Urteil des BGH vom 25.07.2008

BGH (betrag, anrechnung, beschwerde, höhe, vergleich, gegenstand, mwst, zpo, sache, umstand)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IV ZB 16/08
vom
25. Juli 2008
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsit-
zenden Richter Terno, die Richter Seiffert, Wendt, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch
am 25. Juli 2008
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten werden der Be-
schluss des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dres-
den vom 25. März 2008 und der Kostenfestsetzungsbe-
schluss des Landgerichts Dresden vom 16. Januar 2008
teilweise geändert:
Die vom Kläger an die Beklagte zu erstattenden Kosten
werden auf 354,63 € festgesetzt.
Der weitergehende Kostenfestsetzungsantrag des Klägers
wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens fallen dem
Kläger zur Last. Die Kosten der sofortigen Beschwerde
werden gegeneinander aufgehoben.
Wert: 697,70 €
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Gründe:
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I. Der Kläger hat die Beklagte auf Leistungen aus einer Berufsun-
fähigkeitsversicherung in Anspruch genommen und zudem die Feststel-
lung begehrt, dass der Versicherungsvertrag nicht durch Anfechtung be-
endet ist. Überdies hat er mit seinem Klagantrag zu 5) die Verurteilung
der Beklagten erstrebt, ihn von "nicht anzurechnenden außergerichtli-
chen Gebühren" in Höhe von 721, 50 € freizustellen mit der Begründung,
seine späteren Prozessbevollmächtigten seien bereits vorgerichtlich für
ihn tätig geworden. Sie hätten dafür eine 1,3 Geschäftsgebühr nach
Nr. 2300 VV RVG nebst einer Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV
RVG zzgl. MwSt. verdient.
Der Rechtsstreit ist vor dem Landgericht durch Vergleich beendet
worden. Die Beklagte hat danach an den Kläger zur Abgeltung aller
wechselseitigen Ansprüche aus dem streitbefangenen, von den Parteien
für beendet erklärten Versicherungsverhältnis 15.000 € zu zahlen. Die
Kosten des Rechtsstreits mit einem Streitwert von 35.827,82 € sind vom
Kläger zu 60% und von der Beklagten zu 40% zu tragen.
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Im anschließenden Kostenfestsetzungsverfahren haben beide Par-
teien Anträge auf Kostenausgleichung gestellt. Der Kläger hat einen Be-
trag von 3.780,63 € angemeldet, der eine 1,3 Verfahrensgebühr nach
Nr. 3100 VV RVG beinhaltet, die Beklagte einen Betrag von 3.177 €. Die
Rechtspflegerin des Landgerichts hat unter Einbeziehung ebenfalls aus-
zugleichender gerichtlicher Gebühren die vom Kläger an die Beklagte zu
erstattenden Kosten auf 75,55 € festgesetzt.
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Dagegen hat sich die Beklagte mit ihrer sofortigen Beschwerde
gewandt. Der Kläger habe mit seinem Klagantrag zu 5) eine volle Verfah-
rensgebühr geltend gemacht; diese sei mit dem vergleichsweise zu zah-
lenden Betrag von 15.000 € abgegolten. Eine nochmalige Berücksichti-
gung der 1,3 Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren komme
nicht in Betracht. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde zurückge-
wiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt die Beklagte ihr Begehren in-
soweit weiter, als nach ihrer Auffassung die Verfahrensgebühr mit nur
0,65 anzusetzen ist.
II. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte Beschwer-
de ist auch im Übrigen zulässig. Sie hat darüber hinaus in der Sache Er-
folg.
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1. Das Oberlandesgericht hat ausgeführt: Es sei nicht die Verfah-
rensgebühr, sondern allein die vorprozessuale Geschäftsgebühr (zur
Hälfte) Gegenstand der Klage gewesen. Diese hälftige Geschäftsgebühr
sei unbeschadet der Regelung in Vorbem. 3 Abs. 4 zu Nr. 3100 VV RVG
auf die Verfahrensgebühr nicht - auch nicht teilweise - anzurechnen. Die
Prozesspartei habe die Wahl, ob sie die Kosten, die auf den nicht zu ver-
rechnenden Teil der Gebühren entfielen, bereits im Klagewege oder - wie
hier der Kläger - durch den Ansatz einer dann ungekürzten 1,3 Verfah-
rensgebühr im späteren Kostenfestsetzungsverfahren geltend mache.
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2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
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a) Nach Vorbem. 3 Abs. 4 zu Nr. 3100 VV RVG ist unter der - hier
gegebenen - Voraussetzung, dass es sich um denselben Gegenstand
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handelt, eine bereits entstandene Geschäftsgebühr teilweise auf die spä-
tere Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anzurechnen. Nach
dem eindeutigen Wortlaut der Bestimmung ist die gerichtliche Verfah-
rensgebühr zu mindern, nicht hingegen die vorgerichtliche Geschäftsge-
bühr. Die Geschäftsgebühr bleibt also unangetastet; durch die Anrech-
nung verringert sich lediglich die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV
RVG (vgl. Senatsbeschluss vom 16. Juli 2008 - IV ZB 24/07 - unter II 2
a; BGH, Urteile vom 7. März 2007 - VIII ZR 86/06 - NJW 2007, 2049
Tz. 11; vom 14. März 2007 - VIII ZR 184/06 - NJW 2007, 2050 Tz. 19;
Beschluss vom 30. April 2008 - III ZB 8/08 - bei juris abrufbar Tz. 4).
Dieser Umstand ist im Kostenfestsetzungsverfahren zwingend zu be-
rücksichtigen. Auf Weiteres kommt es - entgegen der Auffassung des
Oberlandesgerichts - nach den angeführten Entscheidungen nicht an.
b) Der VIII. Zivilsenat hat mittlerweile auch ausdrücklich ausge-
sprochen, dass es für die kostenrechtliche Anrechnung ohne Bedeutung
ist, ob die Geschäftsgebühr vom Prozessgegner auf materiell-rechtlicher
Grundlage zu erstatten und ob sie insoweit zwischen den Parteien un-
streitig geltend gemacht, tituliert oder bereits beglichen ist. Maßgebend
ist, dass § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO für eine Kostenerstattung an die ge-
setzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts und darüber un-
mittelbar an die Anrechnungsbestimmung in Vorbem. 3 Abs. 4 zu
Nr. 3100 VV RVG anknüpft. Entsteht die Verfahrensgebühr wegen der in
der genannten Bestimmung vorgesehenen Anrechnung eines Teils der
bereits vorher entstandenen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG
von vornherein nur in gekürzter Höhe, kommt im Rahmen der Kosten-
festsetzung auch keine darüber hinausgehende Erstattung in Betracht.
Für die Anrechnung und damit die von selbst einsetzende Kürzung ist
entscheidend, ob und in welcher Höhe eine Geschäftsgebühr bei voraus-
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gesetzter Identität des Streitgegenstandes entstanden ist, der Rechts-
anwalt zum Zeitpunkt des Entstehens der Verfahrensgebühr also schon
einen Anspruch auf eine Geschäftsgebühr aus seinem vorprozessualen
Tätigwerden erlangt hatte (vgl. Senatsbeschluss aaO unter II 2 b; BGH,
Beschluss vom 22. Januar 2008 - VIII ZB 57/07 - NJW 2008, 1323 Tz. 6,
10).
c) Das ist hier zu bejahen. Der spätere Prozessbevollmächtigte ist
für den Kläger bereits vorgerichtlich tätig geworden, wie zwischen den
Parteien unstreitig ist. Damit liegen die Voraussetzungen gemäß Vor-
bem. 3 Abs. 4 zu Nr. 3100 VV RVG vor. Die Anrechnungsvorschrift findet
ihren Grund darin, dass der Gebührenanspruch unter einem aufwands-
bezogenen Gesichtspunkt gekürzt wird, weil nämlich der Rechtsanwalt
aufgrund seiner vorprozessualen Befassung mit der Sache in der Regel
nur einen geringeren Einarbeitungs- und Vorbereitungsaufwand hat
(BGH aaO, Tz. 11).
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3. Mithin hätte die Rechtspflegerin bei ihrer von der Beklagten an-
gegriffenen Kostenfestsetzung die vom Kläger zum Kostenausgleich an-
gemeldete 1,3 Verfahrensgebühr unter Teilanrechnung der wegen des-
selben Gegenstandes entstandenen Geschäftsgebühr auf eine 0,65 Ver-
fahrensgebühr (586,30 € zzgl. MwSt, insgesamt 697,70 €) vermindern
müssen. Der Kläger konnte daher nur 3.082,93 € in den Kostenausgleich
einbringen (3.780,63 € abzgl. 697,70 €). Die auszugleichenden außerge-
richtlichen Kosten belaufen sich somit auf 6.259,93 € für beide Parteien,
von denen der Kläger 60% (3.755,96
€) und die Beklagte 40%
(2.503,97 €) zu zahlen haben. Insoweit beträgt der Erstattungsanspruch
der Beklagten 673,03 € (3.177 € abzgl. 2.503,97 €). Dieser Betrag war
nach dem unangefochten gebliebenen Ansatz der Rechtspflegerin um
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318,40 € für vom Kläger verauslagte Gerichtskosten zu bereinigen, die
gemäß der im Vergleich vereinbarten Kostenregelung von der Beklagten
zu übernehmen sind.
Terno Seiffert Wendt
Dr. Kessal-Wulf Felsch
Vorinstanzen:
LG Dresden, Entscheidung vom 16.01.2008 - 8 O 1347/07 -
OLG Dresden, Entscheidung vom 25.03.2008 - 3 W 262/08 -