. Durch
die Aufnahme einer ungenehmigten Tätigkeit werde das Vertrauensverhältnis
so schwer beeinträchtigt, daß eine weitere Fortsetzung des Vertrages bis zum
Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar erscheine. Aus diesem
Grunde sei auch eine Abmahnung seitens der Klägerin entbehrlich gewesen.
Das Vertrauensverhältnis sei durch die Vertragsverletzung des Beklagten be-
reits nachhaltig gestört worden. Dafür spreche neben der gehobenen Position
des Beklagten in der Hierarchie der Vertriebsstruktur der Klägerin auch der
Umstand, daß der Beklagte nicht nur einmalig aus einer bestimmten Situation
heraus einen Mitarbeiter zur Kundenwerbung aufgefordert, sondern offenbar
zielgerichtet versucht habe, hierfür Mitarbeiter zu gewinnen.
Die Tatsache, daß das Vorstandmitglied Th. der Klägerin anläßlich
einer Beförderungsfeier über eine eventuelle Zusammenarbeit mit einem Lohn-
steuerhilfeverein gesprochen habe, ändere an dieser Beurteilung nichts. Der
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Beklagte habe diesen Äußerungen nicht entnehmen können, daß er im Auftrag
oder mit Billigung des Vorstandes der Klägerin konkret eine Kooperation mit
dem VDVS habe eingehen sollen. Er hätte deshalb seine Vorgehensweise mit
der Klägerin abstimmen müssen.
II. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung
nicht stand.
1. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein wichtiger Grund zur außeror-
dentlichen Kündigung im Sinne des § 89a Abs. 1 Satz 1 HGB gegeben, wenn
dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände eine Fortsetzung des
Vertragsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche
Kündigung nicht zugemutet werden kann (zuletzt Senatsurteil vom 26. Mai
1999 - VIII ZR 123/98, WM 1999, 1986 unter II 2 m.w.N.). Ob dies der Fall ist,
unterliegt nur eingeschränkter revisionsrechtlicher Nachprüfung, die sich dar-
auf zu beschränken hat, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff des wichti-
gen Grundes verkannt hat, ob ihm von der Revision gerügte Verfahrensverstö-
ße unterlaufen sind, ob es etwa wesentliche Tatumstände übersehen oder
nicht vollständig gewürdigt hat oder Erfahrungssätze verletzt hat (BGH, Urteil
vom 29. März 1990 - I ZR 2/89, WM 1990, 1496 unter I 2 b m.w.N.). Auch die-
ser eingeschränkten Nachprüfung halten die Erwägungen, mit denen das Be-
rufungsgericht einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung beja-
hen will, indessen nicht stand.
a) Die Klägerin hat die fristlose Kündigung ausweislich ihres Kündi-
gungsschreibens vom 1. Juli 1996 darauf gestützt, daß der Beklagte durch
"unzulässige Kooperation mit dem VDVS" nicht nur selbst gegen vertragliche
Pflichten verstoßen, sondern darüber hinaus nachweislich auch versucht habe,
auf eine Reihe von Mitarbeitern der Klägerin dahin einzuwirken, das gleiche zu
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tun. Im Laufe des Rechtsstreits hat sie dieses Verhalten dahin gewürdigt, der
Beklagte sei dazu übergegangen, Mitarbeiter zu einer "unzulässigen, da ver-
tragswidrigen, konkurrierenden Zusammenarbeit mit einem fremden Produkt-
partner bzw. Produktanbieter zu verleiten, indem er - jedenfalls seinen unmit-
telbar von der Hierarchie unterstehenden Bezirksdirektoren und direkt unter-
stellten Bezirksleitern - für die Zuführung eines P. -Kunden zu dem konkur-
rierenden Produktanbieter (VDVS) die Zahlung eines Betrages von DM 400 pro
Kunde (versprochen) und in Aussicht (gestellt habe)". Diese Ausführungen ma-
chen deutlich, daß die Klägerin das Verhalten des Beklagten als unerlaubte
Konkurrenztätigkeit wertete und in der Einwirkung auf ihre Mitarbeiter H.
und R. den Versuch sah, Mitarbeiter für ein Konkurrenzunternehmen ab-
zuwerben.
Mit einer unerlaubten Konkurrenztätigkeit des Beklagten läßt sich die
fristlose Kündigung der Klägerin indessen - auch nach Auffassung des Beru-
fungsgerichts - nicht rechtfertigen, da der VDVS nach den Feststellungen der
Vorinstanzen Beratungsleistungen auf dem Gebiet des Steuerrechts erbringt,
die den Mitarbeitern der Klägerin gerade nicht erlaubt sind.
b) Das Berufungsgericht lastet dem Beklagten statt dessen einen Ver-
stoß gegen Nr. 7.2 Abs. 2 des Mitarbeitervertrages an, wonach dem Mitarbeiter
jede weitere gleichartige gewerbliche Tätigkeit ohne ausdrückliche Zustimmung
der Klägerin untersagt ist. Es will die Bestimmung dahin auslegen, daß Mitar-
beiter der Klägerin jede anderweitige wirtschaftliche Betätigung zu unterlassen
haben, und sieht demzufolge einen wesentlichen Gesichtspunkt für die Recht-
fertigung der fristlosen Kündigung darin, daß der Beklagte dem Interesse der
Klägerin zuwidergehandelt habe, seine Arbeitskraft voll und ganz zu deren
Gunsten einzusetzen. Das ist in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft.
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aa) Auf einen unzureichenden Einsatz seiner Arbeitskraft zu ihren Gun-
sten hat die Klägerin die fristlose Kündigung weder vorprozessual noch im
Laufe des Rechtsstreits gestützt. Der Klägerin ging es vielmehr, wie die vorste-
hend wörtlich wiedergegebenen Ausführungen belegen, darum zu verhindern,
daß der Beklagte selbst und durch ihm nachgeordnete Mitarbeiter P. -
Kunden als Kunden auch dem VDVS zuführte, den die Klägerin - nach den
Feststellungen des Berufungsgerichts zu Unrecht - als "konkurrierenden Pro-
duktanbieter" ansah. Bestand aber kein Konkurrenzverhältnis zwischen der
Klägerin und dem VDVS, weil dieser nur steuerliche Beratungsleistungen an-
bot, die die Klägerin und deren Mitarbeiter gerade nicht erbringen durften, so
fehlt jeder Anhaltspunkt für die Annahme, die Fortsetzung des Vertragsverhält-
nisses auch nur für die Dauer der dreimonatigen Frist für eine ordentliche Kün-
digung (§ 89 Abs. 1 Satz 1 HGB) sei der Klägerin allein deshalb unzumutbar
gewesen, weil die Werbung von P. -Kunden auch für Steuerberatungslei-
stungen
des VDVS einen Teil der Arbeitszeit des Beklagten und der ihm nachgeordne-
ten Mitarbeiter in Anspruch nahm. Dergleichen hat die Klägerin auch nicht
geltend gemacht.
bb) Nicht haltbar ist des weiteren die Auslegung der Klausel Nr. 7.2
Abs. 2 des Mitarbeitervertrages, auf die das Berufungsgericht seine Beurtei-
lung des Verhaltens des Beklagten stützt. Nach dem Wortlaut der Klausel ist
den Mitarbeitern der Klägerin nicht jede anderweitige wirtschaftliche Betäti-
gung, sondern nur jede weitere gleichartige gewerbliche Tätigkeit, der die Klä-
gerin nicht schriftlich zugestimmt hat, untersagt. Soweit das Berufungsgericht
meint, die Klausel sei nach ihrem "klar erkennbare Sinn und Zweck" dahin aus-
zulegen, daß jede anderweitige wirtschaftliche Betätigung unterbunden werden
solle, die ohne Zustimmung der Klägerin erfolge, ist dies mit dem Wortlaut der
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Bestimmung nicht vereinbar. Aus den Ausführungen geht auch nicht hervor,
aus welchen Gründen eine derart erheblich über den Wortlaut hinausgehende
Ausdehnung des Verbots gerechtfertigt ist. Hätte die Klägerin ein begründetes
Interesse daraus schützen wollen, daß der Beklagte seine Arbeitskraft voll und
ganz zu ihren Gunsten einsetzt, wie das Berufungsgericht darlegt, so hätte sie
dies ohne weiteres bei der Fassung der Klausel zum Ausdruck bringen können.
Auch sonst sind Umstände, die für ein solches vom Wortlaut abweichendes
Verständnis sprechen könnten, nicht ersichtlich. Die Auslegung des Beru-
fungsgerichts verletzt damit den anerkannten Auslegungsgrundsatz, daß bei
der Auslegung einer Willenserklärung vom Wortlaut der Erklärung auszugehen
ist (st.Rspr., z.B. BGH, Urteil vom 2. Dezember 1997 - X ZR 13/96, NJW-RR
1998, 1423 unter II 3 a m.w.N.). Regelmäßig ist dem von den Parteien ge-
wählten Wortlaut einer Vereinbarung der objektiv erklärte Parteiwille zu ent-
nehmen. Führt die Ermittlung des Wortsinns anhand des Wortlauts nicht zu
einem eindeutigen Ergebnis, können außerhalb des Erklärungsaktes liegende
Begleitumstände in die Auslegung einzubeziehen sein, soweit sie einen Schluß
auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen (BGH aaO). Dem Berufungsurteil
sind hierzu keinerlei Feststellungen zu entnehmen. Auch im tatsächlichen Vor-
bringen der Parteien findet diese Auslegung keine Stütze. Das Berufungsge-
richt ist demnach mit seiner Auslegung ohne sachliche Rechtfertigung über den
wesentlich engeren Wortlaut der Verbotsklausel hinausgegangen. Wegen die-
ses Auslegungsfehlers bindet seine Auslegung den erkennenden Senat nicht.
Schon im Hinblick darauf, im übrigen auch wegen der über die Grenzen eines
Oberlandesgerichtsbezirks hinausreichenden Verwendung des formularmäßi-
gen Mitarbeitervertrages der Klägerin (z.B. Senat BGHZ 141, 391, 394) kann
der Senat die fragliche Verbotsklausel selbst unbeschränkt auslegen.
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cc) Da es an Anhaltspunkten dafür fehlt, daß der objektiv erklärte Wille
der Vertragspartner vom Wortlaut der von der Klägerin vorformulierten Klausel
abweichen könnte, war dem Beklagten, dem Wortsinn der Klausel entspre-
chend, nur eine gleichartige gewerbliche Tätigkeit untersagt. Um eine solche
handelte es sich bei der Kooperation mit dem VDVS nach den vom Berufungs-
gericht getroffenen Feststellungen nicht. Entgegen der Annahme des Beru-
fungsgerichts reicht es für eine Gleichartigkeit im Sinne der Klausel nicht aus,
daß sowohl die Klägerin als auch der VDVS "im weiteren Sinne Finanzdienst-
leistungen" anbieten, die sich gegenseitig ergänzen. Beratungsleistungen - wie
hier auf steuerlichem Gebiet - zählten nicht zu den Vermittlungstätigkeiten, die
der Beklagte und die übrigen Mitarbeiter der Klägerin nach den mit dieser ge-
schlossenen Mitarbeiterverträgen zu erbringen hatten.
c) War den Mitarbeitern der Klägerin die Vermittlung steuerrechtlicher
Beratungsleistungen durch steuerberatende Institutionen wie den VDVS nach
alledem vertraglich nicht untersagt, so kann entgegen der Auffassung des Be-
rufungsgerichts auch keine Rede davon sein, der Beklagte habe die Mitarbeiter
H. und R. der Klägerin zum Vertragsbruch verleiten wollen und da-
mit seine Loyalitätspflicht gegenüber der Klägerin verletzt.
2. Aus den Ausführungen des Berufungsgerichts geht ferner nicht her-
vor, aus welchen Gründen es der Klägerin unzumutbar gewesen sein sollte,
das Vertragsverhältnis mit dem Beklagten bis zum Ablauf der - nur drei Monate
währenden - Frist für eine ordentliche Kündigung, daß heißt bis zum
30. September 1996, fortzusetzen. Was das Berufungsgericht hierzu unter dem
Gesichtspunkt einer Interessenabwägung erörtert, vermag seine Wertung nicht
zu rechtfertigen. Selbst wenn ihm in seiner Beurteilung zu folgen wäre, der Be-
klagte habe durch seine Tätigkeit für den VDVS dem berechtigten Interesse der
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Klägerin zuwidergehandelt, seine Arbeitskraft voll und ganz zu deren Gunsten
einzusetzen, was angesichts seiner hohen Provisionseinnahmen besonders ins
Gewicht falle, so folgt daraus nichts für die Annahme, der Klägerin sei es nicht
zumutbar gewesen, das Vertragsverhältnis mit dem Beklagten - unter dem
ausdrücklichen Verbot der Fortsetzung des beanstandeten Verhaltens - für
weitere drei Monate aufrechtzuerhalten. Die vom Berufungsgericht vertretene
Auffassung, durch die Aufnahme einer ungenehmigten Tätigkeit werde das
Vertrauensverhältnis so schwer beeinträchtigt, daß eine Fortsetzung des Ver-
trages bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung unzumutbar er-
scheine, ist in dieser Allgemeinheit nicht richtig und findet auch in der vom Be-
rufungsgericht als Beleg angeführten Entscheidung des Bundesgerichtshofs
vom 19. November 1976 (I ZR 84/75, WM 1977, 318), die eine unerlaubte
Konkurrenztätigkeit zum Gegenstand hat, keine Stütze. Die Frage der Zumut-
barkeit einer Fortsetzung des Vertragsverhältnisses kann vielmehr stets nur im
Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Art und
Schwere der Vertragsverletzung und ihrer Folgen für den Vertragspartner, be-
urteilt werden. Der Erfahrungssatz, daß eine ungenehmigte Konkurrenztätigkeit
des Handelsvertreters das Vertrauensverhältnis der Vertragspartner regelmä-
ßig so erheblich beschädigt, daß dem Prinzipal eine Fortsetzung des Vertrags-
verhältnisses auch nur für eine kurze Zeitspanne nicht zumutbar erscheint, läßt
sich auf sonstige Nebentätigkeiten nicht ohne weiteres übertragen. Umstände,
die eine vergleichbar schwerwiegende Beeinträchtigung des Vertrauensver-
hältnisses der Parteien bewirkt haben könnten, stellt das Berufungsgericht
nicht fest. Seine Ausführungen lassen nicht erkennen, aus welchen Gründen
das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien durch das beanstandete Ver-
halten des Beklagten zerstört oder so schwer beschädigt worden sein soll, daß
ihr eine Fortsetzung der Zusammenarbeit auch für nur drei Monate nicht zu-
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mutbar gewesen wäre. Vor allem aber läßt das Berufungsgericht in diesem Zu-
sammenhang unberücksichtigt, daß nach den getroffenen Feststellungen die
Möglichkeit der Zusammenarbeit mit einem Lohnsteuerhilfeverein von dem
Vorstandsmitglied Th. der Klägerin anläßlich einer Beförderungsfeier jeden-
falls ange-
sprochen worden war und daß diese Äußerung den Beklagten nach seiner
Darstellung zu der - sei es auch irrigen - Annahme verleitet hat, die Klägerin
billige eine Zusammenarbeit mit steuerberatenden Institutionen wie dem VDVS.
Daß die Klägerin nicht fristlos kündigen konnte, wenn sie durch Äußerungen
eines ihrer Vorstandsmitglieder einer solchen Fehlvorstellung Vorschub gelei-
stet hat, liegt auf der Hand.
3. Schließlich kann dem Berufungsgericht auch insoweit nicht gefolgt
werden, als es eine Abmahnung seitens der Klägerin für entbehrlich hält. Rich-
tig ist zwar, daß eine Abmahnung sinnlos und daher nicht erforderlich ist, wenn
das Fehlverhalten eines Vertragspartners die Vertrauensgrundlage in so
schwerwiegender Weise erschüttert hat, daß sie auch durch eine erfolgreiche
Abmahnung nicht wiederhergestellt werden könnte (Senatsurteil vom 26. Mai
1999 aaO unter II 3 m.w.N.). Ein solcher Fall ist hier indessen weder nach den
Feststellungen des Berufungsgerichts noch nach dem im Berufungsurteil wie-
dergegebenen Tatsachenvortrag der Parteien gegeben. Das Berufungsgericht
stellt vielmehr fest, daß die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit einem Lohn-
steuerhilfeverein von dem Vorstandsmitglied Th. der Klägerin ange-
sprochen worden ist. Der Beklagte mag sich hierdurch zu Unrecht für befugt
gehalten haben, eine Zusammenarbeit mit dem VDVS aufzunehmen, ohne sich
mit der Klägerin abzustimmen. Daß diese Eigenmächtigkeit und ihre Folgen
durch eine Abmahnung nicht hätten korrigiert werden können, ist weder den
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Ausführungen des Berufungsgerichts oder dem Sachvortrag der Klägerin zu
entnehmen noch sonst ersichtlich.
III. Das angefochtene Urteil kann somit keinen Bestand haben. Der Se-
nat kann abschließend in der Sache entscheiden, da es zur Beurteilung der
Begründetheit des in der Revisionsinstanz weiterverfolgten Widerklagebegeh-
rens keiner weiteren tatrichterlichen Feststellungen bedarf. Die fristlose Kündi-
gung der Klägerin vom 1. Juli 1996 hat das Vertragsverhältnis nicht mit soforti-
ger Wirkung, sondern nur als ordentliche Kündigung zum Ablauf der Kündi-
gungsfrist beendet, da es an einem wichtigen Grund zur außerordentlichen
Kündigung fehlt und einer solchen Kündigung zudem eine Abmahnung hätte
vorausgehen müssen. Auf die Berufung des Beklagten war das die Widerklage
abweisende erstinstanzliche Urteil daher abzuändern, soweit der Beklagte die
Feststellung begehrt, daß die Kündigung der Klägerin das Vertragsverhältnis
nicht mit sofortiger Wirkung, sondern als ordentliche Kündigung erst zum
30. September 1996 beendet hat. Stattzugeben war auch der Widerklage auf
Provisionsabrechnung für solche Verträge, die auf eine Vermittlungstätigkeit
des Beklagten oder der ihm nachgeordneten Mitarbeiter der Klägerin in dem
Zeitraum bis 30. September 1996 zurückgehen. Diesem aus § 87 c Abs. 1 HGB
entspringenden Anspruch als solchem ist die Klägerin nicht entgegengetreten.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2 ZPO.
Soweit der Beklagte die geringfügige, vom Berufungsgericht mit nur 2.000 DM
bewertete Schmerzensgeldwiderklage in zweiter Instanz zurückgenommen hat,
fällt dies entsprechend § 92 Abs. 2 ZPO bei der Kostenentscheidung nicht ins
Gewicht.
Dr. Deppert
Dr. Deppert
Dr. Beyer
für den wegen Urlaubs an der
Unterschriftsleistung verhinderten
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Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Hübsch
Ball
Dr. Leimert