Urteil des BGH vom 18.07.2001

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 74/08
Verkündet
am:
17. September 2009
Preuß
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 675 Abs. 1, § 280 Abs. 1; VVG § 12 Abs. 3 a.F.
Ist für den Prozessbevollmächtigten offenkundig, dass das Gericht die tatsäch-
lich erfolgte Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses nicht beachtet und trotz
unbedingt erhobener Klage von einem bloßen Prozesskostenhilfegesuch aus-
geht, hat er dieses Missverständnis auszuräumen, um zwecks Einhaltung der
Klagefrist die alsbaldige Zustellung der Klage sicherzustellen.
BGH, Urteil vom 17. September 2009 - IX ZR 74/08 - OLG Brandenburg
LG Potsdam
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 17. September 2009 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter, die
Richter Raebel, Prof. Dr. Kayser, Prof. Dr. Gehrlein und Grupp
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats des
Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 5. März 2008 aufge-
hoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger nahm im Jahr 2000 nach einem Brandschaden in seinem
Wohnhaus die Gebäudeversicherung in Anspruch. Mit Schreiben vom 18. Juli
2001, dem Kläger zugegangen am 25. Juli 2001, lehnte die Versicherung Leis-
tungen mit der Begründung ab, der Kläger, welcher zwischenzeitlich wegen
fahrlässiger Brandstiftung zu einer Geldstrafe verurteilt worden war, habe den
Brand grob fahrlässig, wenn nicht gar vorsätzlich verursacht. Vom Kläger mit
der Durchsetzung seiner Ansprüche beauftragt, reichte der verklagte Rechts-
anwalt am 8. Januar 2002 beim Landgericht Karlsruhe eine Klage gegen die
Versicherung über 38.406,71 € nebst Zinsen ein, verbunden mit einem Antrag
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auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, und legte einen Scheck über
1.074,60 € für die Gerichtskosten bei. Der Vorsitzende der zuständigen Kam-
mer veranlasste die Übersendung des Schecks an die Landesoberkasse, teilte
dem Beklagten aber gleichwohl mit Verfügung vom 18. Januar 2002 mit, dass
ein Gerichtskostenvorschuss nicht eingegangen sei und die Klage deshalb nicht
zugestellt werden könne. Der Vorsitzende erklärte weiter, es werde davon aus-
gegangen, dass die Erhebung der Klage von der Bewilligung von Prozesskos-
tenhilfe abhängig gemacht werde, und fragte an, ob diese Annahme zutreffe.
Der Beklagte nahm hierzu nicht Stellung. Mit Beschluss vom 3. Juni 2002 wies
das Landgericht Karlsruhe den Prozesskostenhilfeantrag zurück. Die Landes-
oberkasse forderte den Kläger mit Schreiben vom 10. Oktober 2002 auf, angeb-
lich ausstehende Gerichtskosten in Höhe von 119,40 € einzuzahlen. Der Be-
klagte teilte mit Schriftsatz vom 19. November 2002 mit, die Restzahlung der
Gerichtskosten sei veranlasst. Der Betrag ging am 27. November 2002 bei der
Landesoberkasse ein. Am 3. September 2003 wurde die Klageschrift an den
Bevollmächtigten der Versicherung zugestellt. Die Klage hatte in erster Instanz
Erfolg, wurde aber im Berufungsverfahren abgewiesen, weil die am 25. Juli
2001 in Gang gesetzte sechsmonatige Frist des § 12 Abs. 3 VVG a.F. nicht ge-
wahrt worden sei.
Der Kläger nimmt nun den Beklagten auf Ersatz des im Vorprozess gel-
tend gemachten Schadens von 38.406,71 € und der in jenem Prozess angefal-
lenen Kosten von 16.824,34 €, zusammen 55.231,05 €, nebst Zinsen in An-
spruch. Die Klage hat beim Landgericht Erfolg gehabt, ist aber vom Berufungs-
gericht abgewiesen worden. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revi-
sion verfolgt der Kläger seine Forderung weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Ur-
teils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Beklagte habe seine anwaltli-
chen Pflichten nicht verletzt. Er habe die bis zum 25. Januar 2002 laufende Frist
des § 12 Abs. 3 VVG a.F. gewahrt, weil er die Klage vor dem Ablauf der Frist
bei Gericht eingereicht habe und die Klage "demnächst" zugestellt worden sei.
Die Zustellung wirke deshalb auf den Zeitpunkt der Einreichung der Klage zu-
rück. Die späte Zustellung sei allein durch eine fehlerhafte Sachbehandlung des
Gerichts verursacht worden, die sich der Kläger nicht zurechnen lassen müsse,
weil er und der Beklagte alles Erforderliche für eine ordnungsgemäße Zustel-
lung der Klage getan hätten. Insbesondere habe der Beklagte nicht auf die Ver-
fügung des Gerichts vom 18. Januar 2002 reagieren und auch nach der Ableh-
nung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht tätig werden
müssen. Im Übrigen fehle es an dem erforderlichen Zurechnungszusammen-
hang zwischen der Untätigkeit des Beklagten und der späten Zustellung, weil
dieser nicht die Gefahrenlage geschaffen habe, in welcher sich der Fehler des
Gerichts ausgewirkt habe.
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II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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1. Der Beklagte hat die ihm aufgrund des Anwaltsvertrages obliegenden
Pflichten verletzt.
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a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der
Rechtsanwalt im Rahmen seines Auftrags verpflichtet, seinen Mandanten vor
voraussehbaren und vermeidbaren Nachteilen zu bewahren. Er hat deshalb,
wenn verschiedene Maßnahmen in Betracht kommen, den relativ sichersten
Weg zu gehen. Dermit der Prozessführung betraute Rechtsanwalt ist mit Rück-
sicht auf das auch bei Richtern nur unvollkommene menschliche Erkenntnis-
vermögen und die niemals auszuschließende Möglichkeit eines Irrtums ver-
pflichtet, nach Kräften dem Aufkommen von Irrtümern und Versehen des Ge-
richts entgegenzuwirken (BGH, Urt. v. 25. Juni 1974 - VI ZR 18/73, NJW 1974,
1865, 1866; v. 24. März 1988 - IX ZR 114/87, NJW 1988, 3013, 3015 f; v.
18. Dezember 2008 - IX ZR 179/07, WM 2009, 324, 325 Rn. 8).
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b) Diese Pflicht hat der Beklagte verletzt, indem er auf die gerichtliche
Verfügung vom 18. Januar 2002 nicht reagierte. Der Inhalt dieser Verfügung
zeigte dem Beklagten deutlich, dass die Gefahr bestand, das Gericht werde die
bereits erfolgte Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses unbeachtet lassen
und von einer Zustellung der Klage vorläufig absehen. Damit bestand die Ge-
fahr, dass die Klage bereits wegen Versäumung der am 25. Januar 2002 ablau-
fenden Frist des § 12 Abs. 3 VVG a.F. abgewiesen werden würde.
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aa) Zwar wirkt eine nach Fristablauf erfolgte Zustellung auf den Zeitpunkt
der Klageeinreichung zurück, wenn die Zustellung "demnächst" erfolgt (§ 270
Abs. 3 ZPO a.F., jetzt § 167 ZPO), und als demnächst bewirkt kann auch eine
Zustellung lange nach Fristablauf gelten, wenn die Verzögerung durch eine feh-
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lerhafte Sachbehandlung des Gerichts verursacht ist. Verzögerungen, welche
die Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter bei sachgerechter Prozessführung
hätten vermeiden können, sind hingegen nach ständiger Rechtsprechung der
Partei zuzurechnen, soweit sie nicht nur geringfügig sind (BGHZ 145, 358, 362;
BGH, Urt. v. 5. Februar 2003 - IV ZR 44/02, NJW-RR 2003, 599, 600). In die-
sem Zusammenhang hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass Zustel-
lungsverzögerungen, die erst eintreten, nachdem der Kläger alle für eine ord-
nungsgemäße Klagezustellung von ihm geforderten Mitwirkungshandlungen
erbracht hat, dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen dürfen. Für eine Ver-
pflichtung oder Obliegenheit des Klägers und seines Prozessbevollmächtigten,
auch noch in diesem Stadium des Verfahrens durch eine Kontrolle des gericht-
lichen Vorgehens auf eine größtmögliche Beschleunigung hinzuwirken, fehlt die
rechtliche Grundlage (BGHZ 168, 306, 312, Rn. 20 f).
bb) Ob nach diesen Maßstäben die Voraussetzungen einer Rückwirkung
der Zustellung hier vorlagen - das Berufungsgericht im Vorprozess hat dies ver-
neint, das Berufungsgericht im vorliegenden Rechtsstreit bejaht - , ist jedoch für
die Frage einer Pflichtverletzung des Beklagten nicht entscheidend. Die ge-
nannten Maßstäbe betreffen das zwischen dem Kläger und dem Gericht beste-
hende Prozessrechtsverhältnis. Im Vertragsverhältnis zwischen dem Anwalt
und seinem Mandanten können strengere Anforderungen gelten. Der Beklagte
durfte sich unter den gegebenen Umständen auf eine seinem Mandanten güns-
tige Beurteilung durch das Gericht nicht verlassen (BGH, Urt. v. 24. März 1988
aaO S. 3015). Um Nachteile für den Kläger möglichst sicher zu vermeiden, hät-
te er das Gericht nach Erhalt der Verfügung vom 18. Januar 2002 darauf hin-
weisen müssen, dass der Gerichtskostenvorschuss bereits eingezahlt war und
die Klage unabhängig von der Bewilligung von Prozesskostenhilfe erhoben sein
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sollte. Dies gilt umso mehr, als die gerichtliche Verfügung mit der Anfrage
schloss, ob die mitgeteilte Annahme zutreffe.
cc) Der Vortrag des Beklagten, er habe sich den Eingang der Klage-
schrift, des Prozesskostenhilfegesuchs und des Schecks über den Gerichtskos-
tenvorschuss sowohl am 10. Januar 2002 als auch nochmals am 25. Januar
2002 von der Geschäftsstelle des Gerichts telefonisch bestätigen lassen, ändert
an dieser Beurteilung nichts. Die durch das gerichtliche Schreiben vom
18. Januar 2002 begründeten Zweifel an einer alsbaldigen Zustellung der Klage
wurden durch diese Telefonate nicht beseitigt, zumal der Beklagte beim zweiten
Anruf die Auskunft erhalten haben will, eine Bearbeitung der Sache sei wegen
des Umzugs des Landgerichts nicht sofort möglich.
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c) Hielte man die Untätigkeit des Beklagten nach Erhalt der Verfügung
vom 18. Januar 2002 noch für vertretbar, weil schon die Einreichung eines Pro-
zesskostenhilfeantrags zunächst die Möglichkeit sicherte, durch eine später
zugestellte Klage die Frist des § 12 Abs. 3 VVG a.F. noch zu wahren, dann
läge eine Pflichtverletzung des Beklagten darin, dass er weiterhin untätig blieb,
als ihm der Beschluss über die Ablehnung des Antrags auf Prozesskostenhilfe
zugestellt wurde. Denn die durch einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskos-
tenhilfe eintretende Verzögerung der Zustellung ist nur dann unschädlich, wenn
die Partei nach der Entscheidung über ihr Gesuch alles Zumutbare tut, damit
die Klage "demnächst" im Sinne des § 167 ZPO (§ 270 Abs. 3 ZPO a.F.) zuge-
stellt werden kann (BGHZ 98, 295, 301; BGH, Urt. v. 8. März 1989 - IVa ZR
17/88, NJW-RR 1989, 675; Beschl. v. 30. November 2006 - III ZB 22/06, NJW
2007, 439, 441 Rn. 13). Diesen Anforderungen wurde der Beklagte nicht ge-
recht. Ihm war durch die Verfügung vom 18. Januar 2002 bekannt, dass das
Gericht irrtümlich annahm, es sei noch kein Gerichtskostenvorschuss einge-
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zahlt und die Klage sei nur für den Fall der Bewilligung von Prozesskostenhilfe
erhoben. Er musste deshalb damit rechnen, dass das Gericht, nachdem es die
Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt hatte, von Amts wegen nichts
unternehmen und die Einzahlung des Vorschusses abwarten würde. In dieser
Situation hätte er, um seinen Pflichten aus dem Mandatsverhältnis zu genügen
und Nachteilen für den Kläger vorzubeugen, das Gericht umgehend darauf hin-
weisen müssen, dass der Vorschuss bereits eingezahlt war und die Klage nun,
ungeachtet der Ablehnung des Prozesskostenhilfegesuchs, unverzüglich zuge-
stellt werden sollte.
2. Ein rechtzeitiger Hinweis des Beklagten auf die bereits erfolgte Ein-
zahlung des zutreffend berechneten Gerichtskostenvorschusses und auf die
unbedingt erhobene Klage hätte nach den Feststellungen des Berufungsge-
richts eine zeitnahe Zustellung der Klage bewirkt. Jedenfalls dann hätte die Kla-
ge nicht als nach § 12 Abs. 3 VVG a.F. verfristet abgewiesen werden können.
In der Sache hätte sie Erfolg haben müssen, wenn der Versicherer nicht von
seiner Verpflichtung zur Leistung frei war, weil der Kläger den Versicherungsfall
vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeiführte (§ 61 VVG a.F.). Hierzu
hat das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen.
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3. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts besteht zwischen der
Pflichtverletzung des Beklagten und einem durch den Verlust des Vorprozesses
eingetretenen Schaden des Klägers auch der erforderliche Zurechnungszu-
sammenhang.
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a) Sind für den Schaden des Mandanten neben einer Pflichtverletzung
des Prozessbevollmächtigten auch Fehler des Gerichts mitursächlich, entfällt
die Zurechenbarkeit des Schadens zur Pflichtverletzung des Anwalts nur, wenn
der Fehler des Gerichts den Geschehensablauf so verändert, dass der Scha-
den bei wertender Betrachtung in keinem inneren Zusammenhang mit der vom
Anwalt zu vertretenden Vertragsverletzung steht. Bei dieser Beurteilung ist zu
berücksichtigen, dass die Prozessleitung und die Rechtsfindung in die Verant-
wortung des Gerichts fallen und von der Leistung des Anwalts nicht abhängig
sind. Auf der anderen Seite ist der Anwalt verpflichtet, seinen Mandanten vor
Fehlentscheidungen der Gerichte zu bewahren (BGHZ 174, 205, 209 f
Rn. 12-15; BGH, Urt. v. 18. Dezember 2008 aaO S. 326 f Rn. 21).
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b)
Das
Bundesverfassungsgericht
hat in einer früheren Entscheidung
ausgeführt, dass Rechtskenntnis und Rechtsanwendung vornehmlich Sache
des Gerichts seien, während den Parteien und ihren Anwälten im Wesentlichen
die Verantwortung hinsichtlich des unterbreiteten Sachverhalts und der Antrag-
stellung obliege (BVerfG NJW 2002, 2937, 2938; vgl. dazu Zugehör NJW 2003,
3225 ff). Davon ist es aber neuerdings deutlich abgerückt (BVerfG NZM 2009,
579 Rn. 16; vgl. hierzu auch Chab AnwBl 2009, 269 f). Aus verfassungsrechtli-
chen Gründen sei nicht zu beanstanden, dass eine Haftung des Rechtsanwalts
im Regelfall auch dann angenommen werde, wenn ein Fehler des Gerichts ins-
besondere bei der rechtlichen Aufarbeitung des Streitfalls für den Schaden ei-
ner Prozesspartei mitursächlich geworden sei. Der Bundesgerichtshof könne
vielmehr auf die im Zivilrecht anerkannte gleichstufige Haftung all derjenigen
verweisen, die für einen Schaden gleich aus welchen rechtlichen Gründen ver-
antwortlich seien.
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c) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der innere
Zusammenhang zwischen der Pflichtverletzung des Anwalts und dem Schaden
seines Mandanten insbesondere dann fehlen, wenn der Anwalt seinen Fehler
berichtigt, das Gericht dies aber nicht zur Kenntnis nimmt und den Fehler zur
Grundlage seiner Entscheidung macht, wenn der Schadensbeitrag des Gerichts
denjenigen des Anwalts soweit überwiegt, dass letzterer ganz dahinter zurück-
tritt, oder wenn der Fehler des Anwalts schlechthin ungeeignet war,
die gerichtliche Fehlentscheidung hervorzurufen (BGHZ 174, 205, 210 ff
Rn. 16-20). Entsprechende Voraussetzungen sind hier jedoch nicht gegeben.
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aa) Der Fehler des Gerichts bestand darin, die Einzahlung des Gerichts-
kostenvorschusses übersehen und die Klage so zu behandelt zu haben, als sei
sie nur unter der Bedingung erhoben worden, dass Prozesskostenhilfe bewilligt
wird. Er betraf nicht die Rechtsanwendung, sondern die vollständige Erfassung
und das richtige Verständnis des rechtlichen Begehrens des Klägers. Der Be-
klagte mag zunächst alles Erforderliche getan haben, um eine Verfristung nach
§ 12 Abs. 3 VVG a.F. zu vermeiden. Er hat deshalb - wie das Berufungsgericht
mit Recht ausführt - auch keine Gefahrenlage geschaffen, die dem Fehlver-
ständnis des Gerichts den Boden bereitete. Dies wird dem Beklagten aber auch
nicht vorgeworfen. Der Vorwurf geht vielmehr dahin, dass der Beklagte ein von
ihm nicht veranlasstes, gleichwohl eingetretenes und durch die ihm übermittelte
gerichtliche Verfügung vom 18. Januar 2002 offenkundig gewordenes Fehlver-
ständnis des Gerichts, das die Prozessaussichten des Mandanten erheblich
gefährdete, nicht beseitigte, zumal ihm dies leicht möglich gewesen wäre. In
einem solchen Fall kann der Zurechnungszusammenhang zwischen der Pflicht-
verletzung des Anwalts und dem Schaden des Mandanten nicht verneint wer-
den (Henssler/Müller EWiR 2003, 165, 166 a.E.).
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bb) Es kann offen bleiben, ob die Entscheidung des Berufungsgerichts
im Vorprozess, die Klage wegen Verfristung abzuweisen, richtig war. Auch
wenn darin ein weiterer gerichtlicher Fehler liegen sollte, würde dies den Zu-
rechnungszusammenhang zwischen der Pflichtverletzung des Beklagten und
einem Schaden seines Mandanten nicht beseitigen. Denn bei pflichtgemäßem
Verhalten des Beklagten wäre die Klage zu einem Zeitpunkt zugestellt worden,
der Zweifel an der Einhaltung der Frist des § 12 Abs. 3 VVG a.F. nicht hätte
aufkommen lassen. Die Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Voraussetzun-
gen des § 270 Abs. 3 ZPO a.F. wären dann vermieden worden. Eine etwaige
Fehlbeurteilung dieser Voraussetzungen durch das Gericht hat unter den gege-
benen Umständen kein so großes Gewicht, dass der innere Zusammenhang
zwischen der anwaltlichen Pflichtverletzung und dem Schaden entfiele.
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III.
Das angefochtene Urteil kann damit keinen Bestand haben. Es ist aufzu-
heben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da bisher keine Feststellungen zum behaupteten
Schaden getroffen sind, ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entschei-
dung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Dieses
wird die Prüfung, ob die Klage im Vorprozess bei pflichtgemäßem Handeln des
Beklagten Erfolg gehabt hätte, selbst vornehmen müssen. Hängt die Haftung
des Anwalts vom Ausgang eines Vorprozesses ab, hat das Regressgericht
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nicht darauf abzustellen, wie jener voraussichtlich geendet hätte, sondern selbst
zu entscheiden, welches Urteil richtigerweise hätte ergehen müssen (BGH, Urt.
v. 18. Dezember 2008 aaO S. 326 Rn. 16 m.w.N.).
Ganter
Raebel
Kayser
Gehrlein
Grupp
Vorinstanzen:
LG Potsdam, Entscheidung vom 12.12.2006 - 12 O 95/06 -
OLG Brandenburg, Entscheidung vom 05.03.2008 - 3 U 13/07 -