Urteil des BGH vom 17.01.2013

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 184/10
Verkündet am:
17. Januar 2013
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 140 Abs. 1
Bei einer Lastschriftbuchung im Abbuchungsauftragsverfahren ist für die Vorausset-
zungen einer Insolvenzanfechtung der Zeitpunkt maßgeblich, in dem die Schuldner-
bank die Lastschrift einlöst.
BGH, Urteil vom 17. Januar 2013 - IX ZR 184/10 - OLG Stuttgart
LG Ravensburg
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 17. Januar 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die
Richter Raebel, Dr. Pape, Grupp und die Richterin Möhring
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 6. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Stuttgart vom 27. September 2010 aufgeho-
ben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist Verwalter in dem auf einen Eigenantrag vom 14. April
2008 am 13. Mai 2008 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der
E. GmbH (fortan: Schuldnerin). Die Schuldnerin handelte im Rahmen eines
betrügerischen Schneeballsystems mit Kraftfahrzeugen. Sie bot ihren Kunden
Fahrzeuge zum Kauf oder zum Mietkauf zu Preisen an, die bis zu 35 vom Hun-
dert unter dem Listenpreis lagen. Im Falle des Kaufs sollte das Fahrzeug für die
ersten ein oder zwei Jahre auf die Schuldnerin zugelassen werden. Die über-
wiegende Anzahl der Fahrzeuge leaste die Schuldnerin bei verschiedenen Lea-
singunternehmen, zwischen 50 und 60 Fahrzeuge auch bei der Beklagten. Am
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1. April 2008 schloss die Schuldnerin erneut einen Leasingvertrag mit der Be-
klagten und vereinbarte eine bis zum 2. April 2008 fällige Sonderzahlung in Hö-
he von 28.000
€. Aufgrund eines der Schuldnerbank erteilten Abbuchungsauf-
trags veranlasste die Beklagte am 2. April 2008, den Betrag von einem Konto
der Schuldnerin abzubuchen. Am gleichen Tag wurden die Geschäftsräume der
Schuldnerin durch Beamte der Staatsanwaltschaft und des Landeskriminalamts
durchsucht und der faktische Geschäftsführer der Schuldnerin H. ver-
haftet.
Der Kläger hat die Beklagte unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der
Insolvenzanfechtung auf Rückgewähr des abgebuchten Betrags von 28.000
nebst Zinsen in Anspruch genommen. Die Klage hat in den Vorinstanzen kei-
nen Erfolg gehabt. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Klä-
ger sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Ent-
scheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der geltend gemachte Anspruch
gemäß §§ 130, 143 InsO bestehe nicht. Es könne offen bleiben, ob - was zwi-
schen den Parteien unstreitig sei - die Schuldnerin seit Oktober 2007 zahlungs-
unfähig gewesen sei. Jedenfalls könne eine Kenntnis der Beklagten davon nicht
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sicher festgestellt werden. Der Geschäftsführer der Beklagten habe sich zwar
im Sommer 2007 gefragt, wie das Geschäftsmodell der Schuldnerin funktionie-
ren könne. Er habe sich aber mit der Erklärung des H. beruhigt, dass
die entstehenden Verluste durch Gewinne aus "Tradinggeschäften" mehr als
ausgeglichen würden. Auf ein betrügerisches Schneeballsystem habe er daraus
nicht schließen müssen. Der Kläger habe nicht beweisen können, dass der Ge-
schäftsführer der Beklagten einen Gesamtüberblick über die Verträge der
Schuldnerin gehabt habe, die zu ihrer Zahlungsunfähigkeit geführt hätten. Ob
eine Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin in Betracht komme,
wenn der Geschäftsführer der Beklagten die Abbuchung in Kenntnis der Verhaf-
tung des H. veranlasst habe, könne offen bleiben, weil diese Kenntnis
nicht festgestellt werden könne. Zwar habe der Kläger vorgetragen, H.
habe den Geschäftsführer der Beklagten am 2. April 2008 angerufen, ihm die
Durchsuchung der Geschäftsräume und seine Verhaftung mitgeteilt und ihn
gebeten, ihm einen Verteidiger zu besorgen. Die Vernehmung der vom Kläger
hierfür benannten Zeugen sei aber nicht geboten gewesen, weil nach den An-
gaben des Geschäftsführers der Beklagten die Abbuchung entweder bereits am
Vortag zur Bank gegeben oder der Betrag am 2. April 2008 morgens um
8:00 Uhr per Online-Banking eingezogen worden sei. Es könne deshalb nicht
mit der notwendigen Sicherheit festgestellt werden, dass die Abbuchung eine
Reaktion auf die Verhaftung des H. gewesen sei.
II.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung in einem ent-
scheidenden Punkt nicht stand.
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Die Abbuchung der Leasing-Sonderzahlung am 2. April 2008 ist nach
§ 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO anfechtbar, wenn die Schuldnerin zahlungsun-
fähig war und die Beklagte die Zahlungsunfähigkeit kannte. Mit der vom Beru-
fungsgericht gegebenen Begründung lässt sich eine Kenntnis der Beklagten
von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin nicht verneinen. Die Annahme, es
komme nicht darauf an, ob der Geschäftsführer der Beklagten am 2. April 2008
über die Durchsuchung der Geschäftsräume der Schuldnerin und die Verhaf-
tung ihres faktischen Geschäftsführers informiert worden sei, weil er die Abbu-
chung schon zuvor veranlasst habe, verkennt den maßgeblichen Zeitpunkt, in
dem die Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit gegeben sein muss.
1. Zahlungsunfähigkeit und Kenntnis hiervon müssen zur Zeit der ange-
fochtenen Rechtshandlung vorliegen (§ 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO). Eine
Rechtshandlung gilt als in dem Zeitpunkt vorgenommen, in dem ihre rechtlichen
Wirkungen eintreten (§ 140 Abs. 1 InsO). Beim Einzug einer Lastschrift kommt
es darauf an, wann die Belastung des Schuldnerkontos wirksam wird, weil
dadurch die gläubigerbenachteiligende Wirkung eintritt. Zu unterscheiden ist
zwischen einem Einzug im Einzugsermächtigungsverfahren, bei dem der
Schuldner seinen Gläubiger ermächtigt, Forderungen im Lastschriftwege von
seinem Konto einzuziehen, und einem Einzug im Abbuchungsauftragsverfah-
ren, bei dem der Schuldner seiner Bank den Auftrag erteilt, Lastschriften seines
namentlich bezeichneten Gläubigers einzulösen.
2. Im Streitfall erfolgte der Einzug im Abbuchungsauftragsverfahren. Bei
diesem Verfahren wird die Belastung des Schuldnerkontos wirksam, wenn die
Lastschrift von der Schuldnerbank eingelöst wird (BGH, Urteil vom
19. Dezember 2002 - IX ZR 377/99, WM 2003, 524, 525 f). Denn damit ist der
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Auftrag ausgeführt und es endet die Befugnis des Schuldners, den Abbu-
chungsauftrag zu widerrufen (BGH, Urteil vom 19. Oktober 1978 - II ZR 96/77,
BGHZ 72, 343, 345; Ellenberger in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-
handbuch, 4. Aufl., § 58 Rn. 46; vgl. auch HK-InsO/Kreft, 6. Aufl., § 140 Rn. 3;
MünchKomm-InsO/Kirchhof, 2. Aufl., § 140 Rn. 11; Uhlenbruck/Hirte, InsO,
13. Aufl., § 140 Rn. 5B; HmbKomm-InsO/Rogge/Leptien, 4. Aufl., § 140 Rn. 10;
Gehrlein in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, § 140 Rn. 12). Eingelöst ist die
Lastschrift mit der Belastung des Schuldnerkontos, sofern diese den Einlö-
sungswillen der Schuldnerbank zum Ausdruck bringt. Dies ist anzunehmen,
wenn die Bank die Voraussetzungen der Abbuchung geprüft hat, bevor sie die
Buchung vornimmt (Vordisposition). Anderes kann gelten, wenn die Prüfung
erst nach der (automatisierten) Belastungsbuchung erfolgt (Nachdisposition).
Nach Nr. 9 Abs. 2 AGB-Banken aF gelten Abbuchungsauftragslastschriften als
eingelöst, wenn die Belastungsbuchung nicht spätestens am zweiten Bankar-
beitstag nach ihrer Vornahme rückgängig gemacht wird. Sind diese Geschäfts-
bedingungen vereinbart, tritt somit die Wirkung der Einlösung mit Ablauf der
Zwei-Tages-Frist ein, sofern die Bank nicht ausnahmsweise einen von den All-
gemeinen Geschäftsbedingungen abweichenden individuellen Einlösungsvor-
behalt erklärt (Bunte in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechtshandbuch,
4. Aufl., § 14 Rn. 29 ff; Ellenberger, aaO § 58 Rn. 38 ff).
3. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Kenntnis der Be-
klagten von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin war sonach, ausgehend
von einer Belastung des Schuldnerkontos im Laufe des 2. April 2008, bei Gel-
tung der AGB-Banken der Ablauf des 4. April 2008, ansonsten frühestens der
Zeitpunkt der Belastungsbuchung auf dem Schuldnerkonto, jedenfalls aber
nicht - wovon das Berufungsgericht ausgeht - der Zeitpunkt, zu dem die Beklag-
te das Abbuchungsverfahren einleitete.
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III.
Das angefochtene Urteil kann folglich keinen Bestand haben. Es ist auf-
zuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif.
Deshalb ist sie zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsge-
richt zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 und 3 ZPO).
1. Entgegen der Ansicht der Revision ergibt sich die Klageforderung nicht
aus § 131 Abs. 1 Nr. 1, § 143 Abs. 1 InsO. Es kann nicht festgestellt werden,
dass die Beklagte mit dem abgebuchten Betrag eine inkongruente Deckung
erlangte. Der Sachvortrag des Klägers rechtfertigt nicht den Schluss, der Lea-
singvertrag vom 1. April 2008 sei nichtig, weil im Abschluss und in der Durch-
führung dieses Vertrags eine strafbare Beihilfe zum Betrug an den Kunden der
Schuldnerin liege. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass das am 1. April 2008
von der Schuldnerin geleaste Fahrzeug im Rahmen eines Kauf- oder Mietkauf-
vertrags einem Endkunden zur Verfügung gestellt werden sollte, der aufgrund
einer Täuschung und eines entsprechenden Irrtums den Vertrag geschlossen
und die vertragsgemäße Leistung erbracht hat. Ausführungen zum Geschäfts-
modell der Schuldnerin im Allgemeinen ersetzen einen Vortrag zu dem im Streit
stehenden Einzelfall nicht.
2. Kann auch nach gegebenenfalls ergänztem Vortrag des Klägers eine
inkongruente Deckung nicht festgestellt werden, wird das Berufungsgericht auf
der Grundlage noch zu treffender tatrichterlicher Feststellungen in einer Ge-
samtwürdigung unter Berücksichtigung der Regelung in § 130 Abs. 2 InsO neu
beurteilen müssen, ob die Beklagte Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der
Schuldnerin hatte. Waren, was nahe liegt, zwischen der Schuldnerin und ihrer
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Bank die AGB-Banken vereinbart, kommt es auf den Kenntnisstand der Beklag-
ten am Ende des 4. April 2008 an. Nach der bestrittenen, aber unter Beweis
gestellten Behauptung des Klägers war der Geschäftsführer der Beklagten seit
dem 2. April 2008 über die Durchsuchung der Geschäftsräume der Schuldnerin
und die Verhaftung ihres faktischen Geschäftsführers informiert. Gab es diese
Information, konnte der Geschäftsführer der Beklagten angesichts der Durchsu-
chung der Geschäftsräume der Schuldnerin entgegen der Ansicht der Revisi-
onserwiderung nicht annehmen, die Verhaftung habe auch auf Gründen beru-
hen können, die mit der Geschäftstätigkeit der Schuldnerin nichts zu tun hatten.
Die Beklagte hat ferner eingeräumt, durch die gemeinsame Pressemitteilung
des Landeskriminalamts und der Staatsanwaltschaft vom 4. April 2008 Kenntnis
von dem betrügerischen Schneeballsystem erlangt zu haben; offen ist aller-
dings, zu welchem Zeitpunkt sie Kenntnis vom Inhalt dieser Pressemitteilung
erlangte.
Kayser
Raebel
Pape
Grupp
Möhring
Vorinstanzen:
LG Ravensburg, Entscheidung vom 01.02.2010 - 6 O 256/09 -
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 27.09.2010 - 6 U 41/10 -