Urteil des BGH vom 01.12.2003

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 202/01
Verkündet am:
1. Dezember 2003
Vondrasek
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
BGHR: ja
AO §§ 44 Abs. 1 Satz 1, 219; AktG §§ 291, 301; BGB § 426
a) Bei einer (steuerrechtlichen) Organschaft mit Ergebnisabführungsvertrag
(§ 291 Abs. 1 AktG) bestimmen sich Umfang und Grenzen eines etwaigen
Steuererstattungsanspruchs des Organträgers gegenüber der Organgesell-
schaft nach den für den Ergebnisabführungsvertrag geltenden Grundsätzen
(Ergänzung zu BGHZ 120, 50).
b) Mit der Abführung des Jahresüberschusses einer Organgesellschaft an den
Organträger sind im Verhältnis zu ihm auch Steuerzahlungen ausgeglichen,
welche er später für die Organgesellschaft nachentrichten muß.
BGH, Urteil vom 1. Dezember 2003 - II ZR 202/01 - KG Berlin
LG Berlin
- 2 -
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 1. Dezember 2003 durch den Vorsitzenden Richter
Dr. h.c. Röhricht und die Richter Prof. Dr. Goette, Kraemer, Dr. Graf und
Dr. Strohn
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 23. Zivilsenats
des Kammergerichts Berlin vom 28. März 2001 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der Kammer für Han-
delssachen 90 des Landgerichts Berlin vom 12. November 1998
wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungs- und des Revi-
sionsverfahrens.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die
seit
1990
mit
der
Klägerin
verschmolzene
B. E.
AG (künftig: BE-AG) hielt ursprünglich sämtliche Aktien an ihrer Toch-
tergesellschaft,
der
B. K. AG
(künftig:
BK-AG).
Diese
hatte
sich gegenüber der Beklagten durch einen "Geschäftsbesorgungsvertrag" vom
- 3 -
3. April 1978 verpflichtet, ihre Erzeugnisse nach den Weisungen der Beklagten
im eigenen Namen, jedoch für Rechnung der Beklagten zu fertigen und zu ver-
treiben. Als Entgelt dafür hatte die Beklagte der BK-AG u.a. die kalkulatorischen
Abschreibungen auf ihr Anlagevermögen sowie "alle übrigen Aufwendungen
wie Instandhaltung, Steuern (Grundsteuer, Vermögenssteuer, Vermögensab-
gabe, Kfz-Steuer, Gewerbekapitalsteuer) und Versicherungen" zu erstatten, die
im Zusammenhang mit der Nutzung des Anlagevermögens der BK-AG für
Rechnung der Beklagten entstanden. Ab 1. Januar 1981 übernahm die BE-AG
aufgrund entsprechenden Vertrages mit der BK-AG deren jährliche Handelsbi-
lanzergebnisse (Gewinn oder Verlust) zum jeweiligen Abschlußstichtag und
hatte in ihrer Eigenschaft als Organträgerin auch die auf die BK-AG entfallen-
den Gewerbe- und Umsatzsteuern zu zahlen, die sie dann regelmäßig auf die
BK-AG umlegte. Durch Vertrag vom 23. Dezember 1988 veräußerte die BE-AG
ihre Anteile an der BK-AG unter Aufhebung des mit ihr geschlossenen Ergeb-
nisabführungsvertrages an die Beklagte, welche die BK-AG im Mai 1990 mit
sich verschmolz. Aufgrund des Ergebnisses einer Betriebsprüfung vom Juni
1993 mußte die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der BE-AG für den Veranla-
gungszeitraum 1985 bis 1988 auf die frühere BK-AG entfallende Umsatzsteuern
in Höhe von 1.215.764,00 DM sowie Gewerbesteuern von 256.420,00 DM
nachentrichten.
Mit der Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten Erstattung dieser
Beträge. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Berufungsgericht hat
ihr entsprochen. Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten.
- 4 -
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet und führt zur Wiederherstellung des erstin-
stanzlichen Urteils.
1. Aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist allerdings die Feststel-
lung des Berufungsgerichts, daß sich aus der zwischen der BE-AG und der BK-
AG geübten Steuerumlagepraxis eine von dem Ergebnisabführungsvertrag zwi-
schen beiden unabhängige vertragliche Verpflichtung der BK-AG gegenüber
der BE-AG zur Erstattung der auf die BK-AG entfallenden und von der BE-AG
als Organträgerin zu zahlenden Steuern nicht hinreichend entnehmen läßt. Ein
Erstattungsanspruch der BE-AG bzw. der Klägerin als deren Rechtsnachfolge-
rin aus § 670 BGB scheidet schon deshalb aus, weil die BE-AG als Organträge-
rin aufgrund der organschaftlichen Eingliederung der BK-AG in ihr Unterneh-
men (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG; § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG i.V.m. § 14 Nr. 1-3
KStG) selbst Steuerschuldnerin war und die BK-AG für deren Steuerschuld ge-
mäß §§ 73, 219 AO lediglich subsidiär haftete. Die BE-AG leistete daher die
Steuerzahlungen nicht "im Auftrag" der BK-AG, sondern aufgrund eigener Ver-
pflichtung. Da jedoch die BK-AG aufgrund des Ergebnisabführungsvertrages
mit ihrer Muttergesellschaft ohnehin ihren gesamten Jahresüberschuß an ihre
Muttergesellschaft abzuführen hatte, spielte es im wirtschaftlichen Ergebnis
keine Rolle, ob sie eine Steuerumlage oder statt ihrer einen entsprechend hö-
heren Gewinn abführte. Auch aus Sicht des Organträgers (Klägerin) stellt sich
die Steuerumlage in solchem Fall wirtschaftlich - mit entsprechender Auswir-
kung auf die Bilanzierung gemäß § 277 Abs. 3 Satz 2 HGB - als "Vor-
weg-Gewinnabführung" dar (vgl. Förschle in: Beck'scher Bilanzkommentar,
5. Aufl. § 275 Rdn. 258 m.N.; im Ergebnis ebenso Adler/Düring/Schmaltz,
Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen 6. Aufl. § 275 Rdn. 192 f.).
- 5 -
Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, daß die Steuerumlagepraxis
der Rechtsvorgängerinnen der Prozeßparteien aufgrund sowie im Rahmen des
Ergebnisabführungsvertrages und nicht aufgrund einer zusätzlich übernomme-
nen vertraglichen Verpflichtung der BK-AG zur Steuererstattung erfolgt ist.
2. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts steht der Klägerin aber
auch kein gesetzlicher Erstattungsanspruch entsprechend § 426 Abs. 2 BGB
zum Ausgleich der nachentrichteten Steuern zu.
a) Zwar schließt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die
gemäß § 219 AO nur subsidiäre Haftung der Organgesellschaft (hier: BK-AG)
für die Steuerschulden des Organträgers gemäß § 73 AO ein zwischen beiden
bestehendes Gesamtschuldverhältnis gegenüber dem Steuerfiskus (vgl. § 44
Abs. 1 Satz 2 AO) mit der Folge eines Innenausgleichs entsprechend § 426
BGB für die auf das Unternehmen der Organgesellschaft entfallende Steuer-
schuld des Organträgers nicht aus (BGHZ 120, 50; Senat, BGHZ 141, 79, 85).
Ein Ausgleichsanspruch des Organträgers gemäß § 426 BGB kommt jedoch
nur in Betracht, "soweit nicht ein anderes bestimmt ist" (§ 426 Abs. 1 Satz 1
BGB). Ob deshalb bei Bestehen eines Unternehmensvertrages eine entspre-
chende Anwendung des § 426 BGB schlechthin ausscheidet, wie in BGHZ 120,
50, 55 offenbar angenommen, kann dahinstehen. Denn unabhängig davon
richten sich Umfang und Grenzen eines Ausgleichsanspruchs gemäß § 426
Abs. 1 Satz 1 BGB nach dem Innenverhältnis der Gesamtschuldner (vgl. BGHZ
103, 72, 76). Besteht - wie hier - ein Ergebnisabführungsvertrag, so kann der
Organträger z.B. einen zu einem Fehlbetrag der Organgesellschaft führenden
oder diesen vertiefenden Regreßanspruch nicht geltend machen, weil er den
entsprechenden Betrag gemäß § 302 Abs. 1 AktG sogleich zurückgewähren
müßte (§ 242 BGB). Deckt oder übersteigt dagegen - wie offenbar im vorlie-
- 6 -
genden Fall - der sonstige Ertrag der Organgesellschaft die auf sie entfallenden
Steuern, so könnte der Organträger entweder - bei Fehlen einer Aus-
gleichspflicht gemäß § 426 BGB - die Abführung des gesamten Gewinns vor
Steuern fordern und daraus seine durch die Organgesellschaft verursachte
Steuerbelastung decken oder anderenfalls die Steuerbelastung gesondert auf
die Organgesellschaft umlegen und die Abführung des danach verbleibenden
Gewinns verlangen. Insgesamt kann er auch hier im Ergebnis nicht mehr als
den Gewinn vor Steuern beanspruchen.
Dementsprechend konnte auch die BE-AG von der BK-AG für den Zeit-
raum von 1985 bis 1988 unabhängig von etwaigen späteren Steuernachforde-
rungen nicht mehr verlangen als die bereits bezahlte Steuer und den darüber
hinaus abgeführten Gewinn, mit dem der von der Klägerin geltend gemachte
Steuermehrbetrag bereits abgegolten ist. Der von dem Berufungsgericht heran-
gezogenen Hilfsaufrechnung der Beklagten mit einem Gegenanspruch wegen
zuviel abgeführten Gewinns bedarf es nicht.
b) Ein noch bestehender Steuererstattungsanspruch der Klägerin ergibt
sich - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - auch nicht daraus, daß die
Beklagte aufgrund des Geschäftsbesorgungsvertrages vom 3. April 1978 der
BK-AG gegenüber zur Steuererstattung verpflichtet war. Diese Verpflichtung
umfaßte zwar - entgegen der Ansicht der Revision - gemäß § 13 Nr. 3 des Ver-
trages auch die Umsatzsteuer, soweit die in dem Vertrag vereinbarten Leistun-
gen umsatzsteuerpflichtig waren. Die Rechtsvorgängerin der Klägerin war je-
doch weder Partei dieses Vertrages noch wurde er gemäß § 328 BGB zu ihren
Gunsten abgeschlossen, zumal er aus der Zeit vor Abschluß des Ergebnisab-
führungsvertrages datiert. Soweit das Berufungsgericht die Klage gleichwohl für
begründet hält, weil die von der Klägerin für den Zeitraum 1985 bis 1988 nach-
- 7 -
entrichteten Steuern bei rückschauender Betrachtung von der Beklagten (auf-
grund des Geschäftsbesorgungsvertrages) an die BK-AG und von dieser ohne
Schmälerung des tatsächlichen abgeführten Gewinns an die BE-AG zu erstat-
ten gewesen wären, geht dies fehl. Zwar haftet die Beklagte als Rechtsnachfol-
gerin der BK-AG für deren Schulden. Diese hatte aber gemäß § 301 AktG
höchstens den in ihren damaligen Gewinn- und Verlustrechnungen ausgewie-
senen Gewinn abzuführen, der die streitige Steuernachforderung gegenüber
der Beklagten nicht enthielt. Selbst wenn man materiell-rechtlich einen in den
Jahren 1985 bis 1988 entstandenen Anspruch der BK-AG gegen die Beklagte
auf Steuernachzahlung annähme, wäre dieser durch Konfusion infolge der Ver-
schmelzung der BK-AG mit der Beklagten erloschen und könnte daher nicht
mehr zur (mittelbaren) Begründung eines Steuernachzahlungsanspruchs der
Klägerin gegenüber der Beklagten als Rechtsnachfolgerin der BK-AG herange-
zogen werden.
Wollte die Klägerin bzw. die BE-AG sich etwaige Ansprüche gegen die
Beklagte wegen nachzuentrichtender Steuern sichern, so hätten sie dies in dem
- 8 -
Vertrag über den Verkauf der BK-Anteile an die Beklagte regeln müssen. Dieser
Vertrag enthält eine Schiedsklausel und ist nicht Gegenstand des Rechtsstreits.
Röhricht
Goette
Kraemer
Graf
Strohn