Urteil des BGH vom 22.10.2009

BGH (rechtliches gehör, forderung, treuhänder, beschwerde, frist, wiedereinsetzung, einwendung, lücke, sache, antrag)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 49/09
vom
22. Oktober 2009
in dem Verbraucherinsolvenzverfahren
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Ganter, die Richter Prof. Dr. Gehrlein und Vill, die Richterin Lohmann und
den Richter Dr. Fischer
am 22. Oktober 2009
beschlossen:
Auf die Rechtsmittel der Gläubigerin werden der Beschluss der
7. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim vom 28. Januar 2009
und der Beschluss des Amtsgerichts Gifhorn - Insolvenzgericht -
vom 30. Januar 2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten
des Beschwerde- und des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das
Amtsgericht zurückverwiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € fest-
gesetzt.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht eröffnete mit Beschluss vom 8. März 2007 das Ver-
braucherinsolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin. Die Gläubige-
rin meldete am 13. April 2007 eine mit Vollstreckungsbescheid titulierte Forde-
rung über 50.540,68 € zur Tabelle an und erklärte in dem Begleitschreiben hier-
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zu, die Anmeldung erfolge rein vorsorglich, der Gläubigerin stehe aufgrund ei-
nes erwirkten Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses gemäß § 301 Abs. 2
Satz 1 InsO ein nach Erteilung der Restschuldbefreiung wieder wirksam wer-
dendes Absonderungsrecht zu. Der Treuhänder, der die Gläubigerin schon zu-
vor zutreffend auf § 114 Abs. 3 InsO sowie darauf hingewiesen hatte, dass die
Forderung der Gläubigerin von einer Restschuldbefreiung der Schuldnerin er-
fasst werde, stellte die Forderung für den Ausfall zur Tabelle fest. Mit Schreiben
vom 30. August 2007 forderte er die Gläubigerin vergebens auf, binnen
14 Tagen den Ausfall nachzuweisen.
Am
12.
September
2007 legte der Treuhänder den Schlussbericht und
das Schlussverteilungsverzeichnis vor, in dem die Forderung der Gläubigerin
für den Ausfall festgestellt wurde. Das Insolvenzgericht erteilte die Zustimmung
gemäß § 196 InsO und bestimmte Schlusstermin im schriftlichen Verfahren auf
den 5. Dezember 2007.
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Mit Schreiben vom 30. Oktober 2007 beantragte die Gläubigerin, ihre
Forderung ohne Bedingung im Schlussverzeichnis festzustellen. Ein Absonde-
rungsrecht werde nicht geltend gemacht. Daraufhin änderte der Treuhänder die
Tabelle und reichte ein entsprechend geändertes Schlussverzeichnis beim In-
solvenzgericht ein. Das Insolvenzgericht teilte ihm daraufhin mit, dass die Frist
des § 189 InsO nicht gewahrt sei, weil die hiernach maßgebende Frist am
29. Oktober 2007 abgelaufen sei. Die Gläubigerin könne bei der Schlussvertei-
lung nicht mehr berücksichtigt werden.
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Gegen die Nichtberücksichtigung im Schlussverzeichnis legte die hiervon
unterrichtete Gläubigerin am 19. November 2007 "Beschwerde" ein, in der sie
hilfsweise Wiedereinsetzung in die versäumte Frist nach § 189 InsO beantragte.
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Im Schlusstermin vom 5. Dezember 2007 stellte die Rechtspflegerin fest,
dass Einwendungen gegen das Schlussverzeichnis nicht erhoben worden sei-
en. Auf mehrfache Rüge der Gläubigerin hat das Insolvenzgericht am 30. Ja-
nuar 2008 schließlich einen Beschluss erlassen, mit dem der Antrag der Gläu-
bigerin auf Wiedereinsetzung als unbegründet zurückgewiesen wurde. Die hier-
gegen erhobene sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben.
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II.
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 197 Abs. 3, § 194 Abs. 2, §§ 6, 7
InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie
führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen und zur Zurückverwei-
sung der Sache an das Insolvenzgericht.
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1. Das Insolvenzgericht und das Beschwerdegericht haben lediglich über
den Hilfsantrag der Gläubigerin auf Wiedereinsetzung entschieden, nicht über
deren Hauptantrag auf Änderung des Schlussverzeichnisses. Damit haben sie
das Recht der Gläubigerin auf rechtliches Gehör verletzt.
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Mit der als "Beschwerde" bezeichneten Einwendung der Gläubigerin vom
19. November 2007 wandte sich diese dagegen, dass ihre Forderung im
Schlussverzeichnis nur für den Ausfall festgestellt wurde und dass die Rechts-
pflegerin der vom Treuhänder vorgenommenen Änderung des Schlussver-
zeichnisses die Anerkennung verweigerte. Damit wurde innerhalb der offenen
Frist in dem angeordneten schriftlichen Verfahren für den Schlusstermin vom
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5. Dezember 2007 gemäß § 197 Abs. 1 Nr. 2 InsO eine Einwendung gegen das
von der Rechtspflegerin für maßgeblich erachtete Schlussverzeichnis erhoben,
über die das Insolvenzgericht zu entscheiden hatte. Die gegenteilige Feststel-
lung der Rechtspflegerin im Schlusstermin, Einwendungen seien nicht erhoben
worden, war falsch.
Soweit lediglich in den Gründen der angefochtenen Entscheidungen aus-
geführt wird, dem Antrag auf Änderung des Schlussverzeichnisses könne nicht
entsprochen werden, sollte damit keine Entscheidung getroffen werden. Im
amtsgerichtlichen Beschluss wird erklärt, dass eine rechtsmittelfähige Entschei-
dung, gegen die sich eine Beschwerde richten könne, nicht ergangen sei; eine
solche sollte auch weiterhin ersichtlich nicht getroffen werden. Das macht die
Formulierung des Tenors deutlich, der sich ausschließlich mit der Wiedereinset-
zung befasst.
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Mit der sofortigen Beschwerde hat die Gläubigerin ihren Hauptantrag
weiterverfolgt. Über ihn hat auch das Beschwerdegericht nicht entschieden.
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Diese Entscheidung wird nunmehr nachzuholen sein.
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2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
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Der fristgebundene Nachweis nach den §§ 189, 190 InsO kann durch
eine Einwendung nach (§ 194 Abs. 1 InsO oder) § 197 Abs. 1 Nr. 2 InsO nicht
nachgeholt werden, weil andernfalls die Ausschlussfrist des § 189 unterlaufen,
jedenfalls verlängert würde (MünchKomm-InsO/Füchsl/Weishäupl, 2.
Aufl.
§ 194 Rn. 4, § 197 Rn. 5).
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Die Feststellung des Landgerichts, dass die Frist der §§ 189, 190 InsO
von der Gläubigerin nicht gewahrt sei, wurde von der Rechtsbeschwerde zwar
nicht mehr angegriffen. § 190 Abs. 1 InsO war jedoch nicht anwendbar. Er be-
trifft lediglich die Gläubiger, die zur abgesonderten Befriedigung berechtigt sind.
Hierzu zählt die Rechtsbeschwerdeführerin nicht. Sie hat lediglich die offen-
sichtlich unzutreffende Auffassung vertreten, dass sie aus einem Pfändungs-
und Überweisungsbeschluss, dessen Wirksamkeit gemäß § 114 Abs. 3 InsO
beendet war, nach Erteilung der Restschuldbefreiung wieder Befriedigung ver-
langen könne. Eine Restschuldbefreiung hätte auch die Darlehensforderung der
Gläubigerin erfasst.
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Der Treuhänder hat dies auch zutreffend erkannt. Er hat lediglich im Hin-
blick auf die unzutreffende Berühmung der Klägerin ein Absonderungsrecht un-
terstellt und die entsprechende Feststellung zur Tabelle getroffen. Dies war ob-
jektiv unzutreffend. Ein Absonderungsrecht bestand nicht. Die Tabelle war in-
soweit falsch.
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Eine analoge Anwendung von § 190 Abs. 1 InsO kommt nicht in Be-
tracht. Sie würde eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollstän-
digkeit des Gesetzes voraussetzen. Ob eine solche Lücke vorhanden ist, ist
vom Standpunkt des Gesetzes und der ihm zugrunde liegenden Regelungsab-
sicht zu beurteilen (st. Rspr., vgl. zuletzt BGH, Beschl. v. 18. Juni 2009 - IX ZB
97/08, ZIP 2009, 1630 Rn. 9 m.w.N.).
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Eine solche Lücke liegt nicht vor. § 190 InsO soll erreichen, dass Ausfall
und Verzicht bei einem bestehenden Absonderungsrecht rechtzeitig und zeit-
nah nachgewiesen werden. Besteht ein solches Recht nicht und ist es nur
fälschlich in die Tabelle eingetragen, bedarf es eines solchen Nachweises nicht.
Die Änderung eines falschen Schlussverzeichnisses kann auch noch in der Frist
des § 197 InsO verlangt und vorgenommen werden, ohne dass relevante Ver-
zögerungen auftreten.
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Da auch ein Fall des § 189 Abs. 1 InsO nicht gegeben ist, stehen diese
Vorschriften der vom Treuhänder vorgenommenen Änderung des Schlussver-
zeichnisses nicht entgegen.
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Ganter Gehrlein
Vill
Lohmann
Fischer
Vorinstanzen:
AG Gifhorn, Entscheidung vom 30.01.2008 - 36 IK 106/07 -
LG Hildesheim, Entscheidung vom 28.01.2009 - 7 T 15/08 -