Urteil des BGH vom 20.05.2010

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 23/07
vom
20. Mai 2010
in dem Konkursverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
VergVO §§ 1 bis 4; InsVV §§ 1 bis 3, 10, 11; KO § 106
Die erhebliche Befassung des Sequesters mit Gegenständen, an denen Rechte Drit-
ter gemäß § 771 ZPO oder § 805 ZPO bestehen, wirkt sich nicht auf die Berech-
nungsgrundlage der Vergütung aus. Erhebliche Anforderungen an die Geschäftsfüh-
rung des Sequesters insoweit können nur innerhalb des Vergütungssatzes durch ei-
nen angemessenen Zuschlag berücksichtigt werden (Ergänzung zu BGHZ 168, 321).
KO § 73 Abs. 3, §§ 75, 85; ZPO § 571 Abs. 2 Satz 1
Sachvortrag und Erkenntnisquellen über die Bewertung des verwalteten Vermögens
zum maßgebenden Stichtag sind im Festsetzungsverfahren für die Vergütung von
Verwalter und Sequester bis zur letzten Tatsachenentscheidung zu berücksichtigen.
BGH, Beschluss vom 20. Mai 2010 - IX ZB 23/07 - LG Heilbronn
AG Heilbronn
- 2 -
Der IX.
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Richter
Prof. Dr. Kayser, Raebel, die Richterin Lohmann, die Richter Dr. Pape und
Grupp
am 20. Mai 2010
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten wird der Be-
schluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Heilbronn vom
25. Januar 2007 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zu-
rückverwiesen.
Die Festsetzung des Gegenstandswertes für das Rechtsbe-
schwerdeverfahren bleibt vorbehalten. Die weitere Beteiligte wird
aufgefordert, bis zum 30. Juni 2010 mitzuteilen, in welcher Höhe
ihre Vergütungsforderung als Sequesterin von der vorhandenen
Teilungsmasse gedeckt ist.
- 3 -
Gründe:
I.
Die weitere Beteiligte war vom 14. April 1998 bis zur Eröffnung des Kon-
kursverfahrens am 1. Juli 1998 zum Sequester des Schuldnervermögens be-
stellt, wobei ihr die Wahrnehmung aller Rechte der Schuldnerin übertragen und
letzterer ein allgemeines Veräußerungsverbot erteilt worden war. Die Schuldne-
rin war bei Antragstellung als Bauträgerin mit der Durchführung mehrerer Vor-
haben befasst. Zum Teil waren Gebäude fertiggestellt und Eigentumswohnun-
gen noch nicht sämtlich verkauft, zum Teil wurden Bauarbeiten während der
Sequestration weitergeführt und Vereinbarungen mit den Erwerbern und Ban-
ken getroffen.
1
Im Dezember 2004 beantragte die weitere Beteiligte die Festsetzung ih-
rer Sequestervergütung, wobei sie von einer Berechnungsgrundlage ohne
Wertabzug für die Rechte Dritter (nach Eröffnung: Aus- und Absonderungsrech-
te) ausging. Für ihre Tätigkeit beanspruchte die weitere Beteiligte Zuschläge
von insgesamt 70 v.H. bezogen auf den einfachen Vergütungssatz des § 3
Abs. 1 der Vergütungsverordnung (VergVO). Für den Fall, dass die Berech-
nungsgrundlage den Wert von Drittrechten am "Ist-Vermögen" der Schuldnerin
nicht einschließe, hat sie hilfsweise wegen der erheblichen Befassung mit den
hiervon betroffenen Gegenständen des Schuldnervermögens einen weiteren
Zuschlag von 100 v.H. beantragt, insgesamt 456.028,90 € nebst Auslagenpau-
schale von 1.000 € und die Erstattung von 16 v.H. Umsatzsteuern.
2
Das Amtsgericht hat der weiteren Beteiligten eine Vergütung von
45.439,54 € nebst Auslagenpauschale und Erstattung von Umsatzsteuern, ins-
3
- 4 -
gesamt einen Betrag von 53.869,84 €, zugebilligt. Die hiergegen erhobene Be-
schwerde, mit der nunmehr eine Festsetzung von 495.546,47 € einschließlich
der Erstattung von Auslagen und Umsatzsteuern beantragt worden ist, hatte
keinen Erfolg. Mit der vom Landgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde ver-
folgt die weitere Beteiligte ihren Beschwerdeantrag weiter.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Denn die Beschwerde-
entscheidung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten Stand.
Anzuwenden ist auf den Festsetzungsfall nach Art. 103 Satz 1 EGInsO weiter-
hin die Vergütungsverordnung (BGH, Beschl. v. 13. November 2008 - IX ZB
42/07, ZIP 2009, 84, 85 Rn. 11). Die rechtliche Nachprüfung ergibt, dass der
Festsetzungsantrag der weiteren Beteiligten derzeit noch nicht als spruchreif
angesehen werden kann.
4
1. Das Beschwerdegericht hat den Vergütungsanspruch mit einer Be-
rechnungsgrundlage von 273.500 € festgesetzt.
5
a) Dagegen rügt die weitere Beteiligte vergeblich den vom Beschwerde-
gericht vorgenommenen Wertabzug von Rechten Dritter (§§ 771, 805 ZPO;
§§ 47 bis 51 InsO) bei der entsprechend § 1 Abs. 1, § 2 Nr. 1 VergVO anzuset-
zenden Berechnungsgrundlage für die Sequestervergütung. Diese Rechtsfrage
hat der Bundesgerichtshof in Auslegung der Vergütungsverordnung bisher noch
nicht entschieden. Sie ist insbesondere auch in dem Beschluss vom
13. November 2008 (aaO Rn. 14 bis 17) mangels Entscheidungserheblichkeit
offen geblieben. Das Beschwerdegericht hat indessen zu Recht die jüngeren
6
- 5 -
Grundsätze des Bundesgerichtshofs zur Berechnungsgrundlage der Vergütung
des vorläufigen Insolvenzverwalters (BGHZ 165, 266, 274; 168, 321, 324 ff;
BGH, Beschl. v. 10. Dezember 2009 - IX ZB 181/06, ZInsO 2010, 350 Rn. 6) im
sachlichen Einklang mit einem Teil der bis zum Jahre 2000 ergangenen Recht-
sprechung (LG München I Rpfleger 1969, 212; LG Lüneburg EWiR 1987, 75 m.
Anm. Eickmann; LG Münster ZIP 1993, 1102 m. Anm. Pape EWiR 1993, 1007;
LG Karlsruhe ZInsO 2000, 230 m. Anm. Haarmeyer; AG Köln ZIP 1986, 1138
m. Anm. Eickmann EWiR 1986, 917) bereits für die Berechnung der Sequester-
vergütung fruchtbar gemacht.
Dem kann nicht, wie die Rechtsbeschwerde es versucht, § 11 Abs. 1
Satz 4 InsVV in der Fassung vom 21. Dezember 2006 (BGBl. I S. 3389) entge-
gengehalten werden. Diese Vorschrift wirkt schon innerhalb der Insolvenzrecht-
lichen Vergütungsverordnung nicht zurück (BGH, Beschl. v. 23. Oktober 2008
- IX ZB 35/05, ZIP 2008, 2323, 2324 Rn. 7 bis 9).
7
b) Zutreffend beanstandet die Rechtsbeschwerde indes, dass das Be-
schwerdegericht das Schuldnervermögen, auf welches sich die Schlussrech-
nung der Sequesterin bezieht, verfahrensfehlerhaft bewertet habe. Das Be-
schwerdegericht hat seine Entscheidung unter der Annahme getroffen, der Se-
quester müsse sich grundsätzlich an seiner Bewertung von Vermögensgegens-
tänden zum Ende des Sequestrationsverfahrens festhalten lassen. Eine abän-
dernde Bewertung komme später nur dann in Betracht, wenn sich herausstelle,
dass die anfängliche Bewertung von vornherein jeglicher Grundlage entbehre
oder sonst auf irrtümlichen Erwägungen beruht habe. Dadurch ist die Werter-
mittlung des Schuldnervermögens bei Abschluss der Sequestration (Stichtag),
die dem Konkursgericht im Vergütungsfestsetzungsverfahren obliegt, an Ein-
schränkungen gebunden worden, denen eine rechtliche Grundlage fehlt.
8
- 6 -
Von der Frage des Wertermittlungsstichtages für den Bestand des
Schuldnervermögens, den Zustand (Qualität) seiner Vermögensgegenstände
und die für ihre Wertangabe in Geld maßgebenden Markt-, Preis- und Wäh-
rungsverhältnisse sind die Erkenntnisquellen zu unterscheiden, welche die
stichtagsbezogene Bewertung tragen (BGH, Beschl. v. 10. Dezember 2009 aaO
Rn. 9). Diese Erkenntnisquellen sind bis zum letzten tatrichterlichen Entschei-
dungszeitpunkt, an dem der Vergütungsanspruch zu beurteilen ist, zu nutzen
(vgl. BGH, Beschl. v. 16. November 2006 - IX ZB 302/05, ZIP 2007, 284, 285 f).
Die Amtsermittlungspflicht des Konkursgerichts im Vergütungsfestsetzungsver-
fahren (siehe BGH, Beschl. v. 16. Oktober 2008 - IX ZB 247/06, ZInsO 2009,
1030, 1031 Rn. 15 zu § 5 Abs. 1 InsO) kennt nach § 75 KO keine verfahrens-
rechtliche Präklusion oder sonstige Beschränkung, die neuem Sachvortrag des
Verwalters zur Begründung seines Festsetzungsantrags oder dessen nachträg-
licher Erweiterung dem Verlaufe des Verfahrens entgegensteht. Ein solcher
Rückschluss kann insbesondere aus § 11 Abs. 2 InsVV in der Fassung vom
21. Dezember 2006 nicht gezogen werden; denn diese Vorschrift betrifft einen
besonderen Fall des Wiederaufgreifens von abgeschlossenen Festsetzungsver-
fahren. Auch für die sofortige Beschwerde nach § 73 Abs. 3 KO gilt, dass sie
gemäß § 571 Abs. 2 Satz 1 ZPO auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel und
damit auf neues tatsächliches Vorbringen gestützt werden kann. Danach kann
die Beschwerdeentscheidung mit den getroffenen Feststellungen nicht auf-
rechterhalten werden.
9
2. Die Rüge der Rechtsbeschwerde, das Beschwerdegericht habe "in
unzulässiger Weise selbständige Erhöhungstatbestände vermengt", geht fehl.
In diesem Sinne selbständige Erhöhungstatbestände kennt die Bemessung der
Verwaltungs- und Sequestervergütung nicht (vgl. auch Senatsbeschluss vom
10
- 7 -
heutigen Tage in der Sache IX ZB 11/07, z.V.b. in BGHZ). Wie der Bundesge-
richtshof für die Vergütungsfestsetzung des Insolvenzgerichts entschieden hat
(vgl. BGH, Beschl. v. 12. Januar 2006 - IX ZB 127/04, ZIP 2006, 672, 673
Rn. 10; v. 11. Mai 2006 - IX ZB 249/04, ZIP 2006, 1204, 1205 Rn. 12; v. 1. März
2007 - IX ZB 280/05, ZIP 2007, 639, 640 Rn. 14; v. 26. April 2007 - IX ZB
160/06, ZIP 2007, 1330, 1332 Rn. 16), braucht auch das Konkursgericht in die-
ser Funktion nicht für jeden in Frage kommenden Zuschlagsgrund getrennt zu
entscheiden, welche Erhöhung des Regelsatzes er rechtfertigt. Entscheidend ist
vielmehr eine Gesamtbetrachtung und Gesamtwürdigung aller maßgebenden
Umstände, die unter Berücksichtigung von Überschneidungen in einer auf das
Ganze bezogenen Angemessenheitsbetrachtung den Gesamtzuschlag be-
stimmt.
Sollte sich bei der Neuentscheidung der Sache eine Erhöhung der Se-
questervergütung ergeben können, wird das Beschwerdegericht zu berücksich-
tigen haben, dass es einen Einzelzuschlag für die Beschäftigung mit Arbeits-
verhältnissen bei nur vier Arbeitnehmern zu Unrecht gewährt hat (BGH, Beschl.
v. 25. Oktober 2007 - IX ZB 55/06, ZInsO 2007, 1272, 1273 Rn. 15 m.w.N.).
Unter der genannten Voraussetzung ist schon deshalb eine (erneute) Ange-
messenheitsprüfung für den Gesamtzuschlag erforderlich.
11
3. Wäre bei der Neuentscheidung des Festsetzungsgegenstandes da-
nach die Vergütung weiterhin heraufzusetzen, wird das Beschwerdegericht der
Sequesterin den einfachen Regelsatz gemäß § 3 VergVO nicht deshalb weiter
gewähren dürfen, weil es für den Konkursverwalter pauschal den vierfachen
Regelsatz für angemessen erachtet. Zu dieser Nichtanwendung der Vergü-
tungsverordnung hat der Bundesgerichtshof mangels Entscheidungserheblich-
keit im Zusammenhang mit der Sequestervergütung noch nicht Stellung ge-
12
- 8 -
nommen (vgl. BGH, Beschl. v. 13. November 2008, aaO Rn. 13). Diese seiner-
zeit verbreitete Praxis kann rechtlich nicht uneingeschränkt gebilligt werden. Die
Rechtslage ist insoweit ähnlich derjenigen, die sich in der letzten Geltungszeit
der Verordnung über die Geschäftsführung und die Vergütung des Zwangsver-
walters vom 16. Februar 1970 (BGBl. I S. 185) ergeben hatte. Die in diesem
Zusammenhang vom Bundesgerichtshof entwickelten Grundsätze (vgl. BGHZ
152, 18, 24 ff; BGH, Beschl. v. 27. Februar 2004 - IXa ZB 37/03, ZInsO 2004,
382 m. Anm. Haarmeyer; v. 25. Juni 2004 - IXa ZB 30/03, ZInsO 2004, 846,
847) können auf Sequestertätigkeit im Jahre 1998, kurz vor dem Inkrafttreten
der insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung vom 19. August 1998 (BGBl. I
S. 2205), sinngemäß übertragen werden.
Kayser Raebel
Lohmann
Pape
Grupp
Vorinstanzen:
AG Heilbronn, Entscheidung vom 06.04.2005 - 1 N 68/98 -
LG Heilbronn, Entscheidung vom 25.01.2007 - 1 T 232/05 St -