Urteil des BGH vom 26.11.2007

BGH (rechtskräftiges urteil, widerruf, angehöriger, stgb, zweckverband, vorsteher, prozess, körperschaft, zivilprozess, partei)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
AnwSt (R) 10/06 Verkündet
am:
26. November 2007
Seelinger-Schardt
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem anwaltsgerichtlichen Verfahren
gegen
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Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat in der Sitzung vom
26. November 2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Terno
als vorsitzender Richter,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Dr. Frellesen und
Schaal
sowie die Rechtsanwälte
Dr. Wüllrich,
Dr. Frey und
Prof. Dr. Quaas
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des An-
waltsgerichtshofs Rheinland-Pfalz vom 12. Juli 2006 mit den
Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an
einen anderen Senat des Anwaltsgerichtshofes zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
I.
Nach der zur Hauptverhandlung zugelassenen Anschuldigungsschrift wird
dem angeschuldigten Rechtsanwalt als Berufspflichtverletzung vorgeworfen, er sei
im Jahre 2004 als Rechtsanwalt tätig geworden, obwohl er in derselben Rechtssache
als Angehöriger des öffentlichen Dienstes bereits tätig geworden war. Der Rechts-
anwalt sei einerseits im Rahmen eines Zivilprozesses tätig geworden bzw. tätig
geblieben und habe andererseits als Vorsteher des Zweckverbandes des Kindergar-
tens G. /Gr. gegenüber einer Mitarbeiterin des Kindergartens eine für
diesen Zivilprozess bereits erteilte Aussagegenehmigung widerrufen (Pflichtverlet-
zung nach §§ 45 Abs. 1 Nr. 1, 113 Abs. 1 BRAO i.V.m. § 3 Abs. 1 Berufsordnung).
Das Anwaltsgericht hat den Rechtsanwalt insoweit einer Berufspflichtverletzung für
schuldig befunden und als anwaltsgerichtliche Maßnahmen einen Verweis und eine
Geldbuße gegen ihn verhängt. Auf die Berufung des Rechtsanwalts hat der Anwalts-
gerichtshof das Urteil des Anwaltsgerichts aufgehoben. Er hat den Rechtsanwalt frei-
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gesprochen und die Revision zur Klärung der für grundsätzlich erachteten Frage zu-
gelassen, ob es sich im Rahmen von § 45 BRAO um dieselbe Rechtssache handele,
wenn im Rahmen einer zivilgerichtlichen Auseinandersetzung eine Aussagegeneh-
migung für einen Zeugen von einem am Prozess nicht als Partei beteiligten Zweck-
verband widerrufen werde. Mit ihrer vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision
rügt die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht die Verletzung sachlichen
Rechts.
II.
Das Rechtsmittel ist nach § 145 Abs. 1 Nr. 3, § 146 Abs. 1 BRAO zulässig. Es
hat auch Erfolg.
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1. Nach den Feststellungen des Anwaltsgerichtshofs vertrat der Rechtsanwalt
in einem vor dem Landgericht T. geführten Rechtsstreit ein Kind, das von dem
beklagten Landkreis T. -S. Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung
beanspruchte, weil es während einer Busfahrt von seinem Wohnort in Gr. zum
Kindergarten in G. nicht genügend beaufsichtigt worden sei. Nach den
Richtlinien des Landkreises T. -S. über die Kindergartenbeförderung oblag
die ordnungsgemäße Beförderung der Kreisverwaltung T. -S. . Im Februar
2004 übernahm der Rechtsanwalt das Mandat, im März 2004 wurde die Klage an-
hängig. Danach wurde der Rechtsanwalt am 8. September 2004 zum Vorsitzenden
des Zweckverbandes des Kindergartens G. /Gr. berufen.
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Da zwischen den Parteien des Rechtsstreits das Verhalten des Klägers im
Bus streitig war, sollte im Termin vom 24. September 2004 eine vom beklagten
Landkreis als Zeugin benannte Erzieherin des Kindergartens hierzu gehört werden.
Der Rechtsanwalt widerrief mit Schreiben vom 14. September 2004 in seiner Eigen-
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schaft als Vorsitzender des Zweckverbandes die dieser Zeugin bereits erteilte Aus-
sagegenehmigung. Das Landgericht T. wies nach einem entsprechenden Hinweis
im Termin die Klage durch rechtskräftiges Urteil mit der Begründung ab, der von dem
Rechtsanwalt ausgesprochene Widerruf der Aussagegenehmigung für die vom
Landkreis benannte Zeugin stelle eine dem Kläger selbst anzurechnende Beweisver-
eitelung dar.
2. Die Feststellungen des Anwaltsgerichtshofs tragen den Freispruch nicht.
Seine rechtliche Wertung, die Voraussetzungen eines Tätigkeitsverbotes nach § 45
Abs. 1 Nr. 1 BRAO seien deshalb nicht erfüllt, weil der Rechtsanwalt nicht "in dersel-
ben Rechtssache" tätig geworden sei, geht fehl. Vielmehr entstand ein Vertretungs-
verbot, nachdem der Rechtsanwalt in derselben Rechtssache als Angehöriger des
öffentlichen Dienstes tätig geworden war. Er hätte deshalb im Zivilprozess nicht mehr
auftreten dürfen und das Mandat beenden müssen.
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a) Zutreffend nimmt der Anwaltsgerichtshof in Übereinstimmung mit dem An-
waltsgericht an, dass der Rechtsanwalt beim Widerruf der Aussagegenehmigung als
Angehöriger des öffentlichen Dienstes gehandelt hat. Nach § 2 Abs. 1 des Zweck-
verbandsgesetzes (ZwVG) des Landes Rheinland-Pfalz vom 22. Dezember 1982
(GVBl. 1982, S. 476) ist der Zweckverband eine Körperschaft des öffentlichen
Rechts. Der Vorsteher des Zweckverbandes ist ein Organ dieser Körperschaft, das
ehrenamtlich tätig ist (§ 7 Abs. 1 Satz 2, § 9 Abs. 1 ZwVG i.V.m. § 8 Abs. 1, § 54
Gemeindeordnung (GemO) Rheinland-Pfalz in der Fassung vom 31. Januar 1994
(GVBl. S. 153), zuletzt geändert durch Gesetz vom 2. März 2006 (GVBl. S. 57). An-
gehöriger des öffentlichen Dienstes i.S.d. § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO ist auch derjenige,
der als Nichtbeamter (und nicht dauerhaft im öffentlichen Dienst Angestellter) im
Rahmen der Befugnisse der Körperschaft öffentlichen Rechts, für die er auftritt ho-
heitlich tätig wird (vgl. Sächsisches OVG, Beschl. vom 10. Juli 2003 - 2 E 98/02, NJW
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2003, 3504). Dass der Verbandsvorsteher nach § 9 Abs. 1 ZwVG ehrenamtlich tätig
ist, steht der Annahme als Angehöriger des öffentlichen Dienstes nicht entgegen.
b) Zu Unrecht verneint der Anwaltsgerichtshof jedoch, dass es sich bei der
Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs und bei dem Widerruf der Aussa-
gegenehmigung für die als Zeugin benannte Erzieherin um dieselbe Rechtssache
handelte.
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Der Begriff "dieselbe Rechtssache" ist wie in § 356 StGB zu verstehen und
umfasst alle Rechtsangelegenheiten, in denen mehrere ein entgegengesetztes recht-
liches Interesse verfolgende Beteiligte vorkommen können (vgl. BGHSt 5, 301, 304;
18, 192; Kleine-Cosack, BRAO 4. Aufl. § 45 Rdn. 5 LK-Gillmeister, StGB 11. Aufl. §
356 Rdn. 79). Maßgebend ist dabei der sachlich-rechtliche Inhalt der anvertrauten
Interessen, also das anvertraute materielle Rechtsverhältnis, das bei natürlicher Be-
trachtungsweise auf ein innerlich zusammengehöriges, einheitliches Lebensverhält-
nis zurückzuführen ist (vgl. BGHSt 34, 190, 191; Feuerich/Weyland, BRAO 6. Aufl. §
43a Rdn. 63, § 45 Rdn. 7; Cramer/Heine in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 356
Rdn. 12).
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In diesem Sinne ist der Rechtsanwalt in derselben Rechtssache tätig gewor-
den. Der Widerruf der Aussagegenehmigung für die Zeugin und die Fortführung des
Mandats im Zivilprozess sind so miteinander verknüpft, dass sie ein innerlich zu-
sammengehöriges, einheitliches Lebensverhältnis darstellen. Unerheblich ist, dass
der Zweckverband des Kindergartens, für den der Rechtsanwalt als Vorsteher seine
Tätigkeit entfaltete, nicht Partei des Zivilrechtsstreits vor dem Landgericht war. Die
Beteiligten brauchen sich nicht als Parteien im Prozess gegenüber zu stehen (vgl.
BGHSt 5, 301, 304; Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 356 Rdn. 5). Die erforderliche
innere Verknüpfung und der Interessenwiderstreit werden darin deutlich, dass der
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Zweckverband mit der zunächst erteilten Aussagegenehmigung in den Zivilrechts-
streit eingebunden wurde. Mit dem Widerruf der Aussagegenehmigung wurde die
Vernehmung der Zeugin verhindert, was nach Auffassung des Landgerichts zur Fol-
ge hatte, dass das klagende Kind den Prozess verlor.
c) Diese Auslegung widerspricht auch nicht verfassungsrechtlichen Grundsät-
zen. Das Tätigkeitsverbot in § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO beschränkt zwar die Berufsaus-
übung, so dass es sich an Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG messen lassen muss (vgl. hierzu
BVerfG, Beschl. vom 4. November 1992 - 1 BvR 79/85 u.a. -, NJW 1993, 317;
BVerfG, Beschl. vom 3. Juli 2003 - 1 BvR 238/01 -, NJW 2003, 2520). Der Gesetz-
geber wollte jedoch für die Fallgruppe der Tätigkeit im öffentlichen Dienst durch die
entsprechenden Unvereinbarkeitsvorschriften beim rechtsuchenden Publikum dem
Eindruck einer zu großen Staatsnähe und der Gefahr von Interessenkollisionen durch
den Rechtsanwalt abstrakt vorbeugen. Daher kommt es auf die Motive des Rechts-
anwalts für den Widerruf der Aussagegenehmigung nicht an.
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3. Nach alledem hat das angefochtene Urteil keinen Bestand. Der Senat kann
nicht selbst abschließend entscheiden, da der Anwaltsgerichtshof - von seinem
Standpunkt aus folgerichtig - nicht festgestellt hat, ob der Rechtsanwalt seine Pflich-
ten schuldhaft verletzt hat. Zur Frage der Angemessenheit der verhängten Maßnah-
men hat der Anwaltsgerichtshof - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - bisher
überhaupt noch nicht Stellung genommen.
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Terno Ernemann Frellesen Schaal
Wüllrich Frey Quaas
Vorinstanz:
AGH Koblenz, Entscheidung vom 12.07.2006 - 2 AGH 1/06 -