Urteil des BGH vom 11.04.2005

BGH (antragsteller, antrag, vermögensverfall, zulassung, notar, rechtsanwaltschaft, beschwerde, amt, aufhebung, zeitpunkt)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
AnwZ (B) 70/05
vom
25. September 2006
in dem Verfahren
wegen Widerrufs der Zulassung infolge Vermögensverfalls
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Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den Präsidenten
des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Hirsch, den Vorsitzenden Richter Basdorf, die
Richter Dr. Ernemann und Dr. Schmidt-Räntsch, den Rechtsanwalt Dr. Wüllrich
und die Rechtsanwältinnen Dr. Hauger und Kappelhoff nach mündlicher Ver-
handlung
am 25. September 2006
beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss
des 2. Senats des Niedersächsischen Anwaltsgerichtshofs vom
11. April 2005 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und
der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstande-
nen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf
50.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Der 1946 geborene Antragsteller ist seit 1974 zur Rechtsanwaltschaft
zugelassen, seit 1976 bei dem Landgericht H. und seit 1978 bei dem
Amtsgericht S. . Am 21. Mai 1978 wurde er zum Notar mit Amtssitz in
P. bestellt.
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Gegen den Antragsteller wurden seit dem 25. November 2002 Ermittlun-
gen zur Überprüfung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse geführt, nachdem auf
seinem Grundstück in P. auf Ersuchen des Finanzamts H.
eine Sicherungshypothek wegen einer Forderung von 68.975 € eingetragen
wurde. Nachdem wegen weiterer titulierter Forderungen Vollstreckungsmaß-
nahmen ergriffen worden waren und unstreitige Forderungen gerichtlich geltend
gemacht werden mussten, widerrief die Antragsgegnerin mit Bescheid vom
29. Januar 2004 die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft we-
gen Vermögensverfalls.
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Mit Verfügung vom 12. Oktober 2004 enthob die Präsidentin des Ober-
landesgerichts C. den Antragsteller aus dem gleichen Grund vorläufig seines
Amtes als Notar. Am 3. Januar 2005 eröffnete sie ihm, ihn endgültig seines Am-
tes entheben zu wollen. Auf Antrag des Antragstellers stellte der Senat für No-
tarsachen des Oberlandesgerichts C. mit Beschluss vom 6. Juni 2005 fest,
dass die Voraussetzungen für eine endgültige Enthebung des Antragstellers
vorliegen. Diese Entscheidung wurde nach Zurückweisung seiner sofortigen
Beschwerde durch Beschluss des Senats für Notarsachen des Bundesgerichts-
hofs vom 28. November 2005 (NotZ ) und einer anschließenden Verfas-
sungsbeschwerde durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts mit Be-
schluss vom 17. Januar 2006 (1 BvR ) rechtskräftig. Mit Verfügung vom
27. Januar 2006 verfügte die Präsidentin des Oberlandesgerichts C. die
endgültige Enthebung des Antragstellers von seinem Amt als Notar. Den dage-
gen gerichteten Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung wies
der Senat für Notarsachen des Oberlandesgerichts C. mit Beschluss vom
20. April 2006 zurück (Not ).
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Am 27. Februar 2004 hat der Antragsteller Antrag auf gerichtliche Ent-
scheidung gegen den Widerruf seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ge-
stellt. Diesen Antrag hat der Anwaltsgerichtshof durch den angefochtenen Be-
schluss zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des
Antragstellers, mit welcher er die Aufhebung des Widerrufs seiner Zulassung
zur Rechtsanwaltschaft erreichen will. Im Verlaufe des Verfahrens vor dem Se-
nat hat das Amtsgericht H. auf Antrag des Antragstellers am 22. März
2006 die vorläufige Verwaltung des Vermögens des Antragstellers angeordnet
und am 30. April 2006 unter Ablehnung einer Eigenverwaltung durch den An-
tragsteller das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet.
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II.
Der nach § 42 BRAO zulässige Antrag bleibt ohne Erfolg.
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1. Der Antragsteller war im Zeitpunkt der Widerrufsverfügung in Vermö-
gensverfall geraten; seine Vermögensverhältnisse sind auch weiterhin nicht ge-
ordnet.
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a) Ein Vermögensverfall liegt vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordne-
te, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht
ordnen kann, und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen;
Beweisanzeichen hierfür sind insbesondere die Erwirkung von Schuldtiteln und
Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn (Senat, Beschl. v. 25. März 1991, AnwZ
(B) 73/90, BRAK-Mitt. 1991, 102; Beschl. v. 21. November 1994, AnwZ (B)
40/94, BRAK-Mitt. 1995, 126; Beschl. v. 5. Dezember 2005, AnwZ (B) 13/05,
NJW-RR 2006, 559).
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Gegen den Antragsteller bestanden im Zeitpunkt der Widerrufsverfügung
titulierte Forderungen in Höhe von etwa 75.000 €. Vollstreckungsmaßnahmen
waren eingeleitet. Für Steuerforderungen der Finanzverwaltung war die Eintra-
gung einer Sicherungshypothek auf dem Grundbesitz des Antragstellers erwirkt
worden. Nach Erlass des Widerrufsbescheids ist der Antragsteller als schwer-
behindert anerkannt worden. Es ist ihm gelungen, durch Rückzahlungen und
Ratenzahlungsvereinbarungen die Rücknahme der Vollstreckungsaufträge zu
erreichen, auf welche die Widerrufsverfügung gestützt war. Gleichzeitig sind
aber neue zum Teil namhafte, zum Teil geringere Forderungen gegen den An-
tragsteller bekannt geworden, die der Antragsteller zwar erfüllt hat, aber mit ei-
ner Ausnahme erst nach gerichtlichem Verfahren und anschließendem Vollstre-
ckungsversuch. Eine Ertragsvorschau für das Jahr 2005, mit welcher der An-
tragsteller eine Wende zum Besseren darstellen wollte, wies Einnahmeerwar-
tungen aus, die von den tatsächlichen Einnahmen nicht erfüllt wurden. Die fi-
nanziellen Verhältnisse des Antragstellers sind so beengt, dass er in einem
Haftpflichtfall seinen früheren Mandanten den in seinem Berufshaftpflichtversi-
cherungsvertrag bestimmten Eigenanteil von zweimal 605,64 € schuldig blieb
und nicht einmal die Beiträge für seinen Krankenversicherungsschutz aufbrin-
gen kann. Die Antragsgegnerin und der Anwaltsgerichtshof sind deshalb zu
Recht davon ausgegangen, dass der Antragsteller in Vermögensverfall geraten
war. Dagegen wendet sich der Antragsteller im Beschwerdeverfahren auch
nicht.
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b) Der Vermögensverfall des Antragstellers besteht fort.
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aa) Im Verlaufe des Verfahrens vor dem erkennenden Senat sind laufend
neue Mahnbescheidsanträge, Klagen und Vollstreckungsmaßnahmen gegen,
aber nur einzelne Tilgungen von Forderungen durch den Antragsteller bekannt
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geworden. Im Januar 2006 war der Antragsteller titulierten neuen Forderungen
in Höhe von abgerundet 21.000 € ausgesetzt. Auch danach wurden und werden
neue Forderungen gegen den Antragsteller bekannt. Der Antragsteller hat in
diesem Zeitraum aber auch erreicht, dass seine Frau einem Einsatz des ge-
meinschaftlichen Grundbesitzes zur Schuldentilgung zustimmt. Zu durchgrei-
fender Veränderung der Lage hat dies indessen nicht geführt.
bb) Auf Antrag des Antragstellers ordnete das Amtsgericht H. am
22. März 2006 die vorläufige Verwaltung des Vermögens des Antragstellers an
und eröffnete am 30. April 2006 unter Ablehnung einer Eigenverwaltung durch
den Antragsteller das Insolvenzverfahren über sein Vermögen. Aufgrund der
Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird der Vermögensverfall des Antragstel-
lers nunmehr gesetzlich vermutet (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO). Der Übergang der
Verfügungsbefugnis des insolventen Rechtsanwalts auf einen Vermögensver-
walter führt nicht dazu, dass die Vermögensverhältnisse des Rechtsanwalts
bereits deshalb als wieder "geordnet" anzusehen wären (Senat, Beschl. v.
18. Oktober 2004, AnwZ (B) 43/03, NJW 2005, 511; Beschl. v. 5. Dezember
2005, AnwZ (B) 13/05, NJW-RR 2006, 559). Die Vermögensverhältnisse eines
Schuldners können grundsätzlich erst mit der Aufhebung des Insolvenzverfah-
rens, mit welcher der Schuldner das Recht zurückerhält, über die vormalige In-
solvenzmasse frei zu verfügen (§ 259 Abs. 1 Satz 2 InsO), und mit der Ankün-
digung der Restschuldbefreiung durch Beschluss des Insolvenzgerichts (§ 291
Abs. 1 InsO) wieder als geordnet angesehen werden (Senat, Beschl. v. 7. De-
zember 2004, AnwZ (B) 40/04, NJW 2005, 1271; Beschl v. 5. Dezember 2005,
AnwZ (B) 13/05, aaO). Diese Voraussetzungen sind bislang nicht gegeben und
auch in Zukunft nicht erkennbar. Der Antragsteller hat trotz Verkaufs seines
Hauses immer noch hohe Schulden. Der von dem Insolvenzgericht bestellte
vorläufige Verwalter hat in seinem Massegutachten ausgeführt, der Antragstel-
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ler könne nennenswerte Überschüsse nur erwirtschaften, wenn es ihm gelinge,
das Notariat aufrecht zu erhalten. Das sei die Haupteinnahmequelle; die anwalt-
liche Tätigkeit sei insoweit von untergeordneter Bedeutung und könne vernach-
lässigt werden. Gerade diese Möglichkeit wird der Antragsteller nicht mehr rea-
lisieren können, nachdem das Vorliegen der Voraussetzungen für die endgülti-
ge Enthebung von seinem Amt als Notar rechtskräftig festgestellt ist. Daran än-
dert es nichts, dass der Antragsteller versucht, der endgültigen Enthebung von
seinem Notaramt durch Rechtsmittel entgegenzutreten. In diesen Rechtsmittel-
verfahren können die sachlichen Voraussetzungen der Amtsenthebung nicht
mehr in Frage gestellt werden.
2. Der Vermögensverfall führt regelmäßig - ohne dass es auf ein Ver-
schulden des Betroffenen ankäme - zu einer Gefährdung der Interessen der
Rechtsuchenden, insbesondere im Hinblick auf den Umgang des Rechtsan-
walts mit Mandantengeldern und den darauf möglichen Zugriff von Gläubigern
des Rechtsanwalts (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschl. v. 18. Oktober 2004 und v.
5. Dezember 2005, jeweils aaO).
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Anders kann es sein, wenn sich der betroffene Rechtsanwalt zu einer
Aufgabe seiner selbständigen Praxis und zu einer anwaltlichen Tätigkeit im An-
gestelltenverhältnis entschließt. Ein solcher Ausnahmefall, der im vorrangigen
Interesse der Rechtsuchenden ohnehin nur selten anzunehmen ist, ist hier
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schon im Ansatz nicht erkennbar. Der Antragsteller hat den Anwaltsberuf bis-
lang selbständig ausgeübt. Vortrag dazu, dass er seine selbständige Praxis
aufgeben und künftig im Angestelltenverhältnis anwaltlich tätig werden will, hat
er weder selbst gehalten noch halten lassen.
Hirsch Basdorf Ernemann Schmidt-Räntsch
Wüllrich Hauger Kappelhoff
Vorinstanz:
AGH Celle, Entscheidung vom 11.04.2005 - AGH 4/04 -