Urteil des BGH vom 14.03.2017

BGH (wiedereinsetzung in den vorigen stand, zpo, antrag, wiedereinsetzung, antragsteller, rechtsmittelfrist, zulassung, begründung, anweisung, büro)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZA 14/07
vom
27. September 2007
in dem Rechtsstreit
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Richter Dr. Ganter,
Dr. Kayser, Prof. Dr. Gehrlein, Cierniak und Dr. Fischer
am 27. September 2007
beschlossen:
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen
Versäumung der Einlegungs- und Begründungsfrist für eine Be-
schwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil
des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 8. März
2007 wird zurückgewiesen.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für den Wie-
dereinsetzungsantrag wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens fallen dem An-
tragsteller zur Last.
Gründe:
I.
Die Berufung des Beklagten/Antragstellers ist durch Urteil des Oberlan-
desgerichts zurückgewiesen worden. Das Urteil ist seinem Prozessbevollmäch-
tigten am 13. März 2007 zugestellt worden.
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Mit einem am 23. Mai 2007 bei dem erkennenden Senat eingegangenen
Schriftsatz hat der Antragsteller beantragt, ihm wegen der Versäumung der Ein-
legungs- und Begründungsfrist für eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung
der Revision in dem Berufungsurteil Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu
erteilen. Zugleich hat er beantragt, ihm für das Verfahren auf Wiedereinsetzung
Prozesskostenhilfe zu gewähren.
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Den Wiedereinsetzungsantrag hat er wie folgt begründet:
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"Der Beklagtenvertreter … hat aufgrund eines Versehens seines
Büros erst am 09.05.2007 festgestellt, dass die Fristen hinsichtlich
einer Nichtzulassungsbeschwerde … im EDV-gestützten Fristen-
kalender nicht aufgenommen und damit nicht ausgedruckt worden
sind. Dadurch kam es nicht zu der routinemäßigen Wiedervorlage,
obwohl dahingehend seitens des bearbeitenden Rechtsanwalts
schriftlich verfügt worden war. Das Urteil wurde daher nicht dem
Mandanten zugeleitet, obwohl es eine allgemeine Anweisung gibt,
alle Unterlagen an die Mandanten zuzuschicken."
Einen ausdrücklichen Antrag auf Zulassung der Revision hat der An-
tragsteller nicht gestellt. In der Begründung der Antragsschrift heißt es aller-
dings: "Der Antrag auf Zulassung der Revision ist für den Fall der Wiedereinset-
zung auch begründet …"
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II.
Der Wiedereinsetzungsantrag ist möglicherweise unzulässig. Gemäß
§ 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist die versäumte Prozesshandlung innerhalb der An-
tragsfrist nachzuholen. Einen Antrag auf Zulassung der Revision hat der An-
tragsteller jedenfalls nicht ausdrücklich gestellt. Ob die Ausführungen in der Be-
gründung dahin ausgelegt werden können, es habe bereits der Antrag auf Zu-
lassung der Revision gestellt sein sollen, oder nur als Ankündigung für den Fall
der Gewährung der Wiedereinsetzung verstanden werden können, ist zweifel-
haft. Dies kann jedoch dahinstehen.
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III.
Jedenfalls ist der Wiedereinsetzungsantrag unbegründet. Nach den
§§ 233, 85 Abs. 2 ZPO hätte dem Beklagten/Antragsteller nur dann Wiederein-
setzung gewährt werden können, wenn seinen Prozessbevollmächtigten an der
Fristversäumung kein Verschulden träfe. Dies ist indessen nicht der Fall.
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1. Nach dem eigenen Vorbringen des Antragstellers sind im Büro seines
Prozessbevollmächtigten mindestens drei Fehler begangen worden:
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Erstens sind die Fristen für die Einlegung und Begründung der Nichtzu-
lassungsbeschwerde - ein Monat bzw. zwei Monate nach Zustellung des Beru-
fungsurteils (§ 544 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 ZPO) - nicht im Fristenkalender
eingetragen worden. Zweitens ist die angeblich schriftlich verfügte Wiedervorla-
ge nicht ausgeführt worden, und drittens ist das Urteil entgegen einer angeblich
bestehenden allgemeinen Anweisung nicht dem Mandanten zugeleitet worden.
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In Ermangelung entsprechenden Vortrags muss davon ausgegangen werden,
dass die drei Fehler unabhängig voneinander begangen worden sind. Dass es
auch an einer Glaubhaftmachung fehlt, weil die Anlagen dem Wiedereinset-
zungsschriftsatz nicht beigefügt waren, ist deshalb nicht entscheidungserheb-
lich.
2. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der
Rechtsanwalt die Berechnung und Notierung einfacher und in seinem Büro ge-
läufiger Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig
überwachten Bürokraft überlassen. Er hat jedoch durch geeignete organisatori-
sche Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten
und kontrolliert werden (BGH, Beschl. v. 5. November 2003 - XII ZR 140/02,
BGHR ZPO § 233 - Fristberechnung 5 m.w.N.). Dazu fehlt jeder Vortrag.
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Im Übrigen darf der Rechtsanwalt das Empfangsbekenntnis über eine
Urteilszustellung erst unterzeichnen und zurückgeben, wenn in den Handakten
die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenka-
lender notiert worden ist (BGH, Beschl. v. 10. Oktober 1991 - VII ZB 4/91,
BGHR ZPO § 233 - Fristenkontrolle 22; v. 30. November 1994 - XII ZB 197/94,
BGHR ZPO § 233 - Empfangsbekenntnis 1; v. 17. September 2002 - VI ZR
419/01, BGHR ZPO § 233 - Empfangsbekenntnis 5; v. 5. November 2003
aaO). Dieses Sorgfaltsgebot hat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers
verletzt, als er am 13. März 2007 das Empfangsbekenntnis unterzeichnet und
zurückgegeben hat, ohne zuvor die Notierung der Rechtsmittelfrist sicherge-
stellt zu haben. Sollte er seinerzeit - was aber nicht dargelegt ist - seine Büro-
kraft mündlich angewiesen haben, die Rechtsmittelfrist einzutragen, müssen
ausreichende organisatorische Vorkehrungen getroffen sein, dass die Anwei-
sung nicht in Vergessenheit gerät (BGH, Beschl. v. 17. September 2002 aaO; v.
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5. November 2002 - VI ZR 399/01, BGHR ZPO § 233 - Empfangsbekenntnis 6;
v. 4. November 2003 - VI ZB 50/03, NJW 2004, 688, 689). Dazu ist nichts vor-
getragen.
Die angeblich schriftlich angeordnete - aber ebenfalls nicht befolgte -
Verfügung der Wiedervorlage der Handakte reichte nicht aus. Es entspricht ge-
festigter Rechtsprechung, dass Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfris-
ten so notiert werden müssen, dass sie sich von gewöhnlichen Wiedervorlage-
fristen deutlich abheben (BGH, Urt. v. 21. Dezember 1988 - VIII ZR 84/88, NJW
1989, 2393, 2394 m.w.N.; v. 29. Juli 2004 - III ZB 27/04, BGH-Report 2005, 44,
45). Hier kann nicht einmal angenommen werden, dass die Wiedervorlage
rechtzeitig zur Entdeckung der fehlenden Eintragung im Fristenkalender geführt
hätte. Weder hat der Antragsteller vorgetragen, für welchen Zeitpunkt die Wie-
dervorlage angeordnet, noch dass die Rechtsmittelfrist auf den Handakten no-
tiert worden ist.
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Die Besonderheiten eines elektronisch unterstützten Fristenkalenders
(vgl. dazu etwa BGH, Beschl. v. 23. März 1995 - VII ZB 3/95, BGHR ZPO § 233
- Fristenkontrolle 43; v. 10. Oktober 1996 - VII ZB 31/95, BGHR ZPO § 233
- Fristenkontrolle 52; v. 12. Oktober 1998 - II ZB 11/98, BGHR ZPO § 233 - Fris-
tenkontrolle 63; v. 12. Dezember 2005 - II ZB 33/04, BGH-Report 2006, 449)
haben sich nicht ausgewirkt, weil die Frist gar nicht erst in den Kalender einge-
geben worden ist.
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Ganter Kayser Gehrlein
Cierniak
Fischer
Vorinstanzen:
LG Koblenz, Entscheidung vom 05.01.2006 - 3 O 235/05 -
OLG Koblenz, Entscheidung vom 08.03.2007 - 2 U 155/06 -