Urteil des BGH vom 01.08.2013

BGH: sexuelle handlung, schutz der menschenwürde, erpressung, prostituierte, gewalt, beweisergebnis, dienstleistung, strafrecht, verzicht, form

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 189/13
vom
1. August 2013
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundes-
anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 1. August 2013 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Dortmund vom 15. November 2012 mit den Feststellungen
aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer räube-
rischer Erpressung zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, von welcher
ein Monat als verbüßt gilt. Hiergegen richtet sich die auf die allgemeine Sachrü-
ge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Der Angeklagte suchte am 16. Juni 1997 gegen 2.30 Uhr den Kontakthof
eines Bordells in Hamm auf und sprach die dort als Prostituierte tätige Zeugin
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H. -P. an. Er erkundigte sich bei ihr, was der Geschlechtsverkehr
koste, wenn sie dabei „Strapse“ trage. Auf die Erwiderung der Zeugin, dass der
Preis 100 DM betrage, setzte der Angeklagte seinen Gang an den Fenstern des
Kontakthofes zunächst fort, kehrte kurze Zeit später aber zu der Zeugin zurück
und gab auf deren Frage, ob er jetzt zu ihr in das Zimmer kommen wolle, sein
Einverständnis zu verstehen. Die Zeugin ließ den Angeklagten daraufhin in das
Gebäude ein und begab sich mit ihm in ihr Zimmer. Dort fragte der Angeklagte,
was man denn machen könne, wenn er mehr als 100 DM bezahle, ließ sich
dann aber auf eine von der Zeugin vorgeschlagene Variante nicht ein. Schließ-
lich forderte die Zeugin den Angeklagten auf, zunächst die vereinbarten 100 DM
zu bezahlen.
Der Angeklagte, der als Drosselungswerkzeug einen schwarzen Strumpf
und als Fesselungsmittel zwei bereits miteinander verbundene Kabelbinder mit
sich führte, war nicht bereit, der Zeugin das Geld zu geben. Er war zu diesem
Zeitpunkt vielmehr entschlossen, die Zeugin mit Gewalt
– unter Drosselung – zu
überwältigen und anschließend zu fesseln, um dann mit ihr nach seinem Belie-
ben zu verfahren. Er hatte vor, sie zu zwingen, entweder den ausgehandelten
Geschlechtsverkehr ohne Entgelt oder die Wegnahme ihrer Einnahmen oder
nacheinander beides zu dulden. Letztlich ging es ihm darum, durch Gewalt ge-
gen das Opfer eine vermögenswerte Leistung
– den sexuellen Dienst einer
Prostituierten
– und/oder Vermögensgegenstände des Opfers an sich zu brin-
gen, worauf er, wie er wusste, keinen Anspruch hatte.
Der Angeklagte zog nunmehr den Strumpf aus der Tasche, stieß die
Zeugin auf die Schlafcouch, warf sich auf sie und begann sie zu würgen, um sie
durch Drosselung mit dem Strumpf am Schreien zu hindern und sie zur Verwirk-
lichung seiner weiter gehenden Absichten entscheidend zu schwächen. Da es
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dem Angeklagten auf Grund der Gegenwehr der Zeugin, die große Angst um
Leib und Leben hatte und sich deshalb nach Leibeskräften wehrte, nicht gelang,
den Strumpf um ihren Hals festzuziehen, setzte er seinen Entschluss weiter in
die Tat um, indem er das Opfer mit bloßen Händen würgte. Als eine weitere in
dem Bordell tätige Prostituierte, die durch die Schreie des Opfers auf das Ge-
schehen aufmerksam geworden war, gemeinsam mit der Wirtschafterin des
Bordells in das Zimmer des Opfers eilte und den Angeklagten anschrie, er solle
aufhören und die Frau loslassen, sah sich der Angeklagte nicht mehr in der La-
ge, die geplante Tat zu Ende zu führen. Er ließ von dem unter ihm auf der
Couch liegenden Opfer ab und ergriff die Flucht.
II.
Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils hat keinen Bestand. Die
Begründung des Landgerichts für die eindeutige Verurteilung wegen eines Ver-
suchs der schweren räuberischen Erpressung nach § 253 Abs. 1, §§ 255, 250
Abs. 1 Nr. 2 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung hält einer rechtlichen
Prüfung nicht stand, weil bei einem von der Schwurgerichtskammer für möglich
gehaltenen Handlungsziel des Angeklagten
– der Erzwingung des Geschlechts-
verkehrs ohne Entgelt
– die Tat nicht auf die Erlangung eines Vermögenswertes
zum Nachteil des Tatopfers gerichtet war.
1. a) Das Landgericht ist bei seiner rechtlichen Bewertung der verschie-
denen in subjektiver Hinsicht alternativ angenommenen Sachverhaltsvarianten
davon ausgegangen, dass es dem Angeklagten unabhängig davon, ob er den
unentgeltlichen Geschlechtsverkehr oder die Preisgabe der Einnahmen des
Opfers oder beides habe erzwingen wollen, um die Erlangung ungerechtfertig-
ter Vermögensvorteile gegangen sei, auf die er keinen Anspruch gehabt habe.
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Dies gelte
– nach Auffassung der Schwurgerichtskammer – auch dann, wenn
sich sein Vorhaben darin erschöpfte, das Tatopfer zur unentgeltlichen Gewäh-
rung des Geschlechtsverkehrs zu zwingen, weil sexuelle Dienstleistungen einer
Prostituierten, die grundsätzlich nur gegen Entgelt erbracht werden, nach inzwi-
schen gewandelter Einstellung der Rechtsgemeinschaft als vermögenswerte
Leistung anzusehen seien.
b) Dieser Ansicht des Landgerichts vermag der Senat nicht zu folgen.
Dabei kann offen bleiben, ob und inwieweit das am 1. Januar 2002 in Kraft ge-
tretene Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten
– Prosti-
tutionsgesetz
– vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3983) einen schon im Tat-
zeitraum eingetretenen Wandel in der gesellschaftlichen und rechtlichen Bewer-
tung der Ausübung der Prostitution zum Ausdruck gebracht hat (vgl. Entwurf
eines Gesetzes zur Verbesserung der rechtlichen und sozialen Situation der
Prostituierten, BT-Drucks. 14/5958, S. 4; einerseits BGH, Beschluss vom 7. Mai
2003
– 5 StR 536/02, StV 2003, 616; Urteil vom 13. Juli 2006 – I ZR 241/03,
BGHZ 168, 314, 318 f.; andererseits Beschluss vom 18. Januar 2011
– 3 StR 467/10, NStZ 2011, 278; zum Streitstand Fischinger in Staudinger,
BGB, Neubearbeitung 2011, Anh. zu § 138: § 1 ProstG Rn. 10 ff.). Denn auch
die Regelungen des Prostitutionsgesetzes haben nichts daran geändert, dass
jedwede bindende Verpflichtung zur Vornahme sexueller Handlungen mit dem
in Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten Schutz der Menschenwürde unvereinbar ist
und nicht rechtswirksam begründet werden kann (vgl. Fischinger aaO Rn. 15;
MüKoBGB/Armbrüster, 6. Aufl., § 138 Rn. 57 und § 1 ProstG Rn. 7, 19). Von
einer durch die Rechtsordnung nicht missbilligten Dienstleistung, die typischer-
weise gegen Entgelt erbracht wird und deshalb im Rahmen einer entgeltlichen
Vertragsbeziehung als Vermögensbestandteil anzusehen ist (vgl. zu § 263
StGB BGH, Urteil vom 18. Januar 2001
– 4 StR 315/00, NStZ 2001, 258; Be-
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schluss vom 28. April 1987
– 5 StR 566/86, BGHR StGB § 263 Abs. 1 Vermö-
gen 1; SSW-StGB/Satzger, § 263 Rn. 98, 102; vgl. auch BGH, Beschluss vom
2. Mai 2001
– 2 StR 128/01, NStZ 2001, 534), kann daher allenfalls bei freiwillig
erbrachten sexuellen Handlungen einer Prostituierten die Rede sein. Nichts an-
deres ergibt sich aus der erst nach der Tat am 1. Januar 2002 in Kraft getrete-
nen Regelung des § 1 Satz 1 ProstG. Danach erwirbt eine Prostituierte erst
dann eine rechtswirksame Forderung, wenn die sexuelle Handlung gegen ein
vorher vereinbartes Entgelt vorgenommen worden ist. Die Erpressung einer
Prostituierten in der Form, dass ihr der Verzicht auf das vereinbarte Entgelt ab-
genötigt werden soll, kommt demgemäß nur in Betracht, wenn die abgespro-
chene sexuelle Handlung zuvor einvernehmlich erbracht worden ist (vgl. BGH,
Beschluss vom 18. Januar 2011
– 3 StR 467/10 aaO). Dem gegen den Willen
der Prostituierten erzwungenen Geschlechtsverkehr kommt hiergegen kein
Vermögenswert im Sinne des § 253 Abs. 1 StGB zu (vgl. Zimmermann, NStZ
2012, 211, 213). Die Rechtsgutverletzung erschöpft sich in diesen Fällen viel-
mehr in einem Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung, deren Schutz vor
Zwangseinwirkungen das geltende Strafrecht mit den Tatbeständen des § 177
StGB und § 240 Abs. 1, Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 StGB umfassend gewährleistet.
2. Die Verurteilung wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung
auf alternativer Tatsachengrundlage erweist sich demnach als rechtsfehlerhaft.
Da zu besorgen ist, dass sich die unzutreffende rechtliche Würdigung des
Landgerichts bereits auf die Feststellung des Tatgeschehens ausgewirkt hat,
hebt der Senat das Urteil insgesamt auf und verweist die Sache zur erneuten
tatrichterlichen Verhandlung und Entscheidung zurück.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass der
Tatrichter weder mit Blick auf den Zweifelssatz noch sonst gehalten ist, zu
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Gunsten des Angeklagten von Sachverhaltsvarianten auszugehen, für deren
Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte
erbracht hat (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteile vom 13. Dezember 2012
– 4 StR 33/12, wistra 2013, 195, 196; vom 21. Oktober 2008 – 1 StR 292/08,
NStZ-RR 2009, 90, 91).
Sost-Scheible
Roggenbuck
Mutzbauer
Bender
Quentin