Urteil des BGH vom 26.03.2014

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
BESCHLUSS
X I I Z B 2 1 4 / 1 3
Verkündet am:
26. März 2014
Küpferle,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 1578 b
a) Bei einem betriebsbedingten und damit nicht ehebedingten Verlust des Ar-
beitsplatzes kann sich ein ehebedingter Nachteil auch daraus ergeben, dass
sich der unterhaltsberechtigte Ehegatte mit Rücksicht auf die Ehe und die
übernommene oder fortgeführte Rollenverteilung zunächst nur in einem ein-
geschränkten Radius und später gar nicht mehr um eine seiner beruflichen
Qualifikation und Fähigkeiten entsprechenden Stelle bewirbt (im Anschluss
an Senatsurteile vom 7. März 2012 - XII ZR 25/10 - FamRZ 2012, 776 und
vom 20. Februar 2013 - XII ZR 148/10 - FamRZ 2013, 860).
b) Auch in einem solchen Fall hat der Unterhaltsberechtigte im Rahmen seiner
sekundären Darlegungslast die Behauptung, es seien keine ehebedingten
Nachteile entstanden, substantiiert zu bestreiten und seinerseits darzulegen,
welche konkreten ehebedingten Nachteile entstanden sind. Erst wenn das
Vorbringen des Unterhaltsberechtigten diesen Anforderungen genügt, müs-
sen die vorgetragenen ehebedingten Nachteile vom Unterhaltspflichtigen wi-
derlegt werden (im Anschluss an Senatsurteil BGHZ 185, 1 = FamRZ 2010,
875 und Senatsbeschluss vom 13. März 2013 - XII ZB 650/11 - FamRZ
2013, 935).
BGH, Beschluss vom 26. März 2014 - XII ZB 214/13 - OLG Schleswig
AG Neumünster
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 26. März 2014 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter
Dr. Klinkhammer, Schilling, Dr. Günter und Dr. Nedden-Boeger
für Recht erkannt:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 5. Senats für
Familiensachen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts
in Schleswig vom 22. April 2013 wird auf Kosten des Antragstel-
lers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
Die Antragsgegnerin (im Folgenden: Ehefrau) begehrt von dem Antrag-
steller, ihrem mittlerweile geschiedenen Ehemann (im Folgenden: Ehemann),
im Scheidungsverbundverfahren Zahlung nachehelichen Unterhalts.
Aus der im Jahr 1989 geschlossenen Ehe der Beteiligten ist ein Sohn
hervorgegangen, der im Jahr 1994 geboren wurde. Dieser führt einen eigenen
Haushalt und ist wirtschaftlich selbständig. Die Eheleute waren zunächst in ei-
nem Kernkraftwerk in der ehemaligen DDR beschäftigt, der Ehemann als Ma-
schinist und die Ehefrau als Ingenieurin. Die Ehegatten entschlossen sich nach
der politischen Wende, in den Westen umzuziehen und sich in Norddeutschland
um neue Arbeitsplätze zu bemühen. Der Ehemann nahm im Herbst 1990 im
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direkten Anschluss an seine frühere Tätigkeit eine Stelle bei den Stadtwerken
N. an. Dort ist er noch heute beschäftigt; er verfügte im Jahr 2012
über ein Nettoeinkommen von rund 3.229
€ monatlich. Die 1963 geborene Ehe-
frau war bis März 1992 in dem Kernkraftwerk beschäftigt, in der Zeit seit Mitte
1990 in Form einer auf "Null" reduzierten Kurzarbeit
.
Nachdem es der Ehefrau
nicht gelang, in N. ebenfalls einen Arbeitsplatz zu finden, absolvierte
sie im Jahr 1992 einen vom Arbeitsamt vermittelten halbjährigen Computerkurs.
Nach der Geburt des Sohnes führten die Beteiligten bis Herbst 1998 eine Haus-
frauenehe. Im Anschluss hieran absolvierte die Ehefrau eine Umschulung zur
Kauffrau für Bürokommunikation. Unmittelbar nach Abschluss dieser Ausbil-
dung Anfang 2001 nahm sie eine Tätigkeit als kaufmännische Angestellte auf.
Seit Anfang 2002 arbeitet sie bei ihrem jetzigen Arbeitgeber mit aktuell rund
40 Wochenstunden; sie verfügte im Jahr 2012 über ein Nettoeinkommen von
rund 1.440
€ monatlich.
Das Amtsgericht hat auf den im Februar 2012 zugestellten Scheidungs-
antrag die Ehe geschieden, den Versorgungsausgleich durchgeführt und den
Ehemann verpflichtet, an die Ehefrau nachehelichen Unterhalt von monatlich
1.055,86
€ zu zahlen (Elementarunterhalt 844,86 € und Altersvorsorgeunterhalt
211
€). Auf die Beschwerde des Ehemanns, mit der er eine stufenweise Be-
grenzung des Unterhalts begehrt hat, hat das Beschwerdegericht die Unter-
haltszahlung auf 863
€ monatlich reduziert (Elementarunterhalt 691 € und Al-
tersvorsorgeunterhalt 172
€). Hiergegen wendet sich der Ehemann mit der zu-
gelassenen Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
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1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Beim Ehemann sei von einem bereinigten Monatseinkommen von
3.114,81
€ und bei der Ehefrau von einem solchen von 1.329,70 € auszugehen.
Danach ergebe sich ein monatlicher Elementar- und Altersvorsorgeunterhalt
von insgesamt 863
€.
Der Unterhalt sei nicht gemäß § 1578 b BGB zu begrenzen. Der Ehefrau
seien dauerhafte ehebedingte Nachteile entstanden. Zwar habe sie ihren Ar-
beitsplatz im Kernkraftwerk betriebsbedingt aufgeben müssen. Die von den Be-
teiligten gemeinsam gestaltete Lebensführung nach dem Verlust des Arbeits-
platzes der Ehefrau habe aber eine eigenständige Ursache für den Einkom-
mensnachteil gesetzt. Anders als dem Ehemann sei es der Ehefrau nicht ge-
lungen, eine ihrer Ausbildung und bisherigen Berufstätigkeit entsprechende
neue Arbeitsstelle zu finden. Die Lebensplanung der Beteiligten sei ab etwa
1992 darauf gerichtet gewesen, ein Kind zu bekommen, das schließlich im Juni
1994 nach künstlicher Befruchtung geboren worden sei.
Dass sich die Ehefrau aufgrund ihrer vom Ehemann behaupteten schwie-
rigen Persönlichkeitsstruktur und nicht aufgrund gemeinsamer getragener Ent-
scheidungen während der Ehe ab 1991 nicht bundesweit beworben habe, sei
aufgrund ihrer Erwerbsbiografie nicht anzunehmen. Das berufliche Agieren der
Ehefrau vor der Eheschließung zeuge gerade nicht von geringer Flexibilität,
Scheu vor fremden Städten oder einer persönlichkeitsbedingten Angst vor Lei-
tungsaufgaben
.
Die Ehefrau habe ihrer sekundären Darlegungslast hinsichtlich
ihrer ehebedingten Nachteile genügt. Ihren Vortrag, welche konkreten Nachteile
ihr entstanden seien, habe der Ehemann nicht zu widerlegen vermocht. Auf-
grund der Erwerbsbiografie der Ehefrau bis zur Eheschließung bestünden aus-
reichende Anhaltspunkte für die Möglichkeit einer Tätigkeit in ihrem erlernten
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Beruf, wenn die Ehegatten nicht gemeinsam nach N. gezogen wären
und sich für ein Kind entschieden hätten, das dann überwiegend von der Ehe-
frau betreut worden sei. Der Vortrag des Ehemanns sei widersprüchlich. Einer-
seits behaupte er, der Anspruch sei verwirkt, weil die Ehefrau 1990 bis 1993
einen Arbeitsplatz in ihrem erlernten Beruf gefunden hätte, wenn sie sich nur
ausreichend und in einem größeren Umkreis beworben hätte. Andererseits be-
haupte er, soweit es auf die Höhe des ehebedingten Nachteils ankomme, dass
es der Ehefrau nicht gelungen wäre, eine Anstellung in ihrem erlernten Beruf zu
finden.
Es könne auch aufgrund des vom Ehemann vorgelegten statistischen
Materials nicht davon ausgegangen werden, dass es der Ehefrau bei aus-
reichenden Bewerbungen im gesamten (west-)deutschen Raum, insbesondere
im Ballungsbereich der chemischen Industrie in Nordrhein-Westfalen, Baden-
Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz, 1990 oder 1991 nicht gelungen wä-
re, einen Arbeitsplatz zu finden. Es könne sein, dass die Arbeitsplatzsituation
für Chemie-Ingenieure Anfang der 90er Jahre so angespannt gewesen sei,
dass auch Universitätsabsolventen mit guten Examina nicht sofort eine Anstel-
lung hätten finden können. Zu berücksichtigen sei aber, dass die Ehefrau nur
begrenzt mit einem Universitätsabsolventen zu vergleichen gewesen sei. Sie
habe nämlich Anfang der 90er Jahre bereits über fünf Jahre Berufserfahrung in
leitender Position und neben dem Ingenieursabschluss über eine Ausbildung
als Chemielaborantin verfügt.
Dass sich die Ehefrau nach der Entscheidung für ein gemeinsames Kind
bei der Arbeitssuche auf einen Umkreis von 50 km um den gemeinsamen Woh-
nort beschränkt habe, sei angesichts der Betreuungsmöglichkeiten für Kinder
und der Schichttätigkeit des Ehemanns unterhaltsrechtlich nicht vorwerfbar und
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vom Ehemann offensichtlich anhand des gemeinsamen Zusammenlebens auch
so akzeptiert worden.
Eine Herabsetzung auf den angemessenen Lebensbedarf führe zu kei-
nem geringeren Unterhaltsanspruch der Ehefrau. Ohne den ehebedingten Ver-
zicht auf eine Berufstätigkeit als Chemie-Ingenieurin würde die Ehefrau heute
zumindest über ein monatliches Bruttoeinkommen von 3.450
€ verfügen, mithin
über ein Nettoeinkommen von 2.132
€. Das entspreche dem Betrag, der der
Ehefrau aus eigener Erwerbstätigkeit mit monatlich 1.440
€ netto zuzüglich des
Elementarunterhaltsanspruchs in Höhe von 691
€ zur Verfügung stünde. Der
Altersvorsorgeunterhaltsanspruch sei bei diesem Vergleich nicht zu berücksich-
tigen, da dieser den Ausgleich für die geringeren Rentenversicherungsbeiträge
im Vergleich zu einer Berufstätigkeit ohne ehebedingten Nachteil darstelle und
im Übrigen der Ehefrau für ihren monatlichen Bedarf nicht zur Verfügung stehe
.
Nach dem Tarifarchiv der Hans-Böckler-Stiftung liege die Vergütung in
der chemischen Industrie für eine Ingenieurstätigkeit mit vorausgesetzter Fach-
hochschulausbildung im Osten bei 3.327
€ bis 4.266 € pro Monat, im Tarifgebiet
Nordrhein-Westfalen bei monatlich 3.677
€ bis 4.714 €. Der Mittelwert liege
damit bei ca. 4.200
€ brutto pro Monat. Einen Abschlag vom Tarifgehalt der
chemischen Industrie deshalb vorzunehmen, weil viele Akademiker nicht in ta-
rifgebundenen Unternehmen arbeiteten, sei nicht geboten. Die von dem Ehe-
mann vorgetragenen Zahlen zur Anzahl der tariflich beschäftigten Akademiker
seien nicht belastbar. Sie bezögen sich insbesondere nicht ausschließlich auf
Chemiker, sondern auf alle Akademiker, umfassten also auch die akademi-
schen Berufe, in denen in größerem Maße als bei Chemikern eine selbständige
oder freiberufliche Tätigkeit zum typischen Berufsbild gehöre, wie zum Beispiel
Ärzte, Rechtsanwälte, Psychologen etc. Aufgrund des Berufsbilds eines Chemi-
kers sei davon auszugehen, dass die Anzahl der in tarifgebundenen Unterneh-
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men arbeitenden Chemie-Ingenieure prozentual höher sei als zum Beispiel die
von Juristen oder Medizinern. Auch bei einer unterstellt geringeren Bezahlung
der Ehefrau aufgrund ihres Geschlechts sei davon auszugehen, dass bei lang-
jährig Beschäftigten zumindest die tarifliche Mindestvergütung erzielt werde.
Dass das Einkommen der Ehefrau bei einer zwanzigjährigen Beschäftigung
in der chemischen Industrie Westdeutschlands heute unter 3.600
€ läge, sei
nicht ersichtlich. Im Jahr 2010 habe nach einer Studie des Vereins deutscher
Ingenieure für 2010 das Einstiegsgehalt eines Ingenieurs (FH) durchschnittlich
40.200
€ betragen, wobei die Chemie- und Pharmaindustrie überdurchschnittli-
che Einkommen zahle. Diese Studie beschränke sich nicht auf tarifgebundene
Unternehmen. Dass die Ehefrau bei unterstellt knapp dreißigjähriger Berufser-
fahrung nicht einmal das Einstiegsgehalt eines Ingenieurs erzielen würde und
auch trotz einer Beschäftigung im süddeutschen Raum (West) ein geringeres
Einkommen als ein tariflich bezahlter Ingenieur im Osten erzielen würde, sei
angesichts der derzeitigen Vollbeschäftigung von Ingenieuren nicht schlüssig
begründbar und unwahrscheinlich
.
Der Ehefrau stehe neben dem Elementarunterhalt nach § 1578 Abs. 3
BGB ein Altersvorsorgeunterhalt in Höhe von 172
€ pro Monat zu. Zwar sei der-
zeit die Altersversorgung der Beteiligten unter Berücksichtigung des durchge-
führten Versorgungsausgleichs in etwa gleich. Aufgrund des dauerhaften ehe-
bedingten Nachteils sei die Ehefrau jedoch auch in Zukunft gehindert, ein ihrem
Ausbildungsstand als Ingenieurin entsprechendes Einkommen und damit kor-
respondierende Rentenanwartschaften zu erwerben. Demgegenüber werde der
Ehemann in Zukunft allein von den mit seinem relativ hohen Einkommen kor-
respondierenden hohen Anwartschaften profitieren.
2. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Rechtsbeschwerde
stand.
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a) Der zuerkannte Anspruch auf Aufstockungsunterhalt nach § 1573
Abs. 2 BGB sowie der Anspruch auf Altersvorsorgeunterhalt nach § 1578
Abs. 3 BGB werden von der Rechtsbeschwerde weder dem Grunde noch der
Höhe nach in Frage gestellt. Die entsprechenden Ausführungen des Beschwer-
degerichts sind auch von Rechts wegen nicht zu beanstanden.
b) Die Rechtsbeschwerde begehrt allein eine Begrenzung des Unter-
haltsanspruchs gemäß § 1578 b BGB. Dass das Beschwerdegericht eine sol-
che sowohl in Form einer Befristung nach § 1578 b Abs. 2 BGB als auch in
Form einer Herabsetzung gemäß §§ 1578 b Abs. 1 BGB abgelehnt hat, ist frei
von Rechtsfehlern.
aa) Ein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt ist nach § 1578 b Abs. 1
Satz 1 BGB auf den angemessenen Lebensbedarf herabzusetzen, wenn eine
an den ehelichen Lebensverhältnissen orientierte Bemessung des Unterhalts-
anspruchs auch unter Wahrung der Belange eines dem Berechtigten zur Pflege
oder Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes unbillig wäre. Nach
§ 1578 b Abs. 2 Satz 1 BGB ist ein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt zeit-
lich zu begrenzen, wenn ein zeitlich unbegrenzter Unterhaltsanspruch unbillig
wäre. Die Kriterien für die Billigkeitsabwägung ergeben sich aus § 1578 b
Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB. Danach ist insbesondere zu berücksichtigen, inwie-
weit durch die Ehe Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit eingetreten sind,
für den eigenen Unterhalt zu sorgen, oder eine Herabsetzung des Unterhalts-
anspruchs unter Berücksichtigung der Dauer der Ehe unbillig wäre. Nachteile
i.S.d. Satzes 2 können sich vor allem aus der Dauer der Pflege oder Erziehung
eines gemeinschaftlichen Kindes sowie aus der Gestaltung von Haushaltsfüh-
rung und Erwerbstätigkeit während der Ehe ergeben, § 1578 b Abs. 1 Satz 3
BGB.
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(1) Der Maßstab des angemessenen Lebensbedarfs, der nach § 1578 b
Abs. 1 BGB die Grenze für die Herabsetzung des nachehelichen Unterhalts
bildet, bemisst sich dabei nach dem Einkommen, das der unterhaltsberechtigte
Ehegatte ohne die Ehe und Kindererziehung aus eigenen Einkünften zur Verfü-
gung hätte. Erzielt der Unterhaltsberechtigte nach einer ehebedingten Ein-
schränkung seiner Erwerbstätigkeit lediglich Einkünfte, die den eigenen ange-
messenen Unterhaltsbedarf nach § 1578 b BGB nicht erreichen, scheidet eine
Befristung des Unterhaltsanspruchs regelmäßig aus. Auch dann kann der Un-
terhalt nach einer Übergangszeit aber bis auf den ehebedingten Nachteil her-
abgesetzt werden, der sich aus der Differenz des angemessenen Unterhaltsbe-
darfs mit dem erzielten oder erzielbaren eigenen Einkommen ergibt, was freilich
voraussetzt, dass der Bedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen den
eigenen angemessenen Lebensbedarf übersteigt. Um den ehebedingten Nach-
teil der Höhe nach bemessen zu können, muss der Tatrichter Feststellungen
zum angemessenen Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten im Sinne des
§ 1578 b Abs. 1 Satz 1 BGB und zum Einkommen treffen, das der Unterhalts-
berechtigte tatsächlich erzielt bzw. gemäß §§ 1574, 1577 BGB erzielen könnte.
Die Differenz aus den beiden Positionen ergibt den ehebedingten Nachteil (Se-
natsbeschluss vom 13. März 2013 - XII ZB 650/11 - FamRZ 2013, 935 Rn. 35
mwN).
(2) Ehebedingte Nachteile sind vor allem Erwerbsnachteile, die durch die
von den Ehegatten praktizierte Rollenverteilung während der Ehe entstanden
sind. Sie können sich ergeben, wenn ein Ehegatte sich entschließt, seinen Ar-
beitsplatz aufzugeben, um die Haushaltsführung und Kinderbetreuung zu über-
nehmen. Denn nach § 1578 b Abs. 1 Satz 3 BGB können sich solche Nachteile
vor allem aus der Dauer der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen
Kindes sowie aus der Gestaltung von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit
während der Ehe ergeben. Es ist auf die tatsächliche Gestaltung von Kinderbe-
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treuung und Haushaltsführung abzustellen, weshalb der unterhaltspflichtige
Ehegatte nicht einwenden kann, dass er den Unterhaltsberechtigten während
der Ehe zur Berufstätigkeit angehalten habe (Senatsbeschluss vom 13. März
2013 - XII ZB 650/11 - FamRZ 2013, 935 Rn. 36 und Senatsurteil vom 16. Fe-
bruar 2011 - XII ZR 108/09 - FamRZ 2011, 628 Rn. 20 mwN).
Ein Nachteil ist nur dann nicht ehebedingt, wenn die Ehegestaltung für
den Erwerbsnachteil nicht ursächlich geworden ist. Das ist der Fall, wenn der
Unterhaltsberechtigte seinen Arbeitsplatz ausschließlich aus Gründen aufgege-
ben oder verloren hat, die außerhalb der Ehegestaltung liegen, so etwa auf-
grund einer von ihm persönlich beschlossenen beruflichen Neuorientierung
oder wegen einer betriebs- oder krankheitsbedingten Kündigung seitens des
Arbeitgebers (Senatsbeschluss vom 13. März 2013 - XII ZB 650/11 - FamRZ
2013, 935 Rn. 36 mwN).
Ein ehebedingter Nachteil kann sich bei einem - nicht ehebedingten - Ar-
beitsplatzverlust indes daraus ergeben, dass der unterhaltsberechtigte Ehegatte
mit Rücksicht auf die Ehe und die übernommene Rollenverteilung von der Auf-
nahme einer seiner beruflichen Qualifikation und Fähigkeiten entsprechenden
Erwerbstätigkeit absieht und ihm dadurch eine dauerhafte Einkommenseinbuße
entsteht (Senatsurteile vom 20. Februar 2013 - XII ZR 148/10 - FamRZ 2013,
860 Rn. 20 und vom 7. März 2012 - XII ZR 25/10 - FamRZ 2012, 776 Rn. 21).
(3) Der Unterhaltspflichtige, der sich auf eine Begrenzung des nacheheli-
chen Unterhalts beruft, trägt die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der
hierfür sprechenden Tatsachen. In die Darlegungs- und Beweislast des Unter-
haltspflichtigen fällt deshalb grundsätzlich auch der Umstand, dass dem Unter-
haltsberechtigten keine ehebedingten Nachteile im Sinne des § 1578 b BGB
entstanden sind. Die dem Unterhaltspflichtigen obliegende Darlegungs- und
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Beweislast erfährt jedoch eine Erleichterung nach den von der Rechtsprechung
zum Beweis negativer Tatsachen entwickelten Grundsätzen. Danach trifft den
Unterhaltsberechtigten eine sekundäre Darlegungslast, die im Rahmen von
§ 1578 b BGB zum Inhalt hat, dass der Unterhaltsberechtigte die Behauptung,
es seien keine ehebedingten Nachteile entstanden, substantiiert bestreiten
und seinerseits darlegen muss, welche konkreten ehebedingten Nachteile
entstanden sein sollen. Erst wenn das Vorbringen des Unterhaltsberechtigten
diesen Anforderungen genügt, müssen die vorgetragenen ehebedingten Nach-
teile vom Unterhaltspflichtigen widerlegt werden (Senatsurteil BGHZ 185, 1
= FamRZ 2010, 875 Rn. 18 ff. und Senatsbeschluss vom 13. März 2013
- XII ZB 650/11 - FamRZ 2013, 935 Rn. 37 mwN).
bb) Gemessen hieran begegnet die Auffassung des Beschwerdegerichts,
wonach die Voraussetzungen für eine Begrenzung nach § 1578 b BGB wegen
eines bestehenden ehebedingten Erwerbsnachteils gegenwärtig nicht vorliegen,
keinen Bedenken.
(1) Das Beschwerdegericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass
der betriebsbedingte Arbeitsplatzverlust auf Seiten der Ehefrau für sich gese-
hen keinen ehebedingten Nachteil zu begründen vermag. Zu Recht hat es in
einem nächsten Schritt darauf abgestellt, dass ein ehebedingter Nachteil auch
dann eintreten kann, wenn sich der unterhaltsberechtigte Ehegatte ehebedingt
zunächst - vergeblich - nur in einem eingeschränkten Radius und später gar
nicht mehr um eine seiner beruflichen Qualifikation und Fähigkeiten entspre-
chende Stelle bewirbt. Dabei kommt es auf die Einwendungen des Ehemanns,
wonach die Ehefrau während des ehelichen Zusammenlebens die gebotenen
Erwerbsbemühungen unterlassen habe, entgegen der Auffassung der Rechts-
beschwerde schon deshalb nicht an, weil für die Bewertung der in § 1578 b
BGB aufgeführten Kriterien maßgeblich auf die tatsächlich gelebte Ehe, also auf
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objektive Umstände abzustellen ist (siehe etwa Senatsurteil vom 20. Oktober
2010 - XII ZR 53/09 - FamRZ 2010, 2059 Rn. 27).
(2) Das Beschwerdegericht hat zudem die vom Senat zu § 1578 b BGB
entwickelten Grundsätze zur Darlegungs- und Beweislast in nicht zu beanstan-
dender Weise auf den vorliegenden Fall übertragen.
(a) Für die Frage, ob ehebedingte Nachteile entstanden sind, macht es
im Ergebnis keinen Unterschied, ob sich der Unterhaltsberechtigte ehebedingt
erst gar nicht um eine Erwerbstätigkeit bemüht hat und deshalb später nicht
mehr in den erlernten Beruf zurückfinden kann oder ob er sich - wie hier - ehe-
bedingt nur in einem engen örtlichen Umkreis zum Wohnort vergeblich bewor-
ben hat und deshalb nun keine entsprechende Anstellung mehr findet. Soweit
die Rechtsbeschwerde meint, der letztgenannten Fallgruppe eine gewisse In-
dizwirkung für eine generell fehlende Erfolgsaussicht der Bewerbungsbemü-
hungen entnehmen zu können, kann dem im Rahmen der sekundären Darle-
gungslast je nach den Umständen des Einzelfalls angemessen Rechnung ge-
tragen werden. Das ändert entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde
allerdings nichts daran, dass der Unterhaltspflichtige vom Unterhaltsberechtig-
ten hinreichend substantiiert vorgetragene ehebedingte Nachteile zu widerlegen
hat, weil er die Beweislast für die von ihm geltend gemachte Einwendung der
Unterhaltsbegrenzung nach § 1578 b BGB trägt.
Beide Fallkonstellationen setzen freilich voraus, dass die Aufnahme einer
angemessenen Erwerbstätigkeit ohne ehebedingte Einschränkung möglich ge-
wesen wäre.
(b) Diesen Maßstäben ist das Beschwerdegericht hinreichend gerecht
geworden.
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Das Beschwerdegericht ist in tatrichterlicher Verantwortung davon aus-
gegangen, dass die Ehefrau ihrer Darlegungslast gerecht geworden sei. Hierbei
hat es maßgeblich auf den Vortrag zu ihrer Erwerbsbiografie bis zur Eheschlie-
ßung abgestellt. Zudem hat das Beschwerdegericht berücksichtigt, dass die
Ehefrau bereits über fünf Jahre Berufserfahrung in leitender Position und neben
dem Ingenieursabschluss über die Ausbildung als Chemielaborantin verfügte.
Wenn es unter Berücksichtigung dieser Feststellungen den Vortrag der Ehefrau
als hinreichend substantiiert erachtet, ist das aus Rechtsgründen nicht zu bean-
standen.
(c) Schließlich geht die Rüge der Rechtsbeschwerde fehl, wonach das
Beschwerdegericht dem Beweisantrag des Ehemanns, ein Sachverständigen-
gutachten zu den seinerzeit bestehenden Einstellungschancen und zur Ein-
kommenshöhe einzuholen, hätte entsprechen müssen. Die Rechtsbeschwerde
hat mit ihrer Verfahrensrüge nicht aufgezeigt, dass der Beweisantrag des Ehe-
manns erheblich war, also die Einholung eines Sachverständigengutachtens
erforderlich gewesen wäre.
Allerdings kann der Unterhaltspflichtige - worauf die Rechtsbeschwerde
zutreffend hinweist - die substantiierte Darlegung ehebedingter Nachteile wider-
legen. Dabei verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG das Gericht, erhebliche Beweisan-
träge zu berücksichtigen; der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährt aller-
dings keinen Schutz davor, dass das Gericht Vorbringen der Beteiligten aus
Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberück-
sichtigt lässt (BGH Beschluss vom 9. April 2013 - XI ZR 337/10 - BKR 2013,
260 Rn. 11 mwN).
(aa) Der Einholung eines Sachverständigengutachtens über die damali-
gen Beschäftigungschancen der Ehefrau bedurfte es ausgehend vom Vortrag
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des Ehemanns nach den vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen
indes nicht.
Der Ehemann hat in dem von der Rechtsbeschwerde in Bezug genom-
menen Schriftsatz im instanzgerichtlichen Verfahren selbst vorgetragen, dass
die Arbeitslosenquote der "FH-Absolventen (Chemiker)" in Gesamtdeutschland
1991 26,6 % und im Jahr 1992 31,3 % betragen habe. Der von der Rechtsbe-
schwerde konkret in Bezug genommene Beweisantritt des Ehemanns bezieht
sich auf das Beweisthema "Bewerbung in Pforzheim oder Umgebung".
In seiner
Beschwerdebegründung hat der Ehemann wiederum die Behauptung unter
Beweis gestellt, dass nur ein Bewerber mit speziellen Zusatzqualifikationen
bzw. Nachweisen über Fortbildungsmaßnahmen auf dem Arbeitsmarkt in West-
deutschland eine Chance und eine Frau ohnehin noch schlechtere Chancen
gehabt hätte.
Das Beschwerdegericht hat den Vortrag des Ehemanns als richtig unter-
stellt, wonach die Arbeitsplatzsituation für Chemie-Ingenieure Anfang der 90er
Jahre des letzten Jahrhunderts so angespannt gewesen sei, dass auch Univer-
sitätsabsolventen mit guten Examina nicht sofort eine Anstellung hätten finden
können. Dabei hat es aber zugunsten der Ehefrau berücksichtigt, dass diese
anders als Universitätsabsolventen Anfang der 90er Jahre bereits über fünf
Jahre Berufserfahrung in leitender Position verfügte und neben dem Ingenieur-
abschluss eine Ausbildung als Chemielaborantin innehatte. Selbst wenn man
die vom Ehemann - bezogen auf FH-Absolventen, also Berufsanfänger - be-
hauptete Arbeitslosenquote von rund 30 % unterstellte, würde dies der Rechts-
beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen, weil damit die von der Ehefrau darge-
legte Erwerbschance nicht widerlegt wäre. Da sie im Übrigen dargetan hat,
dass sie sich im gesamten Bundesgebiet beworben hätte, kommt es auf die
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unter Beweis gestellte Tatsache der Einstellungschancen in Pforzheim und
Umgebung nicht an.
Ebenso wenig kann sich der Ehemann mit Erfolg darauf berufen, dass
sich die Ehefrau erst im Jahr 1993 um die Anerkennung ihres Abschlusses (FH)
gekümmert habe. Denn dies ist letztlich Ausdruck der gelebten Ehe und lässt
keine Rückschlüsse darauf zu, wie die Ehefrau ohne Ehe verfahren wäre. Hinzu
kommt, dass der Ehemann an anderer Stelle selbst behauptet hat, dass die
Ehefrau in der Zeit von 1990 bis 1993 einen Arbeitsplatz in ihrem erlernten Be-
ruf hätte finden können, wenn sie sich nur ausreichend und in einem größeren
Umkreis beworben hätte. Im Übrigen hätte der Ehefrau selbst bei unterstellt
schlechten Erwerbschancen im Jahr 1992 - ohne Ehe - dann jedenfalls ein spä-
terer Wiedereinstieg gelingen können.
(bb) Schließlich ist auch nichts dagegen zu erinnern, dass das Be-
schwerdegericht aufgrund der von ihm getroffenen Feststellungen das von der
Ehefrau in ihrem früheren Beruf erzielbare monatliche Bruttoeinkommen mit
3.450
€ bemessen hat (netto 2.132 € bei Steuerklasse 1 und einem hälftigen
Kinderfreibetrag), ohne hierzu ein Sachverständigengutachten eingeholt zu ha-
ben.
Entgegen den pauschal gehaltenen Ausführungen der Rechtsbeschwer-
de hat sich das Beschwerdegericht zur Ermittlung der Einkommenshöhe nicht
allein auf eine Studie des Vereins Deutscher Ingenieure gestützt. Vielmehr hat
es in tatrichterlicher Verantwortung das Tarifarchiv der Hans-Böckler-Stiftung
herangezogen und schließlich unter Berücksichtigung verschiedener Tarifstruk-
turen einen Mittelwert von 4.200
€ brutto monatlich gebildet. Zudem hat das
Beschwerdegericht den von der Rechtsbeschwerde in Bezug genommenen
Einwand des Ehemanns im Ergebnis Rechnung getragen, wonach ein ge-
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schlechtsspezifischer Abschlag von 18 % vorzunehmen sei, indem es bei der
Berechnung des angemessenen Lebensbedarfs der Ehefrau einen monatlichen
Bruttolohn von lediglich 3.450
€ zugrunde gelegt hat. Schließlich hat es sich
umfassend und in von Rechts wegen nicht zu beanstandender Weise mit dem
Einwand des Ehemanns auseinandergesetzt, wonach ein Abschlag vom Tarif-
gehalt vorzunehmen sei, weil viele Akademiker nicht in tarifgebundenen Unter-
nehmen arbeiteten. Dass das Beschwerdegericht einen solchen Abschlag ohne
Einholung eines Sachverständigengutachtens abgelehnt hat, ist nicht zuletzt
auch deshalb vertretbar, weil dieser Beweisantritt nicht geeignet war, eine mög-
liche Anstellung der Ehefrau in einem tarifgebundenen Unternehmen zu wider-
legen, zumal nach dem eigenen Vortrag des Ehemanns immerhin 47 % aller
Akademiker in tarifgebundenen Betrieben beschäftigt seien.
(3) Nach den weiteren Feststellungen des Beschwerdegerichts entspricht
der angemessene Lebensbedarf der Ehefrau, also das Einkommen, über das
sie ohne Eheschließung verfügen würde, dem Bedarf nach den ehelichen Le-
bensverhältnissen. Demnach stimmt der zugesprochene Elementarunterhalt mit
dem ehebedingten Nachteil überein, weshalb auch nichts dagegen zu erinnern
ist, dass sich das Beschwerdegericht gegen eine Befristung ausgesprochen
hat.
cc) Ebenso wenig ist es zu beanstanden, dass das Beschwerdegericht
von einer Herabsetzung im Sinne des § 1578 b Abs. 1 BGB abgesehen hat.
Denn eine Herabsetzung auf den angemessenen Lebensbedarf kommt nur
dann in Betracht, wenn der angemessene Lebensbedarf unterhalb des eheli-
chen Bedarfs gemäß § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB liegt.
dd) Weder von der Rechtsbeschwerde angegriffen noch sonst zu bean-
standen ist der vom Beschwerdegericht der Ehefrau zugebilligte Altersvorsor-
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geunterhalt. Da ihr lediglich die ehebedingte Einkommensdifferenz als Elemen-
tarunterhalt zugesprochen wird, setzt sich der ehebedingte Nachteil mit Ren-
teneintritt in Form der geringeren Rentenanwartschaften fort. Durch die Bewilli-
gung von Altersvorsorgeunterhalt im Sinne von § 1578 Abs. 3 BGB bezogen auf
die ehebedingte Einkommensdifferenz kann dieser Nachteil ausgeglichen wer-
den (Senatsbeschlüsse vom 7. November 2012 - XII ZB 229/11 - FamRZ 2013,
109 Rn. 51 und vom 26. Februar 2014 - XII ZB 235/12 - zur Veröffentlichung
bestimmt).
Dose
Klinkhammer
Schilling
Günter
Nedden-Boeger
Vorinstanzen:
AG Neumünster, Entscheidung vom 25.10.2012 - 41 F 37/12 -
OLG Schleswig, Entscheidung vom 22.04.2013 - 15 UF 174/12 -