Urteil des BGH vom 01.10.2009

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 135/10
vom
22. September 2010
in der Unterbringungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 1906 Abs. 1 Nr. 2
Zu den Voraussetzungen der Genehmigung einer Zwangsmedikation bei der
Unterbringung des Betroffenen gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB.
BGH, Beschluss vom 22. September 2010 - XII ZB 135/10 - LG Konstanz
AG
Radolfzell
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. September 2010 durch
die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, den Richter Prof. Dr. Wagenitz, die
Richterin Dr. Vézina und die Richter Dose und Dr. Klinkhammer
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss
der 1. Zivilkammer des Landgerichts Konstanz vom 11. März 2010
insoweit aufgehoben, als die Beschwerde gegen den Beschluss
des Amtsgerichts Radolfzell vom 1. Oktober 2009, soweit er eine
Zwangsmedikation durch Depotspritze anordnet, zurückgewiesen
worden ist. Insoweit wird die Sache zur neuen Behandlung und
Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.
Außergerichtliche Kosten und Auslagen werden nicht erstattet.
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Gründe:
I.
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Der (1968 geborene) Betroffene leidet seit 1992 an einer hebephrenen
Schizophrenie. Für ihn besteht seit dem 26. August 1993 eine Betreuung. We-
gen der Erkrankung befand er sich bereits über fünfundzwanzigmal in stationä-
rer Behandlung im Zentrum für Psychiatrie R. . Zuletzt war er in der Zeit
von Juli 2007 bis März 2009 (Beschlüsse des Amtsgerichts vom 25. Juli 2007,
vom 4. September 2007, vom 7. Oktober 2008
,
letzterer aufgehoben durch Be-
schluss des Landgerichts vom 25. Februar 2009
)
und vom 10. Juni 2009 bis
zum 22. Oktober 2009 (gemäß einstweiliger Anordnung des Amtsgerichts vom
10. Juni 2009 und Beschluss des Amtsgerichts vom 23. Juli 2009) unterge-
bracht.
Auf Antrag der Betreuerin hat das Amtsgericht nach Einholung eines
psychiatrischen Gutachtens mit Beschluss vom 1. Oktober 2009 die Unterbrin-
gung des Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung längstens bis zum
29. September 2010 genehmigt. Es hat weiter beschlossen, dass dem Betroffe-
nen die Medikation auch durch Depotspritze gegen seinen Willen durch einen
Arzt verabreicht werden darf. Die Beschwerde des Betroffenen hat das Landge-
richt zurückgewiesen. Dagegen wendet er sich mit der Rechtsbeschwerde.
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II.
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1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 70 Abs. 3 Nr. 1 FamFG zulässig.
Das erstinstanzliche Verfahren auf Verlängerung der Unterbringung ist durch
den Antrag der Betreuerin vom 28. September 2009 und somit nach dem
31. August 2009 eingeleitet worden (Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG).
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2. Die Rechtsbeschwerde ist teilweise begründet.
a) Zu Recht hat das Landgericht die Beschwerde zurückgewiesen, so-
weit das Amtsgericht die Unterbringung des Betroffenen bis längstens 29. Sep-
tember 2010 genehmigt hat. Das Amtsgericht hat die Unterbringung gemäß
§ 1906 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 BGB genehmigt, weil zum einen die Gefahr be-
steht, dass der Betroffene sich ohne die Unterbringung erheblichen gesundheit-
lichen Schaden zufügt und zum anderen eine Heilbehandlung ohne eine länger-
fristige Unterbringung des Betroffenen nicht durchgeführt werden und der Be-
troffene aufgrund seiner Erkrankung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht
erkennen kann. Das Landgericht ist bei seiner Entscheidung den übereinstim-
menden psychiatrischen Gutachten der Ärzte H. und Dr. R.
vom 28. September 2009 und Dr. S. vom 19. November 2009 gefolgt.
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Die Begründung trägt die getroffene Entscheidung. Sie ist rechtsbe-
schwerderechtlich nicht zu beanstanden. Von einer weiteren Begründung wird
gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.
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b) Zu Unrecht hat das Landgericht die Beschwerde jedoch insoweit zu-
rückgewiesen, als im Beschluss des Amtsgerichts auch die Unterbringung des
Betroffenen zum Zweck der Zwangsmedikation genehmigt worden ist. Denn die
Feststellungen des Landgerichts tragen seine Begründung insoweit nicht.
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Die Zwangsmedikation stellt einen schweren Eingriff in die Grundrechte
des Betroffenen dar. Sie gestattet die Ausübung von Gewalt gegen den Betrof-
fenen, z.B. seine Fixierung. Die Genehmigung ist deshalb nur zulässig, wenn
die Zwangsmedikation erforderlich und angemessen ist. Ob dies der Fall ist,
bedarf im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs einer besonders sorgfältigen
Prüfung.
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Daran fehlt es hier. Ohne auf die Genehmigung der Zwangsmedikation
einzugehen, hat das Landgericht lediglich im Rahmen der Begründung der Un-
terbringung Ausführungen zur fehlenden Bereitschaft des Betroffenen, die ihm
verabreichten Medikamente einzunehmen, gemacht. Danach war der Betroffe-
ne in der Vergangenheit nicht bereit, die ihm bei der ambulanten Behandlung
gegebenen Medikamente einzunehmen, und selbst unter stationären Bedin-
gungen gelang es ihm mitunter, Medikamente nicht einzunehmen.
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Allein daraus, dass es dem Betroffenen mitunter gelungen ist, ihm statio-
när verabreichte Tabletten nicht zu schlucken, kann nicht geschlossen werden,
dass er die Verabreichung von Medikamenten auch durch Spritzen regelmäßig
verweigert. Umstände, aus denen sich eine solche Verweigerungshaltung des
Betroffenen ergeben könnten, hat das Landgericht nicht festgestellt.
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Nur dann durfte jedoch eine Zwangsmedikation gestattet werden. Ein
Vorratsbeschluss für den Fall, dass der Betroffene sich gegen die Verabrei-
chung von Medikamenten durch Spritzen wehren wird, ist im Hinblick auf die
Schwere des Eingriffs unzulässig.
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Hahne Wagenitz Vézina
Dose
Klinkhammer
Vorinstanzen:
AG Radolfzell, Entscheidung vom 01.10.2009 - 1 XVII 72/94 -
LG Konstanz, Entscheidung vom 11.03.2010 - 12 T 230/09 A -